Partei und Gewerkschaft

Anmerkungen zu einem stets neu zu durchdenkenden Thema

in (30.12.2011)

Auf den ersten Blick scheint alles klar: In der LINKEN engagieren sich zahlreiche GewerkschafterInnen. Klaus Ernst und Werner Dreibus (beide ehemals Funktionäre der IG Metall) und Michael Schlecht (ehemals Chef-Ökonom von ver.di) repräsentieren diese Gruppe in Spitzenpositionen auf Bundesebene. So scheint es nahezu selbstverständlich zu sein, dass die LINKE gewerkschaftliche Forderungen und Aktionen unterstützt. Woher dann aber die Spannungen? Woher das abnehmende Interesse?

Im Programm der LINKEN finden sich zahlreiche Positionen (z.B. zu Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie, »gute Arbeit«, soziale Sicherheit, Arbeitsmarktpolitik, soziale Gerechtigkeit usw.), die mit gewerkschaftlichen Forderungen übereinstimmen. Ein Schlüsselsatz lautet: »Für die Durchsetzung eines politischen Richtungswechsels und einer solidarischen Umgestaltung brauchen wir starke, aktive, kämpferische und politisch eigenständig handelnde Gewerkschaften. Sie agieren nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern sind auch in der Arbeitswelt verankert. Das verleiht den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten eine gesellschaftliche Machtposition, die von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung sozialer und sozialistischer Umgestaltungen ist«.

Dennoch ist kaum zu leugnen, dass es immer wieder zu Missverständnissen und auch Spannungen kommt. »Westgewerkschafter« haben oftmals bei den GenossInnen im Osten – aber auch bei jungen Linksradikalen im Westen – ein negatives Image: Manchen gelten sie als »konservativ«, als typische Repräsentanten der »alten, überwiegend männlichen Arbeiterbewegung«, oder gar als »Erfüllungsgehilfen« des deutschen exportorientierten Kapitals. Auf der anderen Seite hat man gelegentlich den Eindruck, dass die Begeisterung von GewerkschafterInnen für die Partei deutlich abgenommen hat. Sie sind von internen Auseinandersetzungen und einem Politikstil ge­nervt, der wechselseitige Beschimpfungen und Verdächtigungen mit geringer politischer Effizienz verbindet – also abgestoßen von einer Sektenkultur, die bei der Auseinandersetzung um Mandate und Vorstandspositionen viel zu oft aufbricht.

Erfahrungswelten in West und Ost

Woran liegt es, dass Ost-West-Differenzen in der Partei gerade in der Gewerkschaftsfrage an die Oberfläche treten? Ich denke, dass dies aufgrund der Geschichte der Partei – ihrer Wurzeln – geradezu unvermeidlich ist. Im Westen war – über die WASG, die ja zunächst eine Formation von linken KollegInnen überwiegend aus der IG Metall war – der Einfluss von GewerkschafterInnen auf die Entstehung der LINKEN sehr viel größer als im Osten. Dort sind Gewerkschaften nach der Wende eher schwach; die Industrie wurde platt gemacht, ganze Regionen – mit Ausnahme von ein paar »Boomtown-Oasen« (wie Jena) – veröden, die Jungen suchen Jobs im Westen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich darüber, dass Chemnitz – bis zum Ende der DDR eine bedeutende Industriestadt – inzwischen als Stadt der »Alten« verödet, weil die Jungen keine Chance auf Arbeit haben und wegziehen müssen.

Die Gewerkschaften hatten noch 1991 im Osten viele neue Mitglieder organisiert, danach – als Folge der Arbeitslosigkeit – ebenso viele wieder verloren. Die Streikniederlage der IG Metall im Osten (2003) wirkt bis heute in der Organisation nach. Der Osten wurde zum »Wilden Westen« für das Kapital. Die »weißen Flecken« in der Tariflandschaft, Niedriglöhne, Prekarität, mangelnde soziale Sicherungen sind im Zuge des Transformationsprozesses stark ausgeweitet worden und erzeugen rückwirkend Druck auf die Arbeits- und Verteilungsverhältnisse im Westen. Das ist kein Spezifikum der deutschen Vereinigung – die Schwäche der Gewerkschaften (niedriger Organisationsgrad), ihre z.T. subalterne Position gegenüber Unternehmern und staatlichen Institutionen wird in der Forschung für nahezu alle ex-sozialistischen Transformationsgesellschaften Ost- und Mitteleuropas festgehalten. Das ist eine Folge (a) des Ansehensverlustes der alten staatssozialistischen Gewerkschaften, (b) der hohen Arbeitslosigkeit sowie der sozialen Unsicherheit und (c) der »Enteignung« (Harvey) bzw. der Entmachtung der Arbeiterklasse dieser Länder im Gefolge der Transformation.

Ein weiterer Aspekt scheint von Bedeutung. Im Westen sind in der LINKEN verschiedene politische Traditionen aufgegangen: linke Sozialdemokraten, DKP-Kommunisten, Trotzkisten, Mitglieder der K-Gruppen der 1970er Jahre. Vielfach haben sie sich untereinander bekämpft, aber für ihr Selbstverständnis waren doch gemeinsame Kenntnisse und Erfahrungen bestimmend: eine marxistische Kapitalismus- und Imperialismusanalyse, ein Begriff von der real existierenden Klassengesellschaft und ihrer politischen Artikulation und Regulation (insbesondere im und durch den Staat); auch emotional stark besetzte Kenntnisse der Geschichte der Arbeiterbewegung (antifaschistischer Widerstand) und der antiimperialistischen Befreiungsbewegungen (»Che Guevara«). Diese Linke war klein und zersplittert; sie definierte sich aus der harten Opposition gegen die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse, immer wieder auch durch Enttäuschung und Verbitterung über die Politik der SPD. Gleichzeitig litt diese Linke immer wieder unter dem Stalinismus und/oder den Widersprüchen der staatssozialistischen Systeme und ihrer Politik. Wenn sie zeitweilig Einfluss entwickelte, war sie mit den außerparlamentarischen Bewegungen verbunden (Antiremilitarisierungs- und Antiatombewegung der 1950er Jahre, Anti-Notstandsbewegung, APO, Demokratiebewegung im Bildungs- und Wissenschaftssystem; Friedensbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Frauenbewegung, gewerkschaftliche Streikbewegungen der 1970er und frühen 80er Jahre). Sie war aber auch stets der Repression von oben (KPD-Verbot, Berufsverbote, »Deutscher Herbst« etc.) und der Überwachung durch die Staatssicherheitsorgane ausgesetzt.

Die meisten GewerkschafterInnen waren bis Ende der 1990er Jahre Mitglieder der SPD; viele von ihnen hatten allerdings seit den 70er Jahren keine Probleme, mit Kommunisten zusammenzuarbeiten. Unter Gerhard Schröder als Bundeskanzler verloren sie die letzten Illusionen über die Möglichkeit, die SPD zu einer linken Partei, die die Interessen von Lohnabhängigen vertritt und sich für einen »demokratischen Sozialismus« engagiert, zu verändern.

Im Osten – so mein Eindruck – spielt die FDGB-Tradition für die Partei keine erkennbare Rolle. Unter den Führungspersönlichkeiten gibt es – außer Bodo Ramelow1 – keine GenossInnen, die aus den Gewerkschaften kommen. Die Struktur der Mitglieder und der WählerInnen der Partei im Osten wird in höherem Maße durch Menschen bestimmt, die nicht »Lohnabhängige in Normalarbeitsverhältnissen« (oder gar fest angestellte Angehörige der Intelligenz), sondern Rentner, Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, prekär beschäftigte Niedriglöhner (mehrheitlich Frauen) sind, die also überwiegend außerhalb der Arbeitswelt stehen, in der Gewerkschaften nun einmal verankert sein müssen. Prekarität und Niedriglohnsektoren wiederum sind Bereiche, in denen die Gewerkschaften oftmals kaum Fuß fassen. Aus der Sicht des Prekariats gehören »Normalverdiener« (und vor allem Gewerkschaftsfunktionäre) oftmals zu den Privilegierten. Auf dem Boden dieser sozialen Spaltungen wachsen (auf beiden Seiten) Vorurteile und Ressentiments, die auch in der Partei wirken, die aber letztlich – wie alle Spaltungen unter den Subalternen – die Macht der herrschenden Verhältnisse zementieren. Fügen wir hinzu, dass dies kein auf »den Osten« beschränktes Problem ist; im Westen gibt es seit den 1970er Jahren die (vielfach berechtigte) Kritik, dass die Gewerkschaften die Arbeitslosen, heute die Leiharbeiter, insgesamt die so genannten Randgruppen des Arbeitsmarktes nicht erreichen bzw. unzureichend vertreten. Auch die Überalterung als Strukturmerkmal der Partei der »Grauköpfe« (so hat es der Parteienforscher Franz Walter formuliert) ist ein bundesweites Phänomen.

Die Partei wird im Osten (wo sie bei Wahlen 20% und mehr erreichen kann) mitunter als »Volkspartei« bezeichnet – was wohl heißen soll, dass sie von Menschen aus verschiedenen Klassen, Schichten, Berufsgruppen und Lebensverhältnissen gewählt wird. Das Praxisfeld einer solchen Partei liegt weniger in der Arbeitswelt, in den Betrieben, sondern »vor Ort«: in den Wohngebieten (mit z.B. extrem hoher Arbeitslosigkeit und Überalterung), in den Kommunen, im Kreis, in den Ländern. Dort ist es dann auch wichtig, dass die Partei in den Regierungen vertreten ist, um Einfluss auf die Verteilung der Haushaltsmittel, auf soziale und kulturelle Maßnahmen vor Ort auszuüben. In welchem Umfang diese Beteiligung bei schlechten Kompromissen zu massiven Ansehensverlusten führen kann, hat sich in Berlin gezeigt.

Schließlich gibt es im Osten eine Besonderheit, mit der besonders sensibel und aufmerksam umgegangen werden sollte. Die Biografien vieler Menschen, vor allem derjenigen, die sich in der DDR als Kommunisten oder Sozialisten begriffen haben, wurden – durch die historischen Ereignisse seit 1989, vor allem aber die imperiale Einverleibung der DDR – vielfach gebrochen, verbunden mit unzähligen Verletzungen, Enttäuschungen und sozialen Katastrophen. Aus solchen Erfahrungen wächst ein tiefes Bedürfnis nach Anerkennung (auch der eigenen geschichtlichen Identität) – die Partei muss ein Ort bzw. ein Raum sein, in dem dieses Bedürfnis anerkannt ist.

Was folgt aus diesen einleitenden Überlegungen?

1. Die Partei DIE LINKE ist nach der Zusammensetzung ihrer Wähler, Mitglieder und ihres Apparates (einschließlich der Parlamentsfraktionen) ein ziemlich »bunter Haufen«, in dem für viele Erfahrungen von sozialer Realität (und ihre politische Aktivität) jenseits der Arbeitswelt stattfinden. Das ist unvermeidlich – angesichts der Biografien, die in diesen Parteibildungsprozess eingegangen sind, und vor allem angesichts der brutalen sozialen Realität, der Fragmentierung und sozialen Verunsicherung, die der heutige Kapitalismus reproduziert.

2. Diese Partei war seit ihrer Gründung – im internationalen Vergleich ebenso wie mit Blick auf die BRD-Geschichte nach 1949 – durchaus erfolgreich. Dieser Erfolg sollte alle Beteiligten motivieren, ihn nicht leichtfertig zu verspielen. Eine erfolgreiche Zukunft der Partei wird wesentlich davon abhängen, wie es gelingt, die objektiv vorhandenen Widersprüche – und die von ihnen abgeleiteten unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen, Bewusstseinsformen, Meinungen und Strömungen – zu bearbeiten. Dabei müssen Brücken gebaut werden zwischen den verschiedenen Erfahrungswelten. Wer spezifische Erfahrungen verabsolutiert (sei es die der Prekarität oder die von GewerkschafterInnen), wird die Partei nicht voranbringen können. Wichtig ist bei solchen Lernprozessen auch die Erkenntnis, dass die Aufspaltung/Fragmentierung sozialer Erfahrung durch den Finanzmarktkapitalismus und die Politik des Neoliberalismus selbst verstärkt wird – dass also die Veränderung/Überwindung dieser Strukturen und Machtverhältnisse den zentralen Punkt der Programmatik und des Profils der LINKEN ausmacht.

Klassenbasis und politische Rolle der Gewerkschaften

Welche Bedeutung haben Gewerkschaften für die politische Linke? Ich beschränke mich auf einige Thesen.

Die Demokratiefrage

Die Gewerkschaften sind – im Anschluss an Marx – die »elementaren Organisationen« der Lohnabhängigkeit; ihre Organisation und Praxis ist – bewusst oder unbewusst – auf den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit bezogen. Die Welt der Arbeit, auf die sie sich überwiegend beziehen, wird durch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse bestimmt. Starke und freie Gewerkschaften sind eine Voraussetzung der Demokratie, die – auch im Kapitalismus – durch Sozialstaatlichkeit sowie Mitbestimmungs- und Kontrollrechte der Lohnabhängigen und der Gewerkschaften abgesichert werden muss. Oskar Lafontaine hat diesen Zusammenhang von Demokratie und der Veränderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse, die durch »Enteignung« charakterisiert sind, hervorgehoben. »Der Kern unserer Auseinandersetzung ist das Lohnverhältnis, das darin besteht, dass dem Arbeitnehmer mehr abgenommen wird als ihm abgenommen werden darf, wenn es gerecht in einer Gesellschaft zugehen soll«. Ungerecht (und undemokratisch) ist: »Dass eine Minderheit reich wird, weil die große Mehrheit für sie arbeitet. Das ist die Kernfrage unserer Programmatik« (nach: junge Welt, 15.9.2011, S. 10f.).

Hauptgegner des Neoliberalismus

Die Macht und Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften ist Ausdruck der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Mit dem Aufstieg des (globalen) Finanzmarktkapitalismus und der Politik/Ideologie des Neoliberalismus haben Gewerkschaften seit den 1980er Jahren an Macht verloren; neoliberale Hegemonie bedeutet eben die Veränderung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Kapital-, hier der Finanzkapital-Seite. Dieser Prozess wurde durch den kapitalistischen Staat vorangetrieben: durch Liberalisierung, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Sozialabbau. Die Schwäche der Gewerkschaften kommt vor allem im Absenken der Lohnquote und in der massiven Umverteilung von Einkommen und Vermögen »nach oben« zum Ausdruck. Für die Politiker des Neoliberalismus (und ihre Ideologen in der Tradition von Hayek und Friedman) sind die Gewerkschaften nach dem Niedergang von Kommunismus und Sozialismus der Hauptgegner, dessen kollektive Handlungsmacht geschwächt werden muss!

Stärke und Legitimation »von unten«

Ich spreche bewusst von »den« Gewerkschaften – will sagen: diese Bestimmungen der Grundfunktionen von Gewerkschaften gelten unabhängig davon, ob sie eine mehr korporatistisch-sozialpartnerschaftliche oder eine mehr autonom-klassenorientierte Politik betreiben. Die Stärke der Gewerkschaften kommt »von unten«, sie liegt in den Betrieben; dort sind praktisch und theoretisch qualifizierte Betriebsräte und Vertrauensleute (nicht nur in der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes und des Arbeitsrechts, sondern auch auf dem Feld der Politischen Ökonomie, der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Analyse der gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnisse), die Stützen der Gewerkschaftsarbeit. Lange Zeit war es selbstverständlich, dass linke Betriebsräte und Vertrauensleute durch die politischen Organisationen der Arbeiterbewegung politisiert und sozialisiert waren. Dieser Zusammenhang hat sich – aufgrund der Krise der politischen Linken am Ende des 20. Jahrhunderts und damit auch generationsbedingt – weitgehend aufgelöst.

Die Stärke der Gewerkschaft drückt sich nicht allein in Mitgliederzahlen und finanziellen Ressourcen, sondern auch in ihrer Handlungs- und Kampffähigkeit aus. Die Linken verteidigen die Einheitsgewerkschaft, müssen aber in der Einheitsgewerkschaft auch deutlich als Linke zu erkennen sein. Unvereinbarkeitsbeschlüsse lehnen sie ab. Sie setzen sich für einheitliche Gewerkschaftslisten bei Betriebsratswahlen ein. Sie sind in den DGB-Gewerkschaften – gegenüber den Sozialpartnern, den Pragmatikern und den Anhängern der beiden großen »Volksparteien« – eine Minderheitsströmung. Gelegentlich müssen sie dafür kämpfen, dass die Prinzipien der Einheitsgewerkschaft, der Respekt vor den verschiedenen weltanschaulich-politischen Strömungen, auch anerkannt werden; sie müssen sich – auch in Betriebsräten – dafür einsetzen, dass Mehrheiten demokratische Verfahren akzeptieren. Das ist Teil der innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen. Die Linken setzten sich kritisch mit dem »Krisenkorporatismus«, d.h. mit der Einbindung in die Politik des Kapitals und des Staates, auseinander; sie kritisieren diejenigen, die sich auf das »Kerngeschäft« beschränken wollen und fordern eine aktivere Wahrnehmung des politischen Mandats; sie streiten für eine Erweiterung des Interessenbegriffs, der die »sekundäre Ausbeutung« (im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, des Gesundheitswesens, des Verkehrs- und Immobiliensektors etc.) umfasst. Sie setzen sich für die Öffnung zu den Unter- und Randschichten der Arbeiterklasse und für die politische Öffnung zu den sozialen Bewegungen ein – aber, sie führen diese innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen in dem Bewusstsein und mit dem Ziel, nicht die Partei, sondern die Gewerkschaft zu stärken.

Perspektiven demokratischer Transformation

Gewerkschaften sind (objektiv) Klassenorganisationen und direkt in den Klassengegensatz von Kapital und Arbeit (und in die gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital, Arbeit und Staat) einbezogen. Daher sind Gewerkschaften notwendig ein Raum, in dem (a) über Krisenprozesse und Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Ökonomie, (b) über Herrschaftsstrategien des Kapitals und des kapitalistischen Staates sowie (c) über Perspektiven demokratischer Transformation im Kapitalismus (und über diesen hinaus) diskutiert wird. Die Interessenvertretung der Lohnabhängigen hängt nicht nur ab von der ökonomischen Konjunktur und der Entwicklung des Arbeitsmarktes, sondern auch von technologischen Modernisierungsprozessen, von der Ausweitung des Raumes der Kapitalakkumulation (Transnationalisierung/Globalisierung) sowie von der Staatstätigkeit und selbst der internationalen Politik. Strategiedebatten in den Gewerkschaften sind notwendig, um die eigene Politik und deren Schwerpunktsetzungen bei veränderten Handlungsbedingungen zu reflektieren. Gewerkschaften sind immer auch politische Organisationen, denn sie müssen die politische Demokratie als Voraussetzung ihrer Existenz verteidigen und die »soziale Demokratie« (Wirtschaftsdemokratie, Mitbestimmung, Arbeiterkontrolle, Sozialstaatlichkeit, Bildungsgerechtigkeit, kulturelle Partizipation usw.) als Perspektive einer humanen Gesellschaft vertreten, die immer auch mit den Profit­interessen des Kapitals und der Logik des kapitalistischen Staates kollidiert. Das heißt: Politische Angriffe, die ihre Existenz betreffen, fordern Gegenwehr ebenso heraus wie der Abbau sozialer Rechte und sozialstaatlicher Leistungen. Die Linken in den Gewerkschaften setzen sich für eine deutlichere Wahrnehmung dieses »politischen Mandats« durch die Gewerkschaften ein.

Krise und Revitalisierung

Die Krise der Gewerkschaften, die in die vergangenen beiden Jahrzehnten vielfach konstatiert wurde, war u.a. darauf zurückzuführen, dass sie gegenüber strukturellen Veränderungen von Ökonomie, Gesellschaft und Politik relativ bewusst- und hilflos blieben – bzw. sich eher konservativ auf die Verteidigung von alten »Errungenschaften« (z.B. in Industrien mit hohem Organisationsgrad wie die Automobilindustrie) zurückzogen. Die Krise manifestierte sich in sinkenden Mitgliederzahlen, Rückgang der Streik- und Kampffähigkeit. Je mehr sich die Interessenvertretung auf die relativ privilegierten Teile der Arbeiterklasse konzentrierte, umso mehr nahm die Verbetrieblichung der Gewerkschaftspolitik im Rahmen einer Ideologie und Politik des »Co-Managements« zu. Deindustrialisierung sowie die Durchsetzung des transnationalen Finanzmarktkapitalismus haben die Handlungsbedingungen der Gewerkschaften grundlegend verändert. Privatisierung (z.B. des Telekommunikations- und Verkehrssektors, im Gesundheitswesen, bei der Altersversorgung), die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Förderung eines Niedriglohnsektors haben traditionelle Bastionen der Gewerkschaften in der Industrie sowie im Staatssektor »geschleift« und zugleich neue Bereiche – vor allem im Dienstleistungssektor – anwachsen lassen, in denen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Niedriglöhne, MigrantInnen usw. besonders zahlreich vertreten sind – Bereiche, in denen gewerkschaftliche Interessenvertretung meist neu aufgebaut werden muss.

Dass in der jüngsten Zeit von einer Revitalisierung der Gewerkschaften gesprochen wird, ist einerseits darauf zurückzuführen, dass mit der Angst vor sozialer Unsicherheit und Abstieg (die im Gefolge der Krisen seit 2008 noch einmal zugenommen haben) und mit der wachsenden Empörung über soziale Ungerechtigkeit sowie über Prunksucht und Korruption der »Superreichen« sowie der »politischen Klasse« zugleich das Ansehen von Gewerkschaften als kollektive Schutzorganisationen der LohnarbeiterInnen zugenommen hat. Andererseits ist es gelungen, in den neuen Sektoren auch neue Formen der Interessenvertretung, des Kampfes und der gewerkschaftlichen Organisierung zu entwickeln. Dabei werden neue Wege der Organisierung und Mobilisierung beschritten (»organizing«), während gleichzeitig die Interessenvertretung in den Zusammenhang sozialer Basis- und Bürgerrechtsbewegungen gestellt wird (»strategic unionism«). Für die Entwicklung dieser neuen Ansätze von Gewerkschaftspolitik spielen Linke eine zentrale Rolle; denn sie haben nicht nur die Bedeutung des Rassismus und des Patriarchalismus für die Festigung von Herrschafts- und Machtverhältnissen begriffen, sondern engagieren sich – z.B. in der globalisierungskritischen Bewegung – für einen neuen Internationalismus und setzen sich für die Öffnung der Gewerkschaften zu den Debatten und Aktionen der neuen sozialen Bewegungen ein, ohne dass diese dabei ihre Selbständigkeit und Autonomie aufgeben. Machtorientierte Pragmatiker – vor allem in Spitzenpositionen der Gewerkschaften – werden allerdings die Anerkennung der Gewerkschaften durch die wirtschaftlichen und politischen Eliten (am besten durch die Bundeskanzlerin selbst) zum zentralen Kriterium der »Revitalisierung« erheben.

Interessenvertretung und Politik

Gewerkschaftliche Interessenvertretung ist – ob sie es will oder nicht – politischer geworden. Das heißt: Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Lohnabhängigen werden nicht ausschließlich über den Lohn, sondern mehr und mehr über die Tätigkeit des Staates bestimmt (darin drückt sich zugleich die Tendenz zur Vergesellschaftung der Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft aus). Das Gesundheitssystem, die Altersvorsorge, Bildung und Wissenschaft, Kultur, Wohn- und Verkehrsverhältnisse, Ener­gieversorgung usw. bestimmen die Lebensqualität und die Lebensperspektiven. Zugleich verursachen sie Kosten – und: diese Bereiche werden durch die Politik der Neoliberalismus der privaten Kapitalverwertung geöffnet. Damit sinken die Leistungen (vor allem für die unteren Einkommensgruppen und das Prekariat). Was die Gewerkschaften in einer Tarifrunde – mit großer Anstrengung – herausholen können, wird oft schon aufgrund von Preiserhöhungen für soziale Dienste ins Gegenteil verkehrt, sodass die Realeinkommen sinken.

Hinzu kommt, dass die Wirtschaftseliten direkt Zugriff auf die Regierungsentscheidungen nehmen, bis hin zur Formulierung der Gesetzentwürfe in den Ministerien. Diese auch als »Postdemokratie« bezeichnete Entwicklung (Colin Crouch) fordert natürlich die Gewerkschaften heraus, ihre Macht auch im Hinblick auf die Regierungspolitik in die Waagschale zu werfen. Vor allem die Antworten auf die Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 – sowie deren Übergriff in den Raum der EU und des Euro – haben diese Notwendigkeit einer Politisierung unterstrichen. Dass in zahlreichen Ländern der Euro-Zone inzwischen Generalstreiks gegen eine Austeritätspolitik stattfinden, die von der deutschen Bundesregierung (nach dem Modell der »Schuldenbremse«) vorgeschrieben wird, ist Ausdruck dieser Tendenz, bei der dann auch Gewerkschaften und die Vertreter der politischen Parteien der Linken auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen sind.

Für die Gewerkschaften ist die Erweiterung des Parteiensystems auf fünf Parteien schon deshalb von Vorteil, weil eine bei Wahlen erfolgreiche LINKE immer auch – vor allem bei gewerkschaftlich organisierten WählerInnen – der SPD Stimmen entzieht. Für diesen Druck ist allerdings die SPD selbst verantwortlich – zwischen 1990 und 2008 hat sie 400.000 Mitglieder verloren, darunter sehr viele Gewerkschafter. Die Linke ist ein Resultat der Politik der SPD (allgemeiner: von New Labour). Die damit geschaffene Konkurrenz wirkt zurück auf die SPD, die in der Opposition – zumindest verbal – wieder deutlicher auf die Gewerkschaften zugeht. Bei den Linken in den Gewerkschaften wird sicher das Misstrauen anhalten, ob die SPD bei erneuter Regierungsbeteiligung (auf der Linie Steinbrück/Steinmeier plus Große Koalition oder auch mit den Grünen) nicht doch wieder schnell an die Schröder-Politik anknüpft. Es gibt aber in gewerkschaftlichen Führungsgruppen, die nach wie vor überwiegend bei der SPD organisiert sind, ein tiefes (auch emotionales) Bedürfnis nach einer »Aussöhnung« mit ihrer Partei. Um aber linke (und gewerkschaftliche) Positionen in der SPD zu stärken, ist ein starker Konkurrenzdruck von links notwendig. Wenn auch die Chancen eines Politikwechsels nach links zur Zeit eher gering sind, so eröffnen die Wahlerfolge der LINKEN doch zumindest die Möglichkeit, eine Mehrheit links von der CDU/CSU-FDP zu organisieren und gewerkschaftliche Positionen (z.B. die Forderung nach Mindestlohn bzw. nach der Stärkung der Binnennachfrage) eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen.

Der politische Raum

Wie aber lassen sich – vor diesem Hintergrund – die Rolle und die Aufgaben der LINKEN genauer bestimmen? Als politische Partei hat sie notwendig einen sehr viel weiter gefassten Politikbegriff. Sie agiert in einem anderen Raum als die Gewerkschaften, obwohl es natürlich viele offene Türen zwischen den Räumen gibt, in denen Gewerkschaften auf der einen, soziale Bewegungen und/oder Parteien auf der anderen Seite agieren. Die Gewerkschaften agieren überwiegend in der Wirtschaft, die Partei hingegen im öffentlichen Raum, der durch das Parteiensystem, Wahlen, Parlamente, Regierungen und die um diese Institutionen gruppierten Medienapparate gekennzeichnet ist. Die klassische Trennung von »öffentlich« (politisch) und »privat« (zivilgesellschaftlich) lässt sich freilich immer weniger aufrechterhalten; immer mehr durchdringen sich die beiden Bereiche. Deshalb haben sich auch die Schnittstellen erweitert, in denen sich gewerkschaftliche Interessenvertretung auf der einen und die Politik linker Parteien berühren, überschneiden, wechselseitig beeinflussen und ggf. stärken.

Dabei stoßen wir schnell auf einen Widerspruch, der sich notwendig auch im Verhältnis von Partei und Gewerkschaft immer wieder geltend machen muss: Da die LINKE weitgehend von der Macht ausgeschlossen ist, nimmt sie (für einige notgedrungen) die Rolle der linken Oppositionspartei wahr. Wenn es ihr gelingt, sich mit außerparlamentarischen Massenbewegungen (auch von Seiten der Gewerkschaften) zu verbinden, kann die­se Opposition auch dazu führen, dass die regierenden Mehrheiten unter Handlungsdruck gesetzt werden. Die Entwicklung der Debatten über den Mindestlohn oder die Abschaffung der Studiengebühren sind positive Beispiele.

Dennoch, die notwendige Präsenz der Partei in einem weiten politischen Raum kontrastiert mit ihrer realen Macht bzw. ihren Einflussmöglichkeiten auf die herrschende Politik. Das führt notwendig zu einer permanenten »Überforderung« und zu Pathologien, die die eigenen Wähler enttäuschen können. Auch in den Gewerkschaften gibt es das Argument, dass die politischen Interventionen »auf der Straße« meist »nichts bringen« und dass man Niederlagen möglichst vermeiden soll. Außerdem wissen GewerkschafterInnen natürlich, dass die Politik ihrer Organisation dort kaum greift, wo der Organisationsgrad extrem niedrig ist, wo »weiße Flecken« in der Tariflandschaft sich ausbreiten etc. Viele mussten nach 1990 im Osten – inzwischen auch im Westen (wo viele Bewegungen gegen Betriebsschließungen und Massenentlassungen ebenfalls mit Niederlagen endeten) – solche Enttäuschungen verarbeiten! Dennoch haben die Gewerkschafter in der Regel ziemlich klare Vorstellungen davon, wie »Durchsetzungsmacht«, d.h. politische Kraft z.B. in einer Tarifrunde zu definieren ist. Wenn sie sich in der Partei DIE LINKE engagieren, treffen sie vielfach – vor allem auch »an der Basis« – auf Strukturen und Verhältnisse, die von solchen Vorstellungen und Erfahrungen mit praktischer Politik ziemlich weit entfernt sind.

Betrachten wir kurz einige Felder, auf denen die Partei eigene Positionen entwickeln und vertreten bzw. sich mit ihren eigenen Problemen beschäftigen muss:

Internationalismus

Der gesamte Bereich der Außenpolitik, besser der internationalen Politik – die Fragen von Krieg und Frieden (Irak, Afghanistan, Libyen), die Auseinandersetzung mit dem Imperialismus, Fragen der internationalen Ordnung und der Politik in den internationalen Organisationen – verlangen eigenständige Analysen, Positionsbestimmungen und Interventionen der Partei. Hier ist die Partei auch sehr viel enger mit der Friedensbewegung verbunden. Allerdings gab es eine gute Anti-Kriegs-Tradition in der Arbeiterbewegung, die immer wieder dazu geführt hat, dass von linken Gewerkschaftern z.B. die Ostermarschbewegung seit den frühen 1960er Jahren oder der »Krefelder Appell« gegen die Raketenstationierung Anfang der 1980er Jahre unterstützt wurde. In manchen Bereichen sind heute Außen- und Innenpolitik viel enger miteinander verbunden: Die »Eurokrise« seit 2010 betrifft einerseits Fragen der Wirtschafts- und Währungspolitik (und berührt damit auch Grundfragen der gewerkschaftlichen Lohnpolitik); andererseits muss die Vorherrschaft, die die deutsche Politik (im Interesse des deutschen Imperialismus) in der EU (und beim Krisenmanagement) betreibt, die Kritik der gesamten europäischen Linken ebenso radikalisieren wie die der europäischen Gewerkschaften, die zu Protestaktionen gegen die Austeritätspolitik und den weiteren Abbau sozialer Rechte im Zusammenhang des Schuldenabbaus (z.B. Verlängerung des Renteneintrittsalters) mobilisieren. Die klare Profilierung der Partei in diesem Politikfeld und ihre mögliche Rolle als »kollektiver Intellektueller« (Gramsci) bei der Analyse der Veränderung der Weltordnung und des »neuen Imperialismus« (David Harvey) – auch durch die Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung – können für die linken Gewerkschafter, die eine Verstärkung des gewerkschaftlichen Internationalismus (in Europa und darüber hinaus) anstreben, hilfreich sein.

»Haltelinien« der Regierungsarbeit

Ein erheblicher Teil der Tätigkeit der Partei besteht in Sitzungen der Parteigremien, Vorbereitung von Aktionen, Wahlkämpfen und parlamentarischer Arbeit. Hier bilden sich eigene Apparate und Stäbe der Zuarbeit, die wiederum mit eigenen Machtgewichten und Widerspruchspotenzialen ausgestattet sind.

Vor allem dann, wenn die Partei – z.B. auf Länderebene – eine Koalition einzugehen bereit ist, wird sie herausgefordert, einerseits Kompromisse mit dem Koalitionspartner einzugehen (und sie ist dabei der kleine Partner!), andererseits aber auf Essentials einer Regierungspolitik zu bestehen, die dann auch (in der Öffentlichkeit) erkennbar mit ihrer Teilhabe an der Regierung verbunden sind (z.B. Abschaffung der Studiengebühren). Wichtig sind dabei »Haltelinien«, die bei der Ausarbeitung des Grundsatzprogramms diskutiert wurden. Am Beispiel der Privatisierungen von öffentlichem Eigentum, vor allem aber bei drohenden Entlassungen im öffentlichen Dienst, der Vergabe von Aufträgen an Firmen, die Tarifverträge einhalten und/oder der Einführung von Mindestlöhnen wird jedoch deutlich, dass DIE LINKE als Regierungspartei zentrale Anliegen der Gewerkschaften (hier vor allem von ver.di und anderer Gewerkschaften des öffentliche Dienstes) unterstützen kann. Umgekehrt: Falls die LINKE als Regierungspartei sich an neoliberaler Politik beteiligt, wird sie bei Wahlen abgestraft!

Innerparteiliche Demokratie

Die Partei verbringt einen erheblichen Teil ihrer Zeit und Ener­gie damit, sich mit sich selbst zu beschäftigen (was allerdings generell für bürokratische – auch gewerkschaftliche – Apparate gilt). Das liegt einerseits in der Logik der Parteiarbeit; andererseits bedeutet es eine Gefahr, denn je weniger die Partei politischen Erfolg hat, um so mehr tendiert sie dazu, sich vorwiegend mit inneren Strömungsauseinandersetzungen und Personaldebatten zu beschäftigen, die aber deshalb an selbstzerstörerischer Schärfe gewinnen, weil sie immer auch mit dem Kampf um Positionen und Posten verbunden sind.

Solche sektiererischen Tendenzen, die den Kampf mit dem inneren Gegner für wichtiger halten als den Kampf mit den wirklichen Gegnern in Politik, Wirtschaft und im »Überbau« (Wissenschaft, Kultur, Medien etc.), haben in manchen Landesverbänden (vor allem im Westen) gerade in der jüngsten Zeit zugenommen – sie reagieren auch auf Niederlagen (bzw. auf schlechtere Wahlergebnisse) und könnten daher auch (wenn sie öffentlich – unterstützt durch die Medien – als »Lust an der Demontage der Führung« inszeniert werden) einen Niedergangsprozess verstärken.

Auf der anderen Seite kann die Spaltung zwischen Mandatsträgern und Basisorganisationen bzw. Mitgliedern innere Krisen der Partei verstärken. Solche Spaltungen sind in der Geschichte ein seit langem bekanntes Phänomen. Die Lösung des Problems auf autoritärem Wege – also etwa durch den »demokratischen Zentralismus« leninistischer Provenienz – trug erheblich zum Niedergang bei. Aber auch die Verselbständigung der Parlamentsfraktion, die dann die Partei »von oben« kon­trolliert, kann zu einer Verkümmerung der innerparteilichen Demokratie führen. Wenn man sich auf die Politikform der Partei einlässt, muss man wissen, dass es diese Gefahren und darauf keine einfachen Antworten gibt; denn ohne eine handlungsfähige Führung und ohne die Anerkennung bestimmter Grundregeln für das Funktionieren der Organisation, schließlich auch ohne eine Kultur der Solidarität nach innen (dies ist besonders wichtig) kann es keine erfolgreiche Politik geben. Die Anerkennung der Regeln innerparteilicher Demokratie wäre – ebenso wie die Rotation der Führungsgruppen und die Offenheit gegenüber außerparlamentarischen, sozialen und politischen Bewegungen – nur eine Minimalvoraussetzung. Vielleicht gehört auch eine Einstellung dazu, die die Partei nicht als eine Kirche verklärt, sondern ziemlich nüchtern als ein notwendiges Instrument (mit vielen – ebenso notwendigen – Widersprüchen) begreift, um von links in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen, das Kartell der Herrschenden aufzubrechen und einen (keineswegs den einzigen) Beitrag zur Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu leisten. Das wäre schon eine ganze Menge!

Robert Michels hat über solche Gefahren mit seinem »Gesetz der Oligarchisierung« der Partei- und Gewerkschaftsführungen schon vor mehr als 100 Jahren – am Beispiel der deutschen Sozialdemokratie – geschrieben; und die Geschichte der kommunistischen Parteien – vor allem der regierenden – liefert unzählige Beispiele für bürokratische Erstarrung, Überalterung und Entfernung der Führung. Auf der anderen Seite sind alle Parteien, die einmal als radikale systemkritische Basisbewegungen von unten entstanden sind, in dem Maße in das bestehende Herrschaftssystem integriert worden, wie sie bei Wahlen erfolgreich waren und schließlich in der »Regierungsverantwortung« gelandet sind. Das jüngste Beispiel sind die »Grünen«. Kritische GewerkschafterInnen kennen das Problem übrigens sehr genau: Oftmals müssen sie für innergewerkschaftliche Demokratie gegen den Anspruch des »Apparates« von oben kämpfen; auf der anderen Seite wissen sie, dass die Geschlossenheit der Organisation – z.B. in Arbeitskämpfen – eine unabdingbare Voraussetzung für deren Handlungsfähigkeit und für mögliche Siege gegen den Gegner sind. Die Kunst der Politik besteht hier darin, mit diesem Widerspruch klug und strategisch flexibel umzugehen.

Außerparlamentarische Bewegungen

Für die Partei ist (will sie nicht in der parlamentarischen Arbeit »aufgehen«) die Beziehung zu den außerparlamentarischen sozialen Bewegungen von entscheidender Bedeutung. Diese thematisieren Fragen der Demokratie und der Lebenswelt, der Friedenspolitik, des Antifaschismus und der internationalen Solidarität: die globalisierungskritische Bewegung seit 1999, die Anti-AKW- und Kernkraft-Bewegung, die feministische Bewegung und andere. Für die Partei ist außerdem sehr wichtig, welche Beziehungen sie zum Sektor der Kultur, der Wissenschaft und zu den Intellektuellen hat. In der jüngsten Zeit haben sich die Bewegung gegen »Stuttgart 21« als Demokratiebewegung und die weltweite Bewegung der »Empörten« in den Vordergrund geschoben. Sie haben sich inzwischen mit der »Occupy-Wall Street-Bewegung« verbunden, die die Kritik am Finanzmarktkapitalismus, seine Krisen und den sozialen Katastrophen, die er anrichtet, in den Mittelpunkt stellt. An solchen Bewegungen sind auch linke GewerkschafterInnen beteiligt. Solche Bewegungen für Demokratie und gegen die Macht des Finanzkapitals schaffen auch ein günstigeres Klima für die Artikulation und Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen. Allerdings kommt aus solchen Bewegungen, vor allem von jüngeren Linksradikalen, die sich für anarchistisches Gedankengut begeistern, immer wieder auch scharfe Kritik an der Politik der Gewerkschaften. Die linken GewerkschafterInnen teilen oftmals Aspekte dieser Kritik – sie wissen aber, dass die Gewerkschaften und das Bewusstsein ihrer Mitglieder nicht voluntaristisch »von außen«, sondern nur auf dem Boden einer erfolgreichen Interessenvertretung der Lohnabhängigen in und mit den Gewerkschaften zu verändern sind.

Auch die Partei wird oftmals in den außerparlamentarischen Bewegungen kritisiert – von denen, die die Parteiform prinzipiell ablehnen, bis hin zu jenen, denen die Partei zu »reformistisch« (bzw. zu »sozialdemokratisch«) ist. Dabei müssen sich aber auch Positionen harte Kritik gefallen lassen, die die Revolutionen gerne ins Internet verlegen möchten oder eine quasi-revolutionäre »Multitude« (Negri/Hardt) – als Ersatz für das »alte revolutionäre Subjekt« – beschwören. Linke Bewegungen und eine Politik, die sich von der Klassenfrage entfernt und die zentrale Bedeutung der »sozialen Frage« für die »kleinen Leute« ignoriert, werden immer auf absteigende Mittelschichten-Fragmente und deren »organische Intellektuelle« beschränkt bleiben. Die außerparlamentarischen Bewegungen sind für die Entwicklung der Kräfteverhältnisse in der Zivilgesellschaft – und das heißt: für den Kampf um den Aufbau von Gegen-Hegemonie – von entscheidender Bedeutung.

Der Begriff der »Mosaik-Linken«, den der Gewerkschafter Hans-Jürgen Urban in die Debatten eingeführt hat, scheint dieses neue – nicht hierarchische – Verständnis der Beziehungen zwischen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen auf der einen und sozialen Bewegungen auf der anderen Seite recht gut zu fassen. Seit 1989 – seit den Massenbewegungen zum Sturz der staatssozialistischen Regime bis hin zu den Demokratiebewegungen im nordafrikanisch-arabischen Raum in den Jahren 2010/11 – hat sich erneut eine alte Erkenntnis eingeprägt: dass nämlich ohne solche Volksbewegungen von unten (unter Einschluss von relevanten Teilen der Arbeiterklasse) ein Regime- und Politikwechsel letztlich niemals vollzogen werden kann. Allerdings: Die Erosion (der Niedergang) des Ancien Régimes muss weit vorangeschritten sein. Davon sind die Verhältnisse in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften und Staaten Westeuropas weit entfernt.

Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert

Schließlich ordnet die LINKE ihre Handlungsperspektiven in einen zeitlich weiteren Zusammenhang ein, als es Gewerkschaften notwendigerweise tun. Die Debatte über ein Grundsatzprogramm hat dies sehr deutlich gezeigt. Das Programm verknüpft die Analyse der Gegenwart und die daraus abgeleiteten Forderungen und Ziele des Tages mit einer längerfristigen Perspektive einer humanen, demokratischen, ökologischen und sozial gerechten Veränderung von Gesellschaft, Politik und Kultur – also mit der Perspektive eines »demokratischen Sozialismus«. Die Analysen und Debatten über Alternativen zur herrschenden Ordnung und Politik, für die sich die Partei engagiert, haben allerdings auch Einfluss auf die Positionen und das Ansehen linker Kolleginnen und Kollegen in ihren eigenen Organisationen und Betrieben. Die Schwäche der Linken – darin stimmen viele Analysen überein – besteht auch darin, dass sie in der gegenwärtigen Großen Krise kein alternatives Projekt repräsentiert, das für breite Teile der Bevölkerung (die die bestehenden Verhältnisse durchaus kritisch sehen) als Alternative, als ein Projekt, für das sich zu kämpfen lohnt, akzeptabel wäre. Das ist u.a. eine Folge der tiefen Krise, in die der Sozialismus weltweit am Ende des 20. Jahrhunderts geraten ist. Zur programmatischen und politisch praktischen Entwicklung eines solchen Projekts einen Beitrag zu leisten – das ist im Grunde der Kern der historischen Aufgabe der Partei DIE LINKE!

Autonomie und Synergieeffekte

Es ist nicht ganz einfach, aus den voranstehenden Überlegungen einfache Schlussfolgerungen zu ziehen. Manche Konflikte in der Partei, die – oberflächlich betrachtet – Verdruss bei Gewerkschaftern oder Aggressionen gegen die Gewerkschafter in der Partei auslösen, haben ihren tieferen Grund in dem durchaus komplizierten Verhältnis zwischen einer (neuen und kleinen) sozialistischen Partei und der Gewerkschaft. Dieses kann nicht einfach nach historischen Vorbildern, Modellen oder Erfahrungen gestaltet werden, sondern wirft viele neue Fragen auf und stellt an die handelnden Personen hohe Anforderungen. Wichtig ist zunächst die Anerkennung der Selbständigkeit und Autonomie der jeweiligen Organisationen, die Anerkennung der unterschiedlichen Zwecke und Handlungsfelder. Erst auf dieser Grundlage kann die Frage nach der wechselseitigen Abhängigkeit, nach den Schnittstellen gestellt werden, an denen sich gewerkschaftliche und parteipolitische Arbeit begegnen, überschneiden, wechselseitig befördern.

Nehmen wir zwei Beispiele, bei denen Klugheit gefordert ist. Der innerparteiliche Streit zwischen den Anhängern eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle und den Gewerkschaftern, die eine alternative Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik und eine armutsfeste, bedarfsorientierte und weitgehend sanktionsfreie Grundsicherung für alle, die ein menschenwürdiges Leben nicht durch eigene Arbeit sichern können, fordern, wird gelegentlich mit quasi-theologischem Ernst ausgetragen (wenn z.B. die Befreiung in der Arbeit gegen die Befreiung von der Arbeit gestellt wird).

Dabei geraten nicht nur unterschiedliche theoretische Bewertungen des Arbeitsbegriffs und der ökonomischen Analyse des Arbeitsmarktes aneinander; letztlich stehen auch unterschiedliche soziale Erfahrungen hinter solchen Kontroversen. Die Gewerkschafter argumentieren von der Position aus, dass die Organisation des Arbeitsprozesses nach wie vor eine Kernfrage nicht nur für die Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch eine Kernfrage für die Gestaltung einer humanen Wirtschaftsordnung und einer Gesellschaft des demokratischen Sozialismus ist. Die Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens für alle argumentieren ihrerseits aus verschiedenen Erfahrungszusammenhängen und Perspektiven: aus der feministischen Kritik des traditionellen (auch marxistischen) Arbeitsbegriffes, aus der Erfahrung der Dauerarbeitslosigkeit und der zunehmenden Prekarität sowie aus einer (schon von André Gorz begründeten) utopisch-kommunistischen Perspektive der Aufhebung der Lohnarbeit, der radikalen Verkürzung der notwendigen (entfremdeten) Arbeit und einer radikalen Neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Es gibt auch kritische Argumente gegen den Linkskeynesianismus, der in der Regel von den Gewerkschaftern vertreten wird.

Manche argumentieren freilich eher von neoliberalen Positionen aus für das bedingungslose Grundeinkommen. Dazu gibt es eine Gruppe von Frauen, die in den Gewerkschaften wie in der Partei eine feministische Position vertreten, die radikale Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung als emanzipatorische Perspektive (Vier-in-einem) vertreten. Eine Partei, die sich zum Pluralismus bekennt, muss die Debatte zwischen diesen Positionen aushalten – und die Differenzen zwischen der sozialen Erfahrung, die hinter solchen Positionen steht, anerkennen. Der Streit muss allerdings bleiben; denn es ist klar, dass die Partei nach außen durch ein klares Profil – und nicht durch eine postmoderne Beliebigkeit – erkennbar sein muss. Profil zu zeigen, heißt aber keineswegs, dass dieses mit einem Anspruch auf Allwissenheit verbunden ist, sondern eher mit dem Eingeständnis, dass es im Prozess der Neugründung einer sozialistischen Linken viele offene Fragen gibt, die nicht nur theoretisch, sondern im Kampfe selbst bearbeitet werden müssen. Die Losung der Zapatisten »Wir lernen im Voranschreiten!« könnte hier durchaus Vorbild sein!

Das zweite Beispiel betrifft die Frage des politischen Streiks. Nach herrschendem Recht ist der politische Streik in Deutschland verboten. Wann immer es politische Streiks (gegen Regierungsentscheidungen) gegeben hat, waren es überwiegend die Linken in den Gewerkschaften, die sich dafür eingesetzt haben, dass in ihren Organisationen und Betrieben solche Aktionen getragen wurden. Wenn die Forderung nach der Legalisierung des politischen Streiks jetzt aus der Partei DIE LINKE – von Oskar Lafontaine an prominenter Stelle – erhoben wird, dann werden linke GewerkschafterInnen die Forderung nicht zurückweisen. Sie werden aber darauf hinweisen, dass deren Durchsetzung nur dann eine Chance hätte, wenn sie auch von den Gewerkschaften getragen wird. Sie kennen die realen Probleme, die sich schon bei der Mobilisierung der Mitglieder und Belegschaften für »normale« Streiks ergeben.

Deshalb unterstützen sie die Forderung, aber sie bleiben doch skeptisch, sollte diese nur propagandistisch verkündet werden! Allerdings haben sich einige Gewerkschaften (z.B. ver.di) und Untergliederungen von Gewerkschaften schon dafür ausgesprochen, das »Verbot« des politischen Streiks in Deutschland, das nicht durch die Verfassung, sondern nur durch ein (reaktionäres) Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus den frühen 1950er Jahren begründet ist, zu entmythologisieren und die Legalität des politischen Streiks anzuerkennen.

Fassen wir zusammen: Die Partei wirkt auf vielfältige Weise – nicht nur über ihre Mitglieder, die aktive ehren- oder hauptamtliche GewerkschafterInnen sind – in die Gewerkschaft hinein, nicht zuletzt dadurch, dass über die politische Arbeit der Partei das Bewusstsein über den Zusammenhang von betrieblicher Erfahrung auf der einen und der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus, der Polarisierung der Klassenverhältnisse, der Instrumentalisierung des Staates für die Reproduktion der kapitalistischen Ökonomie und der Klassengesellschaft (vor allem in Krisenzeiten), der Krise der Demokratie, der Barbarisierung der internationalen Politik erweitert wird. Die Bildungsarbeit der Partei, die das Wissen über solche Zusammenhänge vertieft und in historische Zusammenhänge einordnet, dient insofern auch der Qualifizierung von KollegInnen, die innerhalb und außerhalb des Betriebes (dauerhaft) wirken. Die Sozialismusdebatten in der Partei sind dabei auch deshalb hilfreich, weil sie die Tageserfahrungen in den Auseinandersetzungen zwischen Lohnarbeit und Kapital mit einer längerfristigen Perspektive der möglichen Transformationen kapitalistischer Verhältnisse verbinden. Damit ermöglichen sie einen realistischeren Blick auf die Tagespraxis; denn sie schützen vor Illusionen, die – sofern sie enttäuscht werden – nur zu schnell zum Rückzug »ins Private« führen.

Gleichzeitig gibt es zahlreiche Schnittstellen, an denen sich die Aktivitäten von Partei und Gewerkschaft berühren bzw. überschneiden. Auf der einen Seite ist es für viele Gewerkschafter Innen selbstverständlich, dass sie sich gegen Neofaschismus, für den Frieden engagieren und sich mit den Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten in der ganzen Welt solidarisieren. Auf der anderen Seite bestehen solche Schnittstellen im gesamten Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik, in denen Positionen und Forderungen der Partei und vieler Gewerkschaften ein hohes Maß an Übereinstimmung aufweisen. Vor allem im Kampf gegen Privatisierung im Gesundheitswesen, in der Wissenschaft aber auch für die Wiederaneignung der »Commons« (vor allem im kommunalen Bereich) gibt es immer wieder eine deutliche Konvergenz der Positionen. Dennoch sollte sich die Partei nicht der Illusion hingeben, dass sie als »Gewerkschaftspartei« gleichsam automatisch Erfolge erzielt; solchen Illusionen erlagen schon kleinere Parteien. Synergieeffekte werden sich erst dann einstellen, wenn Gewerkschaft und Partei die Probleme ihrer Handlungsfähigkeit und ihrer Macht im jeweiligen Handlungsfeld aus eigener Kraft zu lösen imstande sind!


Frank Deppe ist em. Professor für Politikwissenschaften an der Universität Marburg, Mitherausgeber von Sozialismus und Autor von »Politisches Denken im 20. Jahrhundert« (insgesamt fünf Bücher in vier Bänden, erschienen im VSA: Verlag Hamburg). Dieser Text beruht auf einem überarbeiteten, für die Veröffentlichung stark gekürzten Vortrag zum gleichen Thema, den Frank Deppe am 17.9.2011 bei der »LAG Hessen Betrieb und Gewerkschaft« in Giessen gehalten hat.

1 Bodo Ramelow ging 1990 als Westgewerkschafter nach Thüringen, wo er bis 1999 als Landesbezirksleiter der Gewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen (HBV) tätig war und dann in die Landespolitik als PDS-Politiker überwechselte.