Städte zunehmend auch Raum für Friedenskampf - Infrastruktur für die militarisierte Kommunalpolitik



Auf allen Ebenen der Republik fallen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei. Zudem werden massenweise Reservisten in die Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innern wie im Äußeren einbezogen. Wer heute einsatzfähiger Reservist ist, und das sind mindestens eine Million Männer im Alter bis zu 60 Jahren, der muss nicht nur – wie früher – mit Einberufungen zu Übungen rechnen, sondern mit Einsätzen wie in Heiligendamm und am Hindukusch. Für die Integration von Truppe und Polizei, von Geheimdiensten und Katastrophenschutz steht auf Bundesebene das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow. Im Bundesinnenministerium wurde für die „Zuständigkeit für Terrorismus und Extremismus die neue Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ geschaffen“ (FAZ 20.7.08). Die Befehlshaber der Wehrbereichskommandos der Bundeswehr kommandieren als Landeskommandeure die Beauftragten der Bundeswehr für zivil-militärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ).

Ohne viel Aufhebens zu machen, erobert somit die Bundeswehr Positionen in Rathäusern und Landratsämtern. Die letzten Verteidigungsbezirkskommandos der Bundeswehr aus der Zeit der Blockkonfrontation sind in den westlichen Bundesländern in den letzten zwölf Monaten aufgelöst worden. Im Ernstfall sollten sie helfen, die Reserven zu mobilisieren und den Objektschutz und den Luftschutz zu gewährleisten. An ihre Stelle sind die Bezirks- und Kreisverbindungskommandos in den Städten und Landkreisen getreten – der Begriff Verteidigung taucht nicht mehr auf. Oberst Ralf Kneflowski, Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen aus Düsseldorf, konnte beispielsweise jetzt den Leitern der BVK und KVK die Urkunden als Chefs der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit ZMZ überreichen.



Bundeswehr in Landkreisen und Kommunen aktiv

Der Oberst vermittelte den Regierungspräsidenten, Landräten und Oberbürgermeis-tern den sogenannten militärischen Service. „Das ist die militärische Kompetenz, auf die sie sich bei Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen stützen können,“ bestätigte er. Die Urkunden wurden in der Regel Oberstleutnants der Reserve, möglichst solchen, die im öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb einer Stunde abkömmlich sind, überreicht. Praktischerweise beziehen sie Büros in Rathäusern und Landratsämtern. Die einzelnen Verbindungskommandos bestehen aus jeweils zwölf Soldaten, die in der Region leben und die zivilen Verwaltungen in militärischen Fragen beratend unterstützen, wie es heißt.

Doch die „Beratung“ ist höchst verbindlich. In den Krisenstäben der Städte und Krei-se haben die Verbindungskommandeure auf ihre militärischen Vorgesetzen zu hören, nicht aber auf die Bürgermeister und Landräte. „Übergeordnete Stellen sind der Kommandeur des Landeskommandos, der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos, der Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos Köln und der Bundesverteidigungsminister in Berlin,“ teilte der Göttinger Landrat Reinhard Schermann den fragenden Abgeordneten der Linken im Kreistag mit (Brief vom 26.11.2007). 

Nach dem neuen Reservistengesetz vom Februar 2005 haben die Verbindungs-kommandeure durchaus auf mehr Reservisten Zugriff als auf die zwölf, die zum Stab des Kommandos gehören. Im Unklaren wird die Öffentlichkeit noch gelassen, auf welches Equipment die Kommandos zurückgreifen dürfen. Doch beim G8-Gipfel in Heiligendamm konnte ja besichtigt werden, welche Mittel zur Verfügung standen: Tornados, Panzer, Hubschrauber, Schnellboote gehörten dazu. Es wurde dort auch ein Eindruck davon vermittelt, was unter schweren Unglücksfällen und Katastrophen auch zu verstehen ist: Die Ausübung des Demonstrationsrechts der Bürgerinnen und Bürger, das ist der Ernstfall.



Das Bundeswehrquartier am Dortmunder Friedensplatz

In Dortmund ist man nun daran gegangen, ganz offen die Infrastruktur für die militarisierte Kommunalpolitik zu schaffen. Während in anderen Städten und Landkreisen (so im Brief des Landrates von Göttingen) fragenden Abgeordneten im Stadtrat gesagt wird: Das alles kostet die Stadt und den Landkreis keinen Cent, rückte die Stadt Dortmund nun mit der Wahrheit heraus und ließ sich 695 000 Euro für die Herrichtung eines Krisenzentrums von den Stadtratsmitgliedern bewilligen.

In einem städtischen Gebäude – es kam heraus, dass damit das Stadthaus am Friedensplatz (!) gemeint ist – sollen zwei Etagen für den Krisenfall ausgerüstet werden. Dies bedeutet zum Beispiel auch die unabhängige Versorgung mit Strom, Wasser, Heizung und Kommunikation. Als Kommandozentrale wird ein Besprechungsraum hergerichtet, in dem neben der Stadtspitze auch Gesundheits- und Ordnungsamt, Feuerwehr, Polizei- und Bundeswehrkommandeure Platz nehmen werden. Außer-dem wird es einen „Inneren Dienst“ geben, der für Informationsfluss, Verpflegung und Betriebsbereitschaft zuständig ist. 

Noch in diesem Sommer sollen die Arbeiten abgeschlossen werden. Der Rat wurde erst gefragt, als die Arbeiten fast beendet waren. Kritik daran wurde nur von der Fraktion „Die Linken im Rat“ (Hinweis: Das ist nicht nur die „Linke“, sondern die DKP, SDAJ, die Partei DieLinke und Parteilose zusammen) laut: Sie findet diese Vorgehensweise skandalös und beantragte erfolgreich, den Punkt im öffentlichen Teil der letzten Ratssitzung vor den Sommerferien zu behandeln. „Hier soll eine Notstandszentrale entstehen, ohne dass den Bürgern erklärt wird, für welche Krisen und welche Aufgaben welche Krisenstäbe ein solches Zentrum brauchen“, so der Fraktions-vorsitzende Wolf Stammnitz. 

Ratsmitglied Wolfgang Richter kritisierte, dass das „Krisenzentrum“ in Dortmund als geheime Kommandosache behandelt wurde und vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Die Dortmunder Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten stellte fest: „In dem Zentrum sind erstmals seit 1945 Bundeswehr und die Polizei integriert. Im Rahmen der ZMZ Inneres werden der Stadt, den Ämtern und der Feuerwehr in Krisen, zu denen auch innere Unruhen – sprich: Großschadensereig-nisse und Anti-Terrormaßnahmen – gehören, militärische Kommandos gegeben.“



Die Reservisten-Territorialarmee

Nimmt man noch vorhergehende Meldungen aus der Lokalpresse und aus den Bun-deswehrmedien hinzu, so ergibt sich dieses Bild: Auf kommunaler Ebene werden überall Bundeswehrreservisten und Feuerwehr sowie Technisches Hilfswerk koordiniert. Reservisten – darunter vor allem bewaffnete Feldpolizisten – können in kürzes-ter Zeit in großer Zahl mobilisiert werden. In Dortmund leitet ein Oberstleutnant, im Zivilberuf Pfarrer und Klinikseelsorger, diese „ehrenamtliche“ Reserve-Territorialarmee. Das Landeskommando ist ständig hauptamtlich besetzt. In Kreisen, Städten und Regierungsbezirken können die Landeskommandos und ZMZ-Beauftragten lt. Bundeswehr-WebSite und Bundeswehrzeitschrift „Y“ blitzartig auf den Reservistenkader – und das sind bundesweit rund eine Million Soldatinnen und Soldaten – zurückgreifen. Die VVN-BdA hat schon gleich nach dem ersten Durchsi-ckern der Pläne zur inneren Militarisierung durch ZMZ und Terrorismusabwehrzentren dagegen Stellung bezogen und auf die geschichtlichen Erfahrungen mit integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Heereseinrichtungen (Gestapo, Reichswehr, Schwarze Reichswehr, Freikorps etc.) hingewiesen: „Die Tatsache, dass die Pläne für Notstands- und Krisenmaßnahmen und -einrichtungen derart geheim vorangetrieben werden und schon heimlich Fakten geschaffen wurden – siehe der Bundeswehreinsatz in Heiligendamm vor einem Jahr –, müssen alle Demokraten auf höchste alarmieren.“



Was ist eine Krise? 

Ratsmitglied Wolfgang Richter, Mitglied der DKP, störte sich in der Sitzung des Dortmunder Rates am 19. Juni 2008 vor allem an den mangelnden Auskünften darüber, was eigentlich eine Krise sei. Er fragte: „Müssen die Menschen nicht wissen, was eine Krise in der Stadt ist? Ist ein Kollaps des Verkehrssystems die Krise, eine Kaufverweigerung verarmter Massen, ein Streik der Beschäftigten des Konzerns Stadt Dortmund, ein Abstieg der Borussia, ist es ein Angriff aus dem Weltall oder aus dem Osten – ‚die Russen kommen’ oder ‚ich sage nur China, China, China’ waren mal die Parolen, gelten sie noch heute? Welche Kommandeure sollen denn eine Krise bewältigen? Hat der OB das oberste Kommando? Oder ein Polizeipräsident? Oder ein General? Wird Dortmund außer am Hindukusch nun auch noch im Krisenzentrum vor Ort verteidigt?“

Das in der Ratssitzung vorgelegte nicht öffentliche Papier zum Krisenzentrum gibt auf diese Fragen keine Antwort. Daraus war aber zu ersehen sein, dass das neue Krisenzentrum nötig ist, weil die Absicherung des vorgesehenen Gebäudes und des Krisenstabes am Südwall 2-4 – den es dort seit 6.11.07 ohne Ratsbeschluss bereits gibt – gegen ABC-Gefahrlagen, Schadstofffreisetzungen oder terroristische Angriffe bisher nicht zu gewährleisten sei. Die Räume werden im Normalfall von der städtischen Immobilienwirtschaft genutzt und müssen im Krisenfall für den Krisenstab innerhalb einer Stunde geräumt werden können. Daher der Umbau. Das Krisenzentrum soll in „definierten Krisenfällen“ die Arbeit der im Krisenstab beteiligten Ämter gewährleisten. 

Wer diese Definition bestimmt, ist nicht genannt. Der Landrat von Göttingen gibt sich naiv-gläubig: „Ich habe kein Zweifel, dass sich die Bundeswehr bei einem möglichen Einsatz im Katastrophenschutz im Landkreis verfassungskonform verhält.“ (aus dem Brief vom 26.11.07 lt. Militarisierung imi@imi-online.de vom 6. August 2008)



Rechtsextreme Reservisten bekommen Macht

Mit ZMZ und dem neuen Reservistengesetz werden zusätzlich Hunderttausende Soldaten – auch über ihre Dienstzeit hinaus – zum Einsatz im Innern und Äußeren verpflichtet. Der Reservistenverband und der Bundeswehrverband bekommen somit größeren Einfluss. In ihnen haben vielfach rechtsextreme Elemente das Sagen, wie kürzlich in einer Sendung von Frontal 21 im ZDF bekannt wurde. In beiden Verbän-den bestehen keine Vorbehalte gegenüber Neonazis und Rechtsextremisten. Sie können nach den Satzungen beider Verbände nicht einmal ausgeschlossen werden. So gehören Udo Voigt und Hannes Knoch dazu. Voigt ist Hauptmann der Reserve und NPD-Bundesvorsitzender. Knoch ist Stabsunteroffizier der Reserve und Aktivist der verbotenen Neonazi-Organisation „Blood & Honour“. Zudem betreibt Knoch in Munster/Lüneburger Heide einen Laden für Militärausrüstung und er veranstaltet Mili-tärübungen, an denen auch Rechtsextremisten teilnehmen. Er bietet immer wieder Scharfschützenlehrgänge und Einzelkämpferausbildungen an. Der Chef der NPD, Udo Voigt, äußert sich öffentlich antisemitisch und rassistisch – gleichzeitig ist er bis heute Hauptmann der Reserve und Mitglied im Bundeswehrverband. Verbandsmitgliedschaft und Reservistenstatus sind Leuten wie Voigt und Knoch nur abzuerkennen, wenn sie zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt sind, wusste die Süddeutsche Zeitung zu berichten. 

Da seit über zehn Jahren ein Aufruf in Neonazikreisen kursiert, nachdem alle „natio-nalen Kameraden“ unbedingt den Waffendienst bei Polizei und Bundeswehr erlernen sollen, ist damit zu rechnen, dass unter den Reservisten Tausende Neonazis sind.