Verhandlungen oder militärische Option?

Chancen und Risiken für Afghanistan

in (20.11.2010)
Nach wie vor ist es der internationalen Gemeinschaft nicht
gelungen, eine Lösung für die afghanische Krise zu präsentieren.
Dabei macht die gegenwärtige Situation eine Beendigung
des Kriegszustands sowie die Aufnahme von konstruktiven
Verhandlungen unerlässlich. Die Genfer Verhandlungen der
1980er Jahre über den Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan
könnten hierbei als Vorbild dienen.
Alle Strategien und taktischen Manöver der internationalen
Streitkräfte in Afghanistan konnten das Kriegsgeschehen
im Lande nicht beenden und haben stattdessen zu einem Fiasko
geführt. Die dauerhafte Freiheit („Enduring Freedom“) – die
Einsatzbezeichnung der US-Streitkräfte – ist den Afghanen
bisher versagt geblieben. Die internationale Schutztruppe
(ISAF) sowie die NATO werden von der Masse der Bevölkerung
nicht mehr als Befreier gesehen, sondern zunehmend als
Okkupanten wahrgenommen. Die militärische Option erweist
sich für die internationalen Truppenkontingente als verlustreich
und aussichtslos. Auch kurzzeitige Erweiterungen der Truppenstärke
sowie eine Aufrüstung der eingesetzten Waffensysteme
tragen nur zu größeren Kollateralschäden bei und verschaffen
letztlich der afghanischen militanten Opposition größeren
Rückhalt in der Bevölkerung.
Gulbuddin Hekmatyar, ein „Warlord“ und Führer des
erzkonservativen Flügels der Partei Hezb-i-Islami (HIG)1,
verglich die gegenwärtige Situation schon Anfang 2007 mit
der Zeit, „als die Sowjetunion sich entschloss, Afghanistan zu
verlassen“2. Auch die militärische Führung Pakistans pflichtete
2009 der Auffassung vieler Analysten bei, dass in Afghanistan
„ein dem Vietnam-Debakel ähnelndes Scheitern zunehmend
unvermeidlich“3 sei.
1 Ahmad (2004) zeichnet das Profil eines machthungrigen und brutalen Opportunisten, der an die Spitze
des Staates drängt.
2 Gulbuddin Hekmatyar im Interview mit dem Stern, 13.01.2007.
3 The Economist, 22.08.09, S. 19.
Dr. Karl Fischer, geb. 1939,
Indologe, Botschafter a. D.,
Analyst im Afghanistan
Analyst’s Network (AAN).
drkarlfischer@gmail.com
56 WeltTrends 75
Versäumnisse der Bonner Verhandlungen 2001
Ein Rückblick auf die Jahre seit der Afghanistankonferenz auf
dem Petersberg bei Bonn im Dezember 2001 führt zu der
bitteren Erkenntnis, dass die dort getroffenen Vereinbarungen
die Situation in Afghanistan unzureichend berücksichtigten
und wesentlichen Anteil an dem schnellen Vertrauensschwund
der afghanischen Bevölkerung in die neue staatliche Ordnung
haben. Zum Beispiel war der durch zwei Jahrzehnte Krieg,
Bürgerkrieg und Taliban-Terror verursachte dramatische
Mangel an kompetenten Personen für die Besetzung staatlicher
Führungspositionen in allen Bereichen und auf allen Ebenen
überhaupt nicht Gegenstand der Überlegungen auf dem Petersberg.
Die in den Bonner Vereinbarungen festgeschriebene
Schaffung demokratischer Institutionen von oben nach unten
anstatt – unter Berücksichtigung bereits existierender Stammesund
kommunaler Strukturen – von der Basis zur Spitze war ein
weiterer folgenschwerer Fehler. Er führte dazu, dass sich die
von der Kabuler Zentralregierung eingesetzten Gouverneure,
Polizeichefs und Armee-Kommandeure ungeheure Machtpositionen
sichern konnten, ohne durch demokratisch legitimierte
Körperschaften kontrolliert zu werden.
Zudem erwies sich das strategische Konzept des „leichten
Fußabdrucks“ („Light Footprint“) sowohl militärisch als auch
politisch und wirtschaftlich als falsch. Dieses Konzept sah für
die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) einen minimalen
Einsatz von Personen, Material und Finanzen für den staatlichen,
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans
vor und war die Konsequenz einer totalen Fehleinschätzung
der zu bewältigenden Aufgaben. Der Aufbau der Justiz, die
Schaffung demokratischer Organisationen und Parteien sowie
ihre Einbeziehung in den politischen Gestaltungsprozess wurden
vernachlässigt. Westliche Sichtweisen ließen wenig Raum für
afghanische Lösungsoptionen und bestimmten einen unangemessen
engen Zeitrahmen für die Realisierung der Vereinbarungen,
wodurch nachhaltige Reformen behindert wurden.4
Darüber hinaus gingen von keiner der Afghanistankonferenzen
– von Petersberg 2001 über Paris im Juni 2008 bis hin
zu London im Januar 2010 – Impulse zur „nationalen Versöhnung“
aus. Das Festhalten der internationalen Gemeinschaft
4 Vgl. Ghani / Lockhart 2008, S.169 ff.
Thema 57
an der militärischen Option spielte den Taliban, der HIG und
anderen militanten Gruppen in die Hände, verhinderte einen
nationalen Dialog der Aussöhnung und verfestigte die ethnopolitische
Zersplitterung Afghanistans. Auch der in London
angeregte Reintegrationsfonds zum „Kauf“ von Überläufern
aus dem Lager der Taliban-Milizen ist eher geeignet,
einen blutigen und betrügerischen Wettbewerb um ein paar
Hundert Dollar loszutreten und den staatlichen Korruptionssumpf
zu vergrößern.
Erfahrungen aus den Genfer Verhandlungen
Die Sicherheitslage drängt zu einer Verhandlungslösung für
den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan5 sowie
zur Aufnahme von Schritten zur nationalen Versöhnung.6
Nachhaltig wirkende Lösungen können jedoch nur gefunden
werden, wenn ein realistischer internationaler Konsens über die
Prinzipien zur Unterstützung Afghanistans erzielt werden kann,
der das Land zugleich vor äußerer Einmischung in seine innenpolitischen
Prozesse bewahrt.
Auf der Suche nach einer Verhandlungslösung ist ein
Rückblick auf die Genfer Verhandlungen über den Abzug
der Sowjetarmee aus Afghanistan nützlich.7 Sie begannen,
als UN-Generalsekretär Waldheim im Februar 1981 Javier
Pérez de Cuéllar als seinen „persönlichen Repräsentanten“ für
Afghanistan einsetzte. Mit dessen Wahl zum UN-Generalsekretär
ging das Afghanistan-Ressort vom 22. Februar 1982
in die Verantwortung des neuen Under Secretary General for
Special Political Affairs, Diego Cordovez, über. Dieser leitete
und begleitete den Verhandlungsprozess bis zur Inkraftsetzung
der Genfer Vereinbarungen am 15. Mai 1988, die aus den
folgenden vier Instrumenten8 bestanden:
– Bilaterale Vereinbarung zwischen der Republik Afghanistan
und der Islamischen Republik Pakistan über die Prinzipien
der gegenseitigen Beziehungen, insbesondere über Nichteinmischung
und Nichtintervention;
5 Vgl. Obama 2009, S. 8.
6 Vgl. Obama 2009, S. 5.
7 Rubin 1995, S. 7-10 und S. 34-91 gibt eine übersichtliche Bewertung der Verhandlungsmuster in ihrem
Verhältnis zur internationalen Lage.
8 Cordovez / Harrison 1995 gibt den Wortlaut der Vereinbarungen wieder.
Weiterlesen:
S. Tönnies,
Carl Schmitt und Afghanistan
WeltTrends 69
58 WeltTrends 75
– Deklaration über internationale Garantien (unterzeichnet von
den USA und der UdSSR);
– Bilaterale Vereinbarung zwischen der Republik Afghanistan
und der Islamischen Republik Pakistan über die freiwillige
Rückkehr von Flüchtlingen;
– Vereinbarung über die Wechselbeziehungen der Instrumente
für die Regelung der Situation in Bezug auf Afghanistan.
Welche Besonderheiten beachten?
1. Zu Beginn der Gespräche wusste niemand, wo, wann und
wie das Moderieren und Verhandeln begonnen werden sollte.
Dieser Prozess entwickelte sich schrittweise aus den Erkenntnissen
über die Erfordernisse einer friedlichen Regelung des
internationalen Konfliktes. Ähnlich kann die gegenwärtige
Lage bewertet werden.
2. Die Dauer der Verhandlungen war nicht absehbar, weil
vielschichtige und komplexe Interessenlagen der direkt und
indirekt an der Auseinandersetzung beteiligten Seiten zu
berücksichtigen waren. Dabei versuchten die Konfliktparteien,
ihren zeitlichen und inhaltlichen Spielraum immer
wieder durch Vorbedingungen für die Weiterführung
der Gespräche auszuweiten. Innerhalb von sechs Jahren
entstanden dennoch Dokumente, an die sich die Unterzeichner
zwar bereits nach wenigen Monaten nicht mehr
hielten, die in ihrer Substanz aber auch heute noch weitgehend
gültig und anwendbar sind.
3. Als unparteiischer Moderator boten sich lediglich die
Vereinten Nationen an. Sie legten die Verantwortung
in die Hände eines Beamten und Politikers, der über 20
Jahre Erfahrung im internationalen Geschäft verfügte,
sich in der Außenpolitik von UdSSR und USA auskannte
und mit einflussreichen Persönlichkeiten beider Staaten
vernetzt war. Mit Einfühlungsvermögen, viel Geduld,
Organisationstalent
und Mut zur Überschreitung seines
Mandats, wenn eine Fortsetzung der Gespräche es für
notwendig erscheinen ließ, blieb Diego Cordovez nicht
nur Moderator, sondern griff auch direkt und indirekt in
die Verhandlungen ein.
Thema 59
4. Seit seiner Gründung suchte das ökonomisch schwache Pakistan
Anlehnung an die USA, um damit sowohl seine Wirtschaftskraft
als auch sein Gewicht in der internationalen Politik zu erhöhen.
Aus dieser Allianz leitete es aufgrund seiner strategischen Lage
an einer Frontlinie des Kalten Krieges einen Anspruch auf reiche
Belohnung ab.9 Der Afghanistankrieg der 80er Jahre bot Pakistan
Gelegenheit, sich als wichtigster Verbündeter der USA in diesem
Konflikt zu profilieren und zugleich Bedingungen zu stellen, die
sowohl der beschleunigten Aufrüstung der Islamischen Republik
dienten als auch ihrem illusorischen Anspruch entgegenkamen,
Afghanistan könne für den Fall eines Krieges mit Indien als
strategisches Rückzugsgebiet dienen („Strategic Depth“).10
Folglich unterstützte Pakistan die Bestrebungen der USA, eine
Regelung des Konflikts möglichst lange zu verzögern.11
Im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ ergab sich für
Pakistan erneut die Möglichkeit, für die USA unentbehrlich
zu werden. Wieder machte sich Pakistan zum – natürlich
gut bezahlten – Handlanger einer Politik, die das ungeliebte
Nachbarland Afghanistan mit Krieg überzog.
Mit dem angekündigten Abzug der US-Truppen aus Afghanistan
und ähnlichen Vorhaben der NATO-Verbündeten
sieht die militärische Führung Pakistans ihre große Chance,
direkt auf die Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan
einzuwirken und die künftige politische Struktur des Staates
entscheidend mitzugestalten. Allerdings verlangt Pakistan
für seine Dienste mehr als die 2009 im Enhanced Partnership
with Pakistan Act (ursprünglich als „Kerry-Lugar-Bill“
bekannt) angebotenen 7,5 Milliarden US-Dollar12 für einen
Zeitraum von fünf Jahren und die Aussicht auf anschließende
Weiterführung des US-Hilfsprogramms. Armeechef
Kayani reiste deshalb mit einem umfangreichen Forderungskatalog
nach Washington, der auch Waffensysteme enthält,
die gut gegen Indien einsetzbar wären. Pakistan agiert also
nach dem bekannten Rollenmuster und kann potenziell zum
Störenfried einer Verhandlungslösung werden, wenn es in der
Wahrnehmung seiner spezifischen Interessen gebremst wird.
Aber ohne Pakistan wird es keine Lösung geben.
9 Vgl. Haqqani 2005, S. 30 f.
10 Vgl. Haqqani 2005, S.180 ff.
11 Cordovez / Harrison 1995, S. 6, 91-147, 187-189.
12 Der Gesetzestext ist abrufbar unter: http://www.pakistaniat.com/2009/107/07/full-text-kerry-lugar-bill
(abgerufen am 08.10.2010).
60 WeltTrends 75
Bei den Genfer Verhandlungen 1982 bis 1988 blieb die regionale
Sicht auf die afghanisch-pakistanischen Beziehungen beschränkt.
Heute müsste sie weit darüber hinausreichen und beispielsweise
auch die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) einbeziehen,
umfasst diese doch als Mitglieder Russland, China, Kasachstan,
Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien, mit Beobachterstatus
Indien, Pakistan, Iran und die Mongolei sowie als Dialogpartner
Sri Lanka und Belarus. Bereits 2001 verabschiedete die SCO
die „Shanghai-Konvention über den Kampf gegen Terrorismus,
Separatismus und Extremismus, die am 27.03.2009 durch
einen sehr konkreten Aktionsplan der SCO und der Islamischen
Republik Afghanistan zum Kampf gegen Terrorismus, illegalen
Drogenhandel und organisiertes Verbrechen ergänzt worden
ist.“13 Die Aktivitäten der SCO sind gut strukturiert und sie
unterhält bereits ein Netz von Beziehungen zu anderen internationalen
Organisationen, einschließlich der UN.
Ebenso sollte auf die Verringerung von Störfaktoren Einfluss
genommen werden, die sich aus dem Konfliktpotenzial der
indisch-pakistanischen Beziehungen sowie aus dem Konflikt der
internationalen Gemeinschaft mit dem Iran ergeben. Zu den
regional relevanten Sachfragen bi- und multilateraler Brisanz
gehören Grenzstreitigkeiten, Nutzung der grenzüberschreitenden
Wasserressourcen, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Handel
und Transit, Energie und Infrastruktur sowie Migrationsbewegungen.
Mittelfristig könnten alle diese Fragen Bestandteil
einer Initiative sein, die Elemente des KSZE-Prozesses und
des indisch-pakistanischen „Composit Dialogue“ verbindet und
Grundlagen für eine friedliche Entwicklung der Region legt.
Beendigung des Kriegszustandes
Aus der gegenwärtigen Situation ergibt sich die Notwendigkeit,
den Kriegszustand in Afghanistan kurzfristig zu beenden und ein
Format für konstruktive Verhandlungen mit der militärischen
und nicht militärischen Opposition in Afghanistan zu suchen.
Störmanöver sind jedoch sowohl aus dem Regierungslager, seitens
oppositioneller Gruppen als auch seitens regierungsfreundlicher
Kreise denkbar, die trotz ihrer Loyalität zum Regime nicht von
dem in London beschlossenen Reintegrationsfonds profitieren
13 Shanghai Cooperation Organisation, Documents 2001-2010, abrufbar unter: http://www.sectsco.org
(abgerufen am 08.10.2010).
Thema 61
würden. Auch Pakistan verfügt über Störpotenzial, das durch
eine geopolitische Strategie dazu bewegt werden sollte, keinen
schädigenden Einfluss auf den Prozess der Verständigung und
Reintegration in Afghanistan zu nehmen. Von der Reintegration
selbst können besonders dann Gefahren ausgehen, wenn
dieses weitgehend technisch-organisatorische Vorhaben nicht
von einem politischen Prozess echter Versöhnung und Vertrauensbildung
begleitet wird, der sich vorwiegend auf lokaler und
Provinzebene manifestieren muss.14
Obwohl die militärischen Entscheidungen bei den USA
und ihren NATO-Verbündeten liegen, sollte der umfassende
Regelungsprozess der internationalen Aspekte der Krisensituation
von den UN getragen werden, auch wenn diese ihren Nimbus
als unparteiischer Vermittler in Afghanistan seit 2001 in hohem
Maße verspielt haben. Ein US-Sonderbeauftragter als Verhandlungsführer,
wie mancherorts empfohlen, würde in Afghanistan
und seinen Nachbarstaaten nur begrenzt Akzeptanz finden.
Für den Beginn und die Führung eines friedlichen, inneren
politischen Prozesses der Verständigung, Machtteilung und
kompetenten Regierungsführung tragen die afghanischen
Akteure eine hohe Verantwortung. International wird daher
aufmerksam beobachtet, zu welchen Ergebnissen die verschiedenen
Jirgas (traditionelle afghanische Beratungsgremien) führen.
Erfahrungen der afghanisch-pakistanischen Friedens-Jirga 2007
in Kabul, der in drei Stufen ausgetragenen Provinz-Jirga 2008
in der Provinz Uruzgan sowie der für den 2. Juni 2010 von der
Regierung Karzai nach Kabul einberufenen Jirga werden zeigen,
ob sie von der Diskussion über eine mögliche friedliche Lösung
der Krise Afghanistans zu realistischen praktischen Schritten
überleiten können. Der von der Regierung Karzai in Washington
vorgestellte „Friedensplan“ befasst sich mehr mit der Verteilung
des Reintegrationsfonds im Umfang von 160 Millionen
US-Dollar15, und der von der HIG unterbreitete extremistisch-
islamische Friedensplan16 wird zumindest vorläufig nicht
Gegenstand öffentlicher Beratung sein.
Sollten die afghanischen politischen Lager nicht willens oder
in der Lage sein, sich zu einigen, könnten die UN Vorschläge
und Hilfsleistungen für die Lösung der inneren Aspekte der
14 Zu Gefahren, Risiken, Störfaktoren, Personenprofilen möglicher Gesprächspartner und Erfolgsmustern
liegen Untersuchungen vor, die von der Politik aufgegriffen werden können: vgl. exemplarisch Ruttig (2009).
15 Vgl. AAN Blogs, 02.02.2010 sowie 28.03.2010, Peace Jirga Blog 3.
16 Thomas Ruttig beleuchtet die 15 Punkte des Plans; vgl. AAN Blogs, 22.03.2010.
62 WeltTrends 75
Krise anbieten, wie sie es auch in den 80er Jahren versucht
hatten.17 Wenn die USA es in den 80er Jahren unterließen, ihre
Hilfe für die Mujaheddin mit den Friedensbemühungen der
UN zu verbinden18, kann die Welt heute unter US-Präsident
Obama ein konstruktives Miteinander erwarten.
Optionen einer Friedensstrategie
Auf der Suche nach Lösungsmodellen für die Afghanistankrise
werden die oben genannten Besonderheiten im „Friedensgutachten
2010“19, das von fünf einschlägigen deutschen
Forschungsstätten erstellt wurde, nicht ausreichend in die
Überlegungen einbezogen. Es stellt
– die neue Strategie der USA für Afghanistan-Pakistan (AfPak),
– eine Beendigung der Kampfhandlungen,
– Verhandlungen mit den Taliban und
– die Stärkung der legalen Staatlichkeit
als Grundzüge von vier selbstständigen Optionen einer Friedenspolitik
für Afghanistan nebeneinander. Dabei wird deutlich,
dass keine der Optionen für sich genommen eine reelle Chance
zur Verwirklichung hat. Da sich die Konfliktkonstellation aus
gleichzeitig wirkenden globalen, regionalen, bilateralen und
innerafghanischen Konfliktpotenzialen militärischer, politischer,
wirtschaftlicher und sozialer Natur zusammensetzt, muss
ein Lösungsversuch alle diese Komponenten parallel – wenn
auch nach Prioritäten zeitlich versetzt – auf einer Zeitschiene
von bis zu 20 Jahren angehen.
Komplizierte Verhandlungen auf nationaler und internationaler
Ebene sind vorhersehbar. Die Einstellung von Kampfhandlungen
erfordert den Abzug internationaler Truppen und
eine Beschränkung der Militärhilfe auf Beratungs- und Ausbildungsleistungen.
Doch selbst dann ist das Versiegen innerafghanischer
militärischer Auseinandersetzungen nur denkbar,
wenn staatliche Kompetenz zu mehr Sicherheit und wirtschaftlichem
Aufschwung führt und damit der Tradition, Konflikte mit
Waffengewalt zu lösen, allmählich der Boden entzogen wird.
Pakistan wird für die Beruhigung der Lage ein besonderer
Stellenwert zukommen. Pakistanische Autoren weisen darauf
17 Cordovez / Harrison 1995, S. 7.
18 Cordovez / Harrison 1995, S.10.
19 Vgl. Fröhlich u. a. (Hrsg.): Friedensgutachten 2010, S. 7-13.
Weiterlesen:
E. Crome,
Afghanistan – Ein Menetekel
WeltTrends 70
Thema 63
hin, dass die Krise ihres Landes auf den Mangel an nationaler
Identität der Bevölkerung, fehlender Kompetenz und Volksverbundenheit
der politischen Klasse sowie deren Korruptheit
und Selbstbedienungsmentalität, auf das Versagen des Militärs,
der Bürokratie und der Justiz sowie die Schwäche und unzureichende
Aktivität der Zivilgesellschaft zurückzuführen ist.20 Die
Parallelen zu Afghanistan sind unübersehbar und damit auch
das dieser Lage inhärente innergesellschaftliche und grenzübergreifende
Bedrohungspotenzial.
Der Weg vom Bürgerkrieg zur politischen Konkurrenz in
Afghanistan kann letztlich nur über die Beendigung der internationalen
militärischen und politischen Einmischung, der
zügigen Aufnahme ernsthafter, sachbezogener Verhandlungen
auf internationaler und nationaler Ebene sowie über großzügige
Wirtschaftshilfe führen.
Angesichts der vielfältigen Risiken müssen Rückschläge in
Kauf genommen werden. Doch ohne den ehrlichen Versuch,
zu verhandeln und nachhaltig zu helfen, rücken die Erfolgsaussichten
für eine Eindämmung oder gar Lösung des Afghanistanproblems
in immer weitere Ferne.
Literaturverzeichnis
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Ahmad, Ishtiaq: Guldbuddin Hekmatyar – An Afgen Trail from Jihad to Terrorism. Islamabad 2004.
Ahmar, Moonis: Thinking differently – No change in Pakistan can be brought without people’s meaningful
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Cordovez, Diego / Harrison, Selig S.: Out of Afghanistan. The Inside Story of the Soviet Withdrawal. New York 1995.
Fröhlich, Christiane u. a. (Hrsg.): Friedensgutachten 2010. LIT Verlag, Berlin 2010.
Ghani, Ashraf / Lockhart, Clare: Fixing Failed States – A Framework for Rebuilding a Fractured World. Oxford 2008.
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Hekmatyar, Gulbuddin: „Die islamische Welt erträgt die Sklaverei nicht mehr“. http://www.stern.de,
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Ruttig, Thomas: The Other Side – Causes, Actors and Approaches to Talks. AAN, Kabul 2009.
Ruttig, Thomas: Gulbuddin Ante Portas. AAN Blog, 22.03.2010.