Nicht nur ein Thema für Nerds

Ansgar Oberholz über Netzpolitik, die Arbeitswelt und das Grundeinkommen

Wir treffen Ansgar Oberholz vor seinem Café St. Oberholz, wo schon
viele Gäste hinter aufgeklappten Laptops bei einem Heißgetränk sitzen.
Das Interview führen wir dann allerdings doch in der Hotellounge
gegenüber. Von dort aus hat man auch einen wunderschönen Blick auf die
Markisen des St. Oberholz, die nicht nur retro aussehen, sondern
tatsächlich aus Vorwendezeiten stammen, und auf die für das Oberholz
typischen Sprüche, wie „Das Leben ist kein Ponyhof."

prager frühling: Schon viele Feuilletonartikel haben
versucht, die typische St. Oberholz-Kundin, den typischen Vertreter der
digitalen Boheme zu beschreiben. Uns interessiert, welche Leute kommen
nicht ins St. Oberholz?

Ansgar Oberholz: Es gibt Menschen, die lehnen es ab, dass in
gastronomischen Räumen Menschen an Laptops sitzen. Die kommen nicht zu
uns. Es sei denn aus voyeuristischem oder ethnologischem Interesse, um
dieses Phänomen, Arbeiten am Laptop im Café, zu besichtigen.

pf: In manchen Zugrestaurants sind ja jetzt Laptops verboten.

Oberholz: Eine interessante Entwicklung. In den USA gibt es
eine richtig breite Rückbewegung, in Restaurants — sogar im Silicon
Valley — werden Laptops auf den Tischen verboten. Der Hintergrund davon
ist jedoch ein wirtschaftlicher: Normalerweise haben die Businessleute
in der Mittagspause wenig Zeit, weswegen die Verweildauer kurz
ausfällt. Dadurch konnte ein Tisch mehrfach besetzt werden. Als dann
der Laptop dabei war, hat sich die Verweildauer erhöht und das war
schlecht fürs Geschäft.

pf: Dieses Interview wird in der Rubrik Leckerbissen
abgedruckt, deswegen mal eine kulinarische Frage: Was ist das meist
bestellte Getränk im St. Oberholz?

Oberholz: Ganz klischeehaft: Der Latte Macchiato und Club
Mate. Der Latte ist wohl auch deshalb so beliebt, weil es länger dauert
ihn zu trinken und damit eine längere Verweildauer gerechtfertigt ist.
Viele Gäste sitzen ja bei uns stundenlang an ihren Laptops. Bei denen
verschwimmt Arbeit und Freizeit. Sie arbeiten hoch konzentriert an
Projekten und zwischendurch wird zur Entspannung mal gesurft oder bei
Facebook vorbeigeschaut. Natürlich kann man fragen, ob das immer gesund
ist. Sicherlich trifft man hier auch das Thema Selbstausbeutung an.

pf: Wie ist das bei Dir? Wie viele Stunden arbeitest Du für das Oberholz?

Oberholz: Bei mir ist das genauso, ich trenne nicht zwischen
Freizeit und Arbeit. Ich unterscheide eher zwischen Zeiten, in denen
ich online, und Zeiten, in denen ich bewusst offline bin. In Stunden
kann ich das aber nicht genau sagen. Das mag auch daran liegen, dass
mir meine Arbeit viel Spaß macht. Ich quasi während meiner Arbeit Dinge
tun kann, die ich gerne mache.

pf: Vielen fällt es immer noch schwer, solche Tätigkeiten
als Arbeit anzuerkennen. Woran denkst Du, wenn Du Plakate siehst, auf
denen GUTE Arbeit gefordert wird?

Oberholz: Ich denke an Frithjof Bergmann, der mal gesagt
hat, Sex müsse schon verdammt gut sein, um mit guter Arbeit
konkurrieren zu können. Da steckt viel Wahrheit drin. Ich würde allen
Menschen wünschen, dass sie sich so bei ihrer Arbeit entfalten können,
wie ich und wie es viele unserer Gäste können. Es ist natürlich naiv zu
glauben, dies sei überall und aus jeder Schicht heraus möglich. Als
das Buch „Wir nennen es Arbeit“ über die digitale Boheme herauskam, gab
es daran viel Kritik. Eins hat die Kritik jedoch vergessen: Die
Projektarbeit als Freelancer, so wie es dort beschrieben wird, das geht
eine zeitlang, aber für immer ist es schwer.

pf: Ist das St. Oberholz eher ein lebenskultureller oder auch ein politischer Raum?

Oberholz: Beides. Wir halten uns strikt aus der
Parteipolitik raus, ich habe auch schon mehrere Anfragen für
Wahlveranstaltungen abgesagt. Aber es gibt bei uns z. B. einen
netzpolitischen Stammtisch. Und Netzpolitik ist nicht nur ein Thema für
Nerds, denn im Netz spiegeln sich die Machtverhältnisse und der
Generationenkonflikt wieder.

pf: Was ist netzpolitisch die Dir wichtigste Forderung?

Oberholz: Die Neutralität des Netzes muss garantiert werden
und das Leistungsschutzgesetz darf nicht so durchkommen. Wir müssen
Wertschöpfung neu denken. Es besteht die Gefahr, dass die freien
Dienste zurückgedrängt werden.

pf: Und jenseits der Netzpolitik?

Oberholz: Wenn ich mich für was politisch engagieren würde — dann für das Grundeinkommen.

pf: Oha, darüber diskutieren wir auch mit Begeisterung …

Oberholz: Ja, dadurch würde sich eine bisher unvorstellbare
Produktivität entfalten. Es ist dramatisch, dass das BGE
parteipolitisch nirgendwo verankert ist. Eigentlich müsste man denken,
dass dies von links befördert wird. Die Gewerkschaften hätten dann
positive Themen, nicht nur traurige Abwehrkämpfe.

pf: Nicht nur die Arbeitswelt verändert sich, sondern auch
Berlin. Der Platz auf den wir schauen, hat sich z. B. rasant verändert.
Wie sollte sich Berlin weiterentwickeln?

Oberholz: Ich bin da nicht so sentimental. Veränderung
gehört dazu. Berlin wird immer internationaler und das tut der Stadt
gut. Allerdings einige wenige Dinge könnten doch konserviert werden.
Hier am Platz sind die Mieten in wenigen Jahren in die Höhe geschnellt.
Das kann man nicht komplett verhindern, aber es wäre gut, wenn sie sich
nur so entwickeln, dass Projekte und Konzepte auch weiter
funktionieren können. Keine Ahnung, welches konkrete Instrument die
Stadtpolitik dafür hätte. Das St. Oberholz beispielsweise kann
jedenfalls nur weiter existieren, weil wir einen aufgeschlossenen
Vermieter haben, der sehr interessiert an unserem Konzept ist und dem
es eben nicht egal ist, wer seine Gebäude nutzt