„Kein zweites Nicaragua!“

Auch in El Salvador ist ein Linksruck zu erwarten. Was hätten die Frauen davon? Ein Interview mit Sandra Guevara, der Leiterin der größten feministischen Organisation des Landes.

in (09.02.2009)

Nicht nur in Deutschland, auch in El Salvador ist 2009 ein Superwahljahr. Momentan sieht es stark danach aus, als könnte die antikommunistische, rechtskonservative Regierungspartei ARENA, die das Landseit 1989 regiert, bei den Präsidentschaftswahlen am 15.3.09 aus dem Amt gedrängt werden. Mitte Januar wurde bereits das Parlament neu gewählt - ein Ereignis, das als richtungsweisend für die Präsidentschaftswahlen galt und beidem die linke Oppositionspartei FMLN mit über 40 Prozent der Stimmen bereits einen klaren Sieg für sich verzeichnen konnte. Für den Fall, dass weder der linksliberale, gemäßigte Kandidat Mauricio Funes der linken Oppositionspartei FMLN noch der rechtskonservative Rodrigo Ávila, der für die neoliberal-autoritäre Regierungspartei ARENA kandidiert, im ersten Wahlgangüber 50 Prozent der Stimmen erhält, wird am 15.4.09 eine Stichwahlstattfinden. 

 

an.schläge: Was haltet Ihr als feministische Organisationvom Regierungsprogramm der FMLN? Inwieweit wart ihr an seiner Entstehungbeteiligt?

Sandra Guevara: Im Rahmen des sogenannten „Offenen SozialenDialogs" haben wir als Mélidas an mehreren Runden Tischen teilgenommen. Zuerst einmal haben wir die Kandidatur von zwei Männern kritisiert, weil wir eine gemischte Lösung bevorzugt hätten. Wir haben auch Gespräche mit der Führungsriege der FMLN und dem Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes geführt.

Wir haben uns für die sexuellen und reproduktiven Rechte und das Recht auf Abtreibung eingesetzt. Uns ist versprochen worden, dass das Thema wieder auf den Tisch kommt - aber erst nach den Wahlen. Begründet wurde es damit, dass die Problematik im Wahlkampf „politisiert" werden könnte und dies kontraproduktiv sei. Sie sagten uns aber auch, dass sie sich des Problems bewusst seien und es gelöst werden müsse, da viele Frauen an den unsicheren Abtreibungen sterben. Sie sind uns gegenüber also eine Verpflichtung eingegangen und wir hoffen, sie werden sie auch einlösen. Denn 1997, als Abtreibung verboten wurde, ist das auch mit den Stimmen der linken Abgeordneten, u. a. der FMLN passiert. Es gibt also eine Vorgeschichte und im jetzigen Programm steht es auch nicht bzw. nur subsumiert unter „sexuelle undreproduktive Rechte". Die feministische Bewegung ist nicht besonders glücklich damit.

 Was meint die FMLN, wenn sie von einer „möglichen Politisierung"des Themas spricht?

Damit ist gemeint, dass die Rechte das ausnutzen könnte. Die Kirche, der Staat und die Massenmedien haben eine eindeutige Haltung gegen das Recht auf Abtreibung. Wenn die Abtreibung also in diesen Wahlen zum Thema werden würde, könnte es zu einer starken gesellschaftlichen Auseinandersetzung kommen, die sich gegen die FMLN richten würde.

Viele Feministinnen nehmen aber die Position ein, dass es trotzdem möglich sein muss, das Recht auf Abtreibung zu thematisieren. Es muss eindeutig Klarheit über unser Recht herrschen, als Frauen über unseren eigenen Körper zu entscheiden. Und nicht der Staat, die Kirche, der OPUS DEI oder eine der anderen Pro-Life-Organisationen, die in El Salvador sehr stark sind. Es gibt eine sehr konservative Kirche, die die Körper der Frauen kontrollieren will. Dem sollte man sich nicht beugen.

 Hat Funes im Laufe des Wahlkampfes seine Einstellung zur Straffreiheit von Abtreibung geändert?

Als in Mexiko Stadt die Straffreiheit von Abtreibung beschlossen worden ist1, haben wir in der Botschaft einen Brief abgegeben, um zu gratulieren. Damals hat Mauricio Funes sich auch dafür ausgesprochen, seine Haltung war sehr eindeutig. Danach ist er ambivalenter geworden, hat es ein bisschen im Unklaren gelassen.

Meine Vermutung ist, dass Mauricio Funes sich aus den genannten Gründen mit Aussagen zurück hält. Und das kritisieren wir: Dass er es nicht geschafft hat, eine klare Haltung einzunehmen. Und dass er ganz klar Glückwünsche Richtung Mexiko gesendet hat, als dort die Straffreiheit kam, und es gleichzeitig nicht geschafft hat, hier explizit zu werden.

 Welche weiteren Forderungen gibt es von eurer Seite? Haben sie Eingang in das Programm der FMLN gefunden?

Unter unseren Vorschlägen ist auch die Schaffung eines Frauenministeriums. Denn das bereits existierende ISDEMU2, das Nationale Fraueninstitut, führt nur einige vereinzelte Projekte aus, hat aber keine Auswirkungen auf die anderen staatlichen Ressorts. Wir fordern von der FMLN, die Frauenpolitik nicht weiterhin mit dem „Familiensekretariat" abzuhaken, dem die Präsidentengattin vorsitzt. Sie hat meistens kein Verständnis für die Forderungen und Bedürfnisse von Frauen. Wir fordern deswegen die Schaffung eines Frauenministeriums. Als politische Instanz wäre es mit mehr Macht und Etat ausgestattet und könnte so besser auf die Politik, den Haushalt und andere Ministerien einwirken! Wir fordern eine Frauenministerin, die Sachkenntnis hat, die sich der Verteidigung der Rechte von Frauen verpflichtet fühlt, die Führungsqualitäten hat und die auf diesem Gebiet auch Einfluss nehmen kann.

Wichtig sind uns auch ökonomische Fragestellungen. Wir haben eine Frauenbank vorgeschlagen, aber das hat nicht in der Form Eingang gefunden. Es sind aber Entwicklungsstrategien für den informellen Sektor vorgesehen, z.B.eine multi-sektorielle Entwicklungsbank, die Mikro-Kredite vergibt. Da soll es dann auch eine Abteilung geben, die speziell für Frauen zuständig ist.

Ernährungssicherheit steht im Programm und das ist eine dringende Notwendigkeit, da diese mangels einer Agrarpolitik in diesem Land schon lange nicht mehr gegeben ist und wir Frauen ganz besonders von dieser Situation betroffen sind.

Wo haben sonst noch feministische Belange eine Rolle imWahlkampf gespielt?

Unsere Positionen und unsere Kämpfe sind instrumentalisiert worden für eine Schmutzkampagne gegen Mauricio Funes. Ein Flyer ist zu den verschiedensten Anlässen im ganzen Land verteilt worden. Auf diesem Flyer wird Mauricio Funes angeklagt, angeblich Gewalt gegen seine Ex-Ehefrau ausgeübt zu haben und behauptet, dies sei auch Grund der Trennung gewesen. Unterschrieben ist der Flyer mit den Namen Prudencia Ayala, Mélida Anaya Montes und Lil Milagro Ramírez. Das sind drei bedeutende Frauen aus der salvadorianischen Geschichte, nach denen auch jeweils feministische Organisationen benannt sind. Sie haben also bewusst Verwirrung gestiftet, damit es so scheint, wir wären die Besorgten und hätten Anzeige erstattet.

Uns hat es allerdings eher Sorgen bereitet, dass die Leute das tatsächlich verwechselt haben und anfingen, uns zu fragen: „Und Ihr seid da die Verantwortlichen?" Wir haben das dann richtig gestellt. So etwas ist mehrfach passiert. Das sind die Methoden der Schmutzkampagnen, die gegen die KandidatInnen persönlich gerichtet sind, in diesem Fall Mauricio Funes. Diese Kampagne richtet sich speziell an die Frauen. Die Mehrheit der Frauen aus den ländlichen Gegenden wählt die rechten Parteien. Und mit dieser Kampagne soll dieser Effekt verstärkt werden. Mit Forderungen, die unsere sind.

Es gibt ja von Seiten der feministischen Bewegung starke Proteste gegen Daniel Ortega, den sandinistischen Präsidenten von Nicaragua. Auch als er vor Ende Oktober 2008 zum Ibero-Amerikanischen Gipfel nach San Salvador kam, gab es einige Frauenorganisationen, die dagegen protestiert haben. Wart Ihr da auch dabei? Was ist eure Position dazu?

Wir haben als Mélidas und als feministische Bewegung interne Debatten geführt. Und wir haben auch eine Menge Aktionen gemacht, um gegen Daniel Ortega zu protestieren. Wir wollten klar machen, dass jemand, der mit der Kirche verhandelt und dann das Recht auf Abtreibung abschafft, nicht gerne in diesem Land gesehen wird (persona non grata).

Auch in Nicaragua ist Abtreibung inzwischen in allen Fällen illegal. Der andere Grund unserer Kritik an ihm ist die Verfolgung von Feministinnen mit der Intention, die KritikerInnen der sandinistischen Regierung zum Schweigen zu bringen. Wir haben sehr klar gemacht, dass wir als Feministinnen konsequent solidarisch mit diesen Frauen sein werden. Sie werden verfolgt, ihre Büros sind durchsucht worden und ihnen wird vorgeworfen, von „wer weiß wem" bezahlt zu werden, Rechte zu sein ... Wir kennen diese Frauen und wir glauben, dass das nicht die Art ist, in der eine linke Regierung handeln sollte. Es fällt auf, dass es die feministische Bewegung trifft, nicht eine andere soziale Bewegung. Wir Feministinnen sind immer sehr kritisch und sagen offen, was uns gefällt und was nicht. Und dann kommt plötzlich die Rechnung. Wir hoffen, dass die FMLN auf uns hören wird, denn wir wollen kein zweites Nicaragua!

 

1 Im April 2007 hat das Stadtparlament von Mexiko Stadt die Straffreiheit von Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen beschlossen.

2 Instituto Salvadoreno para el Desarrollo de la Mujer

Sandra Guevara ist Leiterin des Vereins Movimiento de Mujeres Mélida Anaya Montes, kurz MAM. Er wurde 1992 gegründet. www.lasmelidas.org

Dieser Artikel erschienin: an.schläge, dasfeministische Magazin,  www.anschlaege.at