Kann es einen FDP-Feminismus geben?

Stefanie Lohaus vom Missy Magazin im Interview

prager frühling: Ein Magazin herauszugeben, ist aufwändig. Warum habt ihr Frauen vom Missy Magazin euch in diese Herausforderung gestürzt?

Stefanie Lohaus: Zum Teil aus Unwissenheit. Wir wussten anfangs nicht, was es bedeutet, ein Magazin herauszugeben. Chris Köver hatte mir das amerikanische Magazin BUST mitgebracht. Nachdem ich das gelesen hatte, habe ich sie noch nachts angerufen und gesagt: „Chris, wir müssen so was machen. Und dann haben wir zusammen mit Sonja Eismann unsere Idee bei einem Wettbewerb eingereicht. Da wir 25.000 Euro gewonnen hatten und die aber bis zum Jahresende ausgegeben werden mussten, war das ein Zeitdruck, der kein Zögern und Zaudern zuließ.

pf: Apropos Zeitdruck: Kommt ihr noch dazu, in der Redaktion verschiedene Positionen auszudiskutieren?

Lohaus: Bei uns gibt es wenig Auseinandersetzungen einfach weil wir meist einer Meinung sind – zumindest wenn es um feministisch-kulturelle Fragen geht. Diskussionen gab es bei uns allerdings anlässlich einer Fotostrecke über den Gazastreifen.

pf: Inzwischen habt ihr euch mit einer Auflage von 20.000 ganz gut etabliert und schreibt schwarze Zahlen. Wer liest Missy?

Lohaus: Eine Leserin hat uns gerade eine Studie, die sie im Rahmen ihres Studiums verfassen musste, geschenkt. Die Missy-Leser_innenschaft ist recht homogen: Mitte bis Ende 20, interessiert an Politik und Kultur, eher urban und gebildet. Sie hat einen positiven Bezug zum Feminismus und ist bezüglich ihrer Sexualität sehr offen. Was uns besonders gefreut hat, Missy Magazin lesen, wird auch als feministisches Statement verstanden, auf das man stolz ist.

pf: Entsprach das Eurer Intention, als ihr das Magazin ins Leben gerufen habt?

Lohaus: Ich möchte eigentlich, dass das Magazin noch breitere Schichten erreicht. Es soll mehr sein als „preaching to the converted“, also zu den schon Bekehrten predigen.

pf: Unsere Rubrik „Feminismen“ beschäftigt sich diesmal mit der Organisationsfrage. Es gibt unterschiedliche Strategien: Ihr habt euch für ein eigenständiges Magazin mit klarem feministischen Profil entschieden. Hast du auch schon mal mit dem Gedanken gespielt, für ein herkömmliches Magazin zu schreiben und dort feministische Beiträge zu veröffentlichen?

Lohaus: Angela McRobbie hat in den 1980er Jahren zu Frauenmagazinen geforscht und war damals sehr optimistisch, dass auch über die klassischen Magazine feministische Politik vorangebracht werden kann. Vor vier Jahren hat sie allerdings ein Buch veröffentlicht, in dem sie ihren früheren Optimismus revidiert. Sie sagt, damals sei der Zeitgeist progressiver gewesen. Der darauf folgende postfeministische Backlash habe ihre Hoffnungen enttäuscht.

pf: Vor einiger Zeit veröffentlichte die EMMA ein Gespräch zwischen Redakteurinnen von EMMA und Missy Magazin. Es wirkt erstaunlich harmonisch. Wie zufrieden wart ihr mit dem veröffentlichten Gespräch?

Lohaus: Ursprünglich war das als informelles Gespräch angesetzt. Uns war es schon wichtig, dem von außen herangetragenen Gewäsch von „junge versus alte Feministinnen“ etwas entgegen zu setzen. Hinterher kann ich schon feststellen, dass Alice Schwarzer nicht nur eine sehr professionelle Gesprächsführerin ist, sondern manchmal auch sehr gut darin, Gesprächspartnerinnen zu umarmen. (Lacht)

pf: Das Alter ist sicher nicht geeignet, die verschiedenen Herangehensweisen an den Feminismus zu beschreiben. Welche tatsächlichen Unterscheidungslinien begegnen euch?

Lohaus: Neben der Debatte zwischen Differenz- und Gleichheitsfeminismus ist das die Frage der politischen Verortung. Also konkret: Kann es auch einen FDP-Feminismus geben?

pf: Und kann es?

Lohaus: Silvana Koch-Mehrin würde dies bejahen.

pf: Und was sagt die Redaktion vom Missy Magazin?

Lohaus: Wir sehen uns im linken Spektrum verortet. Ich beschreibe mich selbst als Feministin und Linke. Aber das ist kein Automatismus. Zum einen gibt es eine Haufen linker Macker und zum anderen gibt es auch einen bürgerlichen Feminismus und frau sollte auch parteiübergreifend im Sinne von feministischen Fortschritten zusammen arbeiten. Im Grund ist es die alte Frage, was ändern wir zuerst: das System oder die Geschlechterverhältnisse. Ich würde am liebsten beides zugleich verändern.

pf: Eine Redakteurin von EMMA meinte: Viel Diskurs, wenig Aktivität. Zu Recht?

Lohaus: Nun das ist erst mal nicht falsch. Ich würde aber eher von diskursiver Aktivität sprechen. Früher gab es weniger Angst, auch mal eine falsche Position zu beziehen. Mein Eindruck ist, dass junge Frauen heute skeptischer sind, nicht so schnell Position beziehen, weil sie die Welt als komplexer erleben und die Feindbilder nicht mehr so klar sind.

pf: Stichwort Feindbilder. In Artikeln über euch fällt auf, dass dort häufig erwähnt wird, ihr hättet nichts gegen Männer.

Lohaus: Naja, diese Zuschreibungen sind ja auch Teil einer Strategie, die jungen gegen die lebenserfahreneren Feministinnen auszuspielen. Natürlich habe ich auch mal etwas gegen den einen oder anderen Mann. Aber ich kritisiere vor allem die Strukturen.

pf: Gelegentlich werden junge Feministinnen alle in den Topf „Alphamädchen“ geworfen. Wie haltet ihr es mit den „Alphamädchen“?

Lohaus: Wenn ihr das Buch von Meredith Haaf und Susanne Klingner meint, nun da ist mein Problem, dass dort von einem „Wir“ junger Frauen die Rede ist. Da entsteht die Illusion, es ginge um alle Frauen. Aber letztlich beschäftigen sich die Autorinnen von „Wir Alphamädchen“ vor allem mit einer bestimmten Gruppe von Frauen mit bestimmten Problemen. Vor allem geht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist ein berechtigtes Anliegen, aber eben nicht das Anliegen aller Frauen. Illegalisierte Migrantinnen z.B. haben ganz andere Probleme.

pf: Wie würdest du dein Verständnis von Feminismus beschreiben?

Lohaus: Als eine Bewegung, ja eine Ideologie — ich finde dieses Wort gar nicht so schlimm — die sich für eine gleichberechtigte Gesellschaft im Ganzen mit dem Schwerpunkt auf Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt.

pf: Im Missy Magazin ist viel Kultur, aber wenig über die soziale Situation der Künstlerinnen zu lesen …

Lohaus: Zeitschriften, die sich sozialen Fragen widmen, gibt es bereits. Wir versuchen ja einen Mittelweg. Wir wollen unterhalten und Debatten anstoßen. In der Studie über unsere Leser_innen kam auch heraus, dass 80 Prozent später über Themen aus unserem Heft in ihrem Umfeld diskutieren. Unser Ansatz lautet, die Gesellschaft durch andere Bilder, also andere Frauenbilder aber auch andere Vorbilder zu verändern.

pf: In einem Beitrag eures Magazins habt ihr den schönen Begriff des „Entschubladens“ verwendet. Hast du einen Tipp zum „Entschubladen“ im Alltag?

Lohaus: Mein Tipp betrifft eher das mentale „Entschubladen“ für Anfänger. Um sich von geschlechterstereotypen Denkmustern zu befreien, ist es wichtig, diese erst einmal zu erkennen. Dazu ist folgende Übung hilfreich, die ich selbst früher oft angewendet habe. Immer wenn ich Aussagen zu Frauen/Männern gelesen oder mitbekommen habe, bei denen es sein könnte, dass sie Geschlechterstereotype reproduzieren, habe ich mir bildhaft das jeweils andere Geschlecht in der Rolle vorgestellt. Wenn diese Vorstellung sehr komisch oder irritierend anmutet, wird klar, dass wir es hier mit einer Situation oder Aussage zu tun haben, die einer dringenden „Entschubladung“ bedarf. Nach einer gewissen Zeit braucht es diese Übung im Übrigen nicht mehr, der Blick ist dann geschärft. Was sich leider auch nie wieder abstellen lässt ...
 

Dieser Text ist der Ausgabe 14 des Magazins prager frühling entnommen. Die Ausgabe kann hier bestellt werden.