Das Produktionsmittel Genom im Fokus

Zwei Protagonisten linker Sichtweisen auf Technologie eröffnen eine Diskussion im GID zum Verhältnis von Technik und Gesellschaft. In welchem Verhältnis stehen Gesellschaft und Technik zueinander? Ist Technik ein eigengesetzliches, nur von der Art der Produktionsverhältnisse abhängiges Phänomen? Oder muss das Wesen der ‚Produktivkraft Wissenschaft’ in den Blick genommen werden?


Reinhard Mocek:
Brauchen wir eine neue technologiepolitisch induzierte Theorie der Gesellschaft?

Reinhard Mocek leitete das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte in Halle und war Vorsitzender des Vorstandes der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er trat schon 1988 im DDR-Theorie-Organ „Einheit“ für eine bedingte Nutzung der Gentechnik ein.

Als die Linken in Ost und West wieder zusammenfanden, ging das natürlich nicht ohne neue Grundsatzpapiere. Ein ganzer Packen theoretischer Altlasten wanderte auf den Müll, darunter zu guten Teilen auch die Marx’sche Theorie der Produktivkräfte. Das blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen politisch-konzeptioneller Natur: Liest man in diesen neuen Papieren, muss man registrieren, dass so gut wie kein bedeutungsschweres Wort zu den modernen Technologien gesagt wird. Nichts zu ihrer entscheidend prägenden Rolle für Erziehung, Ausbildung, Berufsorientierung und letztlich Menschenbildung.
Die Gestaltung einer humanen und gerechten zukünftigen Welt ist jedoch ohne die Potenziale moderner Technologien - der sozialen wie der naturwissenschaftlichen - undenkbar. Wahrscheinlich müssen sich sowohl ost- wie westdeutsche linke Abteilungen zu diesem Problemkomplex noch einigen; in der Partei der Linken bildet bislang das ökologische Vermächtnis der Grünen eine Art Leitlinie für die technologiepolitische Programmatik. Auch der Arbeitskreis „Philosophie und Bildung“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung stellt sich dieser Diskussion unter den Vorgaben von Solidarität, Gerechtigkeit und der Bewahrung des Lebens.(1)

Prämissen einer linken Technologiepolitik
Auf welcher Basis aber ist dieser Dialog zu führen? Vielleicht besteht die entscheidende Frage darin, ob eher mit politischen oder eher mit wissenschaftlichen Argumenten über die Nutzung von Technologien zu entscheiden ist. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht darf aus dem System der Wissensproduktion keine einzelne Disziplin weggestrichen werden, ohne dem Gesamt von Wissenschaft Schaden zuzufügen. Ist also der beispiellose Coup der hiesigen Stammzell-Politiker, nur im Ausland gewonnene Kulturen für die Verwendung freizugeben, eher wissenschaftlichen oder eher politischen Erwägungen zuzurechnen? Entscheidungen über Erlaubnis oder Verbot von Technologien sind oft Gretchenfragen, also Grundfragen nach einer humanen Zukunftsgestaltung.
Bedenken treffen neben der grünen Gentechnik auch Anwendungsfelder, deren Segen so mancher schon am eigenen Leibe gespürt haben mag – ich selbst bin Diabetiker. Die Debatte über die Risiken der Gentechnik bezieht sich nur auf den gegenwärtigen Stand ihrer Entwicklung, also auf das Anfangsstadium dieser Technologie. Ihre Befürworter innerhalb der Reihen der Linken haben deshalb immer die kritische Begleitung der Entwicklungsschritte an den Anfang ihrer Argumentation gestellt. Dass sich die Industrie und deren Lobby kaum daran halten, darf uns nicht dazu verleiten, aus Prinzip dagegen zu sein. Ein großer Teil kognitiver Zukunftsvorsorge hängt an dieser Frage.
Aber gibt es denn neben der dialogischen Erkundungsstrategie in den Labors der Wissenschaft so etwas wie eine weltanschauliche Basis für die diversen Parteidiskussionen zur Nutzung von Gen- oder Atomtechnologien?
Ich bejahe diese Frage und möchte auf der Basis der Marx’ schen Gesellschaftstheorie zwei Punkte besonders herausstellen: Zum einen werden Existenz und Wohlfahrt der Gattung über die Förderung, Pflege, den Einsatz und die kritische Begleitung moderner Technologien gesichert; zum anderen basiert das Verhältnis zur Technik auf einem analytisch begründeten Nachhaltigkeitsdenken, das akzeptiert, dass es vor allem moderne Technologien sind, die viele Nachhaltigkeitskonzepte erst ermöglichen, und das nicht nur für die hochentwickelten Länder. Eine der schönsten Formulierungen ökologischen Nachhaltigkeitsdenkens bei Marx ist der Leitsatz von der Humanisierung der Natur, die von einer ebenso durchgreifenden Naturalisierung des Menschen begleitet sein solle. Darunter verstand er die freie Entfaltung der schöpferischen Anlagen humanen Menschseins. Ich wage die These, dass dieser Leitsatz neben anderen theoretischen und weltanschaulichen Strategien eine konsensfähige Basis etlicher ökologierelevanter Konzeptionen bilden könnte.

Entscheidend sind die Produktionsverhältnisse...
Die traditionellen Theorien über soziale Entwicklung haben zumindest den Vorteil, „nachdenkbar“ zu sein und irrationale Ansätze aus dem Diskurs fernzuhalten. Eine neue anzustrebende Debatte muss mit der Wissenschaft im Bunde und im Geiste ökologischer Traditionen das aus engstirnigen Egoismen resultierende Trennende zu überwinden suchen. Ein schöner Traum, werden manche Leser und Leserinnen sagen. Gut so, sage ich: Versuchen können und sollen wir es!
Nun ist es ja keine Neuigkeit, dass auf das Ganze von Gesellschaft zielende gesellschaftstheoretische Konzepte nicht ohne den Blick auf das materielle und ideelle Fundament von gesellschaftlicher Entwicklung, von Fortschritt und Existenzsicherung auskommen. Die Kalkulation der Entwicklungspotentiale - sie bestehen aus der Gesamtheit der produktiven Kräfte einer existierenden Gesellschaft, vereinfacht gesprochen aus Mensch und Produktionsinstrument - darf allerdings nicht übersehen, dass sich diese Interaktionen stets unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen abspielen. Private Verfügungsmacht hat hier viel Unheil angerichtet; die sozialistische Planwirtschaft brachte mit ihrem Scheitern ganze Gesellschaften an den Rand des Abgrunds. Produktionsverhältnisse entscheiden ganz wesentlich darüber, ob und wie neue produktive Kräfte in der Gesellschaft zur Wirkung kommen. Die hinreichend sicheren und Nachhaltigkeit sichernden Produktionsverhältnisse sind bisher nicht „erfunden“; so stehen Kapitalismus und Sozialismus und ihre Affirmation der Macht der Produktivkräfte noch allein auf weiter Flur.
In dieser Lage ergeben sich zwei Alternativen: a) Die bisher existenten Formen von Produktionsverhältnissen werden so verbessert, dass sie die technologische Entwicklungen besser mit dem Ziel einer humanen Zukunftsgestaltung in Einklang bringen können. Allein die ökologische Misere zeigt zur Genüge, wie weit der real existierende Kapitalismus von solchen Verbesserungen entfernt ist. Das bessere „Neue“ besteht hier allenfalls in einer Perfektionierung des Alten. Eine Verbesserung des real nicht mehr existierenden Sozialismus muss aus anderen Gründen unbefriedigend bleiben: Sie kann nur theoretisch umrissen werden.
b) Wir suchen nach einer neuen Produktionsweise, in der die Potenziale der Produktivkräfte der Verfügungsmacht einiger Weniger entzogen sind und stattdessen der Allgemeinheit zur Disposition stehen. An einem solchen Prozess wäre die Wissenschaft angemessen zu beteiligen. Die Idee einer demokratischen Wissenschaft, die antikapitalistische wie antisozialistische Erfahrungen im gesellschaftlichen Umgang mit Technologie verarbeitet, mag mit dem Siegeszug des Neoliberalismus ihren großen Atem verloren haben. Sie sollte trotzdem - oder gerade deshalb - Leitbild linker Technologiepolitik sein.

...aber auch die Produktivkräfte spielen eine Rolle
Die im Vorstehenden kurz umrissene Marx’sche Theorie ist natürlich eine Vereinfachung. Sie läuft Gefahr, die Gesamtheit der Faktoren auszublenden, die das zivilgesellschaftliche Dasein prägen. Nach wie vor halte ich eine Begrenzung des Begriffs der Produktivkraft für richtig: Ihre Summe ist demnach die Gesamtheit der im produktiven, technologischen Bereich der Gesellschaft vorhandenen Potenziale. Spätestens seit Antonio Gramsci wissen wir aber, dass geistig-kulturelle, wissenschaftliche und künstlerische Faktoren - eben die Lebenswelt - nicht gänzlich von dieser Gesamtheit ausgeschlossen werden können. Die Zeiten, da man säuberlich zu unterscheiden suchte, was zur Kultur und was dagegen zum „gesellschaftlichen Sein“ zu zählen sei, sind längst vorbei.
Dennoch wird auch in aktuellen Debatten noch heftig gewertet. Die marxistische Theorietradition etwa wird verdächtigt, die Produktivkräfte von den Risiken der technischen Zivilisation zu entkoppeln und von ihnen losgelöst zu betrachten. Im Marx’schen Ansatz verberge sich die These von der „Unschuld der Produktivkräfte“. Dabei ist eine solche blinde Gefolgschaft keineswegs die einzig mögliche Konsequenz des Marx’schen Ansatzes - wenn überhaupt eine ernsthafte. Marx’ Prämisse lautete, dass Menschen „ihrer (der technologischen Entwicklung) Meister“ werden müssen. Dass das nach hinten losgehen kann, hat er damit durchaus offen gelassen.
Technologien haben große gesellschaftliche Durchsetzungskraft. Es ist nicht zu übersehen  wenn auch oft bestritten - dass sie sich in mancherlei Hinsicht nach eigenen, ihnen innewohnenden Gesetzen formen, einer eigenen inneren Logik folgen. Ohne die ‚unschuldigen’ Mendelschen Gesetze gäbe es vermutlich keine Gentechnik, aber ohne ein gesellschaftliches Bedürfnis danach hätte die Technologie ganz sicher nicht die Bedeutung, die sie heute hat. Nicht zu übersehen ist aber auch, dass das gesellschaftliche Bedürfnis sich auf verschiedensten Ebenen manifestiert und auswirkt. So gehen die fatalen Auswirkungen kapitalbeherrschter Strategien der großen Saatgutmonopole eindeutig zu Lasten der kleinen Bauern in den betroffenen Ländern. Hier wird sehr deutlich, wie privat genutzte Produktivkräfte funktionierende gesellschaftliche Verhältnisse zerstören. Auf der anderen Seite ist der ganze Wohlstand der nordamerikanischen wie europäischen Weltteile ohne den hohen Entwicklungsstand der Technologien nicht denkbar. Soll diese Ambivalenz der modernen Technik zum Wohle des Menschen kanalisiert werden, geht das in der Tat nicht durch technische Korrekturen. Hier sind gesellschaftliche Veränderungen notwendig, auf welchem Wege auch immer.
Die entscheidende Rolle der ökonomischen, politischen und juridischen Verhältnisse, unter denen Technologien „ihre Unschuld verlieren“, ist nicht zu übersehen. Ein Kampf gegen die Technik greift deshalb am falschen Ende des Problems an. Eine „kritische Begleitung“ technischer Entwicklungen sollte vielmehr die Wissenschaft in den Vordergrund stellen. Dort muss das „letzte“ Argument für Entscheidungen in den eingangs als Gretchenfragen titulierten Bewertungen des Nutzens von Technologien herkommen, nicht aus dem Parteiendialog. Die Rezepturen für neue Arzneimittel werden nicht auf Parteitagen der Linken oder der Grünen vorgestellt, sondern in Laboren erprobt. Sicherlich bleibt auch dann ein Risiko: Es wird wohl noch eine ganze Weile um eine Abwägung des „Schadens“ gegenüber dem „Nutzen“ gehen. Und doch vertraue ich der Wissenschaft mehr als der Parteipolitik, wohl wissend, dass auch Wissenschaftler nur Spezies der Gattung Homo politicus sind. Doch ihrem aufrechten Gang traue ich, weil wissenschaftliche Wahrheit unhintergehbar ist.
Wir müssen weg von auf Mehrheiten schielenden, politisch sanktionierten Vermutungen hin zu einem Umgang mit den neuen Technologien, der Hand und Fuß hat. Geklärt werden müssen grundsätzliche Fragen der Technologiepolitik. Denn für eine Theorie der Gesellschaft ist die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Gesellschaft und Technologie notwendig. Der Dialog um eine demokratische Wissenschaft ist noch längst nicht zu Ende gekommen.


Fußnoten:
(1)    Vgl. Reinhard Mocek (Hg.): Technologiepolitik und kritische Vernunft. Wie geht die Linke mit den neuen Technologien um? (= Reihe Manuskripte 79), Berlin 2008.
(2)    Fraktionsvorsitzendenkonferenz und umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktionen (Hg.): Wessen Welt ist die Welt? Unsere umweltpolitischen Vorschläge. Die Linke. PDS im Parlament, V.i.S.d.P. Roland Claus, ohne Datum, S. 27.
(3)    Dieser Satz basiert auf einer Rede von Karl Marx zur Jahresfeier des People's Paper am 14. April 1856, in: Marx-Engels-Werke Bd. 12, Berlin 1963, S. 4.


Rainer Hohlfeld:
Das Dogma von der „Unschuld der Produktivkräfte“

Rainer Hohlfeld gehörte schon zur Zeit der Gründergeneration der „Grünen“ zu den profilierten Kritikern der Gentechnik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt und im Sekretariat der Enquetekommission ‚Chancen und Risiken der Gentechnologie’.

Als Teilnehmer an der technologiepolitischen Debatte der letzten 30 Jahre - vor allen Dingen zur Gentechnologie - vermisse ich in den Thesen von Reinhard Mocek die Rezeption der Diskussionen zur Ökologie und zum wissenschaftlichen und technischen Naturverhältnis. Auch wenn man diese Positionen nicht teilt, ist es hilfreich, sich an ihnen argumentativ „abzuarbeiten“, um zu weiterführenden Synthesen zu kommen.
So vermisse ich vor allem die Rezeption der Positionen und Argumente, die in der westdeutschen Linken in den 1970er und 1980er Jahren herausgearbeitet wurden. Damals ging es um eine Kritik der Industriegesellschaft, um die Produktivkraft Wissenschaft, um die Risiko- und Wissensgesellschaft, um die Beherrschung der Natur durch Wissenschaft, kurz: um das wissenschaftliche und technische Naturverhältnis. Die Ergebnisse dieser Debatte, in deren Folge unter anderem die „Grünen“ als Partei gegründet wurden, sind mehrfach dokumentiert.(1)
Risiken der Gentechnik waren über die Systemgrenzen hinweg Thema, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise. Bei den „Gaterslebener Gesprächen“ am Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) stieß ich mit meinen von der westdeutschen linken Ökologiedebatte geprägten Positionen auf Unverständnis. Ich erinnere mich noch genau, wie skeptisch das Konzept der Risikogesellschaft am Institut für Geschichte und Organisation der Wissenschaft der AdW in Berlin aufgenommen wurde: „Diese Luxusdiskussion kann sich nur eine reiche Konsumgesellschaft leisten“, wurde mir noch 1988 von der AG Biotechnologie des Institutes entgegengehalten.(2) Nun gehören die Diskussionsteilnehmer von damals seit zwanzig Jahren eben dieser Luxusgesellschaft an und scheinen sich mit dem „his-torisch Vorgefundenen“ arrangieren zu wollen. Notwendig ist aber die Rezeption alter Diskurse auf allen Seiten, sonst kann es kein Zusammenwachsen linker Kulturen geben. Wenn es um Dauerthemen wie Wissenschaftsfreiheit und Steuerung der Wissenschaft geht, betrifft das Vergessen zudem auch die alten Teile der neuen Republik. Da werden Argumente aus der Mottenkiste geholt, die nach 1968 längst widerlegt waren.
Manches, was damals nach langen, heftigen Debatten gut begründet auf den Tisch gelegt worden ist, soll deshalb noch einmal in Erinnerung gerufen werden. Denn die zentralen Argumente in der linken Ökologiedebatte der 1970er und 1980er Jahre zielten sowohl auf Struktur wie auf Inhalt der „Produktivkraft Wissenschaft“.

Die instrumentelle Herrschaft über Natur
Sicherlich ist das, was wir in der westlichen Industriegesellschaft als modern bezeichnen, ohne einen instrumentellen Umgang mit Natur nicht denkbar. Es ist zum Kennzeichen der (westlichen) Moderne geworden, dass wir uns Alternativen kaum noch vorstellen können. Die Geschichte indes ist voller Beispiele für einen alternativen Umgang mit der Natur. Ich nenne nur die Aristotelische Biologie und die chinesische Wissenschaft vor ihrem Wirtschaftswunder. Der experimentelle Eingriff folgt dem Modell des menschlichen Handelns, zwingt die Natur unter das Kausalgesetz und kanalisiert natürliche Verläufe.
Sicherlich ist der hohe Grad an intersubjektiver Gewissheit nur über die intervenierende Kausalität erreichbar, aber wie hoch ist der Preis? Die kausale Grundoperation – nämlich die Herstellung von Objekten unter immer gleichen Bedingungen des wollenden Handelns – ist gleichzeitig die Grundoperation von Beherrschung und Bemächtigung, die dem Wesen der Technik eingeschrieben ist. Der englische Philosoph Francis Bacon hat das in die schöne Metapher gekleidet: „die Natur ins Verhör nehmen“ oder „die Natur auf die Folter spannen“. Ist „auf die Folter spannen“ ein herrschaftsfreies Verhältnis? Der Kausalitäten schaffende Eingriff ist die Grundoperation dessen, was wir Produktivkraft Wissenschaft nennen. Und sie geht ein inniges Verhältnis zur Ökonomie ein (die andere Seite der Medaille), denn die instrumentelle Beherrschung ist die Bedingung von Herstellung, von Produktion.
„‚Modellieren – Synthetisieren – Patentieren’ wird in Zukunft das zentrale Dogma molekularbiologischer Forschung sein“, schrieb ich 1988. „Diese Affinität von wissenschaftlich-technischer Vernunft als Ingenieurskunst und ökonomischer Rationalität kommt nicht von ungefähr: Aufgrund der Eigenart des analytischen und konstruierenden Verfahrens von Wissenschaft und Technik sind deren Produkte ja definierbar, reproduzierbar, abmessbar, herstellbar, berechenbar und damit patentierbar.“(3) Die strukturelle Kopplung von Wissenschaft (als Produktivkraft) und Ökonomie (auch als Weltmarkt) hatte ja schon die synthetische Chemie der Anilinfarben vor 100 Jahren vorgemacht.(4)
Eine Kritik am globalen Kapitalismus ist deshalb nur durch eine Kritik des Imperialismus der instrumentellen Vernunft möglich. Kritisiert werden müssen nicht allein die Produktionsverhältnisse, sondern auch der Charakter der Produktivkräfte und des mit ihnen verbundenen technischen Fortschritts. Das ist also der erste Einwand, den ich gegen die durchlaufende Prämisse bei Reinhard Mocek erhebe: Er lässt die Kritik am Wesen der Produktivkräfte außen vor. Technologieentwicklung ist aber eben kein weitgehend eigengesetzliches Phänomen. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer intervenierenden, wollenden Handlung. Allerdings gesteht auch Mocek zu, dass die Suche nach einer neuen, anderen Produktionsweise von Wissen und Technik nach wie vor ein hochaktueller Ansatz für gesellschaftstheoretisches Denken ist. Das könnte doch eine Brücke für eine Verständigung sein, die Suche nach einem solchen Ansatz.

Die Risiken der instrumentellen Vernunft
Der zweite Einwand bezieht sich auf die Risiken der Technologie und kommt aus der Diskussion um die Risikogesellschaft. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Die Grundoperation des Experimentes, also der Basis moderner Naturwissenschaft, besteht in der Herstellung von Bedingungen der Reproduzierbarkeit. Reproduzierbarkeit wird über die „ceteris paribus“-Klausel hergestellt, das heißt, ein Parameter wird variiert, während alle anderen gleichgestellt bleiben. Mit dieser Herstellung der Wiederholbarkeit einer Situation ist die Beseitigung von Störgrößen verbunden. Durch den intervenierenden Zugriff findet also eine De-Kontextualisierung realer Phänomene statt; die für eine Abschätzung des Risikos der Technik relevanten Kontexte werden damit unsichtbar.(5) Deshalb ist mit dieser kausalen Form der Erkenntnisgewinnung immer ein konstitutives Nichtwissen verbunden. Mit anderen Worten: Die moderne Naturwissenschaft ist im Prinzip risikoblind.
Ich habe mir das zum ersten Mal an einem bekannten Beispiel klar gemacht: Die Fernwirkungen des Insektizides DDT - seine Anreicherung in Nahrungsendketten von Fischen und Regenwürmern, die darauf folgende Vergiftung von Vögeln und Schädigung von Amphibienembryonen - konnte den Chemikern, die das Insektizid erfanden, gar nicht in den Blick geraten. Der biologische Kontext war nicht Gegenstand chemischer Forschung, die Chemie war „kontextblind“. Ein anderes Beispiel aus der Genetik: Wenn ein bestimmtes Gen, das eine entscheidende Rolle bei der Zelldifferenzierung spielt, an eine andere Stelle des Genoms transformiert, im wahrsten Sinne des Wortes also verrückt wird, kann es zu einem Onko-Gen werden, weil es in diesem neuen genetischen Kontext eine andere Funktion erhält. So erhöht die De-Kontextualisierung des ras-Gens das Krebsrisiko.
Ich gebe zu: Beide Einwände machen es schwer, die Möglichkeit eines technischen Fortschritts zu denken, weil sie auf die Struktur der Produktivkräfte abzielen. Aber ohne Kenntnis dieser theoretischen und empirischen Einwände wird es nicht möglich sein, die Basis für eine linke Kritik der kapitalistischen Globalisierung und der ihr zugrunde liegenden Denkweise zu finden. Wenn es richtig ist, dass eine innere Affinität, eine wechselseitige Beziehung zwischen instrumenteller Vernunft, Produktivkraft und ökonomischer Beherrschung besteht, dann ist antikapitalistische Politik nur durch eine Kritik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts möglich. Es gibt dann keinen „guten“ Fortschritt, denn er ist – wie auch Mocek sagt - unteilbar.

Notwendige Elemente einer Wissenschaft des Volkes
Wo bleibt in dieser Kritik an Naturwissenschaft und Technologie das „Positive“? So will ich zum Schluss noch ganz kurz einige mir notwendig erscheinende Merkmale einer demokratischen Wissenschaft erwähnen, einer „Science for the people“ oder „Wissenschaft des Volkes“, wie es in China zur Zeit der Kulturrevolution hieß: Sie muss 1. kontextsensibel, 2. sozial in ihrer kognitiven  Struktur und 3. politisch demokratisch sein.

1. Kontextsensibilität: Da die sozialen und kognitiven Kontexte der Wissenschaft, wie zum Beispiel Umwelt oder regionale Auswirkung, wesentliche Informationen über die Technikfolgen tragen, besteht die Hauptforderung einer kontextsensiblen Wissenschaft und Technik in einer Rekontextualisierung. Das heißt, dass diejenigen Schichten der Wissens(-Kontexte) rekonstruiert werden müssen, die beim Prozess der wissenschaftlichen Abstraktion beziehungsweise Reduktion ausgeblendet wurden (siehe oben). Auch die Erforschung der Kontexte kann aber zunächst nicht anders als kausal erfolgen. Nötig wäre also ein kognitives Modell, das Erklären und Verstehen einschließt.
2. Verankerung in der Gesellschaft: Wissensproduktion sollte in der Gesellschaft verankert sein und möglichst viele Formen der Kooperation und ein antielitäres Amalgam aus den verschiedensten kognitiven Elementen, vom handwerklichen Wissen bis zur physikalischen Theorie zulassen.
3. Partizipation am wissenschaftspolitischen Prozess: Erfahrungen mit der Partizipation von informierten Laien an wissenschaftspolitischen Prozessen gibt es bereits. Sie reichen von der Laienbeteiligung medizinischer Selbsthilfegruppen über die Einflussnahme auf die Pharmaproduktion im Fall der AIDS-Bewegung in den USA bis hin zur koordinierten Bürgerbeteiligung in so genannten „Konsensus“-Konferenzen. Trotz einiger Einflussnahme ist zweifelhaft, ob auf diese Weise die Forschung in die „Hand des Volkes“ gebracht werden kann.(6) Die kognitive Demokratisierung der Wissenschaft bleibt ein offenes und offenbar mühsames Problem, ein „neuer Wissenstyp“ - bislang - eine Illusion.

Fußnoten:
(1)    U.a. Daniel Bell: The coming of post-industrial society: a venture in social forecasting, New York 1973; Otto Ullrich: Technik und Herrschaft, Frankfurt 1977; Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986; Berichte der Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung aus den 1980er Jahren.
(2)    Rainer Hohlfeld: Biologie als Ingenieurskunst, in: Ästhetik und Kommunikation 69 (1988), S. 61-69. Siehe auch die Diskussionsbeiträge in: Hermann Wobus, Anna M. Wobus (Hrg.), Gaterslebener Begegnung Nr. 3-5.
(3)    Hohlfeld 1988, S. 64.
(4)    E. L. Winnacker: Synthetische Biologie, in: R. Hohlfeld, J. Herbig (Hg.): Die 2. Schöpfung, München 1992.
(5)    Ausführlich beschrieben habe ich dieses Argument in: W. Bonß, R. Hohlfeld und R. Kollek (Hg.): Kontexte der Wissenschaft - Wissenschaft im Kontext, Hamburg 1993.
(6)    Als besonders erfolgreiches wie ambivalentes Beispiel wird häufig die französische Muskeldystrophie-Vereinigung genannt, die wesentlich zur Errichtung eines Forschungstempels beitrug. Das „Genéthon“ avancierte dann zu einem institutionellen Teil der Sequenzierung des menschlichen Genoms.