Die Stahlarbeiterin im Kindergarten

in (17.11.2010)

Im Kommunismus emanzipiert, im Kapitalismus degradiert? Ramona Vogel wirft einen Blick auf die aktuelle Gleichstellungspolitik in Tschechien und den ambivalenten Umgang mit den Geschlechterbildern der realsozialistischen Vergangenheit.

Auf die Revolution von 1989 ist man in Tschechien zurecht stolz: Männer wie Frauen wehrten sich gleichermaßen gegen das repressive realsozialistische System und seine verkrusteten Strukturen – mit Erfolg. Ende gut, alles gut? Die GewinnerInnen von Revolutionen sind selten deren VorkämpferInnen, und in Tschechien haben die Frauen klar verloren.
Betrachtet man die Arbeitsmarktdaten, stehen die tschechischen Frauen glänzend da: In kaum einem anderen Land der Welt arbeitet ein so hoher Anteil an Frauen in Vollzeit wie hier. Nur vier bis fünf Prozent der Frauen in Tschechien bleiben zu Hause. Allein dies schon als Zeichen für Gleichberechtigung zu interpretieren, wäre allerdings falsch: „In Tschechien ist das Familienmodell auf zwei Verdiener ausgelegt”, erklärt Alena Krˇížková, Leiterin der Abteilung für Gender-Forschung an der Akademie der Wissenschaften in Prag, der einzigen Forschungsstelle dieser Art im ganzen Land.
Der Durchschnittslohn beträgt in Tschechien rund 950 Euro – und dies bei mit Österreich und Deutschland vergleichbaren Lebenshaltungskosten. Zusätzlich ergaben Erhebungen des Europäischen Statistikamtes, dass tschechische Frauen über 25 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. In den Managementpositionen gehen Schätzungen von bis zu 40 Prozent Lohnunterschied aus. Allerdings muss man die Größenordnung der Einkommensunterschiede relativieren: So geht die Schere bei den 25- bis 37-Jährigen am weitesten auseinander – also in jener Altersgruppe, in der es am häufigsten zu Arbeitsunterbrechungen aufgrund von Schwangerschaften kommt. Rechnet man all diese Faktoren aus der Statistik heraus, bleibt ein Einkommensunterschied von rund zehn Prozent, der somit im europäischen Benachteiligungsdurchschnitt liegt.

Mehrfachbelastungen. Obwohl die Arbeitszeiten von Frauen und Männern ungefähr gleich lang sind, sind die privaten Verhältnisse innerhalb von (Ehe-) Partnerschaften klar getrennt. Laut einer Untersuchung der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung verbringen Frauen in Tschechien im Durchschnitt 21 Stunden pro Woche mit Hausarbeit, Männer aber nur rund fünf Stunden.
Unterstützt wird dies durch die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Jungen Müttern stehen in Tschechien drei verschiedene Modelle zur Wahl: Sie können zwei, drei oder vier Jahre zu Hause bleiben und erhalten einen ihrem Gehalt annähernd entsprechenden Lohnausgleich. Pavla Špondrová, Gleichstellungsbeauftragte der tschechischen Regierung, kritisiert dieses Modell: „In keinem anderen europäischen Land gibt es derart lange Erziehungszeiten. Das ist sehr schlecht für die Frauen, denn nach diesen vier Jahren haben sie den Bezug zur Arbeit verloren. Wenn sie ihren Job überhaupt noch haben, müssen sie quasi bei fast Null anfangen.”
Staatliche Kinderkrippen, die Kinder ab zwei Jahren aufnehmen, sind in Tschechien rar. Der Bedarf sei nicht gegeben, argumentiert die Regierung.

Emanzipiert = staatsfeindlich. Noch deutlicher wird das Bild anhand der Ergebnisse einer europaweiten Erhebung, die die Einstellung zu Geschlechterrollen analysiert. Über die Hälfte der befragten TschechInnen stimmten Aussagen zu wie: „Der Mann sollte das Geld verdienen, die Frau sollte sich um den Haushalt kümmern.” Damit liegt Tschechien europaweit an der Spitze. „In anderen Bereichen sind die TschechInnen hingegen sehr liberal”, resümiert Pavla Špondrová, „so sind viele mit der Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften einverstanden.”
Emanzipationsbemühungen stoßen in Tschechien nicht nur auf das übliche patriarchalische Ablehnungsmuster – sie werden gleichsam mit Staatsfeindlichkeit und Rückwärtsgewandtheit identifiziert. „Emanzipierte Frauen werden mit Kommunisten gleichgestellt” und würden in der tschechischen Gesellschaft vollkommen diskreditiert, darin stimmen Alena Krížková und Pavla Špondrová überein.
Der Kommunismus formulierte schon zur Zeit seiner Entstehung das Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In der Tschechoslowakei der 1950er Jahre wurde die Emanzipation der Frau jedoch von der sowjetischen Besatzung als zentrales Element der kommunistischen Staatsdoktrin ausgegeben. Ob der Staat dann auch auf der Grundlage dieser hehren Grundsätze handelte, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass bei der niedrigen Produktivität nicht auf die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung verzichtet werden konnte. Mehr noch: Frauen wurden nicht nur als dringend benötigte Produktionsfaktoren auf den Arbeitsmarkt geholt, sondern gezielt gefördert. Dabei erkannte man, dass ein entscheidender Faktor der Benachteiligung der Frauen ihre eigene Berufswahl war – ein Erkenntnismoment, der 50 Jahre später fast in Vergessenheit geraten scheint.

Recht auf Arbeit. Wie auch in anderen Ländern werden die weniger gut verdienenden und gesellschaftlich geschätzten Tätigkeiten wie Erziehungsarbeit im Kindergarten und in der Grundschule fast vollständig von Frauen ausgeübt. Sobald das Ansehen und der Verdienst steigen, nimmt die Zahl der Männer zu, und in den höchsten Positionen kehrt sich das Verhältnis dann fast vollständig um. Mittels Propaganda versuchten die KommunistInnen, dieses Rollenbild aufzubrechen. So wurden etwa in den damaligen Kinderbüchern Frauen als Stahlarbeiterinnen, Chemikerinnen oder Ärztinnen gefeiert.
Die Zahl der in klassischen Männerberufen arbeitenden Frauen war während des Realsozialismus wesentlich höher als heute und wurde explizit unterstützt. Frauen, die in typischen Männerberufen arbeiteten, galten als Symbole der Überlegenheit des kommunistischen Regimes gegenüber dem Westen. „Dies hat sich im Bewusstsein der Menschen hier in Tschechien verankert. Die Gleichstellung der Frauen ist ein Thema, das man unmittelbar verbindet mit dem alten, ungewollten Regime”, sagt Alena Krížková. „Dies führt nun zu einer Ablehnung des Themas, und es wird sogar mit Revanchismus gleichgesetzt.”
Und das sowohl von Männern als auch von Frauen. Denn im Gegensatz zu den kapitalistischen Ländern mussten tschechische Frauen das Recht, arbeiten zu gehen, nicht erst erkämpfen – sie wurden von Staats wegen dazu verpflichtet. Hinzu kommt, dass die Regierung, die diese Schritte einleitete, von der Bevölkerung des Landes immer als „Besatzer” begriffen wurde.

Links ausgeschlossen. Alles, was in Tschechien auch nur den Anschein von linken Denkmustern erweckt, wird gesellschaftlich unterminiert. So wurde Ende September dieses Jahres die Soziologin Tereza Stöckelová unter großem Aufsehen vom renommierten deutsch-tschechischen Gesprächsforum ausgeschlossen. Als Begründung wurde ihr Engagement in einer NGO genannt, die sich zum linken Spektrum bekennt. In den tschechischen Medien fand sich dies, wenn überhaupt, als Randnotiz wieder.
Auch Jana Kavková, Vorsitzende der außerparlamentarischen Vereinigung „Pro50Prozent”, die sich für eine Frauenquote in der Politik einsetzt, kennt diese Vorurteile: „Man wird immer wieder mit diesen Vorwürfen abgekanzelt. Alles, was auch nur im Verdacht steht, mit dem alten Regime zu tun zu haben, trifft auf Ablehnung.” Selbst wenn es sich um Projekte handelt, die von der Regierung selbst ausgehen. So wurde vor einigen Jahren eine eher harmlose Broschüre in Schulen verteilt, die über politisch korrekte Formulierungen aufklären sollte. „Das Medienecho war enorm. Die Broschüre wurde derart hart sowohl von den Politikern als auch von den Medien attackiert, dass wir sie zurücknehmen mussten,” sagt Pavla Špondrová. Doch das sei nicht einmal das größte Problem: „Es betrifft ja auch die Männer. Sie stehen durch diese starren Rollenklischees selbst enorm unter Druck.” Ihrer Meinung nach ist häusliche Gewalt eine der Folgen dieses Drucks und ein Problem, auf das sie sich jetzt konzentrieren will.

Ramona Vogel ist freie Journalistin und lebt und arbeitet zurzeit in Prag.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Monatsmagazin, www.anschlaege.at