Austreten oder nicht? Christos Laskos, John Milios und Euclid Tsakalotos*

Über kommunistische Dilemmata in der Euro-Krise

Statt seine Kritik an dem Artikel von Dirk Hierschel in der letzten Ausgabe  des express in die Form eines Leserbriefs – oder gar eines Gedichts! – zu bringen, hat Ralf Kliche ihr die Form einer Übersetzung eines Textes aus den Debatten der griechischen Linken über das kommunistische Dilemma angesichts der Euro-Krise gegeben. Die Autoren Laskos, Milios und Tsakalotos, alle Mitglieder der linken Partei Syriza, setzen sich mit den Argumenten derjenigen Linken auseinander, die den Austritt Griechenlands aus dem Euro fordern – wie die prominenten Vertreter Costas Lapavitsas und Stathis Kouvelakis.

 

Ein Teil der griechischen Linken plädiert für eine Strategie des Schuldenschnitts und des Ausstiegs aus dem Euro, zusammen mit der Umstrukturierung der Wirtschaft durch Abwertung, Verstaatlichung der Banken und der Renationalisierung der öffentlichen Einrichtungen, Industriepolitik usw. Unter Intellektuellen hat dieser Ansatz starke Unterstützung bei einer Reihe von griechischen Wissenschaftlern im Ausland gefunden. Auf der politischen Ebene wurde diese Exit-Strategie als zentraler politischer Pfeiler in der außerparlamentarischen Linken vor allem durch das Antarsya-Bündnis gefördert, sie fand aber auch starke Unterstützung bei einer Minderheit von Syriza (siehe Kouvelakis, 2011, S. 30).[1] Innerhalb der Kräfte, die sich rund um die Exit-Strategie zusammenfanden, gab es offensichtlich interne Differenzen und wir können nicht darauf hoffen, allen Nuancen der Positionen hier Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vielmehr werden wir uns auf die Argumente derer konzentrieren, die das intellektuelle Schwergewicht in der Exit-Strategie darstellen.

Die Exit-Strategie besteht aus zwei wesentlichen Elementen: Das erste beruht auf einer Dekonstruktion jedes Arguments, das die EU als privilegiertes Terrain für Strategien der Linken ansieht. Das zweite will zeigen, dass Schuldenschnitt und Rückzug aus dem Euro den unverzichtbaren Ausgangspunkt für linke Strategien darstellen. So hat der erste Bericht der »Research in Money and Finance Group« aus der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London aus dem Jahr 2010 argumentiert, dass die Option des »guten Euro« (wozu zum Beispiel die Einführung von Eurobonds, Erweiterung des EU-Haushalts zugunsten größerer Finanztransfers zwischen Staaten oder die Umwandlung der EZB in einen »lender of last resort« gehören würden) politisch nicht machbar war (vgl. Lapavitsas et al., 2010). Die Anhänger Europas, egal ob »zurückhaltend« oder »revolutionär«, seien, so Lapavitsas, weithin zu optimistisch, was auf supra-nationaler Ebene erreicht werden könne. Warum sollten »die wichtigsten Mächte« große Verluste akzeptieren, die sich aus der Restrukturierung der Schulden auf EU-Ebene ergeben könnten (Lapavitsas 2012, 292)? Und er fragt weiter, ob es verwunderlich sei, dass das »Establishment der Euro-Zone« kurzen Prozess mit Vorschlägen gemacht hat, die EZB zur direkten Finanzierung der öffentlichen Verschuldung heranzuziehen (293), und dass es darüber hinaus fraglich sei, ob wir auf einer koordinierten EU-Ebene Antworten auf makroökonomische Ungleichgewichte erhalten. Denn es gebe »keine kapitalistische Klasse, die systematisch die Steigerung der Löhne der eigenen Arbeiter zum Ziel hätte – damit würde sie in der Konkurrenz ruiniert. Würde die Lohnzurückhaltung in Deutschland gebrochen, wäre die Währungsunion sehr viel weniger attraktiv für die herrschende Klasse in Deutschland – und würde nur die Frage nach der Fortsetzung ihrer eigenen Teilnahme am Euro aufwerfen« (294f.).

 

Es ist schwierig, mit dieser Art von Argumentation etwas anzufangen. »Revolutionäre Europäer« – um zugunsten von Lapavitsas’ Argument diese ziemlich irreführende Bezeichnung für diejenigen aufzunehmen, denen Lapavitsas widerspricht – dürften wohl kaum glauben, dass die »wichtigsten Mächte« und das »Establishment der Euro-Zone« bereitwillig Umschuldung oder Finanzierung der öffentlichen Verschuldung akzeptieren würden. Auch denken sie nicht, dass es irgendwie im Interesse des deutschen oder irgendeines anderen Kapitals sei, die Löhne seiner Arbeiter zu erhöhen. Ebenso wenig, um ein letztes Beispiel zu nehmen, dürfte es ihnen an Bewusstsein davon mangeln, dass das deutsche Kapital auf den Euro als harte Währung angewiesen ist; das Vertrauen in diese Währung ist entscheidend für die Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation.[2] Eine radikale Strategie für eine Linke, die mehr Gewicht auf die europäische Ebene legt, muss wahrscheinlich die Notwendigkeit einer grundlegenden Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen eher im Auge haben, als eine, die auf den Nationalstaat setzt.

Deshalb ist sich Syriza, die die Exit-Strategie nicht unterstützt, voll und ganz der Größe der Aufgabe bewusst, die mit einer Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen auf supra-nationaler Ebene verbunden ist. Aber sie meint, dass die Bildung von Allianzen zwischen radikalen Kräften sowohl in den PI(I)Gs als auch in den nördlichen Volkswirtschaften eine wichtige Komponente für jede Antwort ist – nicht nur, um auf die steigende Verschuldungskrise zu reagieren, sondern auch um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, der die herrschenden Ideen und Praktiken von Produktion und Verteilung herausfordert. Sie gab sich keiner Illusion über den Umfang des Widerstands gegen jede Umschuldung hin, aber ihre Analyse geht davon aus, dass die globale Natur der kapitalistischen Krise jeder bloß nationalen Antwort schwerwiegende Einschränkungen auferlegt. In jedem Fall ergänzte Syriza ihre internationalistischen Interventionen um Initiativen auf nationaler Ebene und forderte eine radikale Umverteilung der Einkommen, eine Sozialisierung des Finanzsektors und viele der Maßnahmen, die auch vom Exit-Lager unterstützt werden. Außerdem war Syriza in gewissem Sinne radikaler in ihrer Skepsis gegenüber linken Strategien, die auf den »Wiederaufbau der griechischen Volkswirtschaft« als Sprungbrett zum Sozialismus setzten und damit die Frage der Produktionsverhältnisse etwas ins Abseits drängten.

Mit anderen Worten, unser Thema ist nicht die Notwendigkeit, über das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen nachzudenken, vielmehr geht es darum, wo das günstigere Terrain der Linken liegt und wo ihr Schwerpunkt liegen sollte. Weder ignorieren die »revolutionären Europäer« die nationalen Kämpfe, noch leugnen die Anhänger der Exit-Strategie die Notwendigkeit supranationaler Interventionen. Ohne eine solche Analyse ist nicht einzusehen, warum das TINA-Prinzip [There Is No Alternative] auf nationaler Ebene nicht zu hal-ten sei – wie die gesamte Linke in den dunklen Jahren des Neoliberalismus argumentiert hat –, dass dieses Prinzip, die Hauptstütze der kapitalistischen Ideologie, aber vollkommen richtig sei, sobald wir uns auf der supra-nationalen Ebene bewegen. Die erforderliche Analyse eröffnet fast das ganze Set von Fragen einer linken Strategie: von der nach der Natur des heutigen Imperialismus zu der des Staates, von der Machbarkeit nationaler Wege zum Sozialismus bis zur Natur linker ökonomischer Alternativen, von den Quellen kapitalistischer Hegemonie bis zu Klassenstrategien zur Veränderung der Kräfteverhältnisse. Auch aus diesem Grund glauben wir, dass die griechischen Debatten von Interesse für breitere Teile der Linken sind.

 

Geister der Dependenztheorie: ein falsches Dilemma?

 

Beeinflusst von den antikolonialen Kämpfen waren viele neo-marxistische Ansätze zum Imperialismus in der Nachkriegszeit von der Idee getragen, dass Ex-Kolonien und Entwicklungsländer den imperialistischen Ländern durch Abhängigkeitsverhältnisse untergeordnet waren. Dieser Begriff der Abhängigkeit, in Verbindung mit dem verwandten Konzept des Weltkapitalismus, formte die Zentrum-Peripherie-Theorien, die die globalen wirtschaftlichen Beziehungen als Beziehungen der Ausbeutung und der Polarisierung zwischen Ländern konzipierten – mit einem entwickelten imperialistischen »Zentrum«, einer abhängigen »Peripherie« und einer »Semi-Peripherie« zwischen diesen beiden großen Polen. Dieser Ansatz war in den 1970er-Jahren sehr einflussreich und spielte eine gewisse Rolle im Denken der PASOK in ihrer frühen, radikalen Phase vor ihrer Regierungszeit im Jahr 1981.[3]

Die Marginalisierung dieses Ansatzes lässt sich am besten aus seinem Scheitern für die Erklärung zeitgenössischer kapitalistischer Entwicklungen erklären: dem Aufstieg der ostasiatischen kapitalistischen gesellschaftlichen Formationen und später Chinas und anderer »BRIC«-Staaten, trotz der Marginalisierung der meisten Länder südlich der Sahara, Lateinamerikas und Asiens (Milios / Sotiropoulos 2009, Kapitel 2). Trotzdem sind erhebliche Teile des Zentrum-Peripherie-Schemas bei vielen Anhängern der Exit-Strategie zu finden:

»Die Europäische Währungsunion (EWU) hat eine Trennung zwischen Kern und Peripherie geschaffen, und die Beziehungen zwischen den beiden sind hierarchisch und diskriminierend. Die Länder der Peripherie haben ihre Wettbewerbsfähigkeit in den 2000er-Jahren verloren, deshalb haben sie Leistungsbilanzdefizite gegenüber dem Kern entwickelt und hohe Schulden bei den Finanzinstituten des Kerns aufgehäuft. Als Ergebnis davon hat sich Deutschland zum wirtschaftlichen Meister der Eurozone entwickelt. [...] Die Euro-Zone hat auch eine externe Peripherie in Osteuropa, das ähnliche Tendenzen gegenüber seiner internen Peripherie entwickelt [...] Italien [...] nimmt eine Zwischenstellung zwischen Peripherie und Kern ein [...] Aber welche Alternativen stellen sich derzeit den peripheren Ländern? Gefangen in der Eurozone, sind sie von fortgesetzten Sparmaßnahmen, geringer Wettbewerbsfähigkeit, hoher Arbeitslosigkeit, wachsenden sozialen Spannungen und dem Verlust der nationalen Unabhängigkeit bedroht«. (Lapavitsas et al. 2011, S. 5ff.)

 

Das Argument legt nahe, dass die Wettbewerbsfähigkeit kapitalistischer Länder des europäischen »Zentrums« – vor allem Deutschlands – in Folge der Durchsetzung niedriger Arbeitskosten gestiegen sei, in erster Linie durch Druck auf die Löhne und die Begrenzung der Inflation. Dabei hätten sie ihre Exporte innerhalb der Euro-Zone ausgebaut, während sie gleichzeitig die »produktive Basis« der Peripherieländer zerstörten, die nun in einer »Unterentwicklungs-Falle« zu stecken scheinen. Die anhaltenden Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz werden als unmittelbare Ergebnisse dieser Entwicklung angesehen. Für diejenigen, die dieser Argumentation folgen, scheint sich die Währungsunion in ein Instrument zur Ausbeutung der Länder der Peripherie durch die ökonomische »Dampfmaschine« des Zentrums verwandelt zu haben.

Ein solcher Ansatz verdrängt ein wesentliches Element von Marx’ Problemstellung, nämlich Klassenkampf als Triebkraft der geschichtlichen Entwicklung anzusehen, zu Gunsten eines bürgerlichen theoretischen Schemas, wonach Widersprüche und ausbeuterische Beziehungen zwischen verschiedenen kapitalistischen Gesellschaften Geschichte vorantreiben.

Er hat keine Vorstellung vom Staat als politischer Verdichtung von Klassenbeziehungen, dem Faktor, der den Zusammenhalt der kapitalistischen Gesellschaft verbürgt. Er scheitert deshalb daran zu begreifen, dass das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis ist, das in komplexer Weise (politisch und ideologisch über-bestimmt) im Rahmen einer besonderen (nationalen) Gesellschaftsformation reproduziert wird.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Kapitalismus und seine Krisen hängen jedoch nicht von den »Wünschen« oder Strategien mächtiger Staaten ab, sondern beruhen auf dem Klassenkampf, wie er innerhalb der globalen wirtschaftlichen und politischen Ordnung mit verschiedensten Verbindungen zu den Nationalstaaten reproduziert wird und diese umfasst. Dies kann als globale imperialistische Kette beschrieben werden (Milios / Sotiropoulos 2009, Kapitel 10) und ist ein Weg, komplexe wirtschaftliche, politische und ideologische Verbindungen zu konzeptualisieren, die sich zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Formationen entwickeln, welche den Klassenkampf in den einzelnen Ländern über-bestimmen, aber nie das Übergewicht darüber erlangen.

Die imperialistische Kette schafft einerseits die Möglichkeit unterschiedlicher, oft widersprüchlicher nationaler Strategien – offensichtlich ungleich in ihrer Stärke. Aber zur gleichen Zeit haben die ungleichen Glieder in der imperialistischen Kette ein gemeinsames strategisches Interesse: Reproduktion des kapitalistischen Systems der Macht. Jeder Staat, wie auch immer er seine eigene Strategie in der internationalen Arena entwickelt, leistet auf dem Terrain sich verschiebender Korrelationen von Macht auch einen Beitrag zur Reproduktion des Kapitalismus auf globaler Ebene.

Die EU umfasst die Integration von kapitalistisch entwickelten europäischen Ländern: eine strategische Koalition ihrer herrschenden Klassen, die versuchen, ihre Position sowohl gegenüber den USA als auch anderen entwickelten kapitalistischen Formationen zu stärken, vor allem aber gegenüber ihren »eigenen« (europäischen) Arbeiterklassen. Die wesentliche Voraussetzung für die ungehinderte Kapitalakkumulation ist, dass es günstige Bedingungen für die Verwertung des Kapitals gibt, wozu auch kapitalistischer Wettbewerb zählt. Die Exposition gegenüber internationalem Wettbewerb ist die am besten geeignete Strategie zur Organisation bürgerlicher Macht. Sie dient der fortgesetzten Reorganisation der Arbeit und der Elimination nicht konkurrenzfähigen individuellen Kapitals zum Nutzen des gesamten Kapitals.

Die Unterstützer einer Exit-Strategie sind zu Recht der Auffassung, dass die EU eine starke und autoritäre Konstruktion zur Förderung kapitalistischer Interessen ist. Aber was wir hier in Frage stellen, ist die Behauptung, dass die EU im Wesentlichen eine Konstruktion ist, die den Interessen der nördlichen Volkswirtschaften dient – als ob es keine Klassenbeziehungen innerhalb der nördlichen Volkswirtschaften gäbe. Indem sie durch Binnenmarkt und Währungsunion dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt wurden, vollzogen sich in allen Mitgliedsstaaten erhebliche Umstrukturierungen zum Vorteil des Kapitals. Bezeichnenderweise sicherte diese Integration den weniger wettbewerbsfähigen Ländern höhere Profitraten, zufriedenstellende Wachstumsraten und einen Anstieg der durchschnittlichen Produktivität, zumindest bis 2008, als sie auf dem langen Weg zur Schließung der Lücke im Pro-Kopf-BIP von den weiter fortgeschrittenen Ländern des Europäischen Nordens getrennt wurden. In einem Umfeld der »freien« Bewegung von Waren und Kapital ist all dies ein Index der Wettbewerbsfähigkeit!

Während des Zeitraums 1995-2008 erlebte Griechenland einen realen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 61 Prozent, Spanien von 56 Prozent und Irland von 124,1 Prozent. Demgegenüber betrug das BIP-Wachstum im gleichen Zeitraum 19,5 Prozent in Deutschland, 17,8 Prozent in Italien und 30,8 Prozent in Frankreich (siehe OECD, Economic Outlook, Band 2009/2, IWF, siehe auch Milios / Sotiropoulos 2010, S. 228). Wir stellen fest, dass in diesem Zeitraum, und entgegen dem, was in Spanien, Italien und einigen anderen europäischen Volkswirtschaften geschah, das Wachstum des griechischen BIP stärker auf Investitionen und auf einem hohen Wachstum von Beschäftigung und Produktivität basierte als auf staatlichem Konsum.[4] Die höheren Wachstumsraten in den »peripheren« europäischen Volkswirtschaften wurden sowohl von einer schnellen Reduzierung der Kosten inländischer Anleihen als auch von einem bedeutenden Zufluss ausländischer Investitionen in ihren verschiedenen Formen begleitet. Dies verursachte anhaltende Überschüsse in der Kapitalbilanz. Allerdings schufen die Ungleichgewichte in den Kapitalbilanzen der Euro-Zone einen instabilen und gefährdeten Rahmen für diese Symbiose, die sich nach der Krise von 2008 auch schnell auflöste.

Eines der bemerkenswertesten Kennzeichen des ersten Jahrzehnts des Euro ist das anhaltende Ungleichgewicht in den Leistungsbilanzen: Bestimmte Länder zeigen chronische Überschüsse, während andere immer unter Defiziten leiden. Dennoch kann die Kausalität zwischen diesen beiden »Gegebenheiten« nicht so sein, wie es in den entsprechenden Diskussionen oft beiläufig behauptet wird. Mit anderen Worten: Das Leistungsbilanzdefizit muss nicht einfach die unmittelbare Folge eines entsprechenden »Defizits« in der Wettbewerbsfähigkeit sein. Im Gegenteil, es ist durchaus möglich, dass beide das Ergebnis einer davon unterschiedenen tieferen Ursache sind, nämlich den erheblichen Unterschieden in den Niveaus kapitalistischen Wachstums und der speziellen Form der »Symbiose« innerhalb des Euro.

Zwei weitere grundlegende Parameter scheinen in dieser Hinsicht relevant. Auf der einen Seite verstärkten die höheren Profitraten an der »Peripherie« finanzielle Erträge als Ganzes, mit dem Ergebnis, dass internationale Investoren immer stärker versuchten, diese hohen Wachstumsraten zu finanzieren, erst recht in einem Umfeld, wo Wechselkurse und andere Risiken in dieser Zeit so viel geringer erschienen. Die Länder der »Peripherie« konnten so starke Überschüsse in ihren Bilanzen nachweisen. Für das Kapital aus dem Zentrum wurden unterschiedlichste Investitionen in diesen Ländern attraktiv. Auf der anderen Seite galten für die Volkswirtschaften der Eurozone mit ihren unterschiedlichen Wachstums- und Profitraten die gleichen Regelungen mit einheitlichen nominalen Zinssätzen, wie sie durch die EZB festgelegt wurden. Die Zinssätze waren für die Länder der »Peripherie« erheblich niedriger, als sie es vor der Einführung der gemeinsamen Währung waren. Diese Tatsache, in Verbindung mit den höheren Inflationsraten in diesen Ländern, noch einmal übersetzt in noch niedrigere Zinsen für den lokalen Bankensektor, legte das Fundament für die Explosion der (privaten und öffentlichen) Kreditaufnahme.

Beide Faktoren verstärkten die Kreditaufnahme und trugen zu einer weiteren Aufheizung der »peripheren« Wirtschaft bei. Die Produktion orientierte sich dabei an den Bedürfnissen einer beträchtlichen Binnennachfrage,[5] was den Effekt sich weiter verstärkender inflationärer Tendenzen hatte. Die wirkliche Höhe der Zinssätze fiel sogar noch weiter und verstärkte auf diese Weise eine weitere finanzielle Hebelwirkung. Zur gleichen Zeit verursachte die hohe Binnennachfrage den Bedarf nach mehr Importen. Der Fluss von Kapital in die »Peripherie« glich auf der einen Seite die Kosten der Teilnahme am Binnenmarkt aus, während zugleich die Voraussetzungen für eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit geschaffen wurden (als höhere Inflation die Preise der im Inland produzierten Güter erhöhte). Damit trug der Euro bei zur Verfestigung der Asymmetrien in den Leistungsbilanzen, zu Divergenzen der Stückkosten von Arbeit und zu Inflation (Wettbewerbsfähigkeit).

Natürlich ist es nicht einfach, die Kausalitäten zwischen Leistungsbilanzdefiziten und Kapitalbilanzüberschüssen auseinanderzuhalten. Ein »Zentrum-Peripherie«-Ansatz, so würden wir argumentieren, führt aber in jedem Fall in die Irre, wenn man die Dynamik der Eurozone verstehen will. Die Währungsunion erzeugt offenbar strategische Vorteile für die kollektiven Kapitalisten aller Länder, die an ihr teilhaben. Mit anderen Worten: Die Strategie, das individuelle Kapital dem internationalen Wettbewerb auszusetzen, führte zu hohen Wachstumsraten und Akkumulation in den weniger wettbewerbsfähigen Ländern der »Peripherie«. Es ist nicht möglich, das Argument aufrecht zu erhalten, dass die Wirtschafts- und Währungsunion ausschließlich der Diener der »unersättlichen« Strukturen Deutschlands mit seiner wettbewerbsfähigen Wirtschaft ist.

Darüber hinaus legt die Erfahrung in Griechenland nach der Verabschiedung des ersten Stabilisierungspakts nahe, dass das, was wir erlebt haben, als ein massiver Angriff auf den Lebensstandard der griechischen Arbeitnehmer zum Wohle des griechischen Kapitals anzusehen ist. Man könnte auch sagen, dass Griechenland einen entscheidenden Testfall für die Möglichkeit des europäischen Kapitals darstellt, eine »Lösung« der Krise zu finden, die seine Macht stärkt. Die Betonung von Deutschlands Rolle verkennt diese beiden Aspekte massiv und zu Lasten der sozialistischen Strategie, der wir uns jetzt zuwenden.

 

(Teil II folgt in der nächsten Ausgabe des express)

 

* Christos Laskos, John Milios and Euclid Tsakalotos sind in Griechenland bekannte Wissenschaftler und alle drei aktiv bei SYRIZA.

 

 

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/12

express im Netz unter: www.express-afp.info, www.labournet.de/express



[1] Antarsya repräsentiert eine politische Allianz aus einer Vielzahl von außerparlamentarischen linken Parteien unterschiedlicher Tradition (trotzkistische, orthodox marxistische und andere). Syriza stellt eine viel größere Gruppierung in Bezug auf Anzahl und Wählerschaft dar (sie hat derzeit neun Parlamentsabgeordnete), sie besteht aus Synaspismos, der größten griechischen Linkspartei nach der kommunistischen Partei KKE, sowie einer Anzahl von kleineren linken Parteien mit unterschiedlichen Traditionen (trotzkistische, maoistische, links-eurokommunistische usw.). Die wichtigste orthodoxe kommunistische Partei, die KKE, hielt sich aus der Debatte über den Euro eher heraus. Obwohl für die virulent EU-kritische KKE klar ist, dass Griechenland für den Fortschritt zum Sozialismus nicht nur den Euro, sondern auch die EU selbst verlassen muss, war sie im Großen und Ganzen nicht zu einer kurzfristigen Exit-Strategie bereit.

[2] Wir sind nicht von Lapavitsas’ (2012) Argument überzeugt, dass für Deutschland der Euro als eine Form des Welt-Geldes Bedeutung hat. Deutschland war vor dem Euro immer skeptisch, die D-Mark zu einer großen Reservewährung zu entwickeln, und diese Skepsis hat sich in Bezug auf den Euro erhalten.

[3] Es ist eine unbequeme Tatsache für die heutigen Anhänger der Exit-Strategie, dass ihr Ansatz so viel mit den gescheiterten »sozialistischen« Erfahrungen der frühen 1980er-Jahre in Griechenland verbindet. PASOK war in dieser Zeit auch einem nationalen Weg verpflichtet, in dem Industriepolitik, Planungsübereinkommen und Sozialisierung des öffentlichen Sektors eine wichtige Rolle spielen sollten – und das  in einer Umgebung, in der Kapitalverkehrskontrollen, Wechselkurs- und Geldpolitik als Mittel der Politik frei verfügbar waren.

[4] Alpha Bank: »Greece and Southeastern Europe, Economic & Financial Outlook«, Nr. 74, Mai 2010

[5] Dies gilt nicht für Irland.