Von Revanche zur Gegengabe

Elisabeth Scharangs österreichisch-ungarische Holocaust-Kinofarce Vielleicht in einem anderen Leben

in (26.05.2011)
April 1945 über Niederösterreich: Ein US Air Force-Pilot wirft Kaugummipapier aus seinem Cockpit; es segelt zur Erde, in die Hand eines jener ungarischen Juden, die grade von SS und Dorfleuten nach Mauthausen getrieben werden. Ähnlich wie  Forrest Gump (mit seiner Feder) beginnt Vielleicht in einem anderen Leben mit der Doppelung von Wunder und „geworfener" Materie im Bild des schwebenden Futzels. Für das Bild des NS-Judenmordes in dieser ORF-Koproduktion ist das programmatisch.
Das Papier aus Amerika/vom Himmel verweist auf ein Schlupfloch in eine Wunderwelt der Rettung. Der Ungar, dem es zufiel - vor seiner Deportation Operettentenor - sagt: „Die Welt will uns töten, also müssen wir so tun, als wären wir in einer anderen." Irrealisierung qua Inszenierung, ein Standardmotiv neuerer Holocaust-Spielfilme. Wenn der Mann genussvoll am Kaugummipapier riecht, ist damit das Thema „Subjektwerdung durch Genießen" etabliert. Um die mit ihm Deportierten aufzumuntern, ruft der Tenor: „Wir können krepieren wie Ratten - oder Musik machen!" Also beginnen die in einen Stadel Gepferchten, die Erfolgsoperette Wiener Blut einzustudieren.
Das ist als improvisierter Schlupfweg in die Wunderwelt gemeint - und doch mehr als Eskapismus. Scharangs Film fehle, so Siegfried Mattl in seiner Kritik, Reflexion auf die Rolle von Filmoperetten wie Wiener Blut im NS-Propagandabetrieb. Mehr noch: Dass der Film impliziert, erst Wiener Blut mache Menschen zu solchen (und nicht bloß Ratten!), ist in diesem Kontext fatal. Auch wenn das nicht rassenbiologisch zugespitzt ist, wie im Wiener FPÖ-Wahlkampf - einen Vitalismus intensiver Gefühle teilt die Farce von 2011 mit der Filmoperette von 1942: Musik spendet unmittelbar Leben („Blut... Saft... Kraft... Mut"), in Gegensatz zu einem Nicht-Leben, das in kalten Formen gefangen ist: in Kleinstaatlerei und Etikette (so zeigt es Wiener Blut) bzw. in herzloser Kälte (so zeigt es Scharang). Diese Kälte durchbricht eine Bäuerin, die den im Stadel Hungernden Brot und Suppe bringt. Zum Dank bietet der Tenor an, Wiener Blut für sie zu spielen.
Die Fälscher ist jener Holocaust-Erfolgsfilm, an den Vielleicht in einem anderen Leben sich am offensichtlichsten anlehnt (zumal im Dialog über die Stofflichkeit von Suppe). Es geht um Doppelungen von Wunder und fühlbarer Materie: Die Fälscher konterte den Massenmord im Zeichen der Fälschung, Inszenierung durch Kreativarbeiter; Schindlers Liste hielt dem Holocaust eine Kino-Ontologie der Liste als Gedächtnis-Bildung entgegen; und Tarantino stellte NS-Geschichte ins Zeichen eines Archivs, das sich als sabotierbarer Bildbestand materialisiert. Doch Scharang (von der es bessere Filme über NS-Verbrechen gibt) zielt nicht auf Jewish revenge, sondern auf jüdische Dankbarkeit - und Richtung Revanche. So hieß Götz Spielmanns Neo-Heimatfilm, in dem das Traumpaar Johannes Krisch/Ursula Strauss - bei Scharang Bauer und Bäuerin - ein Drama um Verlust und Wieder-Zulassen von Gefühlen absolvierte. Und nun: Holocaust als Setting einer Paartherapie, bei der Herr und Frau Österreicher zu sich und einander zurückfinden; sie spielt wieder Zither, er holt die alte Ziehharmonika raus und lässt Tränen zu. Sogar Sex gibts wieder. Wellnesskultur als Heilung vom National(sozial)ismus hinzustellen, damit ist dieser Film nicht allein; aber so wie er Vitalitätstherapeutik und Wirklichkeitstranszendenz engführt, das lässt der Geschichte besonders wenig Raum.



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Frühjahr 2011, „smrt postnazismus".