Partei der Selbstzerstörung

Am 22. April wurde über interne Netzwerke der Linkspartei ein Sieg bejubelt: Dem „Forum Demokratischer Sozialismus“ (fds) gelang es, den Alt-Parteivorsitzenden Lothar Bisky zum Beitritt in eben dieses fds zu bewegen. Bisky sollte auf dessen Bundestreffen eigentlich über „Die Zukunft Europas“ sprechen. Das wird er auch getan haben.  Die „Nachricht“ an die Partei war aber offenbar eher dessen Beitritt zu einer Strömung, die sich selbst gern als Reformflügel definiert, aber seit der Fusion der PDS mit der WASG zur Partei DIE LINKE erhebliche Selbstfindungsprobleme hat. Der neue Strömling ließ es sich nicht nehmen, seine deutliche Unterstützung für die Kandidatur Dietmar Bartschs zum Bundesvorsitzenden auf dem bevorstehenden Göttinger Parteitag der Linken zu erklären. Bartsch wird dies nicht unbedingt erfreut haben. Er braucht Mehrheiten auf dem Parteitag. Und danach erst recht. Dann würde er einen heillos zerstrittenen Haufen wieder zusammenzuführen haben. Eine zu offensichtliche Fixierung auf eine der großen Strömungen innerhalb der Partei führte da geradewegs in den politischen Untergang.
Die fds-Leute ihrerseits – es ist die Gruppierung um die Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich, Halina Wawzyniak und den als ehemaligen Berliner Staatssekretär eher glücklos agiert habenden Benjamin-Immanuel Hoff – verfügten bislang über ein relativ klar strukturiertes innerparteiliches Feindbild. Dazu gehörten vorzüglich diejenigen, die fürchteten, dass ein zu tiefes Sicheinlassen auf Regierungsbeteiligungen unter den Bedingungen eines kleineren Koalitionspartners zu einer Aufweichung des politischen Profils der Partei und ihrem sukzessiven Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit führen könnte. Die Buhfrau hieß Sarah Wagenknecht. Nach Gründung der Linkspartei wurden dies eher Oskar Lafontaine und der „Gewerkschaftsflügel“ um den Noch-Vorsitzenden Klaus Ernst. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die schwelenden Konflikte ausbrachen. Das erste Bauernopfer hieß Anfang 2010 übrigens Dietmar Bartsch. Übervater Gregor Gysi versuchte dann im Frühjahr 2010 mit einem scheinbar genialen Coup, einem mühsam strömungsparitätisch ausgehandelten Parteivorstand, der dann auf dem Rostocker Parteitag „durchgewählt“ wurde, die Konflikte wegzubügeln. Für dieses Konstrukt standen die Namen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch. Seitdem Letztere am 10. April 2012 aus persönlichen Gründen zurücktrat, toben die Machtkämpfe in der Partei offen. Da nützt es nichts, wenn die Spitzenleute gebetsmühlenartig erklären, man wolle sich erst einmal auf erfolgreiche Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (6. Mai) und Nordrhein-Westfalen (13. Mai) konzentrieren und dann die Personalien klären.
Intern hat man die Wahlen bereits abgeschrieben. In beiden Bundesländern wird die Partei wohl aus dem Landtag fliegen: In Schleswig-Holstein dümpelt sie in den Umfragen bei zwei Prozent herum (27. September 2009: 6,0 Prozent), in Nordrhein-Westfalen sieht es mit drei Prozent (4. Mai 2010: 5,6 Prozent) nicht besser aus. Das liegt im Trend. Während die Linke bei den Wahlen zu den Bürgerschaften der beiden großen Hansestädte noch mit einem blauen Auge davonkam, wird sie in den Hamburgischen Umfragen aktuell um die vier Prozent gehandelt. Im Freistaat Bayern läuft sie unter „Sonstige“, und in Berlin befindet sie sich weiter im Sinkflug. Selbst der Focus ätzt inzwischen, dass „die Reihe der selbstverschuldeten Niederlagen … selbst beim politischen Gegner fast schon Mitleidsgefühle wecken“. Nun können Wahldesaster fruchtbare Wirkung entfalten: Wenn ihnen deutliche Kurskorrekturen folgen.
Aber gerade in dieser Frage erweist sich das Führungspersonal der LINKEN geradezu als resistent. Am 25. März brach der saarländische Landesverband mit 5,2 Prozent Verlusten (insgesamt 16,1 Prozent) gegenüber den Ergebnissen von 2009 ein. Frontmann Oskar Lafontaine – eigentlich wollte er in Saarbrücken wieder Ministerpräsident sein – kommentierte dies im Neuen Deutschland schnoddrig: „Ich hätte gerne etwas mehr gehabt, aber die Piraten haben uns ein paar Stimmen geklaut“.  Das Blatt widmete die Saarland-Pleite denn auch untertänig zum Beinahe-Sieg um. „LINKE bleibt hoch zweistellig“ lautete die Schlagzeile am Tag danach. Lafontaines „paar Stimmen“ bedeuteten übrigens 7,4% für die PIRATEN aus dem Stand heraus. Die SPD gewann 6,1 Prozent hinzu. Für Lafontaine sind die PIRATEN die Schuldigen. Für die fds-Strategen eher die als abenteuerlich eingestuften Theoreme der Oskar-Freunde. Für die vergeigten Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus machte die fds-dominierte linke Landesspitze (neben den PIRATEN) hauptsächlich den Bundesvorstand haftbar. Die Verantwortung für die vergeigten Wahlen zu den Berliner Bezirksparlamenten schoben die Berliner Bezirksoberen auf schwere Fehler in der Landespolitik (und auf die PIRATEN). Einig ist man sich immer in einem: Man habe im Falle der gerade stattgefundenen Pleite leider Kommunikationsprobleme mit einer ansonsten guten Politik und hervorragenden Kandidaten zu den Wählern hin gehabt.
Die machen ihr Votum für oder gegen eine Partei von deren Gebrauchswert abhängig. Sie wissen auch um den Wert von oppositionellen Korrektiven. Aber: „Eine zweite SPD braucht es ohnedies kaum“, formulierte dieser Tage Bernd Ulrich in der ZEIT. Um im selben Atemzuge die Linkspartei zum „noch heißeren Kandidaten fürs Absterben“ zu benennen, als es die dahinsiechende FDP zu sein scheint.
Linke Wähler wollen Einfluss auf praktische Politik vor Ort ausüben. Sie wissen aber, dass kosmetische Chirurgie zur Behebung grundsätzlicher Gebrechen nicht ausreicht. Sozial- und Integrationspolitik ist wichtig. Bildungspolitik ist wichtig. In allen diesen Bereichen kann aber nur verteilt werden, was anderswo produziert wurde. Hier drückt sich die Partei nach wie vor. Am 21. April erklärte der Bremer Ökonom Rudolf Hickel dem Neuen Deutschland in einem Interview: „Linke Ökonomie geht weder ohne Keynes noch ohne Marx … Ich vertrete die These, die man in linken Kreisen sehr ungern hört, dass Marx und Keynes sich näher waren als manche meinen. Beide haben die immanente Systemanfälligkeit gezeigt. Nur hat sich Keynes am Ende für die Reparaturen an der Kapitalismusmaschine entschieden. Linke Ökonomie ist gut beraten, die tiefen Schätze, die Kapitalismuskritiker produzierten, nicht zu verdrängen, sondern weiter zu entwickeln.“
Linke Politiker geraten ungern in Ideologieverdacht. Um dem aus dem Wege zu gehen praktizieren sie mit Leidenschaft die von Hickel beschriebene Verdrängung. Entsprechend sieht ihre reale Politik aus. Sie haben sich mehrheitlich für Reparaturen an der Kapitalismusmaschine entschieden – mit entsprechenden Folgen im Verhalten der Wählerinnen und Wähler. 92 bis 94 Prozent der Wahlberechtigten bundesweit halten die Linkspartei inzwischen für überflüssig, billigen ihr keinerlei Gebrauchswert mehr zu.
Einen medialen Unterhaltungswert besitzt sie noch. Aber irgendwann ist die Frage Oskar und/oder Sarah versus Dietmar und/oder Katja und/oder wen auch immer entschieden. Dann wird wie bei Hans Christian Andersen ein kleines Kind am Straßenrand stehen und sagen „Aber er hat ja nichts an!“ Der Kaiser nämlich…
Aber vielleicht beginnen die (noch) vielen klugen Mitglieder der Linkspartei vorher eine wirkliche Reform ihres Ladens an Haupt und Gliedern durchzusetzen. Ohne Reformer, ohne Vordenker und ohne die probaten Vorturner. Von denen der eine „erste Bedingungen für eine Rückkehr an die Spitze der Linkspartei“ genannt haben soll – so der SPIEGEL unter der süffisanten Überschrift „Gewisse Greise“. Der andere hingegen hat aus dem Fiasko seines letzten „ausgewogenen Vorschlages“ nichts gelernt: Er ließ über das Neue Deutschland mitteilen, „es sei wichtig, dass die ‚unterschiedlichen Ausrichtungen in der Führung zusammenfinden’“
Wichtiger scheint mir, dass die Linksparteimitgliedschaft endlich den Mut aufbringt, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung titelte dieser Tage treffend „Gott I, Gott II und Dietmar“. Seit Homer wissen wir: Geraten die Götter und Halbgötter einander in die Haare, muss immer irgendein Troja dran glauben… Der Platz, den die Linke räumt, den nimmt die Rechte ein. Zwischen Bodden und Uckermark kann man das inzwischen modellhaft studieren. Das Siegesgeheul in den Parteilokalen der diversen Parteiflügel und Strömungen Linkspartei wird in absehbarer Zeit niemanden mehr interessieren.