Leichen im Keller

Die Rückgabe von Schädeln nach Namibia ist ein Politikum

»Entschuldigung sofort«, »Reparationen jetzt«, »Genozid« – Zwischenrufe wie diese unterbrechen immer wieder die Rednerin am Pult des fast voll besetzten Hörsaals der Berliner Charité. Cornelia Pieper (FDP), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, zeigt sich konsterniert und verlässt nach ihrer Ansprache fluchtartig den Saal, ohne sich zu verabschieden. Die Buhrufe von Mitgliedern afrodeutscher und zivilgesellschaftlicher Gruppen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Und so konnten die Medien von einem handfesten Eklat beim Festakt zur Übergabe der zwanzig Herero- und Nama-Schädel an die Namibia-Delegation berichten.

Grund zur Verstimmung hatten aber vor allem die angereisten NamibierInnen. Denn die von ihnen erhoffte offizielle Anerkennung der Schuld seitens der Bundesregierung war – wieder einmal – ausgeblieben. Wohl nur ein Trost bedeutete es da, dass wenigstens einige zivilgesellschaftliche Gruppen unmissverständlich um Entschuldigung für das von Deutschen begangene Unrecht baten.

Die aus über 60 TeilnehmerInnen bestehende Delegation aus Namibia, darunter VertreterInnen der Herero und Nama sowie Kulturminister Kazenambo Kazenambo, hielt sich vom 26. September bis 3. Oktober 2011 in der Bundeshauptstadt auf, um die Gebeine ihrer Vorfahren heimzuholen, die seit hundert Jahren in der Charité lagern. Die aus »Deutsch-Südwestafrika« stammenden menschlichen Überreste waren während des Kolonialkrieges von 1904-1908 entwendet und zu »rassekundlichen Forschungen« nach Deutschland gebracht worden. Der Krieg gegen die Herero und Nama (aber auch gegen die Damara und San) wurde von Seiten der kaiserlichen »Schutztruppen« unter General Lothar von Trotha als Vernichtungskrieg geführt und gilt einigen HistorikerInnen als der »erste Genozid des zwanzigsten Jahrhunderts«.

Bloß kein Schuldeingeständnis

               Die Bundesregierung »ignoriert uns vollständig«, klagte Katuutire Kaura, mitgereister Parlamentarier aus Windhoek. Ähnlich äußerten sich die anderen Mitglieder der Delegation, ob der Paramount-Chief der Herero Kuamia Riruako, ob Nama-Chief David Fredericks oder Ida Hoffmann, Vorsitzende des Nama-Technical-Comittee, oder Ueriuka Festus Tjikuua, Sprecher der Namibia-Delegation. Sie waren denn auch nicht wirklich überrascht, als sich kein/e VertreterIn der Bundesregierung bei der Podiumsdiskussion im Haus der Kulturen der Welt sehen ließ, zu der das Aktionsbündnis »Zeugen des deutschen Völkermords« geladen hatte.

In einer Presseerklärung des Bündnisses (u.a. AfricAvenir International, Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, Berlin Postkolonial, Global African Congress, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) warnte der in Berlin lebende Herero Israel Kaunatjike: »Wenn die Bundesregierung die Bereitschaft der namibischen Delegation zum Dialog über wirkungsvolle Schritte zur Versöhnung weiterhin ignoriert und keine unmissverständliche Bitte um Entschuldigung für den Völkermord ausspricht, werden nicht nur die deutsch-namibischen Beziehungen, sondern auch die zwischen den damals enteigneten Herero und Nama auf der einen und den bis heute in Namibia lebenden Deutschen auf der anderen Seite ernsthaften Schaden nehmen.« Damit verwies er auf die aktuellen Landkonflikte zwischen deutschstämmigen und burischen NamibierInnen, die über sehr viel Land verfügen, und der Mehrheit der landlosen NamibierInnen.

Die Haltung der Bundesregierung hat eine lange Tradition, will man doch möglichen Reparationsforderungen als Folge eines Schuldeingeständnisses vorbeugen. Wiederholt lässt das Auswärtige Amt verlautbaren, dass »die Bundesregierung ihrer Verantwortung durch eine verstärkte bilaterale Kooperation auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit nachkommt«. Letzteres wird von den Herero und Nama nicht als Entschädigung für das erlittene Leid ihrer Vorfahren und dessen Folgen anerkannt. Allerdings unterstützt die in Windhoek regierende SWAPO die Forderungen nach Reparationen nicht, obgleich im September 2006 durch einen Beschluss des Parlaments die Reparationsfrage als »nationale Angelegenheit« anerkannt wurde – und dies mit den Stimmen der SWAPO. Doch dieser Beschluss bleibt bis heute folgenlos.

Um die Zurückweisung der Schuldanerkennung durchzusetzen, scheute die deutsche Regierung in der Vergangenheit nicht vor unlauteren Methoden zurück. So ließ das Auswärtige Amt 2004 verlautbaren, bei der Bewertung des Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika als »Völkermord« handle es sich um eine »äußerst umstrittene Schlussfolgerung einzelner Historiker«. Damit verkehrte sie die Forschungsergebnisse der überwiegenden Mehrheit der damit befassten GeschichtswissenschaftlerInnen einfach in ihr Gegenteil. Die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes – sie ist mittlerweile von der Homepage des Ministeriums verschwunden – war aber schon allein deshalb skandalös, weil sie auf einen notorischen Völkermord-Leugner aus dem rechtsradikalen Spektrum Bezug nahm.

Auch im Herbst 2011 leistete sich das Außenministerium geradezu grotesk anmutende Verrenkungen. Das Ministerium veröffentlichte eine Erklärung, in der von der »Rückführung von Schädeln verstorbener Angehöriger der Volksgruppen Herero und Nama aus Namibia« die Rede ist. Von »verstorbenen Angehörigen« statt von im Krieg ermordeten Menschen zu sprechen, kommt einer Leugnung des Genozids gleich.

Aufgewühlte Reaktionen in Namibia

               Als das Flugzeug mit der namibischen Delegation und den Gebeinen im Gepäck am 4. Oktober wieder in Windhoek gelandet war, wurde sie von tausenden Menschen und Premierminister Nahas Angula empfangen. Angula äußerte, die Schädel seien ein »Zeugnis des Horrors des Kolonialismus und der Grausamkeit der Deutschen gegen unser Volk«. Nach der Aufbahrung der Schädel im Parlamentsgarten fand tags darauf eine Trauerfeier auf dem »Heldenacker«, dem südlich der namibischen Hauptstadt gelegenen Nationaldenkmal, statt. Die daran teilnehmenden Ovaherero/Ovambanderu und Nama zeigten sich aber enttäuscht von Präsident Hifikepunye Pohamba. Er sprach in seiner Rede davon, weitere Objekte von kultureller und historischer Bedeutung zurückholen zu wollen, sparte dabei aber die Frage der Wiedergutmachungszahlungen aus.

Buhrufe gab es bei der Trauerfeier für den deutschen Botschafter Egon Kochanke. Zwar verneigte er sich vor den Schädeln und drückte sein Bedauern über die »Gräueltaten von vor über hundert Jahren« aus. Die weiteren Worte des Botschafters missfielen jedoch den Trauergästen. Ganz auf der Linie des Berliner Außenministeriums liegend, hob er die besonderen bilateralen deutsch-namibischen Beziehungen hervor. Aber, so Kochanke weiter: »Meine Regierung unterhält keine Sonderbeziehungen zu individuellen ethnischen Gruppen.«

Scharfe Kritik handelte sich auch der Journalist Eberhard Hofmann von der Windhoeker deutschsprachigen »Allgemeinen Zeitung« (AZ) ein. Er betitelte einen Artikel über die Feierlichkeiten: »Reden pendeln zwischen Ahnen-Beschwörung, Reparation«. Daraufhin empörte sich der lutherische Bischof Zephania Kameeta über »diese Art von Artikeln«, die den Eindruck vermittelten, »wir seien ein Haufen von Leuten, die nicht wissen, was sie wollen und die Christentum mit Ahnengedenken und Reparationen in einen Topf werfen«.

Ein Blick in die namibische Presse zeigt, welche überschießenden Emotionen das Thema entfacht hat. Die meisten Leserbriefe in der Online-Ausgabe der AZ sind kaum zitierfähig. Sie lassen nicht nur vollständiges Unverständnis für das Anliegen der Herero und Nama erkennen, sondern offenbaren das reaktionäre Geschichtsbewusstsein ihrer deutschsprachigen VerfasserInnen.

Besonders hoch schlugen die Wellen zuletzt Mitte November. Kulturminister Kazenambo Kazenambo bekam bei einer Pressekonferenz einen Tobsuchtsanfall, als er einen Bericht der Zeitung »Namibian Sun« attackierte. Deren Chefredakteur, Jan Poolman, hatte aus einem vertraulichen Kabinettspapier zitiert, wonach die Kosten für die Deutschlandreise der Namibia-Delegation von der veranschlagten einen Million Namibia-Dollar auf 1,7 Millionen angestiegen seien. Mit durchaus rassistischen Tönen polterte der Minister gegen die nach seiner Meinung »tendenziöse, provozierende und intolerante« Berichterstattung des »verdammten Buren«. Ganz grundsätzlich werdend, drohte er den weißen NamibierInnen mit der Besetzung ihrer Farmen.

Die tieferen Gründe für den wenig staatsmännischen Auftritt des Ministers liegen in den offenen Wunden, die das Erbe von Kolonialismus und Apartheid hinterlassen hat. Vielleicht wollte er sich aber einfach nur als Politiker profilieren und nahm sich dabei Ex-Präsident Nujoma zum Vorbild, dessen provokative Auftritte nur allzu gut in Erinnerung sind. Die Beziehungen zur weißen Minderheit im Lande – wie zur Bundesrepublik – sind dadurch nicht verbessert geworden.

Noch ist nicht ganz klar, wie man in Windhoek mit den Schädeln und Gebeinen verfährt. Zunächst sollen sie dem im Bau befindlichen Independence Memorial Museum übergeben werden. Nach Plänen, sie dort als Mahnmal an die deutsche Gewaltherrschaft öffentlich auszustellen, ist nun laut Esther Utjiua Muinjangue vom Ovaherero Genocide Committee vorgesehen, sie aus Respekt vor den Ahnen nur auf Anfrage zu zeigen. Das koloniale Vermächtnis der Anthropologie wird jedenfalls alle Beteiligten noch eine ganze Weile beschäftigen. Rückführungsaktionen weiterer Gebeine aus deutschen Universitäten und Forschungsinstituten – nicht nur nach Namibia – werden in den kommenden Jahren noch öfter folgen. So teilte die Universität Freiburg Ende November mit, dass sie in Kooperation mit der namibischen Botschaft für das kommende Frühjahr die Rückgabe von vierzehn Schädeln nach Namibia plane.

 

 

               Joachim Zeller ist Kolonialhistoriker in Berlin. Heiko Wegmann betreibt das Projekt freiburg-postkolonial.de