Rechtspopulistisches Entwicklungsland?

Hohe Zustimmungswerte – geringe Bindungskraft – fehlende Modernisierung

in (30.10.2011)

In vielen europäischen Ländern haben rechtspopulistische Parteien politisch punkten und sich zum Teil etablieren können. Deutschland erscheint hinsichtlich des Rechtspopulismus als Entwicklungsland. Warum eigentlich?
Im Westen Europas hat die extreme Rechte seit einigen Jahren einen propagandistischen Transformationsprozess durchlaufen. Sie tritt mehrheitlich mit kulturreligiös verklausulierten rassistischen Ressentiments in Erscheinung oder präsentiert sich als „heimisch-soziale Fürsorgekraft“ mit antieuropäischer Stoßrichtung. Mit bestimmten rechtskonservativen Parteien und Bewegungen eint sie eine populistische Form der politischen Inszenierung, bei der das Feindbild Muslime als eine der zentralen inhaltlichen Klammern fungiert. Dabei stellen die von diesen Formationen geäußerten Vorbehalte gegenüber Muslimen vor allem eine Metapher für die Agitation gegenüber Zuwanderung aus dem außereuropäischen Raum im Allgemeinen dar.

Die extreme Rechte in Deutschland übt sich in einer national nachzuholenden Entwicklung. Spätestens seit der Sarrazin-Debatte wird aber auch hierzulande die Frage um den Platz einer neuen Rechtsaußenpartei heiß diskutiert: 18 Prozent der Bundesbürger würden eine Sarrazin-Partei wählen, so lautete das Ergebnis einer Emnid-Umfrage im September des Jahres 2010. Der rechte Rand kürte den Bestseller-Autor zum „nationalen Dammbrecher“ und versuchte, in dessen Fahrwasser politisch auf Erfolgskurs zu schwimmen. Einen Monat später startete in Berlin der CDU-Abtrünnige Rene Stadtkewitz mit Gründung der Freiheit den Versuch, als zeitgeistkonforme Partei zu punkten und warb bei Sarrazin um Mitwirkung. Doch der ehemalige Berliner Finanzsenator blieb lieber bei der Partei, die ihm seinen langen beruflichen Werdegang als staatlich alimentierten Gutverdiener ermöglichte und in welcher er immer noch prominente Fürsprecher hat. Der zum Messias der Rechten erkorene Sozialdemokrat zeigte seiner neuen Anhängerschaft – parteipolitisch – die kalte Schulter.


Einstellungen und Wahlverhalten

Die antimuslimische Karte der Rechtsaußenparteien hat bei der Berliner Wahl (Die Freiheit 1,0 Prozent; pro Deutschland 1,2 Prozent) nicht gestochen. Aus vielen Studien geht hervor, dass zwischen der Verbreitung rassistischen Gedankenguts und Wahlstimmen für eine Rechtsaußenpartei unterschieden werden muss: Nicht jeder vorurteilsbehaftete Mensch wählt automatisch Rechtsaußen. Hierzulande sehen die rechts-affinen Bevölkerungsteile zum politischen Establishment aktuell noch keine wählbare Alternative. So haben die Deutschen laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe „Religion und Politik“ an der Universität Münster im Vergleich mit den europäischen Nachbarn ein intoleranteres Verständnis gegenüber anderen Religionen. 58 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen haben laut Studie eine negative Haltung gegenüber Muslimen. Der Vergleichswert liegt laut Studie in den Niederlanden und in Dänemark, wo rechtspopulistische Parteien erheblichen Einfluss haben, hingegen bei 36 Prozent. Andere Studien verorten dagegen die Muslimfeindlichkeit in Deutschland in einem europäischen Mittelmaß.

Weitere Untersuchungen aber vervollständigen das hässliche Bild vom ressentimentgeladenen deutschen „Untertan“, wie es die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgebrachte Untersuchung „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ exemplarisch aufzeigt: Die Einschränkung der Religionsausübung für Muslime in Deutschland fordern laut Studie 58,4 Prozent der Bevölkerung. Mehr als 30 Prozent sehen sich durch „die vielen Ausländer“ in Deutschland „in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Auch die Einstellung großer Bevölkerungsteile zur Demokratie ist laut Studie mehr als bedenklich: Jeder vierte Befragte wünscht sich laut der Umfrage eine „einzige Partei, die die „Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ und hält eine Diktatur für „die bessere Staatsform“.

Offensichtlich finden aber auch Wähler mit extrem rechten Einstellungen im etablierten Parteienspektrum immer noch wählbare Angebote. Hierzu liefern die Vertreter etablierter Parteien auch reichlich Anlass: CSU-Parteichef Horst Seehofer bemühte sich in der Hochphase der Sarrazin-Debatte darum, mit stumpfen Parolen gegen „weiteren Zuzug von Ausländern“ seine Partei populistisch als Sarrazin-kompatibel zu inszenieren und bediente damit das ewig nachwirkende Diktum des seligen Franz Josef Strauß, wonach es „rechts neben uns keine demokratisch legitimierte Partei mehr geben“ dürfe. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte nahezu zeitgleich „Multikulti für gescheitert.“ Dies war nicht als Aufforderung zur verstärkten Anstrengung für soziale Integrations- und Fördermaßnahmen zu verstehen. Es war die Absage an das Bekenntnis zur multikulturell verfassten Einwanderungsgesellschaft und die Anbiederung an die Parolen von der „deutschen Leitkultur“ des rechten Parteiflügels.

Doch es sind nicht bloß die konservativen Rechten, die rechtspopulistische Ressentiments bedienen: In der SPD wurde das peinlich gescheiterte Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin begleitet von Sarrazin-kompatiblen Parolen in der Parteispitze. So bekundete Parteichef Siegmar Gabriel in populistisch-anbiederndem Ton: „Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt“, könne „nicht in Deutschland bleiben“. Gabriel stieß damit ins gleiche Horn wie früher Gerhard Schröder, der schon 1997 den rechten Stammtisch mit den Worten bediente: „Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell!“ Die Kritik an Sarrazins offensichtlichen Euthanasie-Fantasien, die vom Establishment vehement abgelehnt wurden, ist dabei geradezu eine Notwendigkeit, um andere seiner Forderungen zu retten. Der Berliner Bezirksbürgermeister und Sarrazin-Kritiker Heinz Buschkowsky wird gerne herumgereicht, wenn es um die Diskussion von „Integrationsproblemen“ geht, weil er autoritär-repressive Lösungsangebote von Zuwanderungsproblemen und sozialen Konflikten anbietet und dabei Stimmungen trifft, die tief in sozialdemokratischen wie gewerkschaftlichen Milieus verankert sind.

Bei der „linken Konkurrenz“ der Sozialdemokratie muss nicht erst wieder auf die berüchtigten populistischen Sprüche von Oskar Lafontaine über die vielen „Fremdarbeiter“ verwiesen werden, um auf eine auch dort existente unappetitliche Mischung aus nationalem und sozialem Heilsversprechen gepaart mit fremdenfeindlichem Ressentiment zu stoßen: Laut einer im Frühjahr dieses Jahres in der Wochenzeitung Freitag veröffentlichten Forsa-Umfrage stimmen im Vergleich zu anderen Wählergruppen überdurchschnittlich Wähler der Linkspartei folgenden Einstellungen zu: „Der Islam ist eine Bedrohung unserer Werte“ oder „Deutschland gibt zuviel Geld nach Europa“. Die Aussage, „die Zuwanderung nach Deutschland sollte drastisch reduziert werden“, erfährt bei Linkspartei-Wählern gar eine Zustimmungsquote von 61 Prozent. Das erklärt vielleicht die Skurrilität bei der Bürgermeisterwahl in der sächsischen Kleinstadt Kamenz: Der dortige frühere Bürgermeister der Linkspartei, der inzwischen aus der Partei ausgeschlossene Arnold Bock, hatte jüngst bei der Wahl Werbung für den Kandidaten der rechtspopulistischen Bürgerbewegung pro Sachsen, Henry Nitzsche, gemacht.

Bei der FDP wiederum ist es nicht nur der immer schon existente nationalliberale Parteiflügel, der angesichts des drohenden politischen Untergangs mit der nationalen Karte trumpfen will. Parteichef Philipp Rösler selbst bediente kurz vor der Berlinwahl deutlich antigriechische wie antieuropäische Ressentiments, um populistisch doch noch punkten zu können. Der Titel des jüngst veröffentlichten Buchportraits, „Glaube, Heimat, FDP“, deutet den gewünschten Adressatenkreis seiner Vorstellung von politischem Liberalismus an.

Die Grünen hingegen erscheinen in den Umfragen hinsichtlich der aufgeworfenen Problematik erst einmal als politische Ausnahme. Ein propagandistisches Spezifikum des Rechtspopulismus – „wir da unten“ gegen die politische, kulturelle und ökonomische Elite – greift bei den Grünen- Wählern nicht, da diese meist selbst den bessergestellten sozialen Milieus entstammen. Im wirtschaftsliberalen grünen Milieu und in der Anhängerschar der „Pizza-Connection“, den grün-schwarzen Bündnisanhängern, sind dem Bekenntnis zu Weltoffenheit und zu internationaler Solidarität allerdings deutliche sozialkulturelle und vor allem klassenspezifische Grenzen gesetzt.

Es existiert in Deutschland quer durch die politische Parteienlandschaft hindurch eine medial stark begleitete Stimmungslage, welche die genannten Einstellungsmuster sowohl produziert und zugleich wieder als Wählerstimmen wie ein Schwamm politisch aufsaugt. Für kapitalkompatible staatliche Diskriminierungsmaßnahmen wie die faktische Abschaffung des Asylrechts, die „Agenda 21“ oder den „Muslim-Test“ bedurfte es hierzulande bislang keiner neuen rechtspopulistischen Partei. Das rechtspopulistische Milieu und die rechten Ränder der etablierten Parteien haben hierzulande noch nicht offen aufbegehrt gegen den politischen Mainstream, die viel beschworene „Krise der Volksparteien“ scheint hier noch nicht so fortgeschritten wie in den Nachbarländern. Das rechtspopulistische Potenzial in Deutschland scheint trotz gegenteiliger Umfragen bislang immer noch in das vorherrschende Parteiengefüge eingebunden zu sein.


Parameter rechtspopulistischer Modernisierung


Die extreme Rechte in Deutschland ist immer noch heillos zersplittert. Zudem ist dieses Spektrum im öffentlichen Diskurs immer noch – real durchaus begründbar – vom NS-Stigma geprägt. Die erfolgreich modernisierten Rechtsaußenparteien in europäischen Nachbarländern hingegen ziehen ihre Erfolgsmöglichkeiten aus der taktischen Hinwendung zur Demokratie als Sprungbrett zu deren machtpolitischen Revision. Zur stichwortartigen Kennzeichnung können die in der Tabelle (obem) erfassten Unterscheidungsmerkmale benannt werden.

Die so genannte Islam-Kritik dient der modernisierten extremen Rechten in Europa zur Immunisierung gegenüber Vorwürfen, rassistisch zu sein. Denn diese „Islam-Kritik“ ist nicht durch legitime – und notwendige – Auseinandersetzung mit Demokratie- und Emanzipationsfeindlichkeit sowie religiösem Fundamentalismus gekennzeichnet, sondern durch rassistische Abwertung von Muslimen. Das eigentliche Feindbild, die interkulturell verfasste Einwanderungsgesellschaft, kann dadurch mit scheinbar „aufgeklärten“ Argumenten propagandistisch wirksamer bedient werden. Hier liegt der wesentliche Erfolgsgarant rechter Modernisierung: War die traditionelle extreme Rechte noch geprägt von der offenen Ablehnung des Prozesses der Aufklärung, des Liberalismus, des Marxismus und der gesellschaftlichen Emanzipation, so munitioniert sich deren modernisierte Variante mit den Argumenten „halbierter Aufklärung“: Freiheitsrechte und Mitbestimmung? Ja – aber bitte nicht für „Kulturfremde“! Mit taktisch motivierter selektiver Inanspruchnahme individueller Freiheitsrechte, von der Glaubensfrage über die sexuelle Orientierung bis hin zum Feminismus, vollzieht die modernisierte Rechte argumentativ eine Einbindung des sich tendenziell liberal-demokratisch verstehenden Milieus bürgerlicher Mittelschichten, bei dem angesichts der ökonomischen Krise Ängste vor sozialem Statusverlust manifest werden.

Der rechte Rand in Deutschland hat diesen Modernisierungsschub bislang noch nicht vollzogen. Fehlende inhaltliche wie personelle Neuaufstellung ist der Grund für die Unfähigkeit dieses Lagers, die rechtspopulistische Lücke füllen zu können. In der neoliberalen Rechten hingegen werden solche Optionen lauter: Ex-BDI-Chef Olaf Henkel betonte jüngst, falls die FDP nicht zu einem scharfen Anti-EU-Rettungskurs bereit sei, stünde er für eine neue Partei „zur Verfügung“. Zwar strahlt auch Henkel den populistischen Charme der Bourgeoisie nicht mehr richtig aus, doch die Signale zeigen, dass der Wunsch nach neuen rechten Formationen nicht aufgegeben worden ist.

Der Artikel erschien in der Ausgabe #45 der LOTTA - antifaschistische Zeitung aus NRW, RLP und Hessen, Bestellungen unter lotta-vertrieb@nadir.org