Ein Kriegsgegner wird zum Mörder gestempelt

Guardian-Doku als Teil einer Kampagne gegen Julian Assange

Wer die großen Verbrechen von Siegern ans Licht bringen will, hat es immer schwer gehabt – so auch Julian Assange mit seiner Whistleblower-Plattform WikiLeaks.

Am 11.9.2012 sendete 3sat eine Dokumentation über Wiki­Leaks, in deren Zentrum Julian Assange stand. Leider lässt die Guardian-nahe TV-Produktion überwiegend Guardian-Journalisten zu Wort kommen, die zu­meist nur Negatives zum Wiki­Leaks-Gründer zu sagen haben. Guardian, Spiegel und New York Times bildeten 2010 ein Medienkonsortium, das die Leaks aus den Irak- und Afghanistan-Kriegen sowie vertrauliche US-Depeschen exklusiv vermarkten durfte. Doch schon bald kam es zum Bruch mit Assange und zur Gegnerschaft vor allem zum Guardian.

 

Julian Assange – Die Dämonisie-rung eines Kriegsgegners

Aufhänger ist ein vierstündiges Home-Interview mit Assange, damals noch im britischen Hausarrest, aus dem aber nur acht Minuten heraus gefiltert wurden. Diese acht Minuten wurden zerhackt und in kleinen Happen zwischen die Statements seiner GegnerInnen geschnitten. So entsteht der Eindruck eines Tribunals, vor dem Assange auf die Vorwürfe antworten kann. Doch was er sagen darf, bestimmen die Macher der Doku. Am Ende hat man nichts Neues erfahren, aber sämtliche Vorwürfe gegen Wiki­Leaks wurden noch einmal aufgewärmt und suggestiv präsentiert. WikiLeaks protestierte ge­gen diese Darstellung.

Schwer wiegen vor allem Beschuldigungen, Assange hätte bezüglich der Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gelogen, an seinen Händen würde „Blut kleben“ und Quellenschutz wäre ihm unwichtig. Sogar die Schuld an der Inhaftierung des mutmaßlichen Whistleblowers Bradley Manning wird ihm tendenziell angelastet. Sein ständiger Einsatz und seine Fürsprache für Manning, dem auch die Solidarität vieler PazifistIn­nen gilt (vgl. Beutner 2011) wird verschwiegen.

Stattdessen wird mit entsprechend eingefügten Interview-Passagen der Eindruck nahegelegt, Assange wäre der Schutz seiner Whistle­blower gleichgültig, er wolle sie höheren Zielen opfern.

Dies alles behauptet die Doku nicht selbst, aber sie lässt einen Assange-Gegner nach dem anderen sprechen. So werden die GegnerInnen quasi zu Zeu­gInnen der Anklage stilisiert, ihre Aussagen zu Beweismate­rial – abgemischt mit unterstützenden TV-Bildern, Pressebe­richten und Statements der US-Regierung.

Dazwischen geschnitten sind Assange-Passagen, die zu seiner Verteidigung weitgehend nutzlos sind. Das erweckt nur auf den ersten Blick den Eindruck einer fairen Rede und Ge­genrede. Assange bekommt tatsächlich kaum eine Chance, sich gegen Beschuldigungen zu wehren.

Daniel Domscheit-Berg, der deutsche WikiLeaks-Abspalter und OpenLeaks-Gründer, ist der erste einer ganzen Phalanx von früheren Assange-Mitstreitern, die heute seine Gegner sind.

Alle lässt der Film gegen den WikiLeaks-Gründer aufmarschieren. In Szene gesetzt werden sie nach einem einheitlichen Muster: Zuerst dürfen sie beschreiben, wie nett sie „Julian“ anfangs fanden, aber dann zeigte Assange ihnen sein angeblich „wahres“ Gesicht: Das eines „Lügners“, „Mafiosos“ und „Irren“, eines „wahren Ungeheuers“ (Zitate).

 

Assange der Kultführer

Die Hauptzeugen der Anklage kommen aus der Redaktion des Guardian: David Leigh und Nick Davies. Sie loben Julian erst überschwänglich, beschreiben die Zusammenarbeit mit ihm aber als irgendwie merkwürdig, er sei wie ein „Kultfüh­rer“, der „nicht von diesem Planeten“ stamme. David Leigh beginnt leutselig:

„Julian umgab ein seltsames Charisma, er benahm sich, als sei er ein Kultführer. Wir machten sehr bald Witze über die Leute um ihn herum, die Brause-Limonade tranken (...) Also nahm ich ihn mit in unsere Wohnung, gab ihm unser Gäs­tebett. Nur schlief er nicht da­rin, sondern saß die ganze Nacht vor seinem Laptop und machte geheimnisvolle Dinge. Dann, um fünf Uhr früh, kippte er plötzlich weg. Er trug diese braune Lederjacke, immer bis zum Hals hoch geknöpft.

Die zog er nie aus. Um fünf Uhr, am Ende seines Arbeitspen­sums, fiel er um und schlief in seiner zugeknöpften Lederjac­ke ein. Solche Dinge gaben einem das Gefühl, man hätte es mit jemandem zu tun, der nicht von diesem Planeten ist.“

Das klingt etwas nach Hacker-Klischee, aber noch ganz nett, doch Leigh schließt später im Film seine Beschreibung von Assange weniger freundlich ab:

„Er schüttelte mir die Hand, schaute mir in die Augen wie ein Mafioso und sagte: ‚Sei vorsichtig‘, so auf diese Art. Ich fand das lächerlich, wie mich diese Person bedroht hat. Seitdem habe ich nicht mehr mit Ju­lian Assange gesprochen.“

Der Guardian-Journalist Nick Davies bezichtigt Assange mehrfach der Lüge und zieht dann den Bogen zu den sexuellen Missbrauchsvorwürfen aus Schweden:

„Assange glaubt an die Dinge, die er ausspricht, in dem Moment, in dem er sie ausspricht. Das ist so wie bei den beiden Frauen aus Schweden. Wenn er das als schmutzige Tricks des Pentagon bezeichnet, dann glaubt er auch daran.“

Davies glaubt nicht daran. Unklar bleibt, woher Nick Davies sein Wissen darüber nimmt, wer hier die Wahrheit sagte und wer nicht. Davies redet sich über Assange regelrecht in Rage, zieht die Brauen hoch, rollt mit den Augen und empört sich:

„Ich vermute, fast jeder, der ihm nahe kommt, erlebt das mit: Man beginnt ihn zu mögen und ihm zu vertrauen und plötzlich erscheint aus dem Nichts dieses Ungeheuer! Wo um Himmels Willen kommt das jetzt her! Plötzlich erkennt man diesen außergewöhnlich verlogenen Mann, ich bin niemals einem derart unehrlichen Menschen wie Julian Assange begegnet!“

 

Navy-Seals und Menschenrechte

Vieles bewegt sich auf der Ebene persönlicher Vorwürfe gegen Julian Assange, doch auch die Leaks selbst werden hauptsächlich von ihrer negativen Seite dargestellt. Der Abschnitt über die Publikation der Afghan War Diaries durch Guardian, Spiegel und New York Times rückt die Gegenwehr der US-Regierung in den Mittelpunkt. Aber sie wird nicht analysiert oder reflektiert, sondern einfach im O-Ton wieder gegeben und bestätigt:

„48 Stunden lang sprach die ganze Welt von zivilen Opfern und von Taskforce 373, dann fand die NYT auf WikiLeaks Dokumente, die eindeutig die Sicherheit afghanischer Zivilisten gefährdeten.“

Einspieler aus US-Fernsehen: „An WikiLeaks Händen klebt Blut!“ An dieser Stelle der Do­ku wiederholt ein unheimlicher, aber kaum wahrnehmbarer Hall-Effekt: „...klebt Blut!“

Problematisiert wird in der Dokumentation nicht, dass unter dem Namen „Taskforce 373“ ei­ne US-Kommandoeinheit jenseits der Genfer Konvention Mordanschläge auf als Taliban verdächtigte Menschen und ih­re Familien durchführte.

Wohl aber der „Geheimnisverrat“ durch WikiLeaks, der die Informanten von „Taskforce 373“ gefährdet haben könnte (was bis heute nicht bewiesen ist). Folgerichtig kommt dazu kein Menschenrechts-Experte zu Wort, sondern der US-Navy-Seal-Elitesoldat Christopher Heben:

„Julian Assange und sein Haufen aufmüpfiger Dummköpfe denken, sie verschießen mal eben diese ganzen Informationen über den Globus und tragen damit zum Weltfrieden bei. Weiter entfernt von der Wahrheit könnte das gar nicht sein. Sie untergraben damit die Fähigkeit der NATO, für Stabilität in fast jeder Unruhe-Region der Welt zu sorgen [...]. Es gibt Drecksarbeit da draußen und die muss getan werden.“

Sogar die Verhaftung und Folterung Bradley Mannings wird tendenziell Assange angelastet. Dabei übernimmt die Doku die Version der US-Regierung und stempelt den mutmaßlichen Whistleblower bereits jetzt zum Schuldigen. Manning stand inzwischen in seiner Vorverhandlung vor dem Militärgericht in Fort Meade, Mary­land, hat dort aber keineswegs gestanden der gesuchte Whis­tleblower zu sein, geschweige denn Assange belastet.

Als „Beweise“ dafür präsentiert die Doku nur die lange bekannten Screenshots eines Chats, in dem Manning angeblich zugab, die Geheimdateien geleakt zu haben. Der Anwalt von Bradley Manning hat für seinen Klienten mildernd geltend gemacht, dass kein einziges der angeblich blutigen Opfer des „Geheimnisverrats“ bis­lang nachgewiesen wurde.

 

Zoten statt Medaillen

Die zotige Sprache, zu der sich Assange in den vier Stunden Interview offenbar einmal hinreißen ließ, macht ihn leider angreifbar: ZEIT.de zitierte sein Schimpfen auf die Medien als „nuttigste und hinterhältigste Industrie“ in ihrer Würdigung der Doku so, dass Assange sehr unvorteilhaft dastand. Die Doku vermeidet viele Themen, die für WikiLeaks und Assange sprechen könnten: Von der Abschreckung für Kriegsverbrecher bis zur Aufdeckung von Korruption, z.B. bei der deutschen Toll Collect-Affäre. Kein Wort verliert sie über die zahlreichen Auszeichnungen, von der Medaille der „Sidney Peace Foundation“ für Assange oder vom deutschen „Whistleblo­wer-Award“ für „Anonymous“ von WikiLeaks.

Die Hauptkontroverse von Wi­kiLeaks mit dem Guardian kreiste 2011 um das in einem Guardian-Buch publizierte Passwort für die verschlüsselten US-Depeschen. Die vertraulichen Depeschen wurden damit auf einen Schlag für alle Welt lesbar, was etliche Skandale entfachte und generelle Zweifel am Konzept der Whistleblower-Plattform aufkommen ließ.

Die Kontroverse wird in der Do­ku nur andeutungsweise und zu Lasten von Assange an­gerissen, zu Wort kommt dazu allein der Buchautor David Leigh. Er wedelt mit einem Stück Papier vor der Kamera herum und behauptet:

„...dieses Stück Papier hat Assange beschrieben... Er sagte mir, dass dieser Ordner dann ablaufen würde, innerhalb von ein paar Stunden gelöscht würde... das hatte viel von James Bond.”

Nur wer die ganze Geschichte kennt, kann hier ahnen, dass es sich wohl um das besagte Passwort handeln sollte. Mit dem Depeschen-Streit zwischen As­sange und Guardian wird kein direkter Zusammenhang hergestellt, aber Assange wird implizit die Alleinschuld zugeschoben. Die Frage nach eigener Sorgfaltspflicht stellen sich die Top-Journalisten des Guardian nicht, obwohl sie durchaus damit hätten rechnen können, dass auch der um den Globus gehetzten Hackergruppe Fehler unterlaufen würden. Fazit: Wer ausschließlich diese Dokumentation kennt, der kann am Ende wohl nur gegen Julian Assange sein.

Glücklicherweise gibt es andere, weniger einseitige Dokumentationen über WikiLeaks.1  

 

Gerd R. Rueger

 

 

„WikiLeaks – Geheimnisse und Lügen“, Buch und Regie: Patrick Forbes, Redaktion: Reinhart Lohmann (ZDF), dt. Erstausstrahlung auf Arte, 14.02.2012, 3sat 11.09.2012

 

Gerd R Rueger ist Autor von: „Die Zerstörung von WikiLeaks?“ 2011

 

 

(Publikation unter: CC-by-3.0 /Creative Com­mons, frei mit Namensnennung)

 

Quellen:

Beutner, Detlev, „Dem eigenen Staat hat jeder Staatsbürger die Treue zu halten“: Bradley Man­ning, Whistleblowing und „Landesverrat“, in: Graswurzelrevolution Nr. 360, Sommer 2011, www.graswurzel.net/360/manning.shtml

Borchers, Detlef, LKW-Maut: WikiLeaks veröffentlicht geheime Maut-Unterlagen, heise 25.11.2009, www.heise.de/ct/meldung/LKW-Maut-Wikileaks-veroeffentlicht-geheime-Maut-Unterlagen-868208.html

Klöckner, Marcus, Nicht Wegschauen, Telepolis 06.06.2011, www.heise.de/tp/artikel/34/34885/1.html

Rueger, Gerd R., The defamation of WikiLeaks is based on lies and twists, 19.09.2011,   www.scribd.com/doc/65552221/The-Defamation-of-WikiLeaks-is-Based-on-Lies-and-Twists

Rueger, Gerd R., Julian Assange: Die Zerstörung von WikiLeaks? Hamburg  2011, www.amazon.de/Julian-Assange-Zerst%C3%B6rung-WikiLeaks-Anonymous/dp/3939594032

ZEIT.de, WikiLeaks und die Medien „Die nuttigste, hinterhältigste Industrie, die mir je begegnet ist“, www.zeit.de/digital/internet/2012-02/wikileaks-assange-doku-arte

Support Bradley Manning: Bericht aus der Vorverhandlung (arraignment)

www.bradleymanning.org/news/notes-from-bradley-mannings-arraignment

WikiLeaks.org zum Film: Guardian’s “WikiLeaks: Secrets and Lies” Documentary: Guardian hacks continue PR war against WikiLeaks  http://wikileaks.org/Guardian-s-WikiLeaks-Secrets-and.html

 

Fußnote:

 1 http://jasminrevolution.wordpress.com/

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 372, Oktober 2012, www.graswurzel.net