Zur Geschichte und Funktion des NATO-Russland-Rats

Anfang März haben die NATO-Außenminister auf einer Sitzung in Brüssel vereinbart, nach dem NATO-Gipfel in Straßburg aus Anlass des 60-jährigen Bestehens dieses Militärpakts wieder formale Sitzungen des NATO-Russland-Rats abzuhalten. Diese wurden bekanntlich nach der Aggression Georgiens gegen Südossetien und der darauf folgenden Reaktion Russlands im August des vergangenen Jahres ausgesetzt. Auf der Sitzung legten die Regierungen der USA und Deutschlands ein gemeinsames Papier mit dem Titel vor „Die NATO und Europas Osten“. Darin wird unter anderem zu einer Erneuerung der Kooperation mit Russland aufgerufen. Mit Russland solle als „ebenbürtigem Partner“ zusammengearbeitet werden.

Worum es der NATO bei diesen schön klingenden Floskeln geht, macht Julie Kwizinski, der ehemalige sowjetische Botschafter in der BRD und heutige Vizevorsitzende des Duma-Komitees für internationale Beziehungen (unter dem Pseudonym Ju. Kotow), in einem Kommentar zur Brüsseler Tagung der NATO-Außenminister deutlich, der am 7. März in der KPRF-Zeitung „Sowjetskaja Rossija“ erschienen ist. Es geht darum, militärische Güter, einschließlich Waffen, über Russland nach Afghanistan zu transportieren. Russland soll mit dem Ziel eines reibungslosen Transits Druck auf die Staaten Zentralasiens ausüben. Kirgisien soll bewegt werden, seine Entscheidung, die dortige US-Luftwaffenbasis zu schließen, zurückzunehmen. Andere Staaten der Region sollen mit russischer Hilfe veranlasst werden, der Errichtung neuer NATO-Basen in ihren Ländern zuzustimmen. Zudem erwartet man von Russland möglichst einen noch aktiveren Beitrag im Afghanistankrieg, die Einstellung der militär-technischen Zusammenarbeit mit dem Iran und Druck auf Teheran mit dem Ziel, den US-Forderungen nachzukommen und davon Abstand zu nehmen, das Programm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie weiter zu verfolgen.


Pseudo-Partnerschaft im NATO-Russland-Rat

Der NATO-Russland-Rat geht letztlich auf die im Mai 1997 erfolgte Unterzeichnung der „Grundakte über die gegenseitigen Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation“ zurück. Als Konsultationsforum wurde der „Ständige Gemeinsame NATO-Russland-Rat“ geschaffen. Im Jahr 2001 hat die NATO ein Informationsbüro in Moskau eingerichtet. Russland hat eine Ständige Vertretung beim NATO-Hauptquartier in Brüssel und SHAPE im belgischen Mons eröffnet. 

Aus dem „Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat“ ist im Mai 2002 dann der „NATO-Russland-Rat“ (NRR) hervorgegangen. Der NRR tagt zweimal jährlich auf der Ebene der Außen- und Verteidigungsminister sowie der Generalstabschefs. Den Vorsitz hat der NATO-Generalsekretär. Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip getroffen. Ein Vetorecht hat Russland nicht. Bei Nichtübereinstimmung entscheidet die NATO allein.

Das macht deutlich, dass es sich beim NRR keineswegs um die Zusammenarbeit „ebenbürtiger Partner“ handelt. Anliegen der NATO war und ist es vielmehr, die „Grundakte“ und die damit verbundenen Instrumente für die Kontrolle Russlands sowie dafür zu nutzen, die aus der Osterweiterung der erwachsende Unruhe in der russischen Öffentlichkeit möglichst zu beschwichtigen.

In der „Grundakte“ ist die Rede von gegenseitigen Konsultationen, gemeinsamen Entscheidungen und gemeinsamem Handeln. Es findet sich darin, wenn auch verwaschen, auch eine These, die besagt, dass die beiden Seiten keine die europäische Sicherheit berührenden Handlungen ohne gegenseitige Konsultation und Übereinstimmung unternehmen werden.

Wie die Praxis der „Zusammenarbeit“ in dem von der NATO dominierten NRR aussieht, beschreibt Leonid Iwaschow, Generaloberst und Vizepräsident der russischen Akademie für geopolitische Wissenschaften, in einem 2007 aus Anlass des zehnten Jahrestages der Unterzeichnung der „Grundakte“ im Internet publizierten Beitrag unter der Überschrift „NATO: Ein Jahrzehnt der Erpressung und des Betruges“ so: „Auf die Frage, warum die NATO das dänisch-deutsche Korps auf dem Territorium Polens, nahe der Grenzen von Russland und Belarus stationiert, folgt die Antwort: die NATO bringe Frieden und Demokratie. Die Frage, warum ehemalige Sowjetrepubliken in die NATO aufgenommen werden, wird ebenso ‚inhaltsreich’ beantwortet: das sei die demokratische Wahl unabhängiger Staaten.“ (www.pycckie. forum24.ru) Als Beispiel für die „Partnerschaft“ und den Wert des NRR verweist Iwaschow auch auf den NATO-Krieg gegen Serbien. Der den Handlungen der NATO konträr entgegenstehende russische Standpunkt wurde nicht nur nicht berücksichtigt, sondern der „Partner“ wurde von dem völkerrechtswidrigen Überfall nicht einmal informiert.

Das kann man wohl nur als „Zusammenarbeit“ bezeichnen, „wenn man uns verhöhnen will“, so der Generaloberst. Er resümiert: „Es handelt sich in Wirklichkeit um eine Einbahnstraße, auf der die NATO unter Führung der USA während der ganzen zehn Jahre aktiv und konsequent ihre Pläne zur militärischen Stärkung der Allianz realisierte, strategisch vorteilhafte Positionen besetzte, den Ring der Einkreisung Russlands zusammenzog, Verbündete von Russland losriss, dabei ist, entlang der Grenzen der Russischen Föderation ein Netz Russland feindlicher Staaten zu schaffen und unser Raketen- und Kernwaffenpotenzial mit einem Anti-Raketenschirm abdecken will.“


Die Direktive 20/1 des NSR der USA und die Russlandpolitik heute

Hinter alledem steht die bereits 1948 vom Nationalen Sicherheitsrat (NSR) der USA in der Direktive Nr. 20/1 verankerte Strategie zur Vernichtung der Sowjetunion und der Errichtung einer unangefochtenen Weltherrschaft des US-Imperialismus. Dabei ging es jedoch von Anfang an nicht nur um die Zerstörung einer sozialistischen Großmacht, sondern zugleich auch darum, zu verhindern, dass in diesem Raum überhaupt eine Großmacht die US-Weltherrschaft infragestellen könnte. Iwaschow zitiert aus dieser Direktive: „Es muss mit ganzer Kraft unterstrichen werden, dass wir unabhängig von der ideologischen Grundlage eines beliebigen solchen nichtkommunistischen Regimes und davon, in welchem Maße dieses bereit sein wird, in Worten Demokratie und Liberalismus zu preisen, danach streben müssen, unsere Ziele zu erreichen. … Mit anderen Worten, wir müssen automatische Garantien schaffen, dass sogar ein nichtkommunistisches und uns nominell freundschaftliches Regime:
a) keine große militärische Macht hat,
b) in wirtschaftlicher Beziehung stark von der Außenwelt abhängt,
c) keine ernsthafte Macht gegenüber den hauptsächlichen nationalen Minderheiten besitzt,
d) nicht in der Lage ist, etwas in der Art eines eisernen Vorhangs zu errichten.“

An dieser Grundorientierung ihrer Russlandpolitik halten die USA und die NATO als Instrument dieser US-Politik nach wie vor fest. Auch daran hat die Tagung der NATO-Außenminister in Brüssel trotz schöner Floskeln keinen Zweifel gelassen. So hat die US-Außenministerin bekräftigt, dass das von der Bush-Regierung initiierte Vorhaben, in Polen und Tschechien Komponenten des US-Raketen-Abwehrprogramms zu installieren, ein Element der amerikanischen „Verteidigungspolitik“ sei und bleiben werde. Die erneute Aussage, das Programm sei nicht gegen Russland gerichtet, wird dabei durch ihre Wiederholung nicht glaubwürdiger. Frau Clinton lobte ausdrücklich Polen und Tschechien für deren Bereitschaft, das Territorium ihrer Länder für die Aufstellung der US-Systeme zur Verfügung zu stellen. Sie nannte das „visionäre Führung“. Die beiden Länder hätten verstanden, welche neuen Bedrohungen das 21. Jahrhundert bringe.

In dem von Clinton und Steinmeier vorgelegten Papier „Die NATO und Europas Osten“ in dem von Russland als „ebenbürtigem Partner“ die Rede ist, werden zugleich die noch aus der Amtszeit Bushs stammenden jüngsten Beschlüsse des Militärpaktes zur Ukraine und zu Georgien bestätigt. Das bedeutet, an dem prinzipiellen Vorhaben, diese Länder in die NATO aufzunehmen, wird trotz des russischen Widerstands festgehalten. Es gibt Vorbereitungen in speziellen Kommissionen, aber vorläufig kein formelles Beitrittsverfahren. Außerdem wird in dem Papier bekräftigt, dass die Verteidigung des Bündnisgebietes nach Artikel 5 des NATO-Vertrages „im Herzen unserer Allianz bleibt“. Dieser Artikel 5 hatte aber einen eindeutigen Gegner im Fokus, die Sowjetunion, und kann auch heute angesichts der Gegebenheiten in Europa nur den größten Nachfolgestaat der UdSSR, nämlich Russland meinen.

Dass dem so ist, daran hatte zuvor bereits der britische Verteidigungsminister Hutton auf der Tagung der NATO-Verteidigungsminister Ende Februar in Krakau keinen Zweifel gelassen. Er hatte dort eine „Allied Solidarity Force“ von 1 500 bis 3 000 Soldaten als ständige Einsatztruppe der NATO vorgeschlagen, die den Auftrag haben solle, das Bündnisgebiet gegen mögliche Angriffe Russlands zu verteidigen. (FAZ v. 28.2.09) Wenn dies nicht bei allen Teilnehmern auf Gegenliebe gestoßen ist, so wohl auch wegen der geringen Größe des Kontingents, die natürlich nur symbolisch wäre, wenn man von einer tatsächlichen Bedrohung durch Russland ausginge. In dem FAZ-Artikel heißt es in diesem Zusammenhang: „Im Juni werden sich die Verteidigungsminister wieder mit dieser Frage befassen. Mancher im Brüsseler Hauptquartier hofft, dass Huttons Vorschlag bis dahin durch Einarbeitung in das neue NRF-Konzept (die schnelle Eingreiftruppe „NATO Response Force“ – W.G.) des Oberbefehlshabers einen sanften Tod gestorben ist. Die Diskussion über eine mögliche Abschreckung Russlands dürfte aber weitergehen.“


Keine Euphorie über Angebot aus Brüssel

Kwizinski (Ju. Kotow) schreibt denn auch nach alledem in dem oben erwähnten Artikel der „Sowjetskaja Rossija“ zum Brüsseler Treffen der NATO-Außenminister und insbesondere zum Auftreten Frau Clintons: „Mir scheint, die Erklärungen Frau Clintons in Brüssel werden unsere Optimisten auf den Boden zurückbringen … Im Allgemeinen bleibt die amerikanische Politik sich selbst treu, ob dort Bush, Clinton oder Obama sitzt. Es gibt für uns keinerlei Anlass vor Entzücken und in Hoffnungen den Mund aufzusperren.“

Illusionen über die Zusammenarbeit mit der NATO hatte man sich in der russischen Führung durchaus nicht nur in der Jelzin-Ära gemacht. Das setzte sich auch unter Putin fort. So rollte noch 2006 eine von den Kommunisten und anderen NATO-Gegnern scharf kritisierte Propagandakampagne der NATO von Wladiwostok bis Kaliningrad durch das Land. Botschafter und Abgeordnete, Generäle beider Seiten traten an Hochschulen und in anderen Veranstaltungen auf und verbreiteten sich über die historische Rolle des Militärpakts bei der Unterstützung weltweiten Friedens, der Vernichtung der kommunistischen Diktatur, im Kampf gegen Terrorismus, Drogensucht und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Ausstellungen über die NATO wurden veranstaltet usw.

Inzwischen scheint mehr Ernüchterung einzukehren. Das zeichnete sich schon mit der Rede Putins bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 ab. Auch bei den bisherigen Reaktionen der russischen Führung auf die jüngste Brüsseler Beratung der NATO-Außenminister und das Angebot nach dem NATO-Jubiläum den NATO-Russland-Rat wieder zu beleben, kann von Euphorie keine Rede sein. Im Kreml will man natürlich weiter mit den USA und auch mit der NATO zusammenarbeiten. Die weltpolitischen Realitäten erfordern dies. Dort setzt man aber offenbar mehr als auf schöne Worte, die dann wieder konterkariert werden, auf substantielle Schritte der Zusammenarbeit und dies vor allem auf dem Gebiet realer Rüstungsbeschränkungen. Hier drängt die Zeit gegenwärtig vor allem beim Vertrag über die Reduzierung strategischer Nuklearwaffen (Start I), der Ende dieses Jahres ausläuft.