Gentechnik-kritische Bewegung in Europa feiert großen Erfolg

Die Gentechnik-Regulierung in der Europäischen Union steht vor einem radikalen Wandel: Geht es nach Parlament und Kommission der EU, dann haben die Mitgliedstaaten in Zukunft deutlich erweiterte Möglichkeiten zu entscheiden, ob gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auf ihrem Territorium angebaut werden oder nicht. In seiner Sitzung am 5. Juli hat das Europäische Parlament (EP) einen Vorschlag der Kommission für die Re-Regionalisierung der Anbau-Entscheidung für GVO mit weitreichenden Änderungen angenommen. Das wurde insbesondere von Verbänden, die sich für eine ökologische und nachhaltige Landwirtschaft einsetzen, einhellig begrüßt. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft: „Mit der Entscheidung hat das Parlament den lückenhaften Vorschlag der EU-Kommission zu nationalen Anbauverboten von Gentech-Pflanzen deutlich verbessert. Die Mitgliedstaaten erhalten endlich Rechtssicherheit".

Die Entscheidung gegen den Anbau wird - sollten sich die Vorstellungen des Parlaments durchsetzen - auch in Zukunft nicht völlig frei sein. Die Mitgliedstaaten werden ihre Einschränkungen oder Verbote auch weiterhin gegenüber der Europäischen Kommission begründen müssen. Die Spielräume dafür sollen sich jedoch deutlich erweitern. Bisher war den Mitgliedstaaten das Verbot eines in der EU für den Anbau zugelassenen GVO in den eigenen Grenzen nur über den Umweg der so genannten Schutzklausel der Freisetzungsrichtlinie möglich.(1) Diesen Umweg hatte zum Beispiel Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) 2009 bei ihrem Verbot des gv-Mais MON810 gewählt.(2)

Ökologische Argumente haben Gewicht

Die wichtigste vom Parlament vorgenomme Änderung an dem Vorschlag der EU-Kommission besteht darin, dass mögliche Verbote und Einschränkungen in Zukunft auf die Artikel 191 und 192 des Lissabon-Vertrages gestützt werden sollen.(3) So sollen Umweltaspekte einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen. Bisher ist die Basis für die Freisetzung von GVO der freie Warenaustausch zwischen verschiedenen Regionen oder Ländern der EU (Artikel 114).

Grundsätzlich soll das System der gemeinschaftlichen Zulassung von GVO beibehalten bleiben. Es soll aber nach Meinung der EU-Kommission verbessert werden. Das hatte der EU-Umweltministerrat bereits im Dezember 2008 gefordert. In diesem Zusammenhang betont das Parlament ergänzend den freien Zugang zu den GVO, um damit eigene Untersuchungen durchführen zu können. Bisher ist dieses Material weder für die EU-Behörden noch für die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten uneingeschränkt verfügbar.

Um den Anbau von GVO auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet einzuschränken beziehungsweise zu verbieten, dürfen die Mitgliedstaaten in Zukunft ökologische Argumente nutzen, die über die in dem gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren genannten hinausgehen. Besteht zum Beispiel die Gefahr, dass der Einsatz der GVO zu „einer Resistenzbildung bei schädlichen Pflanzen und Tieren gegenüber Pestiziden" führt, dürften diese GVO verboten werden. Ein weiterer Aspekt könnte der Schutz der „lokalen biologischen Vielfalt, einschließlich bestimmter Lebensräume und Ökosysteme, sowie bestimmter Natur- und Landschaftselemente" oder „fehlende oder unzureichende Daten zu den potenziellen schädlichen Auswirkungen auf die lokale oder regionale Umwelt (...) eines Mitgliedstaats" sein.

Auch sozioökonomische Gründe sollen von den Mitgliedstaaten genutzt werden können.(4) Hier stehen erweiterte Möglichkeiten zum Schutz vor Kontaminationen konventioneller und ökologischer Produkte mit GVO im Zentrum der Stellungnahme des Parlaments. Stellt sich für bestimmte GVO zum Beispiel heraus, „dass Koexistenzmaßnahmen undurchführbar oder mit hohen Kosten verbunden sind", können diese verboten werden.

In den Tagen vor der Abstimmung hatte sich ein gutes Dutzend von Umweltorganisationen, landwirtschaftlichen Verbänden und anderen Gentechnik-kritischen Gruppen mit einem Offenen Brief an die Abgeordneten des EP gewandt, um sie über Lepages Argumente und Vorstellungen zu informieren.(5) Auch mobilisierten sie Bürgerinnen und Bürger, ihren Abgeordneten zu schreiben. Allein aus Deutschland wurden mehr als 60.000 eMails an Abgeordnete geschickt.

Christof Potthof ist Mitarbeiter des GeN und Redakteur des GID.

 

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Quelle:

Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen und die vom Parlament in ers­ter Lesung angenommenen Texte finden sich im Netz unter: www.kurzlink.de/gid207_c

Fußnoten:

(1)            Artikel 23 der Freisetzungsrichtline 2001/18/EG.

(2)            Siehe zum Beispiel „Der Teufel steckt im Detail", GID 205, April 2011.

(3)            In Artikel 191 heißt es zum Beispiel: „Die Umweltpolitik der Union (...) beruht auf den       Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung". Im Netz unter: www.dejure.org/gesetze/AEUV/191.html.

(4)            Die in dem Beitrag von Armin Spök in diesem Heft dargestellten Diskussionen zu den sozioökonomischen Aspekten bezieht sich im Gegensatz zu den hier genannten Plänen auf deren Berücksichtigung bei der gemeinschaftlichen Zulassung von GVO.

(5)            Der Offene Brief im Netz unter: www.kurzlink.de/gid207_d.