Feminismus - war da mal was?

In diesem Januar jährte sich nicht nur die Ermordung Rosa Luxemburgs zum 90. Mal, sondern auch die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland. Aus diesem Anlass hatte sich „Die Zeit“ etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Angela Merkel, die erste deutsche Bundeskanzlerin, und Jana Hensel, bekannt von ihrem Bestseller „Zonenkinder“ und Co-Autorin des Buches „Neue deutsche Mädchen“, zerbrachen sich gemeinsam den Kopf über den Stand der Gleichberechtigung in der Bundesrepublik.

Die beiden ostdeutschen Frauen aus zwei Generationen waren sich schnell einig, dass es auch heute noch einige Probleme mit dem „Frausein“ gebe. Angela Merkel stellte fest, sie habe nie viel von dem Gedanken gehalten, dass es ihr als Kanzlerin nutze, eine Frau zu sein. Frauen dürfte dagegen eher die Frage interessieren, ob es ihnen nutzt, dass ihr Land von einer Frau regiert wird. Immerhin: Das Elterngeld wurde unter Merkel eingeführt, der Kita-Ausbau angeschubst und die Kosten für Kinderbetreuung steuerlich absetzbar gemacht – doch bei alledem handelt es sich nicht um spezifische Frauen-, sondern um Familienpolitik. Da war es nicht verwunderlich, dass Merkel deutlich machte, sie möge das Wort Feminismus nicht so gerne und spreche lieber über die „Rollenverteilung von Männern und Frauen in der Gesellschaft“. Immerhin gestand sie ein, dass es für Frauen nach wie vor „noch Nachteile oder Erschwernisse gibt“. Zum Beispiel, „dass die Frauen, die entscheiden, ein paar Jahre zu Hause zu bleiben, um sich um die Kinder zu kümmern und vielleicht noch in einem Elternverein mitzumachen, sich heute eher unter Druck fühlen“. Ganz anders als 1990, wo diskutiert wurde, ob „man auch eine gute Mutter sein kann, wenn man erwerbstätig ist“.

Andere, gewiss nicht weniger gewichtige Nachteile ließ die Kanzlerin dagegen unerwähnt, etwa die Lohndifferenz von 23 Prozent trotz gleicher Qualifikation zwischen Männern und Frauen, die das Statistische Bundesamt jüngst ermittelt hat. Die gläserne Decke, den Panzerglashimmel für die Karriere von Frauen, der unter anderem dazu führt, dass heute nur zwei Frauen in Dax-Vorständen sitzen – das allerdings bedauerte Merkel. Doch eine Quote, etwa für Vorstandsposten, möchte sie trotzdem nicht etablieren. Da solle die Wirtschaft sich lieber an den USA und ihrem schönen Begriff diversity ein Beispiel nehmen und aus Eigeninteresse selber etwas für die Gleichberechtigung tun. Anstelle von mehr Feminismus fordert die Kanzlerin deshalb lieber „mehr Toleranz untereinander“.

Auch Jana Hensel mag das Wort Feminismus nicht sehr, sie baut mehr auf „ein pragmatisches Selbstbewusstsein bei ostdeutschen Frauen“ – das gelte für Merkel und vielleicht auch für sie selbst, die 1976 in Sachsen geboren wurde. Auch wenn Hensel die Rollenverteilung der jungen Generation pessimistischer sieht als die Kanzlerin, einigten sie sich relativ unaufgeregt darauf, dass ihnen beiden nicht am Revoltieren gegen bestehende Strukturen liege.

Bei der Bundeskanzlerin kommt das nicht überraschend. Bei der Publizistin, die das Private wieder als politisch begreifen will, wenn auch auf neue Art, ist es dagegen schon ernüchternd, besonders, wenn man die Begründung dafür liest: Einerseits möchte sie Frauen ermuntern, „den Kampf gegen diese traditionellen Muster aufzunehmen“, andererseits lehne sie Forderungen an die Politik ab, denn: „Das tun alle, das ist total langweilig.“ Ihre Aufgabe sei vielmehr das Schreiben über das eigene Leben, „diese Kluft zwischen der öffentlichen und der privaten Wirklichkeit so genau wie möglich zu beschreiben, anstatt jetzt das hundertsiebte feministische Manifest zu verfassen“.

Und Merkel kann somit die politischen Rahmenbedingungen allein gestalten. Doch im Alltag, in den sich die Kanzlerin entschieden nicht politisch einmischen will, zeigt sich, dass von Gleichberechtigung heute nur in begrenztem Maße die Rede sein kann. Einige der neuen politischen Rahmenbedingungen behindern die Utopie eines gleichberechtigten Lebens eher, als dass sie ihr nutzen: bekräftigt vom Ehegattensplitting und gefestigt von gesellschaftlichen Vorstellungen, auch darüber, was eine „gute“ Mutter ist. Der Feminismus ist heute noch immer so notwendig wie vor 90 Jahren – politisch wie privat.