Schwarz-Gelb und das Prinzip Hoffnung

Die schwarz-gelbe Regierung weiß, dass sie mit ihrem Koalitionsprogramm weit hinter den eigenen Grundsätzen zurückbleibt. Zwar bekräftigen die Koalitionäre das Ziel einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik. »Die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist nur gegeben, wenn der Weg in den Verschuldungsstaat gestoppt wird.« (»Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode«: 11) Faktisch aber startet die neue Regierung mit einer Erhöhung der öffentlichen Schulden, und der Zeitpunkt des proklamierten Kurswechsels in Richtung Sparen ist offen. Konkret festgelegt sind vor allem Steuersenkungen im Umfang von rund sieben Mrd. Euro, die Familien und Unternehmen schon per 1.1.2010 entlasten sollen. Für die Legislaturperiode insgesamt ist ein Steuersenkungsvolumen von 24 Mrd. Euro vorgesehen. Dieses Paket erhöht die Schuldenaufnahme und verstärkt die Steuerreduktionen von 14 Mrd. Euro, die bereits die alte Regierung beschlossen hatte.

Die Begründung für das Aufschieben eines Spar- und Konsolidierungskurses: »Wir gehen davon aus, dass die in diesem Koalitionsvertrag vereinbarte Politik zu einer spürbaren Steigerung des wirtschaftlichen Wachstums führt. Insbesondere erwarten wir eine Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. 100.000 Arbeitslose weniger haben eine Entlastungswirkung von etwa zwei Milliarden Euro im Haushalt und den Sozialkassen.« (ebd.) Bleibt diese Entlastungswirkung durch ein politisch verstärktes Wirtschaftswachstum jedoch aus, steht die schwarz-gelbe Koalition nicht nur vor einem Schuldenberg, sondern hat ein massives politisches Problem. So geht denn die Koalition mit dem Prinzip Hoffnung an die Arbeit. Aber: »Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.« (12)

Die bürgerliche Regierungskoalition glaubt an ihr Programm vom schlanken Staat, einer bürokratiearmen, effizienten Wirtschaft und einem minimierten Sozialstaat. Aber die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise seit Mitte 2007 hat die Realisierung dieser Ideale zunächst in die weitere Ferne gerückt. Mit einer massiven Ausweitung der öffentlichen Kredite wurde der drohende Zusammenbruch des Finanz- und Bankensystems abgewendet. Realistisch betonen die Koalitionäre, dass sie die finanziellen Folgen des Wachstumseinbruchs nicht ungeschehen machen können. Ein sofortiges Umschwenken auf einen rigiden Sparkurs »wäre auch im historischen Maßstab ein schwerer Fehler«. (1) Aber auch wenn die »Weltwirtschaftskrise eine vorübergehende stärkere Rolle des Staates« erzwungen hat, müssten die Perspektiven einer von Staatsinterventionen wieder befreiten Wirtschaft klar sein. »CDU, CSU und FDP sind sich einig: Die Beteiligung des Staates an Wirtschaftsunternehmen und Finanz­instituten ist so eng wie möglich zeitlich zu begrenzen.« (2) Doch zunächst muss die ökonomisch-finanzielle Basis wieder stimmen.

Dazu gehört, dass Schwarz-Gelb - wenn auch zähneknirschend - die krisenbedingten Einnahmeausfälle für die Arbeitslosen- und Krankenversicherung im kommenden Jahr aus Steuermitteln auffangen will. Die neue Regierung verspricht mit Blick auf den schon gespannten milliardenschweren Schutzschirm für Banken nun auch einen »Schirm zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise« (12). Damit ist gemeint, dass die hohen Defizite der Arbeitslosenkasse im nächsten Jahr aus Steuermitteln bezahlt werden. Bisher waren dafür Darlehen vorgesehen, die die Bundesagentur für Arbeit theoretisch wieder hätte zurückzahlen müssen. So braucht man die Beiträge an die Arbeitslosenversicherung zunächst nicht über den Satz von 3% hinaus zu erhöhen. Lohndumpingpolitik und Prekarisierung bleiben. Das Verbot sittenwidriger Löhne schreibt nur die bisherige Rechtsprechung fest - und zementiert damit tiefste Armutslöhne. Und die Verlängerung sachgrundloser Befristung von Beschäftigungsverhältnissen macht eine Politik des »hire and fire« noch leichter. Mit der Erhöhung von Zuverdienstmöglichkeiten im Rahmen des Arbeitslosengeldes II können CDU/CSU und FDP ihr altes Projekt »Kombilohn« nun weiter verfolgen.

2010 könnte die Koalition die Idee wieder aufwärmen, die hohen Kosten (für das kommende Jahr rund 16 Mrd. Euro) in einen Schattenhaushalt auszulagern. Auch die Defizite des Gesundheitsfonds sollen für 2010 über Steuermittel aufgebracht werden. Gleichwohl darf nicht übersehen werden: Die schwarz-gelbe Koalition will die Gesundheitskosten grundsätzlich von den Arbeitskosten entkoppeln, indem der Beitragssatz für die Unternehmen eingefroren wird. Zudem sollen die Beiträge an die gesetzlichen Krankenkassen zumindest teilweise auf Kopfpauschalen (wie in der Schweiz) umgestellt werden. Besserverdienenden wird der Ausstieg aus der gesetzlichen Krankenversicherung erleichtert. Und in der Pflegeversicherung wird neben der Umlagefinanzierung eine kapitalgedeckte Säule aufgebaut.

Mit dem Vorrang für Maßnahmen, die aus der Krise herausführen sollen, hofft die bürgerliche Koalition, ab 2011 ihr eigentlich neoliberales Grundsatzprogramm anpacken zu können. Die­se Logik unterstreicht der neue Finanzminister Schäuble und der wird sowohl laut Koalitionsvertrag als auch durch die sozioökonomische Grundkonstellation zunächst über einen großen Einfluss verfügen. Schäuble ist noch vorsichtiger als der Tenor des Koalitionsvertrages: An eine Schuldenrückführung und Sparmaßnahmen sei erst nach einem Ende der Wirtschafts- und Finanzkrise zu denken. Wann das sein werde, könne niemand mit Sicherheit sagen. In der laufenden Legislaturperiode sei ein ausgeglichener Haushalt reine Utopie. Schäuble unterstreicht, dass die Rückführung der öffentlichen Neuverschuldung so dimensioniert werden muss, dass der zunächst angestrebte wirtschaftliche Erholungsprozess nicht gefährdet wird.

Und wie sieht es mit dem Bewährungsjahr 2010 aus? Wird man mit den geplanten Maßnahmen aus der wirtschaftlichen Talsohle herauskommen? Skepsis ist angebracht. Schon die alte schwarz-rote Regierungskoalition hatte fragwürdige Steuersenkungen in der Größenordnung von 14 Mrd. Euro für 2010 beschlossen. Die steuerliche Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen sowie Unternehmens- und Erbschaftssteuersenkungen sind keine wirksamen Parameter für Konjunkturimpulse. Von diesen Maßnahmen profitieren überwiegend höhere Einkommensbezieher, und deren höhere Nettoeinkommen gehen in die Vermögensanlage. Die zusätzlichen Steuererleichterungen vor allem für Haushalte mit Kindern bringen in der fragilen Konjunkturlage zu wenig Impulse. Union und FDP leben deshalb zu Beginn ihrer Regierungszeit vom Prinzip Hoffnung. Die neue Regierung baut darauf, dass das Wirtschaftswachstum die Haushaltslage von selbst entschärfen wird.

Schon jetzt wird der schwarz-gelben Regierung aus dem bürgerlichen Lager Inkonsequenz und Halbherzigkeit vorgeworfen, in dem man die Krise schon für überwunden erklärt. Teile fordern klare Schritte zur Eindämmung des öffentlichen Kredits und zum Rückzug des Staates aus der Krisenwirtschaft. Die­se Kritik lässt erkennen, dass auch das bürgerliche Lager über keine stabilen Machtverhältnisse verfügt. Schäuble, Westerwelle und Co. werden mithin reichlich zu tun haben, den Kritikern und Skeptikern aus den eigenen Reihen die fragile Situation zu erläutern.

Ein Blick über die Grenzen könnte hilfreich sein. So hat Japan mit einer doppelt so hohen Staatsverschuldung gegen einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Und in Großbritannien musste entgegen der Erwartung, dass die Talsohle bereits durchschritten sei, ein weiterer Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 0,4% gegenüber dem Vorquartal konstatiert werden - das sechste aufeinander folgende Quartal mit negativem Wachstum und damit die längste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Großbritannien hat mit einem kumulierten Einbruch des BIP um 6% Deutschland mittlerweile bei der Talfahrt nach unten überholt. Vor allem fällt auf, dass die andauernde Schwäche des britischen Pfundes bisher offenkundig nicht zu einem nennenswerten Exportwachstum bei der verarbeitenden Industrie geführt hat.

Im bürgerlichen Lager bleibt strittig, welche weiteren Konsequenzen die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise haben wird. Die Hoffnung, mit den 24 Mrd. Euro Steuersenkungen und einer öffentlichen Neuverschuldung von über 100 Mrd. Euro das Schlimmste überstanden zu haben und sich auf dem Pfad in Richtung eines sich selbst verstärkenden Wirtschaftswachstums zu befinden, könnte sich bald als gefährliche Illusion erweisen.

Die politische Alternative zum schwarz-gelben Regierungsprogramm wären Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes, die Stärkung der Massenkaufkraft durch Mindestlöhne, Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV und Maßnahmen zur Aufhebung der Altersarmut sowie massive öffentliche Investitionen. Ein solches Übergangsprogramm kann die Brücke sein für einen grundlegenderen Umbau der bestehenden Wirtschaftsordnung.