Spekulative Sachen

Dieser Text enthält Auszüge einer Recherchearbeit, die das Verhältnis zwischen der Ausdehnung der Kategorie „Kunst“ und der Ausdehnung der Wertform in den jüngsten Entwicklungen des gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens aufzuzeigen versucht. Um diese Verbindung herzustellen, stützt sich die Autorin auf den Doppelsinn der Spekulation: als kreativer Gedanke und als finanzielle Spekulation.

Das Fehlen von Inhalt in der Wertform, ihre Ent-bindung von jeglichem Nutzen jenseits ihrer eigenen Expansion, kommt in zwei Sphären am deutlichsten zum Ausdruck: Kunst und Geld. Die Wertform ist eine Art und Weise, Mehrwert zu organisieren und zu extrahieren; Kunst ist eine Verkörperung bzw. Vergesellschaftung dieses Mehrwerts als Spekulation mit offenem Ende. Da Spekulation der Kunst als eine Praxis innewohnt, können wir von der Kunst als einer materiellen Praxis des spekulativen Denkens sprechen. Diese Spekulation ist durchsetzt vom ideologischen Ballast der Unabgeschlossenheit, des utopischen Moments, das zugleich wichtiger Bestandteil des Kapitals ist. Das Verhältnis zwischen dem „Bedingungslosen“, das die Kunst ist, und der puren Abstraktion, die den Kern des Kapitals ausmacht, die reine Algebra dieses Verhältnisses, ist eine Konstante. Aus ihr ergibt sich, was als „ideologische“ Rolle der Kunst, die Affirmation der Freiheit in kapitalistischen Verhältnissen, gesehen werden kann.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine dramatische Ausdehnung der Kunstsphäre erlebt, eine Tendenz, die sich seit dem Aufkommen des Readymade stets verstärkt hat. Diese Expansion ist Zeichen einer Krise der Produktionsverhältnisse, die zuvor die Kunst und ihre intimen Anderen (Arbeit, Geld) voneinander getrennt hielten. Diese Trennung kann nicht mehr aufrecht erhalten werden, sobald die Krise nicht bloß als Dysfunktion jener Teilmenge der Valorisierung verstanden wird, die „Finanzen“ genannt wird, sondern allgemeiner als Krise des Verhältnisses von Kapital und Arbeit: eine Krise, die sich aus der (für das Kapital) beschränkten Logik des Finanzwesens als Abstraktion ableitet. Die soziale Expansion des Finanzsektors und die Expansion der Kunst sollten als strikte Analogie zur Kontraktion der Arbeit gesehen werden; beide sind sozusagen Prozesse der „Realabstraktion“. Sie gestalten die Prozesse gesellschaftlicher Dominanz abstrakter denn je, während sie sie gleichzeitig immer integraler in der Finanzsphäre verorten. In dem Moment, in dem die Kunst einen conceptual turn vollzieht, verhält sie sich wie Geld, wie Kredit – dadurch, dass sie Formen der Benennung ausübt: „Papiergeld ist fast immer eine Repräsentation, ein Symbol, dass vorgibt, für etwas zu stehen […]. Es ist nicht so, dass Papier Münzen abbildet und repräsentiert, sondern dass Papier, Münzen und Geld im Allgemeinen anstelle von etwas anderem stehen.“ (Marc Shell: Art & Money, Chicago 1995, S. 80) Die Finanzialisierung ist eine Radikalisierung dieser Bedingung von Geld, und bringt es der Kunst näher – ebenso wie die Kunst versucht hat, dem Geld näher zu kommen: in einer „De-Materialisierung“, die ironischerweise als Schlag gegen den Warencharakter der Kunst begriffen wurde. Die spekulative Form des Wertes fungiert als Schlüssel sowohl zur Grenzenlosigkeit des Kapitals als sich selbst ausdehnender Wert als auch zur unendlichen Kreativität künstlerischer Subjektivität. Sowohl Kunst als auch Geld kommen enkodiert daher, enkodiert mit der Freiheit einer kapitalistischen Gesellschaft – eine Freiheit, die durch spezifische Abwesenheiten strukturiert ist.

Eine dieser Abwesenheiten ist die Auslöschung der Arbeit. Kunst und Finanzwesen sind beide abhängig von der Unterwerfung und Ausbeutung der Arbeiter_innen, um ihren Wert auf dem Markt zu realisieren. Diese Unterwerfung und Ausbeutung muss vielleicht vor allem symbolisch passieren. Die Unsichtbarkeit von Arbeit, Arbeit, die dazu verdammt ist, profan und „unproduktiv“ für jene Freiheit zu sein, die nur Geld garantieren kann, ist ein Ergebnis des Aufkommens der Spekulation als Matritze für ökonomische, aber auch persönliche und gesellschaftliche Valorisierung – wenn Geld Geld macht und Arbeiter_innen dazu ermutigt werden, sich selbst als „Humankapital“ zu sehen. Wo einst die Gesellschaft durch divergierende Klaseninteressen strukturiert war, bedeutet der Verlust der Herausforderung des Kapitals durch die Arbeit, dass sie sich nun in einem selbst-referentiellen Loop der gesellschaftlichen Logik der Spekulation wiederfinden. Diese Selbst-Referentialität, als Gegensatz zur harmonischen Selbstregulation, mit der die neoklassische Ökonomie soziale Verhältnisse nach Markt-Transaktionen formte, bringt eine Art Verlust der Bewertungsfähigkeit hervor. Diesen Verlust bezeichneten Autoren wie Antonio Negri, Michael Hardt, Paolo Virno und Maurizio Lazzarato als Überholtheit des Wertgesetzes. Aber vielleicht spricht solch eine Erosion der Messbarkeit einfach von der immensen Ausdehnung dieses Gesetzes, seiner fatalen Naturalisierung.

Kunst operiert innerhalb dieser Verhältnisse, aber auch mit ihnen, um ihre eigenen Bedingungen zu transformieren. Als spekulative Waren sind Kunst und Geld durch die Glaubwürdigkeit des/der Künstler_in bzw. die Glaubwürdigkeit des Staates abgesichert. Dennoch ist Kunst in ein endloses Austesten ihrer eigenen Bedingungen involviert, was Verhandlungen über die Wertform eher aus dem Inneren ihrer eigenen Spannungen heraus antizipiert, als von jenseits dieser Spannungen. Kunst muss als spezifischer Warentyp verstanden werden. Ihre Spezifik wohnt der Singularität des Kunstwerkes inne, einer Singularität, die durch ihre – zumindest in der Konzeption handwerkliche, im Gegensatz zur industriellen – Produktionsweise gesichert und nicht unter jene technische Arbeitsteilung subsumiert wird, die der Massenproduktion eingeschrieben ist; als auch dadurch, dass ihre Produktion stärker von künstlerischer Subjektivität bestimmt wird als von gesellschaftlicher Objektivität, und ihr Status, zumindest vom Prinzip her, unreproduzierbar ist. Dies sind die Bedingungen der Autonomie des Kunstwerkes, in anderen Worten: dies sind die Konditionen der Autonomie für künstlerische Formen der Produktion. Diese Unterscheidung nimmt die Abhängigkeit jener Bedingungen in den Fokus – in Bezug auf das, was sie zurückweisen, sprich die Heteronomie produktiver Arbeit. Als solche ist diese Autonomie die Autonomie eines Fetischs.

Ohne eine gesellschaftliche Situation, in der die Kritikalität oder Alterität der Kunst verallgemeinert werden könnte, kann Kunst nur expandieren. Die Marx´sche Kategorie der „ursprünglichen Akkumulation“ bezeichnet die fortwährende Ausweitung von Warenverhältnissen auf geographische und gesellschaftliche Gebiete, die zuvor noch nicht erschlossen waren. Ursprüngliche Akkumulation kann somit den Effekt zeitgenössischer Kunst beschreiben: sie expandiert und kolonisiert immer wieder neue gesellschaftliche Territorien. Somit können wir die Finanzialisierung und die Kunst als zwei Formen ursprünglicher Akkumulation des Gesellschaftlichen sehen, mit kultureller Regeneration als typischem Moment, das beide verbindet.

Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Schasiepen.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2012, „Übers Geld reden“.