„Die Frage nach Alternativen kommt wieder“

Die Ökonomin Gabriele Michalitsch über die Krise, die Occupy-Bewegungen und feministische Utopien.

 

an.schläge: Horoskope und viele Marktanalysen unken einmütig: 2012 wird schlimm. Was ist Ihre Prognose?

 

Gabriele Michalitsch: Wie wir wissen, spielen Erwartungen im Finanzsektor eine wichtige Rolle. Negative Erwartungen lassen sich dabei durchaus als Drohung deuten. Mit Erwartungen wird also auch Politik gemacht. Aber sicher wird 2012 für die meisten gerade in der EU angesichts der multiplen Krise ein besonders schwieriges Jahr.

 

Einer aktuellen Studie zufolge sehen Frauen dem Jahr 2012 deutlich besorgter entgegen als Männer. Haben sie auch mehr Gründe, sich zu sorgen? Sprich: Inwieweit sind Frauen von der Krise anders betroffen als Männer?

 

Frauen haben immer mehr Gründe, sich zu sorgen. Das ist eine Frage gesellschaftlicher Positionierung: Je weiter unten in der gesellschaftlichen Hierarchie, umso mehr Sorgen, könnte man sagen. Armut zum Beispiel bedeutet tägliche Sorgen um die Kosten der Lebensführung, und Frauen sind deutlich stärker armutsgefährdet und von sozialer Ausgrenzung betroffen als Männer. Außerdem wird Frauen die „Sorge um Andere“ gesellschaftlich zugewiesen – also Zuständigkeit für Kinder, kranke und pflegebedürftige Angehörige etc. Sich zu sorgen ist in diesem Sinne Teil unserer dominanten Konzeption von Weiblichkeit.

Was nun Finanz- und Wirtschaftskrise betrifft, so haben sich diese ja vor allem in Europa zu Staats- und Schuldenkrisen ausgewachsen. Für Österreich lässt sich diagnostizieren, dass Frauenarbeitslosigkeit gegenwärtig zum Beispiel steigt, während Männerarbeitslosigkeit sinkt. Gleichzeitig sind Frauen in der so genannten „stillen Reserve“ überrepräsentiert – das sind die, die nicht von den Arbeitslosenzahlen erfasst werden, weil sie nicht mehr aktiv Arbeit suchen, aber gerne erwerbstätig und auch unmittelbar für Erwerbsarbeit verfügbar wären. Prekarisierung war von Anfang an ein „weibliches“ Phänomen, daran hat sich nichts geändert – und Prekarisierung hat im Zuge der Krise weiter zugenommen.

Dazu kommt nun, dass eine Sparpolitik mit Kürzungen von Sozialausgaben Frauen besonders trifft, weil sie einerseits einen großen Teil der im Sozialbereich Beschäftigten stellen, sich durch Kürzungen also Jobchancen und Arbeitsbedingungen vor allem von Frauen verschlechtern, andererseits aber sind Frauen als sozial Schwächere und als für Versorgungsarbeit Zuständige besonders von Transferkürzungen betroffen. Sie sind es, die etwa eine Einschränkung von öffentlichen Pflegeangeboten durch mehr Eigenleistungen ausgleichen. Oder sie sind von realen Pensionskürzungen übermäßig betroffen, weil sie ohnehin besonders im Alter stark armutsgefährdet sind.

 

In Italien sind im Dezember tausende Frauen auf die Straße gegangen, um gegen die Kürzungen zu demonstrieren, unter denen besonders sie zu leiden haben werden. Ist so etwas wie Gender Budgeting im weitesten Sinne noch ein Thema – etwa auch bei der Schuldenbremse in Österreich –, wenn dem Sparzwang höchste Priorität eingeräumt wird?

 

Die Frage ist: Für wen? Gender Budgeting war ja nie ein Massenthema, politisch hat es bis dato nur eine recht marginale Rolle gespielt. Am ehesten ist Gender Budgeting noch in der Verwaltung relevant. Zwar ist es seit 2009 in der österreichischen Verfassung festgeschrieben, praktische Folgen dieser Festschreibung waren aber nie deutlich. In den Diskussionen über die so genannte Schuldenbremse spielt Gender Budgeting, soweit ich das sehe, weder in Österreich noch auf europäischer Ebene eine Rolle. Im Allgemeinen sind Wirtschaftskrisen schlechte Zeiten für Gleichstellungspolitik, die ja noch immer vielfach als Luxus diffamiert wird.

 

Wie erklären Sie generell, dass seit der Krise die Kritik an ungebremster Marktmacht zwar deutlich lauter geworden ist, knallharte neoliberale Maßnahmen zum Zwecke von Schuldenabbau und Staatssanierungen aber scheinbar von der Mehrheit weiterhin gebilligt werden? Wieso ist der Neoliberalismus durch die jüngsten Entwicklungen nicht insgesamt viel stärker in Misskredit geraten?

 

Einerseits: In den Ländern, in denen die Sparpolitik besonders radikal ist, ist auch der Widerstand viel stärker sichtbar. In Österreich manifestiert sich Protest leider etwas anders. Hier wählen die Menschen eher Strache, als auf die Straße zu gehen. Andererseits: Neoliberalismus hat sich auch hierzulande in den letzten zwanzig Jahren durchgesetzt und verfestigt. Zentrale Positionen sind entsprechend besetzt. PolitikerInnen haben – relativ unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit – gelernt, neoliberal zu denken. Die politischen BeraterInnen bleiben meist dieselben, das gilt natürlich besonders für die Bürokratien, aber – und besonders wichtig – auch für den gesamten Sektor wirtschaftswissenschaftlicher Produktion. Und die Verfechter von Neoliberalismus sind natürlich auch nicht untätig und wehren Politikveränderungen ab. Gerade die Bereiche Wirtschafts-, Finanz- und Budgetpolitik sind hochgradig entdemokratisiert und somit auch gegen Kritik immunisiert. Macht- und Herrschaftsverhältnisse ändern sich eben in der Regel nicht über Nacht. Und nicht zufällig ist Colin Crouchs Diagnose post-demokratischer Verhältnisse sehr breit aufgegriffen worden. Tendenzen der Entdemokratisierung treffen das gesamte politökonomische Gefüge. Fragen nach Demokratie müssen daher – besonders in Bezug auf Wirtschaftspolitik – mit mehr Nachdruck gestellt werden.

Dennoch denke ich, dass ein großer Bruch eingesetzt hat, sich der Diskurs gegenüber Vorkrisenzeiten sehr gewandelt hat. Vor ein paar Jahren waren ja Begriffe wie Kapital, Profit etc. geradezu tabuisiert. Das ist jetzt nicht mehr so. Die mediale Berichterstattung ist oft sehr kapitalismuskritisch und stellt das herrschende ökonomische System vielfach in Frage. Und auch die Frage nach Alternativen kommt wieder.

 

Für wie erfolgversprechend halten Sie die Occupy-Bewegungen?

 

Vom Ansatz her halte ich die Occupy-Bewegung für richtig, und ich glaube nicht, dass es sich dabei um ein Strohfeuer handelt. Wie nachdrücklich und tragfähig die Bewegung ist, wird sich im Laufe dieses Jahres weisen. Dass

sie vom politischen und ökonomischen Establishment für durchaus gefährlich gehalten wird, lässt sich meines Erachtens an der Gewalt ablesen, mit der Occupy-Aktionen von den US-Behörden begegnet wurde. Ich glaube, dass die Occupy-Bewegung erst am Anfang steht und großes Potenzial hat.

 

Außer Frigga Haugs Vier-in-einem-Perspektive gab es zuletzt wenig konkrete feministische Utopien, bei denen es um die Neuorganisation von Arbeit geht.Woran liegt das? Kümmern sich Feministinnen gegenwärtig zu wenig um ökonomische Fragen?

 

Generell waren die letzten beiden Dekaden nicht unbedingt eine Zeit der großen Utopien, vielmehr wurde nach 1989 ja deren Ende ausgerufen. Sicher hat in den 1970er und auch noch in den 1980er Jahren die Verbindung von Marxismus und Feminismus eine unvergleichlich größere Rolle gespielt als heute. Der „cultural turn“ hat sich ja auch im Feminismus sehr ausgeprägt vollzogen – und er blieb nicht ohne Folgen. Ähnliche Vorschläge wie von Frigga Haug gab und gibt es aber von vielen Seiten. Feministische Ökonomie ist zwischenzeitlich zwar nicht mehr ganz neu, akademisch aber noch immer stark marginalisiert. Dennoch scheint klar, sie ist ein Feld, das nicht nur im Hinblick auf feministische Politik, sondern auch auf wissenschaftliche Innovation weiter entwickelt und entsprechend universitär verankert werden sollte.

 

Wie sehen Ihre Utopien in diesem Zusammenhang aus? Was sind Ihrer Meinung nach zentrale Grundvoraussetzungen für eine (geschlechter-)gerechtere Gesellschaft?

 

Auch ich habe in den letzten Jahren immer für umfassende Erwerbsarbeitszeitverkürzung und geschlechterparitätische Verteilung von unbezahlter Arbeit plädiert. Um das System politökonomischer Geschlechterreproduktion zu verändern, braucht es aber sehr viel mehr. Meines Erachtens muss dabei das Zusammenwirken unterschiedlichster Mechanismen der Herstellung von Geschlecht und Geschlechterhierarchien ins Zentrum der Kritik rücken. Das heißt, wir müssen deutlich machen, wie Geschlecht in das politökonomische System eingelassen ist und von diesem reproduziert wird. In ökonomischer Hinsicht bedeutet das vor allem, Produktion, Reproduktion und Konsum grundsätzlich und in ihrem Zusammenhang zu überdenken. Produktionsverhältnisse sind ja auch Reproduktions- und Konsumverhältnisse und als solche immer auch Geschlechterverhältnisse. Auch Eigentumsverhältnisse spielen eine wesentliche Rolle. Dabei müssen grundlegende ökonomische Begriffe und Konzepte hinterfragt werden, also beispielsweise was wir überhaupt unter Ökonomie oder Arbeit verstehen. Kritikfähigkeit bedeutet hierbei, gesellschaftliche Zusammenhänge sehen zu lernen – und Utopie, diese grundlegend anders herzustellen.

 

 

Gabriele Michalitsch ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin und lehrt an den Universitäten Wien und Klagenfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Neoliberalismus, Politische Ökonomie, Feministische Ökonomik.