Gedanken zu Sahra Wagenknechts Geldpolitik


Als FAZ-Leser weiß man nicht immer, aber manchmal mehr – etwa dass unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag gerne Goethes Faust II liest und sich auf ihn bezieht. Also zitieren auch wir an dieser Stelle hieraus:

„Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn“,

so lautet der kaiserliche Befehl in Goethes Faust II, den Mephisto nicht wie bis dato üblich mit Münz-, sondern mit Papiergeld umzusetzen sich bemüht. Goethes prognostische Fähigkeit war enorm: Münzgeld spielt kaum eine Rolle mehr, und die Schöpfung von Geld ist von überragender Bedeutung. Dabei ist das heutige Geldsystem noch vertrackter als zu Goethes Zeiten. Nicht nur gesellte sich Papiergeld zu Münzen, sondern eine weitere Geldform trat auf den Plan: das Buchgeld. Überdies wird Geld nicht nur durch die EZB geschöpft, sondern auch durch Geschäftsbanken – gleichsam aus dem Nichts.

Sahras Position

Wie nun ist Sahras Position hierzu: eher affirmativ oder eher kritisch? Klare Antwort: eher kritisch. So kritisiert sie den Entschluss,

„ungedecktes Papiergeld einzuführen, das in dieser Gesellschaft natürlich nicht für produktive Investitionen genutzt, sondern in einem dekadenten Luxusrausch verbraten wird. Am Ende bricht der Spuk zusammen, und das Land versinkt endgültig in Armut und Anarchie.“[1]

Ihr Gegenmodell ist eine Art Ordnungspolitik von links. Nicht als gut gilt dieser:

„erstens die Vergemeinschaftung der Schulden durch Eurobonds, was allerdings die Forderung nach einer Fiskalunion – also den Verlust nationaler Haushaltssouveränität – fast zwangsläufig nach sich zieht. Am Ende würde über die Ausgaben für italienische Universitäten oder spanische Arbeitslose in Brüssel oder, schlimmer, in Frankfurt oder Berlin entschieden. Aber auch die zweite ins Gespräch gebrachte Variante ist bedenklich: der bedingungslose Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB. Ein solches Fluten der Märkte mit Zentralbankgeld würde zwar nicht unbedingt Inflation, aber ganz sicher die nächste große Finanzmarktblase nach sich ziehen und den längst viel zu groß gewordenen Finanzsektor weiter aufblähen.“

Dieser Kritik an Eurobonds und Aufkauf von Staatsanleihen fügt sie ihre Alternative an:

„Der europäische Rettungsschirm EFSF müsste eine Banklizenz erhalten, was ihm ermöglichen würde, sich zinsgünstig Liquidität bei der EZB zu verschaffen. Mit diesem Geld sollten dann allerdings nicht Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt erworben, sondern niedrig verzinste Kredite direkt an die Euro-Staaten vergeben werden. Damit würde die öffentliche Hand die Hoheit über die Zinssätze zurückgewinnen – die sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit schon einmal hatte, als sich etwa die Vereinigten Staaten durch staatlich regulierte Niedrigzinsen entschuldet haben. Inflationstreibend wäre das nicht, solange sich die Kreditvergabe in einem vernünftigen Rahmen bewegt.“

Zur Banklizenz des EFSF und zur Geldmengenerhöhung

Dass Sahra sich dafür ausspricht, dass die EFSF eine Banklizenz erhält, sich günstig bei der EZB refinanziert und günstige Direktkredite an die Euro-Staaten vergibt, ist zu begrüßen. Sozialisten mit Bezug zu Keynes haben bereits seit Jahren Notenbankkredite,[2] die leider durch die EU-Verträge untersagt sind, gefordert. Dass auch Sahra als LINKE ohne linkskeynesianische Tradition nun einer Maßnahme das Wort redet, die ähnlich wie Notenbankkredite funktioniert, ist positiv.

Der von ihr erwünschten EFSF-Bank schreibt Sahra vorsorglich ins Stammbuch, dass „sich die Kreditvergabe in einem vernünftigen Rahmen“ zu bewegen habe. Als unvernünftig schwebt ihr offenbar ein Zustand vor, der sich durch „ungedecktes Papiergeld“ oder gar durch ungedecktes Buchgeld auszeichnet. Zudem befürchtet sie, dass eine Geldmengenerhöhung „die nächste große Finanzmarktblase“ nach sich zieht.

Sahras Position zu Geldmengenerhöhungen ist kritisch zu sehen. Zugegeben: Geldschöpfung ist ein merkwürdiges Ding. Gewährt eine Bank einem Kunden einen Kredit in Form eines Guthabens, so verlängert sich ‚einfach so‘ die Bilanz. Die Aktivseite der Bank erhöht sich, da sie eine Kreditforderung gegenüber dem Kunden hat. Die Passivseite erhöht sich, da das Guthaben des Kunden ein Dauerschuldverhältnis der Bank darstellt, denn sie ist nicht nur dazu verpflichtet, dem Kunden auf Wunsch Bargeld auszuhändigen, sondern für den Kunden den Zahlungsverkehr über sein Konto durch Gutschriften und Lastschriften bargeldlos abzuwickeln. Durch die Kreditvergabe wird dem Kunden die Möglichkeit gegeben, gleichsam aus dem Nichts geschöpftes Geld zu nutzen: zum Kaufen und Zahlen, aber auch zum Anlegen und Zahlen. Die einzige Restriktion, die dieser Geldschöpfung Fesseln anlegt, besteht in der Mindestreservepflicht der Geschäftsbanken. Diese müssen nämlich soundsoviel Prozent ihrer vergebenen Kredite durch Guthaben bei der EZB decken. Doch wichtig: Auch ein zweistufiges Bankensystem mit einer Zentralbank sowie einer EFSF-Bank für Staaten sowie öffentlichen und Genossenschaftsbanken für Privatkunden und Unternehmen ist in der Lage, wie geschildert aus dem Nichts Geld zu schöpfen.

Geldschöpfung aus dem Nichts ist für viele Linke eine problematische Vorstellung. Manche Linken befürchten, dass auf diese Weise Preissteigerungen drohen. Sahra geht hiervon nicht aus: zurecht. Denn in einer Zeit unausgelasteter Kapazitäten droht vielmehr eine Deflation als eine Inflation – mal abgesehen davon, dass eine höhere bundesdeutsche Preissteigerung als bisher ohnehin volkswirtschaftlich sinnvoll wäre.

Wie aber steht es um Sahras Furcht vor Blasenbildung? Dass diese kommen kann, ist nicht von der Hand zu weisen, aber die Ursache hierfür ist nicht in erster Linie in billiger Kreditvergabe zu sehen, sondern darin, dass durch Umverteilung von oben nach unten, unabgestimmten Kapazitätsausbau privater Kapitale sowie Finanzmarktliberalisierungen eine Konstellation von Überakkumulation und Unterkonsumtion eingetreten ist, bei der hohe Gewinne aus der Vergangenheit nicht real investiert, sondern als Finanzanlage eingesetzt werden. Im Umgang hiermit gibt es jedoch einen Dissens:

Wo Sarah befürchtet, dass eine großzügige Geldmengenversorgung Treibstoff für mehr Finanzanlagen darstellt, lautet die Gegenthese, dass eine großzügige Geldmengenversorgung auf dem gesamten Geld- und Kapitalmarkt tendenziell zinssenkend wirkt und so Realinvestitionen befördert, sofern der Reproduktionszusammenhang reorganisiert wird.

Reorganisation: wie und wozu?

In Fragen des „Was?“ einer Reorganisation gibt es vermutlich unter LINKEN viel Konsens: Umverteilung von oben nach unten, höhere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen, Ausdehnung öffentlicher Ausgaben und Bereiche usw. Die Einordnung dieser Reorganisation, das „Wozu?“ und „Wie?“, dürfte jedoch unterschiedlich ausfallen.

Sahra steht für eine linke Ordnungspolitik, zitiert durchaus konsequent Eucken, den Begründer des Ordoliberalismus, wenn sie sagt: „Wer den Nutzen hat, soll auch den Schaden tragen“, und stellt daher eine gute Realwirtschaft einer vermeintlich wildgewordenen Geldentwicklung gegenüber. Offenbar herrscht für Sahra so Unordnung.

Ein nicht ordnungspolitischer, sondern steuernder linker Ansatz von Wirtschaftspolitik hingegen schaut nicht nur, wo ein Motor steht und wem er gehört, sondern wie er läuft und wie er geregelt werden muss. Verteilungsziffern, Ausgabevolumina und Eigentumsformen sind sicherlich auch mit Blick auf Gerechtigkeit und Demokratie von Bedeutung; ihre Bedeutung rührt aber auch daher, dass das Rumschrauben an diesen Stellwerken wie auch an den Parametern von Preisen und Zinsen Einfluss auf die Reproduktionsbedingungen des Kapitals hat.

Eine andere Verteilungs- und Fiskalpolitik und Geldschöpfung sind Grundlage dafür, dass eine Steuerung der Ökonomie gelingt. Die sog. Realökonomie und die Finanzmärkte weisen zwar Teilautonomie auf, sind aber aufeinander bezogen. Die Finanzmärkte mit ihren Zinsanforderungen ermöglichen eine erfolgreiche Erweiterung der realen Kapitalverwertung – jedoch ohne Garantie. Per Geld als zinstragendem Kapital finanzierte Kapitalakkumulation kann eine Rendite erwirtschaften, die über oder unter dem Geldzins liegt. Liegt die Rendite drüber, hat die Geldmengenversorgung trotz der Budgetrestriktion des Zinssatzes ex post als Stimulans gewirkt. Liegt sie drunter, hat sich die Budgetrestriktion des Zinssatzes ex post als Hemmnis erwiesen. Das heißt jedoch nicht, dass zinstragendes Kapital per se Luftbuchungen gleichkommt; vielmehr stellt es „Versprechungen für und Anforderungen an die zukünftige gesellschaftlichen Wertschöpfung“ dar,[3] die eingelöst werden, aber auch scheitern können.

Diese Doppelfunktion des Kredits, als Stimulans und als Hemmnis wirken zu können, ist jedoch kein Grund, von großzügiger Geldmengenversorgung Abstand zu nehmen: „Der Staatskredit als Instrument der Nachfragesteuerung bleibt notwendig“.[4] Dabei gilt genau das Gegenteil von Sahras Befürchtung: Eine Steuerung des Gesamtreproduktionszusammenhangs setzt zum einen den „Staatskredit als Instrument der Nachfragesteuerung und zur Investierung öffentlicher Investitionen“[5] voraus. Zum anderen entspannen eine großzügige Kreditvergabe durch die Notenbank oder eine ihr nahestehende Bank und eine expansive Geldschöpfung der Geschäftsbanken die allgemeine Zurverfügungstellung von Geld und wirken flächendeckend zinssenkend.

Selbstredend ist nichts ohne Risiko. Geldmengenausdehnung kann auch bei geringen Zinssätzen mit dem Aufbau hoher Privatvermögen einhergehen, deren Verzinsungserwartungen unerfüllbar sind. Auch können so reale Kapazitäten aufgebaut werden, die sich zur geltenden Profitrate nicht verwerten lassen und unausgelastet bleiben. Die Antwort auf beide Dysfunktionalitäten: im Finanz- und industriellen Sektor, ist jedoch keine Politik knappen Geldes, sondern eine andere Primärverteilung, die Abschöpfung hoher Vermögen und Einkommen sowie eine öffentliche Steuerung von Investitionen.

Zur Kritik an Eurobonds und am Ankauf von Staatsanleihen

Dass Sahra gegen Eurobonds agitiert, ist aus zweierlei Gründen ärgerlich. Der erste Grund ist ein politstrategischer. Eurobonds sind zwar im Vergleich zu Notenbank- oder EFSF-Krediten nur eine second-best-Lösung. Im Vergleich zur bisherigen Praxis der einzelnen Finanzierung von Nationalstaaten über Kapitalmärkte sind sie jedoch trotz leicht ansteigender Zinssätze im gesamten europäischen Kapitalmarkt die deutlich bessere Praxis, da sie immer noch zu einer Verbilligung von Staatskrediten für in Not geratene Länder der EWU sorgen. Dass „in nicht allzu langer Zeit die Eurozone mit Eurobonds genau da stehen (könnte), wo Italien und Spanien heute sind“, ist ein Wagenknechtsches Ammenmärchen ohne jeden Beleg. Leider scheint dies Sahra nicht zu tangieren. Eine politische Losung, wonach EFSF-Krediten als best practice gefordert werden, zugleich aber betont wird, dass Eurobonds besser sind als nationalstaatliche Finanzierungen, kommt den meisten Linken nicht über die Lippen, obwohl solche stufenweisen Szenarien zum Kernbestandteil von Politik gehören.

Der zweite Grund ist, dass ihre Argumentation windschief ist. Eine „Vergemeinschaftung der Schulden durch Eurobonds“ führe zur Fiskalunion, diese führe zum „Verlust nationaler Haushaltssouveränität“, und dies führe dazu, dass „über die Ausgaben für italienische Universitäten oder spanische Arbeitslose in Brüssel oder, schlimmer, in Frankfurt oder Berlin entschieden“ werde.

Erstens: Eurobonds müssen keineswegs zwingend mit einer Fiskalunion kombiniert werden; sie bedeuten zunächst einmal nur, dass alle EWU-Staaten gemeinsam für die Erfüllung der Ansprüche aus den Bonds haften, und diese lassen sich durch nationalstaatliche Zuführungen, durch EU-Mittel oder durch Geldmengenausdehnung finanzieren. Wie der Ausgleich zwischen den Nationalstaaten erfolgt, ist offen.

Zweitens: Zwar muss der Ausgleich nicht, kann aber in der Tat auch durch eine EU-Fiskalunion erfolgen. Doch ist das per se ein Problem? Gibt es in der Bundesrepublik LINKE Kritik am Länderfinanzausgleich, daran, dass eine Bundesregierung auch über Ausgaben in Chemnitz und Saarbrücken entscheidet? Glücklicherweise nicht! Dass angesichts der bestehenden EU und der deutschen Dominanz Skepsis gegenüber einer europäischen Fiskalunion geübt wird, ist zwar nur zu verständlich und richtig. Eine Differenzierung fehlt jedoch bei Sahra: ‚Fiskalunion – mit mir nie‘, so wirkt es bei ihr.

Drittens: Die EFSF-Bank, die Sahra zurecht fordert und die immerhin das Zinsniveau der Staatsschuldfinanzierung festlegt, ist ebenfalls eine europäische Institution. Wo bleibt hier die Skepsis? Darauf, dass Staaten, aber auch supranationale Instanzen gesellschaftlich umkämpfte Felder sind, ist offenbar deutlich hinzuweisen. Wenn hier Entscheidungen gefällt werden, die aus linker Sicht inakzeptabel sind, muss eine LINKE diese ablehnen und braucht sich dafür auch keineswegs den Vorwurf der Europafeindlichkeit anzuziehen. Wenn die Entscheidungen aber richtig sind, kann man auch zustimmen. Dass manche Entscheidungen wegen ihrer Tragweite von erheblicher Schwierigkeit sind, sei sofort zugestanden, aber der Komplexität einer Entscheidung lässt sich dennoch nicht durch eine pauschale Antwort begegnen.

Problematisch ist auch Sahras Kritik am Ankauf von Staatsanleihen. So wahr es ist, dass der Ankauf auch die Reichtumsposition von Kapitalmarktteilnehmern stützte, so wahr ist es, dass diese Politik der EZB richtig war, da sie einer Steigerung der Zinsen von bedrohten EWU-Ländern entgegengewirkt hat und noch immer entgegenwirkt.

Ein Abbau der drückenden Vermögen, den wir – hier Konsens – tatsächlich brauchen, ist über eine andere Primärverteilung sowie über Abgaben auf hohe Einkommen und Vermögen zu erzielen. Eine lockere Geldpolitik stützt hier, statt zu hemmen.



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[1] Wagenknecht, Sahra: Europa in der Krise. Schluss mit Mephistos Umverteilung!, in: FAZ vom 08.12.2011, URL: http://snipurl.com/214bcwr. Alle Zitate ohne Zitation sind diesem Text entnommen.

[2] Vgl. Recht, Alexander: Grundregeln der Staatsverschuldung, URL: http://linksnet.de/de/artikel/19465.

[3] Wendl, Michael: Linke Wirtschaftspolitik als Tugendlehre, in: Sozialismus 12/2011, S. 66, URL: http://linksnet.de/de/artikel/27106.

[4] Ebenda.

[5] Ebenda.