Maßlose Polizeinotwehr

Die Regensburger Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen zwei Polizisten eingestellt, die im April 2009 einen Studenten erschossen haben: Die Beamten hätten in Notwehr bzw. Nothilfe gehandelt.

Tennessee Eisenberg hatte seinen Mitbewohner mit einem Küchenmesser bedroht. Dieser entkam und alarmierte die Polizei: Eisenberg wolle sich nun selbst das Leben nehmen. Zum Tatort fuhren statt einem Psychologen acht Streifenbeamte, die dem 24jährigen an der Wohnungstür mit dem Kommando „Messer weg" gegenübertraten. Als Eisenberg langsam auf die Polizisten zuging, wichen sie ins Treppenhaus zurück. Weder durch Pfefferspray noch durch massiven Schlagstockeinsatz sei der Student aufzuhalten gewesen, er habe nur gelacht. Am Fuß der Treppe kam es dann zu 16 Schüssen aus kurzer Entfernung, 12 Kugeln trafen, davon sieben von hinten. Die Beamten fühlten sich durch das Messer in Eisenbergs Hand bedroht. Für die Staatsanwaltschaft stellte die „Szene wie im Zombiefilm" (Süddeutsche Zeitung [SZ]) eine ununterbrochene Notwehr- bzw. Nothilfelage dar.

Die Angehörigen, die den schmächtigen Tennessee als sanftmütig beschreiben, bezweifelten diese Version von Anfang an (www.tennessee-eisenberg.de). Ein von ihnen eingeholtes Gutachten ergab, dass der Student Durchschüsse an Knie und Oberarm, einen Steckschuss in der Lunge und weitere Treffer an den Extremitäten erlitten hatte, bevor er tödlich getroffen wurde. Spuren von Pfefferspray wies er nur an der Kleidung, nicht aber im Gesicht auf; Drogen oder Alkohol waren nicht im Spiel. Für die Anwälte der Familie belegen besonders die ballistische Untersuchung und ein Blutspritzer neben der Haustür, dass jedenfalls bei Abgabe der tödlichen Schüsse kein Polizist mehr in Gefahr war. Die Staatsanwaltschaft habe „objektive und eindeutige Spuren" ignoriert.

Ein drastisches Beispiel für den verbreiteten Umgang mit Polizeigewalt, wie auch die SZ kommentierte: Es würde sicher Anklage erhoben, „wenn der Tote ein Polizist und die Schützen Studenten gewesen wären". Denn selbst wer § 32 StGB - entgegen dem für hoheitliches Handeln geltenden Gesetzesvorbehalt - auf polizeiliche Todesschüsse anwendet, kann hier nur schwer zu einer Rechtfertigung gelangen: Niemand behauptet, dass Eisenberg konkret zu einem Angriff angesetzt habe, und mehrere Beamte müssten einen Schwerverletzten auch anders überwältigen können. Jedenfalls bestehen enge Gebotenheitsgrenzen für Notwehrhandlungen, wenn sich der Angreifer in einer erkennbaren psychischen Ausnahmesituation befindet.

Die letzte Chance auf eine gerichtliche Untersuchung bietet nun das Klageerzwingungsverfahren.

John Philipp Thurn, Freiburg