Alice Schwarzers Nebenwidersprüche

Zugehörigkeit und Zwangsfreiheit sind Themen zweier neuer Bücher der Sozialanthropologin Sabine Strasser.

Zugehörigkeit und Zwangsfreiheit sind Themen zweier neuer Bücher der Sozialanthropologin Sabine Strasser. Mit Kerstin Kellermann sprach sie u.a. über „Parallelgesellschaften“ als populistisches Phantasma rechter Politik.

an.schläge: Was steckt hinter der Rede von „Parallelgesellschaften“?

Sabine Strasser: Parallelgesellschaften sind für mich ein Konstrukt, das helfen soll zu erklären, warum gesellschaftliche Harmonie trotz der Vielfalt, in der wir leben, nicht entsteht. Warum gibt es überhaupt Konflikte? Schwierigkeiten wurden sichtbar, wie z.B. beim Mord an Van Gogh, als Holland plötzlich sein tolerantes Selbstbild verlor. Bei uns sind es die Schwierigkeiten von Jugendlichen, Arbeitsplätze zu finden oder Probleme in den Schulen, etwa dass die SchülerInnen nicht ausreichend Deutsch lernen. Bei allen sozialpolitischen Problemen musste man feststellen: Die Art, wie wir integriert haben, hat nicht gefruchtet. Doch anstatt nun offen festzustellen, dass unsere Integrationspolitik offensichtlich nicht die richtige war, sagte man: Die begeben sich in Parallelgesellschaften, sie sondern sich von uns ab. Ab 2004, vielleicht aber auch schon mit dem globalen Ereignis von 9/11, kann man in Europa verstärkt von einer „Integration Neu“ sprechen. Seitdem herrscht ein Ansatz vor, der viel stärker und ungehemmter auf Assimilation abzielt als vorher. Die müssen die Sprache lernen, die müssen ihr Kopftuch ablegen, wenn sie einen Job haben wollen, die müssen eben auf ihre Differenz verzichten … denn sonst spricht man schon wieder von Parallelgesellschaften, in denen ganz viele Machenschaften vermutet werden. Zwangsheiraten, Ehrenmorde, Frauenunterdrückung – das ist ein besonders beliebtes Spielfeld von PolitikerInnen, die sonst nicht wahnsinnig viel Geschlechter-Egalität im Kopf haben. Geschlechtergerechtigkeit ist dabei ganz offensichtlich nicht ihr Ziel, eher geht es darum, einen Punkt zu finden, an dem sich diese Parallelgesellschaften festmachen lassen. Vor allem ist das wieder so eine Herstellung von „Wir als die Überlegenen, die Egalitären“ versus „diese Unterdrücker“, die so viel Probleme mit Gleichheit haben. Damit können wir uns vorzüglich darüber stellen und eine Integrationspolitik entwickeln, die dann eigentlich Anpassung bedeutet. Was aber gleichzeitig auch passiert ist: Durch die misslungene Integrationspolitik ist es tatsächlich so, dass sich Minderheiten zum Teil frustriert und hoffnungslos zurückziehen und sagen: Die wollen uns eh nicht. Und wenn die uns sowieso nicht wollen, was sollen wir denn dann tun? Je mehr wir uns bilden, desto weniger wollen sie uns eigentlich! Ist es nicht so, dass mit zunehmender Bildung und Artikulationsmöglichkeit sichtbarer wird, was die Unterschiede sind, und die Ablehnung eigentlich anstatt kleiner zu werden – weil ja mehr Integrationsbemühung von seiten der Minderheit da ist – größer und radikaler wird?

Aber was genau ist das Bedrohliche? Mir erscheint das wie bei einem Horrorfilm: Es ist etwas da, was man aber nicht sieht – wie eben die „Parallelgesellschaften“. Der ÖVP-Politiker Missethon meinte etwa, man wüßte ja nicht, was sich unter den Kopftüchern abspielt, welche Gedanken da gewälzt werden

Wichtig ist, dass unterschiedliche Bedrohungen hergestellt,verschiedene Differenzachsen aktiviert werden können. Missethon griff ja auch Feministinnen an, er befand sich da aber in bester Gesellschaft mit Alice Schwarzer. (lacht) Er zitierte sie immer wieder und beschimpfte uns Feministinnen in Österreich. Da steckte ganz viel von diesen „reports from within“ drinnen, in denen einzelne Frauen ihr Schicksal beschreiben, auf eine Weise, die Außenstehende sehr in ihrer Meinung bestätigt. Diese Authentizität bestätigt genau ihre Ewartungshaltungen. Diese Frauen haben auch den Begriff der Parallelgesellschaft bestätigt und salonfähig gemacht. Das finde ich das Gefährliche an diesen Berichten. Ich gestehe denen natürlich allen zu, dass sie ihre Geschichte aufarbeiten, aber die sorgten einfach dafür – durch ihre Form der Repräsentation –, dass sie stark homogenisieren und abschließen. Sie haben mit zu verantworten, dass der Begriff der Parallelgesellschaften so beliebt geworden ist.

Noch einmal zurück zu Ehrenmord und Zwangsheirat. Da wird Gewalt ja gerne  kulturalisiert und so getan, als gäbe es gewalttätige Kulturen. Die arme ausländische Frau als Opfer ihrer Kultur wird integriert – aber ist das nicht Theater, denn sie bekommt ja deswegen auch kein Aufenthaltsrecht?

Genau. Wenn man die Frauen zum Opfer macht, ist das überhaupt kein Schritt in Richtung Emanzipation, Selbstbestimmung oder Handlungsfähigkeit der Frau – all das, was eigentlich gefordert wird mit dem Diskurs. Im Gegenteil – das Geschlechterverhältnis „der Anderen“ wird gerne übertrieben gezeichnet. Ich sage nicht, dass es keine patriarchale Grundstruktur in diesem Geschlechterverhältnis gibt. Wenn ich aber dieses Bild herausgreife und sage, alle Minderheiten haben ein Problem mit dem Geschlechterverhältnis, dann übersehe ich ein paar Dinge: Zum einen, dass es nicht alle trifft, und zum anderen, dass es bei uns auch sehr viele trifft. Damit erzeuge ich ein „Uns“ und ein „Die da“, mit dem einzigen Zweck, alle voneinander getrennt zu halten. Das ist Kulturalismus, oder wie Balibar es nennt, ein kulturalistischer Differenzialismus. Man trennt aufgrund von kulturellen Elementen, die man herauspickt. Es gibt ein hierarchisches Geschlechterverhältnis auf beiden Seiten. Die EU hat sicher einige Anstrengungen unternommen, was aber nicht dazu führte, dass wir keine Lohnschere mehr hätten, die wird mit der Krise sicher nicht kleiner. Insofern geht es nicht darum, wirklich zu schauen, wo die Probleme bei den Geschlechterverhältnissen der Minderheiten sind und was man dagegen tun kann, sondern um eine Skandalisierung der Geschlechterverhältnisse der anderen, um sich selber größer und gerechter zu machen. Vor dem Hintergrund dieser Selbstgerechtigkeit kann man ja dann wieder Politik für sie machen. Da brauche ich sie nicht mehr zu fragen, denn es ist klar, sie sind unter uns, und wir müssen sie entwickeln. Da ist im Verborgenen immer ein Entwicklungshilfegedanke drinnen und keine ernsthafte Auseinandersetzung.

Warum sind da gerade Feministinnen so anfällig dafür?

Es sind ja nicht nur Feministinnen. Es sind die Missethons, die das ganz stark vertreten. Feministinnen setzten sich in Österreich erst seit Ende der 1980er Jahre, Anfang der 1990er mit Differenzen zwischen Frauen intensiv auseinander. Seither hat sich die feministische Theorie um einige wichtige Konzepte wie Intersektionalität oder „differences within“ weiter entwickelt.

Also ist es nur eine bestimmte Generation von Feministinnen, die so denkt?

Ich befürchte nicht … (lacht). Es gibt einfach verschiedene Lager, so wie in der Politik auch. Es gibt feministische Positionen, bei denen die Kategorie „Geschlecht“ als die dominante Kategorie gesehen wird. Ich versuche eben verschiedene Kategorien einzubeziehen. Wenn ich die Kategorie Geschlecht immer als die wichtigste ansehe und sage, ethnische Hintergründe haben ja nicht alle, dann mache ich einen großen Fehler. Dann übersehe ich, dass die Mehrheit auch eine Kultur und einen ethnischen Hintergrund hat. Wir tun so, als hätten den nur die anderen, dann kann ich behaupten, „ethnisch“ ist nicht für alle wichtig. Aber alle Kategorien sind für alle Menschen relevant. Das betrifft sozusagen die Nebenwidersprüche der Alice Schwarzer. (lacht) Für sie gibt es einen neuen Hauptwiderspruch – das sind nicht die Produktionsbedingungen, sondern das ist das Geschlechterverhältnis. Aber die Feministinnen sind nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem bleibt populistische und rechte Politik, und wie erfolgreich die sich diese Denkmechanismen zu Nutze macht.

 

Sabine Strasser: Bewegte Zugehörigkeiten. NationaleSpannungen, Transnationale Praktiken und Transversale Politik. Verlag Turia + Kant, Wien 2009

Sabine Strasser, Birgit Sauer (Hg.innen): Zwangsfreiheiten.Multikulturalität und Feminismus. Buchreihe Historische Sozialkunde/ Internationale Entwicklung 27, Promedia Verlag, Wien 2008

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,  www.anschlaege.at