Eine Wirtschaftsregierung für die Europäische Union

in (15.05.2011)
1. Dramatisch war die jüngste Zeit für die Europäische Union (EU). Die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er Jahren hinterließ tiefe Spuren. Dazu trug die Politik des freien Wettbewerbs, der Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der liberalisierten Finanzdienstleistungen bei. Die Währungsunion

erlebte die schwerste Krise ihrer Geschichte. Für Alt-Bundeskanzler Schröder
bedrohte die Krise der europäischen Währung die EU nicht nur wirtschaftlich und
fiskalisch: „Europa ist keine Währungsfrage, sondern eine politische“. Ein Zerfall
der Eurozone könnte zu einem Zerfall des Binnenmarktes mit „unübersehbaren
Folgen“ führen. Und er folgerte: „Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftsregierung“
(Berliner Abgeordnetenhaus, 11.1.2011). In den Bevölkerungen der meisten
Mitgliedstaaten dominieren Europa-Skepsis und Unwillen über die Integration.
Rechtspopulismus gewinnt an Einfluss. Politische Labilität nimmt zu. Einige Regierungen
waren zum Rücktritt gezwungen.


2. Seit 2008 überstürzten sich die Ereignisse. Erst mussten einzelne Banken stabilisiert
werden. Dann war es nötig, Rettungsschirme über die Gesamtheit der Kreditinstitute
aufzuspannen. Einige Peripheriestaaten rutschten immer tiefer in die
roten Zahlen. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte drohten den Währungsverbund
zu sprengen. Obwohl der Vertrag über die Arbeitsweisen der Union (AEUV)
ausdrücklich bestimmt (Art. 125), dass weder die Union noch ein Mitgliedstaat
für „Verbindlichkeiten“ eines anderen Teilnehmers eintreten dürfen, wurde dies im
Falle Griechenlands ignoriert. Angesichts des Beinahe-Staatsbankrotts musste ein
Rettungsschirm installiert werden. Im Mai 2009 wurde ein Hilfspaket der EU und
des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 110 Mrd. Euro geschnürt.
Angesichts der drohenden Schieflage weiterer Länder half die Währungsgemeinschaft
mit Kreditgarantien in dreistelliger Milliardenhöhe. Seit dem Frühjahr 2010 können
kriselnde Euroländer auf einen bis 2013 befristeten Nothilfefonds („Europäische
Finanz-Stabilitäts-Fazilität“) von Euro-Ländern, der EU und dem IWF mit einem
Volumen von 750 Milliarden Euro zurückgreifen. Irland flüchtete wegen immenser
Kosten für die Bankenrettung unter diesen Rettungsschirm und nahm 85 Mrd. Euro
in Anspruch. Portugal war im April 2011 zur gleichen Entscheidung gezwungen.
Weitere Länder sind bedroht. Dabei wird besonders auf Spanien verwiesen. Hilfsgewährung
ist jeweils an drakonische Sparauflagen und rigide „Reformforderungen“
gebunden. Nicht nur die Regierungen Griechenlands, Irlands, Portugals und
Spaniens waren gezwungen, die Staatsausgaben und dabei besonders die Sozialhaushalte
drastisch zu kürzen. Erzwungene Lohn- und Rentensenkungen sowie atemberaubende
Sozialkürzungen in Griechenland waren nur der Anfang. Durch diese
Situation und dominierende Politik werden gesellschaftliche Zusammenhänge in der
gesamten EU mit schwer vorhersehbaren Konsequenzen in Frage gestellt. Vielfältig
sind Widerstandsaktionen, in einzelnen EU-Staaten bis hin zu Generalstreiks.


3. Das war der Hintergrund für neue Diskussionen um eine Wirtschaftsregierung.
Die Verschuldungs- und Finanzkrise machte die Konstruktionsfehler der Währungsunion
augenscheinlich. Weithin ist man sich seit langem darüber im Klaren, dass eine
gemeinsame Währung und Geldpolitik eine starke Koordinierung der Wirtschaftsund
Finanzpolitik und Instrumente für eine gemeinsame Politik benötigt. Die
gemeinsame Währung hätte schon im Maastrichter Vertrag mit einer gemeinsamen
Wirtschafts- und Finanzpolitik kombiniert werden müssen. Warnungen vor
den wirtschaftlichen und politischen Risiken der Einführung des Euro ohne solche
Festlegungen erwiesen sich als zutreffend. Unverzichtbar ist eine effektive Koordinierungsinstanz, so Oskar Lafontaine: „Nur eine demokratische Wirtschaftsregierung
auch auf der Ebene der Europäischen Union, von Jacques Delors schon bei
der Schaffung der Währungsunion gefordert, kann dies ändern. Man kann doch
nicht eine Währungspolitik machen und fünfzehn einzelne nationale Wirtschaftsund
Sozialpolitiken. Dann ist doch klar, dass diese in Konkurrenz zueinander stehen
müssen und bloße Standortpolitik betreiben, die jedes Land einzeln dem Kapital
ausliefert“ (In: Die Linke und die Menschenrechte. RLS-Standpunkte 27/2008, S.
7). Einige Länder setzen sich seit langem wie Frankreich für eine Wirtschaftsregierung
im Rahmen der Eurozone ein, zusammengesetzt aus den Staats- und Regierungschefs
mit einem eigenen Sekretariat und mit der Aufgabe, die Wirtschaftpolitik
vorzugeben. Für maßgebliche Kräfte in anderen EU-Ländern, insbesondere in
Deutschland, war die französische Position stets ein ordnungspolitischer Sündenfall.
Auch für Bundeskanzlerin Merkel war die Idee einer Wirtschaftsregierung lange
völlig suspekt, wenn überhaupt, dann nur mit der ganzen Union. Dann müssten
sich die Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten als Wirtschaftsregierung verstehen,
dann sollte der Europäische Rat als zentrale Instanz fungieren; nur im Bedarfsfall
könnte die Gruppe der Eurozone tätig werden. Nun wird dieses Projekt auch von
der deutschen Regierung allein für die Euro-Zone für möglich gehalten, ohne andere
EU-Staaten auszuschließen. Anfang Dezember 2010 vereinbarten Bundeskanzlerin
Merkel und der französische Präsident eine engere Koordination der europäischen
Wirtschaftspolitik. „Es geht um mehr Gemeinsamkeit in der Steuer- und Sozialpolitik,
um Arbeitsrecht und Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst. Hier müssen
wir uns koordinieren, nicht gleichmacherisch, aber doch, um die zum Teil großen
Diskrepanzen abzubauen.“ Später äußerte Angela Merkel: „Wir alle, die Regierungschefs
der 27 EU-Staaten, haben im vergangenen Februar gesagt, wir verstehen uns
als eine Wirtschaftsregierung. Und seitdem machen wir uns Schritt für Schritt daran,
diesen Anspruch mit Leben, mit konkreten Maßnahmen zu erfüllen. Jetzt stellt sich
die Frage: Müssen vor allem die 17 Euroländer intensiver zusammenarbeiten? Ich
sage: ja, aber nicht exklusiv. Was wir verabreden, sollte offen sein für alle anderen, die
mitmachen wollen. Und dabei darf uns nicht der Langsamste das Tempo diktieren.
Es geht nicht darum, alles gleich mittelmäßig zu machen – vielmehr soll jeder Staat
für sich und Europa insgesamt finanziell stabiler und wirtschaftlich wettbewerbsfähiger
werden“ (Stern, 20.1.2011). Neu waren spezielle Treffen der Staats- und
Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets zur Wahrung der Stabilität und zur
Stärkung des Euro-Währungsgebiets. Die Positionen des linken Spektrums zu einer
Wirtschaftsregierung sind sehr unterschiedlich. Für ihre Befürworter muss sie zur
Verteidigung, Erneuerung und Erweiterung des Sozialstaats sowie zur Kontrolle der
Finanzmärkte beitragen und soziale Mindeststandards in der EU durchsetzen, Eine
Wirtschaftsregierung, die das Europaparlament ignoriert, wird nicht akzeptiert.


4. Die Gemeinschaftswährung ist das bislang ehrgeizigste europäische Projekt. Das
Vertrauen in den Euro wurde durch die Krise noch nicht substanziell beschädigt. Die
Schuldenkrise einiger Staaten brachte jedoch die Währungsunion seit Ende 2008 in
eine kritische Situation. Das Scheitern des Euro hätte sowohl für die kerneuropäischen
Länder wie für die Krisenstaaten – und auch für die internationale Rolle der EU –
katastrophale Konsequenzen. Die Stabilität des Euro konnte bislang gewahrt und die
Finanzkrise eingedämmt werden. Durch Kreditgewährung konnte der Staatsbankrott
einzelner Mitgliedsländer verhindert werden. Die Ungleichgewichte zerren an der
Kohäsion der Eurozone. Für einen dauerhaften Erfolg der Währungsunion müssen sich
alle Volkswirtschaften in eine Richtung bewegen. In der EWU-Debatte waren solch
einschneidende Veränderungen im Blick, wie sich das vor Jahren nur wenige vorstellen
konnten. Besorgte Fragen waren: Wird die Währungsunion angesichts gravierender
Haushaltsdefizite, wachsender Staatsschulden, unzureichender fiskalischer Koordinierung
und fehlender Kontrollen auseinander brechen? Sollten nicht kriselnde Staaten
vorübergehend aus der Währungsunion entlassen werden? Wäre es nicht das Beste,
wenn Deutschland wieder zur D-Mark zurückkehren würde?


5. Die maßgeblichen Eliten engagierten sich für eine Neukonstruktion der Währungszone,
um den Gefahren für die Währungsgemeinschaft zu begegnen. Jeder Aspekt
war heftig umstritten. Im Oktober 2010 legten die deutsche Bundeskanzlerin und
der französische Präsident Grundzüge einer Reform der EWU vor, die im Vorschlag
für einen Wettbewerbspakt und eine stärkere wirtschaftliche Koordinierung gipfelten
(Übereinkommen von Deauville). Tenor war generell eine bessere Abstimmung und
Angleichung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Für Paris hatte dabei die
Abwehr deutscher Exportorientierung besonderes Gewicht, für die Bundesregierung
wiederum die Durchsetzung der rigorosen Kriterien deutscher Stabilitätspolitik. Das
Fazit spiegelte sich in den Vereinbarungen der 17 Staats - und Regierungschefs des
EU-Währungsgebiets (11.3.2011) und des Europäischen Rates (24./25.3.2011) über
wirtschaftliche Koordinierung und zur Stabilisierung der gemeinsamen Währung
wider. Ein dauerhafter Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) soll ab Juli 2013
den jetzigen Rettungsfonds und seinen Mechanismus ablösen. Der Mechanismus
soll aktiviert werden, wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität des Euro-
Währungsgebiets zu wahren. Er wird über eine effektive Darlehenskapazität von 500
Mrd. EURO verfügen. Der ESM wird durch einen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten
des Euro-Währungsgebiets als zwischenstaatliche Organisation eingerichtet.
Damit entsteht eine völlig neue, außerhalb der Gemeinschaftsmethode stehende
Institution, von der Nicht-Euro-Länder ausgeschlossen sind. Dieses intergouvernementale
Vorhaben dürfte für die Perspektiven der Union weitreichende Konsequenzen
haben. Erneut werden von EU-Eliten weitreichende Entscheidungen ohne
eine öffentliche Debatte getroffen.


6. Maßgebliche Kräfte sahen in der Verschärfung der Bestimmungen des ESWP,
nach dem der Anteil der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt eines Landes
höchstens 60 Prozent und die Kreditaufnahme jährlich nicht mehr als drei Prozent des
Bruttoinlandsproduktes betragen soll, ein Allheilmittel. Diskussions- und Verhandlungspunkte waren: die drastische Verschärfung von Defizitvorgaben; neue Bußgelder für Verletzung des ESWP und schärfere Etatkontrollen; ein „automatisierter Sanktionsmechanismus“ für Defizitsünder; neue Druckmöglichkeiten durch Mittelstreichung
aus den Struktur- und Kohäsionsfonds; Begrenzung der Widerspruchsmöglichkeiten
gegen Sanktionen; Zwänge zu einer rigiden Sparpolitik durch Funktionen des ESWP
zur Begrenzung der Sozialausgaben und Lohnkosten in den Mitgliedstaaten; zeitweilige
oder gänzliche Aussetzung von Staatenstimmrecht im Rat bei Zahlungsunfähigkeit;
Verankerung restriktiver nationaler Schuldenregeln mit Verfassungs- oder Gesetzesrang
nach deutschem Vorbild in allen Euro-Staaten. Selbst ein Ausscheiden aus der
Währungsunion – bei weiterer EU-Mitgliedschaft – wurde als Druckmöglichkeit
erörtert. Für ein breites Spektrum aber muss Solidarität zum gemeinsamen Vorteil Sinn und Ziel europäischer Politik und der Weg zur Lösung der Probleme sein. Daher
dürften die monetären Kriterien des ESWP die Politik nicht dominieren. Dieser Pakt
müsse durch wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische, ökologische und soziale Kriterien
ergänzt werden. Noch besser wäre es, den ESWP durch einen Pakt für nachhaltiges
Wachstum, Beschäftigung und soziale Sicherheit zu ersetzen.


7. Um die Währungsunion zu stabilisieren, werden die Mittel des Euro-Rettungsfonds
aufgestockt und seine Funktionen ausgeweitet. Initiativen für die Auflage gemeinsamer
Anleihen (Euro-Bonds), nach denen hoch verschuldete Krisenländer am Finanzmarkt
zu günstigeren Konditionen Kredite aufnehmen können, spalteten die EU. Gemeinsam
mit Frankreich wandte sich Bundeskanzlerin Merkel gegen solche Möglichkeiten.
Übertrieben wurde behauptet, Euro-Bonds würden den Weg in eine Transferunion
öffnen. Ministerpräsident Juncker bezeichnete diese Position der Bundeskanzlerin als
„uneuropäisch“. Für das linke Spektrum muss ein gemeinsames Europa ein solidarisches
und soziales sein. Solidarische Finanzierungsmöglichkeiten sind für die Stabilisierung
der Eurozone wie einzelner Euro-Staaten unverzichtbar. Dafür spricht sich die
Arbeitsgruppe Europäischer Wirtschaftswissenschaftler in ihrem „Euro-Memorandum
2010/2011“ ausdrücklich aus.


8. Der deutsch-französische Vorschlag für einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ mit
verbindlicheren Verpflichtungen als die bisherigen im Kreise der EU 27 wurde unter
der Bezeichnung „Euro-Plus-Pakt“ von den Staats- und Regierungschefs des Euro-
Währungsgebiets beschlossen und als Teil des Gesamtpakets des Europäischen Rates
verabschiedet. Diese Vereinbarung sieht eine engere Koordinierung und Steuerung
der Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten in Richtung neoliberaler Profit- und Wettbewerbsfixierung vor. In den Leitsätzen widerspiegeln sich die Kriterien rigider deutscher Stabilitätspolitik, so mit Blick auf eine Schuldenbremse. Für oppositionelle Richtungen ist dieser Pakt Synonym für Spardiktate, Sozialabbau und Lohndumping. In den
Mitgliedsländern sollen Maßnahmen zur Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- und Lohnpolitik
umgesetzt werden, die eigentlich Sache der nationalen Parlamente (bzw. der
Tarifparteien) sind. Inwieweit der Euro-Plus-Pakt funktionieren wird, ist offen. Seine
Auswirkungen sind auf jeden Fall, wie Jürgen Habermas vermerkt, in der Auswirkung
undemokratisch und dazu angetan, in den Bevölkerungen der verschiedenen Mitgliedstaaten
gegenseitig Ressentiments zu schüren (Jürgen Habermas, Ein Pakt für oder
gegen Europa. In: Süddeutsche Zeitung 7.4.2011). Für unionsweite Ablehnung plädiert
der Europäische Gewerkschaftsbund.


9. Die Ausgestaltung der Eurozone tangiert die Wechselbeziehungen zur Gesamtunion
und zu den nicht beteiligten Staaten. Jedwede Stärkung der Eurozone bedeutet
weitere Differenzierung in der Union. Einerseits bedarf die Eurozone engerer Kohäsion
durch demokratisch legitimierte und kontrollierte wirtschaftspolitische Steuerung und
wirksameren Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der 17 Teilnehmer.
Andererseits untergräbt das die Einheit der Europäischen Union, auch wenn EU-Institutionen
wie die Kommission beteiligt sind. Länder wie Polen und Großbritannien
vermerkten, dadurch könne ein eigener Club entstehen, der Integration und Binnenmarkt
störe. Offensichtlich wird versucht, derartige Konsequenzen zu mildern. So
luden die Euro-Staaten nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörende Mitgliedstaaten
ein, sich an der Koordinierung zu beteiligen. Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen,
Polen und Rumänien traten dem Euro-Plus-Pakt bei. Das Beziehungsgeflecht zwischen
Staaten und Staatengruppen in der Union wird noch komplizierter.

10. Der Lissabon-Vertrag zur Änderung der Grundlagen der Europäischen Union
ist erst vor wenigen Monaten nach rund zehnjährigem Tauziehen in Kraft getreten.
Die Regierungen verhalten sich daher zu Vertragsänderungen überaus zurückhaltend,
obwohl der Lissabon-Vertrag dringend einer Gesamtrevision bedürfte. Einvernehmen
wurde erzielt, über eine Vertragsänderung einen permanenten Stabilitätsmechanismus
für die Eurozone zu installieren. Art. 136 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union soll wie folgt verändert werden: „Die Mitgliedstaaten, deren
Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert
wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt
zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus
wird strengen Auflagen unterliegen“ (Rat der Europäischen Union/EUCO
10/11, Anlage II, S. 21). Diese Vertragsänderung soll mit dem Beitrittsvertrag mit
Kroatien 2011/2012 verknüpft werden. Die Kompetenzen der EU werden nicht erweitert,
um neue Referenden wie in Irland zu vermeiden. Selbst diese begrenzte Änderung
kann Forderungen nach einer Komplettrevision der europäischen Verträge, besonders
aber zur Umsetzung von Einzelvorschlägen stimulieren: zur Einfügung einer sozialen
Fortschrittsklausel; zur Korrektur der neoliberalen Orientierung der Wirtschaftspolitik;
zur Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen; zur demokratischen Kontrolle
der EZB. Für zivilgesellschaftliche Anstrengungen gibt es hier ein weites Feld.


11. Hinsichtlich einer Wirtschaftsregierung harren viele Fragen einer Beantwortung:
politische und „ordungspolitische“, gesellschaftliche, wirtschaftspolitische, strukturelle
und institutionelle. Das Projekt bleibt innerhalb der EU umstritten, sowohl national
als auch zwischen den Mitgliedstaaten. Die Tätigkeit einer Wirtschaftsregierung und
ihre Perspektiven sind untrennbar mit den Zielen und Möglichkeiten des europäischen
Einigungsprozess verknüpft, der für Jürgen Habermas immer schon über die Köpfe der
Bevölkerung hinweg betrieben worden ist und heute in der Sackgasse steckt. Dringlich
wäre ein neues ehrgeiziges Projekt. Ob die jüngsten Entscheidungen die Spekulation
gegen den Euro beenden werden, ist fraglich. Offen ist auch, inwieweit die Empfehlungen
zur wirtschaftspolitischen Steuerung effektiv werden und inwieweit die neoliberale
Profit- und Wettbewerbsfixierung zurückgedrängt werden kann. Politische
Konsequenzen einer Wirtschaftsregierung nach innen in der EU und auch nach außen
müssen bedacht werden, beeinträchtigt doch die Krise der Wirtschafts- und Währungsunion
die Rolle der EU als internationaler Akteur in der globalen Neuverteilung von
Macht und Einfluss.