Obama & Osama

in (18.07.2011)
Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, teilte US-Präsident Barack Obama mit, Osama bin Laden, der mutmaßlich Hauptverantwortliche für die Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, sei durch US-Spezialkräfte erschossen worden. War nun der „Kampf der Kulturen“ zu Ende? Aber den hatte nicht bin Laden verkündet,
sondern der US-amerikanische Außenpolitik-Denker Samuel
Huntington. Dann der Hinweis, Osama sei schon zuvor politisch
tot gewesen; die arabischen Revolutionen hätten den
politischen Schwerpunkt auf Menschenechte und Demokratie
verlegt. „Heiliger Krieg“ war gestern.
Dann gab es Bilder: Obama im Weißen Haus, wie er am Monitor
der Erschießung Osamas zuschaut, Obama am Ground Zero,
wo er bejubelt wird. Osama bin Laden wurde erschossen,
nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt. Im Wahlkampf
hatte Obama erklärt, er wolle die extra-legalen Formen der
Kriegsführung abschaffen: kein Entführen vermeintlicher
Terroristen mehr und deren Verbringen in Drittländer, um sie
dort ordentlich durchfoltern zu lassen; Schließung des Sondergefängnisses
in Guantánamo und Überstellung der dort Inhaftierten
vor ordentliche Gerichte, bei denen es rechtsstaatliche
Beweisaufnahme, Anklage und das Recht auf Verteidigung
gibt. Hernach wurde es still. Guantánamo gibt es immer
noch. Zwischenzeitlich hat Präsident Obama den Befehl
zum Einsatz von Drohnen, also unbemannten bewaffneten
Flugkörpern, gegen Personen gegeben, die vorgeblich Terroristen
sind. Das erfolgte bisher in Jemen, Afghanistan und
Pakistan. Beobachtet man die Einschläge im Libyenkrieg, soll
auch Gaddafi auf diesem Wege liquidiert werden. Drohneneinsatz
ist die Anweisung zum Mord von Staats wegen, unter
Weglassung aller Rechtsstaatlichkeit: Der Ermordete ist tot,
ohne dass er auch nur die Möglichkeit hatte, dass ein Gericht
über seine Schuld befinden kann.
Parag Khanna, der neue Star der geopolitischen Analyse, der in
den USA in die Fußstapfen von Kissinger und Brzezinski tritt
und als ein Berater von Obama gilt, liefert den theoretischen
Unterbau. Sein zweites Buch trägt den Titel: „Wie man die
Welt regiert. Eine neue Diplomatie in Zeiten der Verunsicherung“.
Die militärische Intervention in Nordafrika sei
„nützlich“, befand er in einem Interview. Die Länder im
Nahen Osten und in Nordafrika seien jedoch sehr unterschiedlich.
Man müsse in jedem Fall anders entscheiden.
„Gaddafi? Ehrlich gesagt, ich hätte ihn vor einem Monat
ermordet.“ Er sei „sehr für Attentate gegen Terroristen … und
ich bin für Tyrannenmord. Ich blicke auf unsere Probleme
nicht mit religiösen Gefühlen. Ich mache eine pragmatische
Kosten-Nutzen-Analyse. Im Buch sage ich: Die Entmachtung
schlechter Regierungschefs – ihre gewaltsame Absetzung
–, ohne dabei moralisch integre Menschen zu schädigen, ist
der Schlüssel zu einer besseren Regierungsführung in vielen
Gesellschaften“ (Berliner Zeitung, 02./03.04.2011).
Deren Ermordung jenseits eines Urteils wäre jedoch eine
Unrechtstat, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun hat.
Wer sind denn die „Terroristen“ und die „Tyrannen“, die zum
Abschuss freigegeben sind? Das stellt dann kein Gericht fest,
sondern Parag Khanna, Barack Obama oder der CIA-Agent,
der mit der Ausführung beauftragt ist. Wie beim Einsatz von
Drohnen ist dies die Anweisung zum Mord von Staats wegen,
das Gegenteil von Rechtsstaatlichkeit. Die Abschaffung von
Freiheit und Menschenrechten erfolgt im Namen von Freiheit
und Menschenrechten.
Hier tritt uns ein liberaler Imperialismus entgegen. Die Welt
aber würde noch unberechenbarer. An die Stelle von „Demokratisierung“
und „Regime Change“ mittels brutalem Militärüberfall
in aller Öffentlichkeit, wie bei US-Präsident Bush jun.
gegen Irak, tritt der staatlich, aber insgeheim angeordnete und
durchgeführte Meuchelmord. Der drohende Staatsbankrott der
USA wurde zunächst als Anlass gesehen, die Rüstungsausgaben
zu reduzieren und weitere Aufrüstungsprogramme zu streichen
bzw. einige der über 700 Militärstützpunkte in aller Welt zu
schließen. Jetzt zeigt sich, dass die Welt nicht friedlicher wird.
Statt der Kampfflugzeuge und der Marschflugkörper werden
unbemannte Drohnen und Mordkommandos geschickt. Sie
sind preiswerter. Die Leiche Osama bin Ladens wurde am Ende
ins Meer geworfen, ohne Gerichtsurteil.