Orteguismo & Feminsmo

Nicaragua: Das Projekt, das sie Sandinismus nennen, und der Feminismus. 

 

1990, als die Frente Sandinista de Liberación Nacional(FSLN) nach langen Jahren des Krieges und des wirtschaftlichen Niedergangs abgewählt wurde, hatte die Frauenbewegung in Nicaragua einen Organisationsgrad erreicht, der sie von anderen lateinamerikanischen Frauenbewegungen deutlichabhob. Diese Frauenbewegung war indes keine einheitliche, sondern in einentraditionellen Flügel um die sandinistische Massenorganisation AMNLAE und ineinen feministischen Flügel gespalten, der u.a. im Movimiento Autónomo de Mujeres (MAM) einen institutionellen Ausdruck erhielt. Während in den frühen 1990er Jahren die autonome Frauenbewegung weiteren Zulauf erhielt, sahen sich zugleich viele Einrichtungen der Frauenbewegung (Gesundheitszentren, Frauenhäuser) damit konfrontiert, das Fehlen der im Zuge neoliberaler Reformenabgebauten staatlichen Sozialleistungen ausgleichen zu müssen.

Daniel Ortega, der einer der historischen comandantes des Guerillakampfes und Präsident der 1980er Jahre war, hatte nach der Wahlniederlage 1990 immer wieder versucht, sich an die Macht zurück zu katapultieren. Von den Werten und dem politischen Projekt des Sandinismus ging dabei immer mehr verloren, und so hatten zahlreiche Gallionsfiguren der Frente den Rücken gekehrt. Während sich die meisten politischen BeobachterInnen im Vorfeld der Präsidentschaftswahl von 2006 darüber einig waren, dass sich das politische Programm Ortegas in linkspopulistischenParolen erschöpft, haben die Geschwindigkeit, die Zielstrebigkeit und die Dreistigkeit, mit dem das Ehepaar Ortega-Murillo seit nunmehr fast zwei Jahren das Fundament der nicaraguanischen Demokratie untergräbt, viele in Erstaunen versetzt. Der Orteguismo, so schrieb die bekannte nicaraguanische Schriftstellerin Giaconda Belli unlängst, sei „ein Projekt, das sie Sozialismus nennen, das aber vom Sozialismus, soweit wir das gesehen haben, nur den Autoritarismus und die Einzäunung der Freiheiten hat, die den Sozialismus des 20. Jahrhunderts zum Scheitern gebracht hatten". Der Feminismus steht dabei inbesonderer Weise im Kreuzfeuer der Aktivitäten des Präsidentenpaares, wie diefolgenden Beispiele zeigen. 

Zoilamérica Narváez. Mitte August 2008 musste Daniel Ortegaeinen herben Schlag auf dem internationalen Parkett eingestecken. In Paraguay hatte Gloria Rubin, die Frauenministerin in spe, kurz vor der feierlichen Übergabe der Regierungsgeschäfte an den neuen Präsidenten, Fernando Lugo, eine Petition unterzeichnet, in der es hieß: „Wir lehnen es ab, dass der Vergewaltiger Daniel Ortega Saavedra, der die Tochter seiner Frau zwanzig Jahrelang sexuell versklavt hat, als offiziell Geladener anwesend ist." Die nicaraguanische Regierung reagierte mit keiner offiziellen Stellungnahme, sagte aber in letzter Minute die präsidentielle Reise ab - ein Triumph für die Stieftochter des nicaraguanischen Präsidenten und die feministische Bewegung, die die Forderung nach einer strafrechtlichen Ahndung der Verbrechen seitvielen Jahren unterstützt.

1998 hatte Zoilamérica Narváez ihren Stiefvater öffentlich angeklagt, sie von ihrem 11. bis zum 19. Lebensjahr regelmäßig vergewaltigt und auch später noch sexuell belästigt zu haben. Während Ortega sich strafrechtlichen Konsequenzen immer wieder mit dem Verweis auf seine parlamentarische Immunität entzogen hatte, beschuldigte seine Frau, Rosario Murillo, ihre Tochter öffentlich, zu lügen. Nachdem mehrere Versuche,strafrechtliche Verfahren gegen Ortega einleiten zu lassen, an der Haltung der nicaraguanischen Gerichte gescheitert waren, reichte Zoilamérica Narváez 2002eine Anzeige bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission ein. Der Fallwar für die feministische Bewegung ein Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung um die sexistischen Ideologien und Praktiken innerhalb der Linken, die sich nicht nur im Verbrechen selbst, sondern auch im öffentlichen Umgang damit zeigten. Darüber hinaus spiegelten die mediale Aufbereitung desFalles und die verschiedenen Statements, die die Wahrheit des Opfers zudemontieren suchten, den Stand der nicaraguanischen Debatte übergender-basierte Gewalt, die von vielen als wenig bedeutende Nebenerscheinungeines gesunden Machismo begriffen wurde.

Das diplomatische Debakel in Paraguay im August 2008 warindes bestenfalls ein Pyrrhussieg für die transnationale Frauenbewegung: Knappfünf Wochen später reichte Zoilamérica Narváez ein Schreiben bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission ein, in der sie darum bat, ihre Klage ruhen zu lassen. Sie habe sich entschlossen, den Weg des Dialogs einzuschlagen, der zum Verständnis und zur Versöhnung führe, heißt es in ihrem Schreiben. Während führende Vertreterinnen der autonomen Frauen- und Menschenrechtsbewegung ihr Verständnis für die Entscheidung der jahrelang unter extremem Druck stehenden Stieftochter Ortegas ausdrückten, gerieten gleichzeitig all jene ins Oberwasser, die sich bereits 1998 auf die Seite Ortegas gestellt hatten. Das Scheitern des Versuchs, Daniel Ortega für die jahrelange Vergewaltigungspraxis strafrechtlich zur Verantwort zu ziehen, istjedoch nur eine von vielen Niederlagen der jüngsten Zeit. 

Repression und Konfrontation. Zwei Jahre nach dem Amtsantritt der Regierung, die mit dem Slogan „Frieden und Versöhnung" geworben hatte, haben sich die politischen Konfrontationen verschärft. Im Juli protestierte die historische comandante und heutige Abgeordnete Dora MaríaTéllez gegen die Auflösung ihrer Partei, der Ortega-kritischen Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS), mit einem Hungerstreik und löste damit eine Welle von unterstützenden Protesten aus. So haben etwa die Brüder Mejía Godoy der Regierung untersagt, ihre in ganz Nicaragua bekannten Lieder zu verwenden.Tatsächlich haben sich seit dem Regierungswechsel die meisten der sozialen Bewegungen und NGOs, von denen anzunehmen wäre, dass sie eine linke Regierungunterstützten, deutlich vom Orteguismo distanziert.

Die Regierung hat in den letzten Monaten ihren autoritärenund klientelistischen Führungsstil noch weiter ausgebaut und versucht, die institutionellen Fundamente einer rechtsstaatlichen Ordnung und einer kritischen Öffentlichkeit noch weiter zu untergraben. Während die Regierungeinerseits mit der landesweiten Einrichtung von parteinahen Räten (Consejos de Poder Ciudadano - CPC) staatliche Institutionen aushebelt und Sozialprogrammezu Vehikeln einer stärkeren Bindung der Armutsbevölkerung an die Partei macht, werden die Frauenbewegung und die Menschenrechtsbewegung in besonderer Weise attackiert.

Dora Zeledón, die Vorsitzende von AMNLAE, dem historischen sandinistischen Frauenverband, wurde im Oktober 2008 von Rosario Murillo zum Rücktritt gezwungen. Zeledón hatte die Regierung zuvor öffentlich kritisiert und etwa im November 2007 erklärt, dass der Staat dabei sei, die Menschenrechteaufzuheben, die die Frauen in jahrelangen Kämpfen erstritten hätten, und erbezog sich dabei u.a. auf das Abtreibungsrecht und die Streichung desStraftatbestandes „Femizid" aus dem Strafgesetzbuch. Kurz vor der Absetzung der AMNLAE-Vorsitzenden wurde mit der „Bewegung der Sandinistischen Frauen" eine neue und im Zugang zur Regierung privilegierte Organisation gegründet und AMNLAE als eine NGO im Dienste des Imperialismus eingestuft. Zu den ersten Aktivitäten der neuen Bewegung zählte die Besetzung der Räumlichkeiten des Centro de Capacitación Sacuanjoche, das im Besitz von AMNLAE ist. Nachdem damit gedroht worden war, auch andere Häuser zu besetzen, willigte Zeledón in ihren Rücktritt ein.

Frauenbewegung Blanca Aráuz. Einige Wochen vor dem Aufbau einer staatlich, d.h. von Rosario Murillo geförderten AMNLAE-Gegenorganisation war bereits eine Organisation an die Öffentlichkeit getreten, die sich explizitals Alternative zum Movimiento Autónomo de Mujeres präsentierte, das sie als Sprachrohr des US-Imperialismus kritisierte. Die nach der Gattin des historischen Generals Augusto Cesár Sandino benannte „Frauenbewegung Blanca Aráuz" wird von Dorotea Granaderos angeführt, die damit eine 180-Grad-Wendung ihrer politischen Haltung vollzieht. Der neuen Bewegung, so hieß es in den ersten öffentlichen Verlautbarungen, gehe es darum, den Frauen auf dem Land die von ihnen benötigten Unterstützungsleistungen zu geben. Es handle sich um eine Bewegung, die gegen die Abtreibung und für die Wiederherstellung des Images des Präsidentenpaares eintrete.

Die Neugründung dieser Organisationen fand zu einer Zeit statt, als sich Vertreterinnen von Menschenrechts- und Frauenorganisationen vermehrt Übergriffen ausgesetzt sahen. So wurde etwa Vilma Nuñez, die langjährige und hoch angesehene Vorsitzende des nicaraguanischen Menschenrechtszentrums (CENIDH), am 17. Oktober 2008 zusammen mit einigen MitarbeiterInnen und JournalistInnen tätlich angegriffen, als sie das Ministerium für öffentliche Angelegenheiten verließ. Die Angreifer gehörten zu den CPC, anwesende Polizisten griffen nicht ein. Im Oktober 2008 - im unmittelbaren Vorfeld derMunizipalwahlen - war außerdem eine Welle von Bürodurchsuchungen zu verzeichnen, die neben dem Dokumentationszentrum CINCO auch das Movimiento Autónomo de Mujeres betraf. Die mit dem Vorwurf unlauterer Finanztransaktionen begründeten Durchsuchungen wurden von der kritischen Öffentlichkeit als ein weiterer Versuch der Einschüchterung verstanden. In diesem Kontext erscheint die Gründung von Gegenorganisationen zu bestehenden, mehr oder weniger feministischen Organisationen als eine Zuspitzung und Fortführung repressiver Strategien.

„Abortistas". Die Geschlechterfrage scheint für Ortega, derunlängst in Managua den „Platz der Bibel" einweihte, ein zentrales Anliegen zu sein. Im Kreuzfeuer seiner Kritik stehen dabei vor allem organisierte Feministinnen, die vehement gegen das totale Abtreibungsverbot kämpfen, das 2006 kurz vor der Präsidentschaftswahl erlassen wurde. Mit der öffentlichen Beschimpfungvon Feministinnen als „Abortistas" (Abtreibungsbefürworterinnen) entspricht der Präsident dabei übrigens einem regionalen Trend. „Lateinamerikanische Bischöfe", so vermeldete Radio Vatikan im September diesen Jahres, „haben nebendem Kampf gegen Armut derzeit ein anderes Thema, das sie eint: Sie bemühen sich, die auf dem Kontinent fortschreitende Legalisierung von Abtreibung einzudämmen."