Kunstvermittlung, Made in Criticalland

in (06.10.2009)

Ich wurde eingeladen, als „theoretisch versierte Praktikerin“ über Kunstvermittlung als „kritisch theoretische Praxis“ zu schreiben. Eine Einladung, der ich gern folge, obgleich sich beim Nachdenken über den angefragten Text Zweifel einstellten gegenüber kritischer Kunstvermittlung gerade auch im Verhältnis zu dem im Heft verhandelten Fragen von Praxistheorie, Praxeologie, praktischem Sinn, Praxiswissen etc. Praxistheorien fragen nach den Bedingungen ihrer theoretischen Erkenntnis. Schon länger meldet sich in mir Widerstand gegenüber der Mode des Kritischen in diesem Feld: Was bedeutet kritisch/Kritik im Verhältnis zu Kunstvermittlung[1]?

Kritische Kunstvermittlung ist en vouge, nicht nur durch die zuletzt erschienen Kunstvermittlungsbände zur documenta 12[2], auch durch die Zunahme an Studienangeboten zu Kunstvermittlung/Curatorial Studies, an Förderungsmöglichkeiten Kultureller Bildung, dem Ruf nach ästhetischer Bildung[3] und der kommunikativen Neuausrichtung von (Blockbuster) Institutionen.

Wohin also mit dem Arsenal an „Neutronenbomben der Dekonstruktion“ und den „Raketen der Diskursanalyse“? (Latour) Wie und wo schlagen Sie tatsächlich ein und detonieren? Oder erweisen sich Diskursanalyse und Dekonstruktion nicht selten als Blindgänger der Kritik an Herrschaft und Macht, die Gesellschaft mit ihren sozialen Verhältnissen selbst nicht mehr als Möglichkeit/Konsequenz, sondern immer schon als Ursache sieht? Wie würde eine Kritik aussehen, die sich nicht als distanzierter Blick auf Tatsachen und deren Bedingungen artikuliert und die Fakten, die realpolitische Wirklichkeit, akzeptiert? Wie kann sich Kritik in die Dinge von Belang involvieren und ihnen gegenüber wieder eine realistische Haltung einnehmen?[4]

 

Kunstvermittlung von Belang

Demonstrators oder Guides galten Ende des 19. Jahrhundert in Londoner Museen als schöngeistige Vermittler wie auch als Erzieher des musemsuntauglichen Proletariats[5]. In den 1970ern werkelten die Museumspädagoginnen an einer sozialdemokratischen Kultur für alle. In den 1990er Jahren galt Kunstvermittlung selbst als Vermittlungskunst. Spätestens seit den 1990ern stehen Kunstvermittler_innen auch für eine eigenständige interdisziplinäre Praxis, die Theorie-Praxis-Kollektive wie Stördienst, Kunstcoop, Deutsch Wissen, Secret Service oder trafo.k hervorbringt, parallel zu einer akademischen Institutionalisierung des Diskurses.

Kunstvermittlung ist heute institutioneller Imperativ. Ohne sie – im Sinne eines kommunikativen Angebots – kommt keine Institution, kein mit öffentlichen Geldern gefördertes Projekt aus und dabei ist Kunstvermittlung eines bis heute sehr selten: ein Gegenüber. Vor dem Hintergrund eigener Arbeitskontexte finde ich daher folgende Fragen zentral: Was heißt es, gesellschaftspolitische Fragestellungen in die Repräsentation zu bringen und damit in ein Display zu drängen und gleichzeitig den Anspruch zu verfolgen, Phänomenologisierungen und Genrefizierungen entgegenzuarbeiten? Wie kann eine instituierende kunstvermittlerische Praxis ein antagonistisches Verhältnis zu Kunst herausfordern? Ist sie befähigt, die Legitimität der Kunst zu befragen und damit einen politischen Anspruch an künstlerische Produktion aufrecht zu erhalten? Erklärtes Ziel einer kritischen Praxis hier sind Verschiebungen im hegemonialen Feld der Kultur ...

Dieser Anspruch lässt sich weder in in house Abteilungen, z. B. den so genannten Besucherdiensten, noch outgesourcten prekarisierten Formen spezieller Vermittlungsformate verwirklichen, wenn sich Fragestellung und Methodik nicht im Wechselspiel mit kuratorischen Konzeptionen und künstlerischen Forschungen/Haltungen entwickeln. Oder in anderen Worten: Wenn mit Kunstvermittlung ein Anspruch an die Kunst verbunden bleibt, der sich auch bildungstheoretisch[6] verortet.

 

„Sehen Sie jetzt warum es so gut tut, ein kritischer Geist zu sein? Man hat immer recht.“ (Latour) Kritische Kunstvermittlung als Geist, der immer Recht hat? Kritik, die zum Gestus verkommt statt sich mit den Dingen in Konflikt zu bringen? Kunstvermittlung als tatsächliche, kritische Praxis schlägt eine Bresche in die Ausstellungen und Institutionen. Damit würde das soziale Verhältnis zwischen Kunst, Vermittlung und Öffentlichkeit in ein konfliktuell-politisches gewandelt, würde es uns wieder etwas angehen.

 

 

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Herbst 2009, „Praxistheorien“.

 



[1] Mit dem Begriff der Kunstvermittlung beziehe ich mich im Folgenden vor allem auf personelle Vermittlung zeitgenössischer Kunst in Großausstellungen und Institutionen wie instituierende Praxen der Kunstvermittlung im deutschsprachigen Raum.

[2] Wanda Wieczork et al. (Hg.): Kunstvermittlung. Die Arbeit mit dem Publikum, Öffnung der Institution, Bd. 1, Zürich/Berlin 2009; Carmen Mörsch (Hg.): Kunstvermittlung. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung, Bd. 2, Zürich/Berlin 2009.

[3] Die Konjunktur ästhetischer Erziehung und Bildung verspricht inzwischen nicht nur eine Versöhnung von den Sinnen und der Vernunft und eine ganzheitlich gebildete humanistische Persönlichkeit; vielmehr träumen neoliberale Bildungspolitiker_innen genauso von zukünftigen Museumsbesucher_innen, wie von kreativen Arbeitssubjekten.

[4] Vgl. Bruno Latour: Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang, Berlin 2007.

[5] Vgl. Nora Sternfeld: Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung, in: schnittpunkt (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S.18/19.

[6] Vgl. „Will die Kunstpädagogik nicht ein Spielball, eine Ersatzleiter, ein Notfallszenario für Krisenzeiten oder schmuckes Beiwerk bildungspolitischer und bildungswissenschaftlicher Konjunkturen bleiben, so ist es an der Zeit, einen Weg zu beschreiten (methodos), der Kunst, Kultur und Pädagogik gleichermaßen berücksichtigt und ohne Standesdünkel jedweder Art denkbar macht. (...) Anders formuliert: Professionstheoretische Verortung der Kunstpädagogik als Praxis und Wissenschaft könnte ein möglicher Weg sein.“ Agnieszka Dzierbiska, „Es sieht gut aus für die Kunstpädagogik“, in: Eva Eggermann/Anna Pritz (Hg.): school works. Beiträge zu vermittelnder, künstlerischer und forschender Praxis, Wien 2009, S. 54.