Der Teufel steckt im Detail

Ringen um das Verbot des gv-Mais MON810

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat zwei Forschende eingeladen, um sich über die Wirkung von gentechnisch veränderten Pflanzen auf Nicht-Zielorganismen auszutauschen. Ob es dabei auch darum ging, der Aufhebung des Verbots von MON810-Mais den Boden zu bereiten, bleibt offen.

Große Wellen schlug die Ankündigung des Fachgespräches „Wirkung von Cry Proteinen auf Adalia bipunctata“ (Zweipunkt-Marienkäfer) am 7. Februar im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).(1) Eingeladen waren neben den Hauptakteuren Angelika Hilbeck und Jörg Romeis nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bundesbehörden und -ministerien sowie die Mitglieder der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS). Manche befürchteten, das Anbauverbot des gentechnisch veränderten (gv) Mais MON810, seit April 2009 in Kraft, solle noch rechtzeitig vor der diesjährigen Anbausaison torpediert und möglichst abgeschafft werden.(2) Der Veranstalter, das BVL, ist verdächtig, das steht außer Frage. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten Mitarbeiter der Gentechnik-Abteilung des BVL gegen das Verbot von MON810 waren. Der damalige Abteilungsleiter Hans-Jörg Buhk, der jetzt ohne nach außen kommunizierte Gründe ins Bundeslandwirtschaftsministerium versetzt und von seinen die Gentechnik betreffenden Aufgaben entbunden wurde, hat sich persönlich für den Mais eingesetzt. Genützt hat es nichts: Ilse Aigner musste das ihrem Ministerium nachgeordnete BVL 2009 anweisen, den Mais zu verbieten.(3) Dass das Fachgespräch nicht öffentlich war, passt so gesehen ins Bild. Es ist entsprechend auch nicht verwunderlich, dass Hilbeck das Gefühl hatte, sich „in die Höhle des Löwen“ zu begeben. Romeis und Hilbeck kommen beide aus Deutschland, beide arbeiten jetzt in der Schweiz und haben in den vergangenen Jahren über das Thema „Wirkung von Cry-Proteinen auf Insekten“ geforscht und in Fachzeitschriften publiziert. Doch persönlich getroffen hatten sie sich bisher noch nicht. So gesehen kann das Gespräch auch als zivilisatorischer Fortschritt im Sinne der Wissenschaft gewertet werden. Es sei gut, dass die Argumente auf den Tisch kommen, an dieser Stelle stimmen alle befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu. „Allerdings“, so schränkt Hilbeck ein, komme „das Event 15 Jahre zu spät“ und es bestehe die Gefahr, dass es „als singuläres Ausnahme-Ereignis im Wesentlichen wirkungslos“ bleibe. Die Untersuchungen von Hilbeck und Romeis (4) gehen der Frage nach, inwieweit das Gift in den gentechnisch veränderten Pflanzen neben den zu bekämpfenden Schädlingen auch Nützlingen (beziehungsweise allgemein so genannten Nicht-Zielorganismen) Schaden zufügen kann. Die Zweipunkt-Marienkäfer gehören in diese Gruppe der Nützlinge, da sie sich von den Eiern von Blattläusen ernähren. Im Nachhinein hätten weder Romeis noch Hilbeck übrigens prinzipiell etwas gegen eine öffentliche Veranstaltung gehabt. Das war aber nicht im Sinne der Behörde, die solche Fachgespräche regelmäßig durchführt. So musste eine Schar von knapp zwei Dutzend Protestierenden draußen auf der Straße bleiben.

Fachproblem
Interessant ist an dieser Stelle ein Blick auf das Verfahren: Es gibt kein von beiden Seiten autorisiertes Protokoll - für Außenstehende sowieso nicht. Eine Veröffentlichung ist von Seiten des BVL auch nicht geplant. So bleibt die Interpretation jedem der Teilnehmenden selbst überlassen. Die Sachlage wird für die Öffentlichkeit nicht transparent - das scheint aber auch nicht im Interesse des BVL zu sein. Es bleibt das Gefühl, dass die Chance verpasst wurde, auch für eine interessierte Öffentlichkeit darzustellen, wessen Argument an welcher Stelle besser zog. Gegebenenfalls hätten auch Pattsituationen, die es in der Wissenschaft immer wieder gibt, offengelegt werden können. In Hilbecks Versuchen gibt es statistisch signifikante Effekte des Bt-Giftes auf die Sterblichkeitsrate der Marienkäfer-Larven. Sie hatte Eier der Mehlmotte (Ephestia kuehniella) mit Lösungen von verschiedenen Bt-Giften (5) besprüht und den Larven zum Fraß vorgesetzt. Hilbeck sieht ihre Methoden und Ergebnisse bestätigt. Sie habe in ihrem Versuch mit Bildern belegen können, dass die Marienkäfer-Larven mit dem Gift in Berührung kommen. Nach Ansicht der Gruppe von Romeis sind die Larven quasi „beißend-leckend“, das könne man auch in der Literatur nachlesen. Das wiederum leitet sie zu der Annahme, die Marienkäfer-Larven könnten nicht genügend Bt-Gift aufgenommen haben, da es sich nur außen auf den Eiern befunden habe. Hier kommen die Aufnahmen ins Spiel, die Hilbeck mit nach Berlin gebracht hat. Sie zeigen vielmehr, so die Wissenschaftlerin, dass die Marienkäfer-Larven eine Stelle der Eier zerstechen, beißen und zerreißen und sich dann durch ein Gemisch von ursprünglich innen und ursprünglich außen liegenden Stückchen fressen - und so kommen sie eben auch mit dem ursprünglich außen auf die Eier aufgebrachten Gift in Kontakt. Selbst ein Filmchen, das Romeis mit nach Berlin gebracht hatte, belege dies, meint Hilbeck - das sei „natürlich nicht optimal (...) man würde sich natürlich wünschen, sie würden alles auf einmal auffressen“, aber die aufgenommene Menge sei „ausreichend“. Der Unterschied sei etwa wie folgt: „Bei Romeis bekommen sie eine Bt-Zuckerlösung, bei uns haben sie ein Bt-Eigemisch gefressen“, so Hilbeck weiter. Romeis kann das so nicht bestätigen. Ihm ist bewusst, dass „beißend-leckend“ nicht der korrekte Ausdruck zur Beschreibung der Nahrungsaufnahme der Marienkäfer-Larven ist, nichtsdestotrotz benutzt er diesen, da er die Beobachtung seiner Meinung nach relativ gut trifft. Er und seine KollegInnen sind sich mehr oder minder sicher, dass es sich bei den von Hilbeck und Kollegen gefundenen Effekten um Artefakte handelt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es die beobachteten Effekte gegeben haben soll. Niemand anderes habe etwas Vergleichbares gefunden. Sie könne die Aufnahme des Giftes durch die Marienkäfer-Larven nicht zweifelsfrei nachweisen. „Das einzige Argument, das Frau Hilbeck anführt, ist, dass sie Effekte zeigen kann.“ Tatsächlich sagt Hilbeck in unserem Gespräch: „Und die Tatsache, dass wir Effekte gesehen haben“, sei „der Beweis, dass sie [die Larven der Marienkäfer] es [das Bt-Gift] aufgenommen haben.“ Das Ganze sei „eine irrationale Diskussion. (...) Diejenigen, bei denen keine Effekte auftraten, müssen zeigen, dass es eine Aufnahme des Giftes gegeben hat.“ In diesem Zusammenhang erinnert sie auch an einen Disput, den es vor Jahren zwischen den beiden gegeben hat. Auch dieser wurde über eine Reihe von Publikationen ausgetragen. Damals ging es um die Wirkung von Bt-Gift auf Florfliegen. Und auch damals spielte die Frage nach der Aufnahme eine zentrale Rolle. Hilbeck wirft der Gegenseite vor, mit doppelten Standards zu arbeiten: Gibt es keine Effekte, dann sei es nicht so bedeutend, ob eine Aufnahme des Giftes überhaupt stattgefunden habe (bei den Florfliegen konnte gezeigt werden, dass die Tiere in bestimmten Untersuchungsansätzen keinen Kontakt zum Gift bekommen hatten). Zeigen sich aber Effekte, wie im aktuellen Fall, dann müsse sie nachweisen, dass es überhaupt eine Exposition (6) gegeben habe. Die Studie von Romeis und Kollegen ist eine Reaktion auf die Arbeit der Gruppe von Hilbeck. Daraus macht er keinen Hehl und so steht es auch in deren Zusammenfassung. Ohne die Schmidt et al.-Publikation der Hilbeck-Gruppe hätte er sich nicht noch einmal mit Cry1Ab beschäftigt. Es sei sowieso mittlerweile sehr schwierig geworden, solche Arbeiten zu publizieren. Es gebe so viele Arbeiten, die zeigen, dass es keinen Effekt gibt, dass diese Frage für die Zeitschriften nicht interessant sei. Das gleiche gelte übrigens für die Finanzierung: „Was ich hier mache, das bezahlt mir keiner.“ Auf die Frage, ob er denke, dass seine Arbeit beweise, dass Hilbeck unrecht habe, gibt er keine direkte Antwort. Ein wie aus der Pistole geschossenes „Ja“ kommt ihm nicht über die Lippen. Aber es bleibt dem Gesprächspartner nicht verborgen, dass er die Untersuchung von Hilbecks Arbeitsgruppe nicht wirklich ernst nimmt - jedenfalls nicht, was die Wissenschaft angeht. Dass diese Studie und noch „zwei oder drei weitere dafür ausreichen, um ein Proukt zu verbieten“, das will ihm nicht in den Kopf. In Bezug auf das Verbot von MON810 betont er, dass der Mais nicht hätte verboten werden sollen. Ein guter Plan für die Beobachtung des Mais auf den Feldern wäre seiner Meinung nach der richtige Weg gewesen. „Dabei hätte man mit dem Geld etwas Neues erforschen können.“

Zugang zu Material
Ein anderes Thema, das nicht im Zentrum des Gespräches im BVL stand, zeigt eine weitere Diskrepanz zwischen Hilbeck und Romeis: Dabei geht es um den Zugang zu dem Untersuchungsmaterial. Auch der für die Regulierung der Agro-Gentechnik zuständige EU-Kommissar John Dalli hat dieses Thema Ende März anlässlich eines Fachgespräches in Brüssel angesprochen. Dalli hat den Europäischen Dachverband der Biotech-Industrie „EuropaBio“ aufgefordert, den problemlosen Zugang zu gentechnisch verändertem Saatgut für ForscherInnen zu gewährleisten. Alle Tests, die Teil der Risikobewertung sind, sollen von diesen wiederholt werden können. Zudem plane die Kommission unabhängige Untersuchungen zu finanzieren, um die von den Firmen eingereichten Tests zu wiederholen.(7) Bisher ist das nicht der Fall. Weder die europäischen noch die deutschen Behörden haben zum Beispiel unmittelbar Zugang zu dem Untersuchungsmaterial. Sollten die Behörden auf die Idee kommen, einen bestimmten Versuch mit zum Beispiel MON810-Mais durchzuführen, hätten sie nicht das Recht dazu. Sie müssten Monsanto fragen, ob der Konzern das entsprechende Material, das gentechnisch veränderte Saatgut und die so genannten isogenen Linien (die konventionellen Sorten, in die das gentechnische Konstrukt eingebaut worden ist) bereitstellt. Monsanto hält aber bis heute die Fäden in der Hand. Romeis kann mit dem Thema offensichtlich nicht viel anfangen. Er sagt, er habe keine Probleme, das Material von Monsanto zu bekommen. Man habe sich das Vertrauen in den letzten Jahren erarbeitet. Wenn Projekte mit gentechnisch veränderten Pflanzen geplant werden, dann werden die Experten von Monsanto angehört, aber folgen müsse man deren Kommentaren nicht. Insbesondere die Rechte an den Ergebnissen lägen natürlich bei seiner Institution, der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART. Gleichzeitig ist er erbost über die Beschreibungen, die er über seine Person in den Medien lesen kann. Er werde als Industrie-Forscher dargestellt, dabei sei er so unabhängig, wie man nur sein kann. Er arbeite an einem vom Staat finanzierten Forschungsinstitut und ausschließlich mit öffentlichen Geldern. Für Hilbeck ist dieses Thema - man könnte fast sagen naturgemäß - eine Herzensangelegenheit. Seit Jahren beklagt die Wissenschaftlerin den limitierten Zugang zu dem Untersuchungsmaterial. Insofern ist sie gespannt auf die neue Initiative der EU-Kommission.

Christof Potthof ist Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk und Redakteur des Gen-ethischen Informationsdienst.

Fußnoten:
(1)    Zu Cry-Proteinen siehe Fußnote 5.
(2)    Siehe zum Beispiel: Gentechnikfreies Europa e.V. „Aigner bereitet erneute Genmaiszulassung von MON 810 vor!“ (www.gentechnikfreies-europa.de).
(3)    Formell hat das BVL dem Gentechnikkonzern Monsanto mitgeteilt, dass der Mais seine Verkehrsfähigkeit verloren hat. In der Folge darf er weder gehandelt noch gepflanzt werden.
(4)    Die beiden Publikationen, um die es in dem hier vorliegenden Fall geht, sind: Schmidt et al. (2008): Effects of Activated Bt Transgene Products (Cry1Ab, Cry3Bb) on Immature Stages of the Ladybird Adalia bipunctata in Laboratory Ecotoxicity Testing. Archives of Environmental Contamination and Toxicology. Romeis et al. (2010): Laboratory toxicity studies demonstrate no adverse effects on Cry1Ab and Cry3Bb to larvae of Adalia bipunctata (Coleoptera: Coccinellidae): the importance of study design. Transgenic Research.
(5)    Neben den in dem gentechnisch veränderten Mais MON810 produzierten Bt-Gift Cry1Ab untersuchte die Arbeitsgruppe von Frau Hilbeck auch Cry3Bb, das in anderen gentechnisch veränderten Pflanzen genutzt wird. Ursprünglich stammen die Gifte (Cry-Proteine) von verschiedenen Stämmen des bodenlebenden Bakterium Bacillus thuringiensis.
(6)    Von Exposition wird gesprochen, wenn die Frage geklärt werden soll, ob ein bestimmter zu untersuchender Organismus überhaupt mit dem zu untersuchenden Stoff (hier das Bt-Gift) in Kontakt kommen kann.
(7)    Rede des EU-Kommissars John Dalli vom 17.03.11: „I have requested the Federation of the Biotech Industry „Europabio“ to ensure that GM seeds are made easily available for researchers to repeat any tests that are part of the risk assessment; The Commission plans to finance independent studies that would repeat tests provided by companies for some GMOs.“ Im Netz unter http://europa.eu (SPEECH/11/187); in englischer Sprache.