Jahrhundertkrise des Kapitalismus

Ein Ende der seit über einem Jahr wütenden globalen Finanzkrise ist weiterhin nicht in Sicht. Das Krisenpotenzial wird die Finanzmärkte und die Investoren noch die nächsten Jahre beschäftigen und wie ein Damoklesschwert über den Aktienmärkten schweben. Was bis vor kurzem von den wirtschaftlich-politischen Eliten bestritten wurde, ist jetzt außer Zweifel: Die globale Finanzkrise wird begleitet von einer gravierenden, langwierigen Abschwächung der realen gesellschaftlichen Wertschöpfung. Joachim Bischoff untersucht die Gründe für die Jahrhundertkrise des Kapitalismus, bewertet die diversen Notpogramme zur Eindämmung der Krise und nennt Minimalbedingungen für ein linkes Antikrisenprogramm.

Das kapitalistische Weltsystem wird durch die schwersten Turbulenzen des Finanzsystems seit der Weltwirtschaftskrise 1929 erschüttert. Die Wertpapierbörsen sind gegenüber den Höchstständen von Oktober 2007 um 35-40% abgewertet[1] und für viele der nicht an den Börsen gehandelten Papiere bestimmen Notverkäufe das Preisniveau. Der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan spricht zu Recht von einer Jahrhundertkrise. Seit dem Frühjahr 2007 tobt ein Entwertungsprozess durch die Geschäftsbücher der Finanzinstitute – und es ist noch immer Steigerungspotenzial vorhanden.

Was heißt Abschreibung oder Entwertung in diesem Zusammenhang? Ausgehend von einer rasch anwachsenden Zahl von Hypothekarkrediten, die von den HauseigentümerInnen nicht mehr mit Zinsen und Tilgungsraten bedient werden können, werden fast alle Sorten von Wertpapieren von ihren früheren Preisen auf aktuelle Marktnotierungen zurückgestuft. Auch die Aktien sind in die Abwärtsbewegung hineingerissen. Bereits jetzt werden alle Größenordnungen übertroffen: Die Wertberichtigungen allein bei Finanzinstituten werden bis September auf rund 600 Mrd. US-Dollar geschätzt. Die Korrekturen bei Aktien und Wertpapieren belaufen sich gegen­über dem Höchststand weltweit auf über 20 Bio. Dollar. In den USA sind bislang ca. 900 Mrd. Dollar öffentliche Mittel gegen die Finanzkrise eingesetzt worden. Hinzu kommt der Banken-Notplan für "notleidende Kredite" und problematische Wertpapiere, der im US-Parlament erst nach heftigen Widerständen –nicht nur wegen der gigantischen Summe von 700 Mrd. Dollar, sondern auch wegen der Konditionen – gebilligt wurde.

Die Finanzkrise wurde zum bestimmenden Thema in der Schlussphase des US-Wahlkampfes. Kein Wunder: Während enorm viel Geld für die hektischen Rettungsaktionen der Finanzinstitute in die Hand genommen wird, werden insolvente ImmobilienbesitzerInnen via Zwangsversteigerungen aus ihren Häusern vertrieben. In etlichen Punkten ist das Rettungspaket der Bush-Administration nachgebessert worden. Es enthält jetzt eine Erhöhung der Absicherung von Spar- und Geldeinlagen sowie ergänzende Maßnahmen, um die Welle der Zwangsversteigerungen einzudämmen. Die dominante Ausrichtung auf die "Wall Street" ist geblieben, aber für die "Main Street" ist schließlich auch noch etwas abgefallen. Allerdings ist die Einseitigkeit zu Lasten der Hauseigentümer nicht beseitigt worden.

Verstaatlichung als Notprogramm

Die Kette stellt sich wie folgt dar: Ausgangspunkt sind massiv überhöhte Immobilienpreise – darauf Hypothekenkredite ohne entsprechende Eigenkapitalabschläge. Der Einbruch der Hauspreise zieht die Hypothekenkredite, die Banken und sonstigen Finanzinstitute in den Abwärtsstrudel. Das führt zur Austrocknung des Kredithandels unter den Banken. Mit dem Eingreifen der Notenbanken steigert sich der Vertrauensverlust. Für etliche Papiere bestimmen Notverkäufe das Preisniveau und sämtliche Sorten von Wertpapieren werden gegenüber ihren Höchstwerten deutlich abgewertet. Auch Versicherungen auf Kreditoperationen werden in den Krisen­strudel hineingezogen.

Zur Stabilisierung des Finanzsystems ist nichts ausgeschlossen. Die bis Mitte 2008 halbstaatlichen Hypothekeninstitute Freddie Mac und Fannie Mae mussten im September verstaatlicht werden. Die Risiken dieser großen Verstaatlichungsoperation werden weithin unterschätzt. In den USA existieren Kreditverträge in einer Größenordnung von über 12 Bio. US-Dollar. Weil die Häuserpreise sich auf einer chronischen Talfahrt befinden, werden immer mehr Hypothekenkredite notleidend, d.h. sie können nicht mehr mit Zinsen und Tilgungsraten bedient werden. Knapp 50% – also Kreditverträge im Wert von 5,4 Bio. US-Dollar – werden über Fannie Mae und Freddie Mac gehalten. Diese Institute waren trotz ihres halbstaatlichen Status schnell am Ende, weil eine solche Kreditsumme mit einem Eigenkapital von 40 Mrd. US-Dollar mit wachsender Wertberichtigung nicht gestemmt werden kann. Auch die vorgesehene Aufstockung des Eigenkapitals um 200 Mrd. Dollar durch den Staat dürfte die zu erwartenden Wertabschreibungen nicht kompensieren.

Insgesamt ist mit einer durchschnittlichen Absenkung der Immobilienpreise um 20-30% zu rechnen. Die jetzt verstaatlichten Hypothekarinstitute müssen sich auf ein Abschreibungsvolumen von mehr als einer Bio. US-Dollar einstellen. Logischerweise überzeugt die bisherige Auffangposition für Fannie Mae und Freddie Mac die meisten Experten nicht. Wie sollte es auch: Für den Hypotheken-Versicherer Federal Housing Administration musste der Kongress 300 Mrd. US-Dollar bewilligen, um notleidende Kredite zu refinanzieren und mit staatlichen Garantien zu versehen. Die Eindämmung der Immobilienkrise wird also weit höhere öffentliche Mittel als bislang vorgesehen beanspruchen. Das ist einer der entscheidenden Punkte, denn die Notpläne für die Banken und das Kreditsystem nützen letztlich nichts, wenn der Preisverfall im Immobilienbereich nicht gestoppt wird.

Die "System-Risiken", von denen in letzter Zeit immer häufiger die Rede ist, zeigen sich auch in einem anderen Punkt: Kaum hatte die Bush-Administration mit den Unterstützungsmaßnahmen für Großbanken und mit der Verstaatlichung eines großen Bereichs der Hypothekenkredite der Hoffnung Ausdruck gegeben, der Finanzkrise das Wasser abgegraben zu haben, sprengte das Entwertungsdrama der American International Group (AIG) alle bis dahin gültigen Größenordnungen.

Der Hintergrund: Im Zuge des Booms auf den internationalen Finanzmärkten legte sich die Versicherungsbranche den neuen Geschäftszweig "Finanzprodukte" zu. Damit konnten sich Finanzinstitute gegen Kreditrisiken und -ausfälle absichern. Der AIG-Konzern hatte zu Hochzeiten der Vermögensblase für 441 Mrd. US-Dollar Wertpapierabsicherungen übernommen. Allein knapp 58 Mrd. US-Dollar bezogen sich auf das Segment der Subprime-Hypothekenkredite. Die Konkurswelle und die Wertberichtigungen zogen AIG unaufhaltsam in den Krisenstrudel. Anfang Oktober belief sich der Notenbankkredit für die AIG auf 122,8 Mrd. US-Dollar. Der Konzern, der auf dem Höhepunkt der Vermögensblase über 190 Mrd. US-Dollar Marktwert hatte, wird zum Zeitpunkt der Rettungsaktion durch die FED noch mit 7,4 Mrd. US-Dollar gehandelt. Im Gegenzug sichert der Staat den Notenbankkredit mit Wertpapieren und beteiligt sich zu 80% an dem maroden Konzern.</p><p>Wie bei den Hypothekenkrediten und dem Versicherungsgeschäft, so auch im Bankenbereich. Dem Beispiel Großbritanniens folgend beteiligt sich die US-Regierung an zentralen Banken, um mit neuem Kapital den ins Stocken geratenen Kreditfluss wieder in Bewegung zu bringen. Der Eigenkapital-Zuschuss bewegt sich zwischen 25 Mrd. US-Dollar für Citigroup, J.P. Morgan Chase, Bank of America (inkl. Merrill Lynch) und Wells Fargo (inkl. Wachovia) und 2 bis 3 Mrd. US-Dollar für Bank of New York Mellon sowie State Street. Goldman Sachs und Morgan Stanley erhalten je zehn Mrd. US-Dollar Zusammen ergibt dies 125 Mrd. US-Dollar. Ein gleich hoher Betrag wird für alle anderen Banken und Sparkassen bereitgestellt, die sich beim Staat um eine solche Kapitalspritze bewerben. Dieses Geld wird aus dem 700-Mrd.-US-Dollar-Paket abgezweigt, das vor kurzem vom Kongress verabschiedet worden ist.

Allerdings: Die Wirksamkeit der bisherigen Rezepturen ist noch offen. Denn die Krise setzt sich in weiteren Bereichen des ökonomischen Lebens fort. Erfasst werden auch die Lebensversicherungen, deren Rücklagen aus Aktien, Anleihen und Wertpapieren bestehen. In Japan hat ein großer Lebensversicherer Konkurs angemeldet.

Japan im Krisenstrudel

Seit dem Rücktritt von Premierminister Koizumi vor zwei Jahren ist die innenpolitische Situation Japans angespannt. Koizumi hatte wichtige wirtschaftspolitische Reformen eingeleitet, darunter die Umstrukturierung des Bankensektors. Japans Wirtschaft war nach dem Platzen der Spekulationsblase 1989/90 in eine außerordentliche Notlage geraten, die außerordentliche monetäre Maßnahmen erforderten. Die Bank von Japan führte dem Bankenkreislauf massiv Liquidität zu, vergrößerte den Finanzrahmen der Geschäftsbanken auf 35 Bio. Yen (250 Mrd. Euro), verdreifachte ihre monatlichen Ankäufe von Staatsanleihen auf neun Mrd. Euro und erwarb für umgerechnet 15 Mrd. Euro Aktien aus dem Beteiligungsbesitz angeschlagener Banken. So stellte sie sicher, dass den angeschlagenen Finanzinstitutionen während ihrer Sanierung das Geld nicht ausging und die Deflation unter Kontrolle blieb. Das hatte Erfolg: Nach rund 15 Jahren konnte die Bank of Japan Bankenkrise, Deflation und Wachstumsschwäche zunächst für überwunden erklären.

Die massive Krise von 1989/90 und der langjährige Sanierungsprozess waren der Hintergrund dafür, dass japanische Finanzhäuser weniger als andere Banken in die jetzt geplatzte globale Vermögensblase und die nachfolgende Finanzkrise verwickelt waren. Die globale Kredit – und Wirtschaftskrise schien Japan nur glimpflich zu treffen. Japans Finanzgruppen kauften sich sogar in kranke US-Banken ein. Die Automobilproduzenten vergrößerten ihre Marktanteile in den USA weiter auf Kosten der amerikanischen Rivalen. Japan schien auf dem Weg, ein Krisengewinnler zu werden. Doch inzwischen befindet sich auch Japan in der Abwärtsspirale.

Auslöser sind nicht nur die Konjunkturflaute in den USA und der globale Kursrutsch, sondern auch der Höhenflug des Yen. Besonders werden die Unternehmen dadurch getroffen, dass der Euro seit seinem Höchststand von fast 170 Yen Ende Juli 2008 um 20% auf unter 137 Yen abgerutscht ist. Nachdem der Euro Japans Firmen in den vergangenen Jahren satte Wechselkursgewinne beschert hat, drohen nun plötzlich nicht mehr nur aus den USA, sondern auch aus Europa herbe Devisenverluste. Insgesamt dürfte bei einem weiteren Krisenverlauf noch eine Verschärfung durch Verschiebungen im Weltwährungssystem hinzukommen.

Das vierteljährliche Konjunkturbarometer der japanischen Notenbank fiel Anfang Oktober für die Großindustrie überraschend tief ins Minus. Die Stimmung des Kleingewerbes sank nach dem Regierungsbericht "Economic Watcher" sogar auf ein Sieben-Jahres-Tief. Folgerichtig ist die Zahl der Pleiten im September um 34% gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres emporgeschnellt, so stark wie seit Beginn der letzten Krise nicht mehr. Japans Volkswirte senken daher ihre Konjunkturprognosen in Richtung null Prozent.

Die Finanzkrise hat aber auch in Japan ein erstes Opfer in der Finanzbranche gefordert. Das nicht börsennotierte Versicherungsunternehmen Yamato Life Insurance, das gemessen an den Vermögenswerten Platz 33 in Japan einnimmt, meldete Gläubigerschutz an. Ende März hatte der Versicherer zwar Verluste im direkten Zusammenhang mit US-Hypothekenpapieren abgeschrieben, war aber liquide. Die seit April drastisch verschlimmerten Marktbedingungen haben schließlich jedoch einen Antrag auf Gläubigerschutz erzwungen. Yamato gehörte zu den Versicherern in Japan, die sich am stärksten bei hochriskanten Finanzanlagen engagiert haben. Neben den schlechten Vorgaben aus den USA war die Pleite der Yamato Life Insurance der Hauptgrund dafür, dass die Börse in Tokio stark unter Druck geriet. Die Furcht ist nicht unberechtigt, dass wegen der anhaltenden Talfahrt an den Börsen mehr und mehr Lebensversicherer in den Krisenstrudel hineingezogen werden. Da die Lebensversicherer ihre Prämieneinnahmen selbst wiederum überwiegend in Wertpapieren anlegen, gerät mit einem drastischen Entwertungsprozess bei Aktien, Anleihen etc. auch dieses Geschäftsmodell allgemein unter Druck.

Gleichwohl hat Japan – wegen des Crash vor knapp 20 Jahren und des nachfolgenden Sanierungsprozesses – relativ gute Chancen die Globalkrise und die nachfolgende Rezession der Weltwirtschaft glimpflicher als die USA und einige Länder in Europa zu überstehen. Die japanische Regierung hat bereits ein milliardenschweres Konjunkturprogramm aufgelegt und könnte dies noch aufstocken. Die japanische Elite ist darüber hinaus politisch gewillt, einen Beitrag zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems zu leisten. Mit einem Billionen US-Dollar schweren Paket – was wegen der Währungsreserven in Asien und dem Nahen Osten möglich wäre – soll der Internationale Währungsfonds (IWF) zum Krisenmanager aufgebaut werden. Japan allein hält 995 Mrd. US-Dollar an ausländischen Devisen, in China sind es derzeit zwei Bio. US-Dollar – die weltgrößten Währungsreserven.

Turbulenzen im bundesdeutschen Bankensystem

Die Notwendigkeit eines neuen Regulations- und Schutznetzes stellt sich auch für Deutschland. Allerdings sind hier die Zwänge zur Wertberichtigung importiert. Deutschland hatte infolge der Vereinigung mit der früheren DDR einen riesigen Immobilienbestand zu integrieren, was die Preise drückte. Die BRD hat deswegen den internationalen Boom bei den Immobilienpreisen nicht mitgemacht (wie auch Japan). Außerdem herrscht hier eine strengere Praxis bei der Beleihung von Grundstücken etc. vor und die Banken haben im Schnitt eine höhere Eigenkapitalisierung. Nicht zuletzt trägt das breite Netz von Sparkassen, Volks- und Genossenschaftsbanken zu einer höheren Stabilität des Finanzsystems bei. Negativ schlägt zu Buche, dass der Großteil der Geschäfts- und Landesbanken in die absurde Finanzierung der Vermögensblase involviert war. Außerdem ist dieses Land wegen seiner spezifischen Exportlastigkeit in hohem Maße abhängig vom internationalen Konjunkturverlauf und den Turbulenzen im Währungssystem.

Die unmittelbare Gefahr eines Zusammenbruchs des Kreditsystems infolge eines Bankenkonkurses bestand beim Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE). Die Bank ist einer der großen Finanzierer von staatlichen Haushalten, Gebietskörperschaften, Ländern und gewerblichen Immobilien. Die HRE war wegen Liquiditätsproblemen ihrer Staatsfinanzierungstochter Depfa in Schwierigkeiten geraten. Die Depfa, die ihren Sitz in Irland hat, hatte nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Probleme, sich kurzfristig am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Durch die Kreditkrise trocknete der Markt aus, sodass Depfa plötzlich eine riesige Liquiditätslücke hatte.

Der ursprünglich von Bundesregierung und Finanzbranche konzipierte Hilfsplan sah einen kurzfristigen Kredit von 15 Mrd. Euro und eine langfristige Refinanzierung von 35 Mrd. Euro bis in die zweite Jahreshälfte 2009 vor. Dieser Rettungsplan, von dem die Bundesregierung 26,5 Mrd. Euro als Bürgschaft übernehmen wollte und bundesdeutsche Banken für acht Mrd. Euro geradestehen sollten, war geplatzt. Der Grund: Die HRE benötigt "erheblich mehr" Finanzmittel als bis dahin angenommen: 50 Mrd. Euro, weil sich die Lage bei Depfa massiv verschlechtert hatte. Auch wenn das Paket schließlich neu geschnürt werden konnte: Die Rettungsmaßnahmen für Einzelbanken sind – wie in den USA oder in den anderen kapitalistischen Hauptländern – lediglich Zwischenschritte.

Grund für die globale Vermögensblase und ihr Platzen

Woher rühren die Wucht und die Dauer der Finanzkrise? Wir sind nicht einfach mit den Folgen von etwas größeren spekulativen Transaktionen konfrontiert. Vielmehr hat sich das Finanzsystem seit längerem von dem realen Verwertungsprozess des Kapitals entkoppelt. Wertpapiere kann man nicht essen. Alle diese Produkte haben einen harten Kern: Ihre Eigentümer haben einen Anspruch (in Form von Zinsen) auf die Ergebnisse der wirtschaftlichen Gesamtleistung. Die Formen des leistungslosen Einkommens hatten ein Mehrfaches der verteilbaren jährlichen Resultate der Realökonomie erreicht. Vor dem Beginn des Crashs im Frühsommer 2007 war der Finanzüberbau, dieses artifizielle Kunstwerk über der globalen Realökonomie, wertmäßig knapp viermal zu groß. Es war überfällig: Die Pyramide von Ansprüchen bricht vor unseren Augen zusammen. Die aktuellen Korrekturen an den Börsen laufen auf eine Redimensionierung oder Vernichtung von Eigentumstiteln (= Ansprüchen auf Teile des gesellschaftlichen Reichtums) hinaus.

Kern der Krise ist eine massive Immobilienblase in den USA. Dort existieren Kreditverträge über rund zwölf Bio. US-Dollar. Da die Häuserpreise chronisch sinken, werden immer mehr Hypothekenkredite notleidend, d.h. sie können nicht mehr mit Zinsen und Tilgungsraten bedient werden.

Neoliberale Politik hat seit Jahrzehnten die Konsumenten zur Verschuldung ermutigt. Die bürgerliche Gesellschaft in den USA hat über ihre Verhältnisse gelebt. Das zeigt sich an dem aufgehäuften Schuldenberg der privaten Haushalte, der unter dem wachsenden Druck der Verteilungskonflikte nicht abgetragen werden kann. Dies zeigt sich weiter bei der öffentlichen Verschuldung (über zehn Bio. US-Dollar) und der extremen Abhängigkeit der USA vom Kapitalzufluss, um die vielfältigen Konsumansprüche aufrecht erhalten zu können.

Mit der Einsicht, dass eine Reproportionierung von gesellschaftlicher Produktion, Revenueverteilung und Konsum fällig ist, verbindet sich auch die Hoffnung, dass die Gier aus dem ökonomischen Leben verschwindet. Die krasse Schieflage in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen ist aber nicht auf Habgier bei den Kapital- und Vermögenseigentümern und ihrem Hilfspersonal zurückzuführen. Wir haben es vielmehr mit einer Entkoppelung der Logik "Lassen Sie ihr Geld arbeiten" von dem eigentlichen gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozess zu tun.

Seit Mitte der 1970er Jahre treten mehr und mehr Phänomene einer chronischen Überakkumulation in Erscheinung. Das enorm gewachsene Gewicht der Eigentums- und Vermögensbestände bricht sich über die Bewegung des Geldkapitals Bahn. In den Verteilungsverhältnissen registrieren wir schrittweise die Hegemonie des leistungslosen Einkommens (Zinsen). Der Übergang zu weitgehend unregulierten Geld- und Kreditmärkten setzte eine beschleunigte Akkumulation des Finanzkapitals in Gang – allmählich bildete sich die finanzielle Globalisierung heraus. Diese Entwicklung unterstützte den Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik zum Neoliberalismus: Mit Deregulierung, Privatisierung und Umverteilungspolitik wird die Dynamik des Finanzkapitals politisch gefördert.

Die Vorherrschaft der Finanzmärkte setzt sich einzelwirtschaftlich in eine Hegemonie des "Shareholder value" um, was zum beschleunigten Umbau der Unternehmenslandschaft und zur Ausweitung der Finanztransaktionen führt. Innerhalb der Unternehmen verändert sich die Machtstruktur (corporate governance). Es geht darum, die Wertschöpfungskette kontinuierlich zu verschlanken, Quersubventionen zwischen Geschäftsfeldern drastisch einzuschränken, den Prozess der Marktreife von neuen Produkten zu verkürzen und Innovationen durch Zukauf von kleineren Unternehmen zu optimieren. Gemäß der Konzentration auf das Kerngeschäft erfolgt eine Neuorganisation der Unternehmensnetze. Die Hegemonie des "Shareholder value" führt zu einem beschleunigten Umbau der Unternehmenslandschaft bei Kapitalgesellschaften, einer Ausweitung der Finanztransaktionen und zu einer deutlichen Vergrößerung des Unternehmenswerts, was sich auch in Preissteigerungen bei den Aktien und Investmentpapieren niederschlägt.

Wir sollten aber nicht nur auf die USA starren, zweifellos das Zentrum des Wirbelsturms über den Finanzmärkten. Auch in Irland, Großbritannien, Spanien und anderen europäischen Nachbarländern sind die Immobilienpreise auf Talfahrt. An der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems sind zudem die weiteren Folgen ablesbar: Die Vernichtung von Kredit- und Wertpapieren ist der Auftakt für einen realwirtschaftlichen Schrumpfungsprozess.

Wie sind die staatlichen Rettungspläne einzuschätzen und was sind die Alternativen?

Experten aus der Finanzwelt sind sich weitgehend einig, dass eine Wiederherstellung eines reibungslosen Kreditkreislaufs die zentrale Herausforderung ist. Nur durch staatliche Interventionen wie durch das jetzt in den USA verabschiedete bis zu 700 Mrd. US-Dollar teure Banken-Rettungspaket und die in Europa vereinbarten Kreditgarantien sowie direkte Kapitaleinschüsse in Banken kann die gesellschaftliche Zirkulation wiederhergestellt werden.

Gleichwohl sind solche Rettungspakete nur sinnvoll, wenn sie gleichzeitig eine starke soziale Komponente haben, d.h. die betroffenen ImmobilieneigentümerInnen oder kleinen SparerInnen oder RentenbezieherInnen einbeziehen. Die entwickelten Formen des gesellschaftlichen Reichtums sind in Widerstreit geraten mit der engen Basis, worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen.[2]

Zum anderen müsste ein weit größeres Gewicht auf die konjunkturellen Auswirkungen der Finanzkrise gelegt werden. Denn die Krise hat in vielen Ländern die Realökonomie erfasst. Der globalen Finanzkrise folgt eine Schrumpfung der Realökonomie, die – ohne Gegenmaßnahmen – länger anhalten wird. Bei schrumpfender Realökonomie wird die Entwicklung eines neuen Startpunktes für die gesellschaftliche Wertschöpfung schwieriger.

Schließlich ist festzuhalten, dass die Akteure auf den Finanzmärkten ein kurzes Gedächtnis haben. Wenn die staatlichen Regulatoren nicht weltweit stärker zusammenarbeiten und für eine bessere Erkennung transnationaler Systemrisiken sorgen, besteht die Gefahr, dass das teure US-Rettungspaket und die Maßnahmen der anderen Staaten "Fast Food" bleiben.

Mit Auffangkonstruktionen lässt sich ein weitgehender Zusammenbruch verhindern, aber mehr nicht. Die Banken drängen zum einen darauf, dass sie die wertberichteten Papiere zu "fairen Preisen" in Pension bei den Notenbanken oder in Auffanggesellschaften geben können. Außerdem sollen die Notenbanken die Liquidität des Kreditkreislaufes gewährleisten. Nur zum Teil fordern die angeschlagenen Finanzinstitute direkte staatliche Beteiligungen. Letztlich würden es die Banken begrüßen, wenn die "mark to market"-Regel ausgesetzt oder flexibler gehandhabt werden könnte. Diese Bilanzierungsvorschrift zwingt sie jetzt in der Quartalsberichterstattung eigene Bestände zu einem Niveau zu bewerten, für das es am Markt keine Preisbildung oder aber durch Notverkäufe massiv verzerrte Preise gibt.

All diese Bemühungen abstrahieren davon, dass die Anspruchspyramide von fiktiven Kapitalpapieren schrumpfen muss. Die Überwindung der Jahrhundertkrise sollte nicht einschließen, dass die Macht- und Verteilungsverhältnisse, die zur Krise geführt haben, wieder hergestellt werden. Die dafür notwendigen Veränderungen gehen freilich über die Begrenzung von Managergehältern und staatliches Mitentscheidungsrecht weit hinaus.

In Deutschland ist in den letzten Jahren die Unternehmenslandschaft gründlich renoviert worden. Seit Jahren stagnieren die Reallöhne und die explosionsartige Ausbildung eines Niedriglohnbereichs hat die Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Unternehmen massiv gesteigert. Die Expansion der Unternehmens- und Vermögenseinkommen hat einen realgesellschaftlichen Hintergrund und ist durch politische Entscheidungen verstärkt worden.

Schlussfolgerungen:

1. Die Stärke der deutschen Wirtschaft erweist sich in der gegenwärtigen Konstellation der Weltwirtschaft als Achillesferse: die starke Ausrichtung auf die Export- und Investitionsgüterindustrie und die Vernachlässigung der Binnenwirtschaft. Da die Investitionen weltweit rasch schrumpfen, werden die deutschen Exporte davon in Mitleidenschaft gezogen. Der kräftige Aufschwung der letzten Jahre ist im zweiten Quartal 2008 mit einem jähen Einbruch zu Ende gegangen. Im dritten Quartal dürfte die Wirtschaft stagnieren und für die nächsten Monate ist mit einer negativen Entwicklung zu rechnen. Die deutsche Wirtschaft steht am Rand einer Rezession und das negativ Szenario eines Ableitens in einen Schrumpfungsprozess für 2009 dürfte Wirklichkeit werden.

Die globale Finanzkrise wird entgegen den allgemeinen Erwartungen schärfer und länger ausfallen. Deutschland und einige andere Länder werden in eine harte Rezession hineinschlittern, wie man sie nach den Erdölkrisen Mitte der 1970er Jahre und zu Beginn der 1980er Jahre erlebt hatte. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wird im Jahresdurchschnitt um wenigstens 0,8% schrumpfen, wie im Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute als Negativszenario ausgewiesen.

2. Die deutsche Wirtschaft wird von der globalen Finanzkrise indirekt und vergleichsweise schwächer getroffen. Auch hier sind die Geschäftsbanken in mehr oder minder großem Umfang in die internationalen Verbriefungsgeschäfte verwickelt und müssen teils beträchtliche Wertberichtigungen vornehmen. Allerdings hat es keinen irrationalen Überschwang auf dem deutschen Kredit- und Immobilienmarkt gegeben, insofern besteht hier kein größerer Abschreibungsbedarf. Die meisten Geschäftsbanken arbeiten solide und mit dem aufgelegten Bankennotplan dürften die bisherigen Verwerfungen im nationalen Kredit- und Bankgeschäft zu bewältigen sein.

In den EU-Nachbarländern stellt sich dies teilweise anders dar. Die drohende Insolvenz der europäischen Finanzkonzerne Fortis, Dexia und Hypo Real Estate hat deutlich werden lassen, dass die Integration der Finanzbranche unter dem Euro-Regime weit vorangeschritten ist. In der EU sind über 8.000 Banken registriert, zwei Drittel der Bankeinlagen werden aber von 44 grenzüberschreitend tätigen Konzernen gehalten, die in bis zu 15 Mitgliedstaaten gleichzeitig agieren. Dies bewirkt, dass sich auch Probleme rasch grenzüberschreitend ausbreiten.

In Europas Finanzindustrie gibt es – wie die Kreditkrise verdeutlicht hat – drei Problemzonen:

1. Ähnlich wie in den USA weisen einige europäische Länder – insbesondere Irland, Großbritannien, Frankreich und Spanien – in dem letzten Jahrzehnt massive Fehlentwicklungen auf den Immobilienmärkten auf. Allerdings ist dieser irrationale Überschwang nicht in allen Ländern in den Kredit- und Bankenbereich übersetzt worden.

Angesichts der internationalen Finanzkrise und eines völlig überdrehten nationalen Immobilienmarkts haben sich beispielsweise spanische Banken bislang als ausgesprochen stabil erwiesen. Das ist letztlich dem spezifischen nationalen Regulationssystem und dem Management der spanischen Zentralbank zu verdanken. Nachdem in den 1980er Jahren im Zuge einer inländischen Bankenkrise in Spanien zahlreiche Geldinstitute hatten schließen müssen, setzte die nationale Finanzmarktaufsicht bei den Banken durch, auch in Zeiten hoher Gewinne eine solide Eigenkapitalausstattung und Reserven für schlechte Zeiten zu bilden. Diese Rücklagen dienen den spanischen Finanzinstituten als Polster, das sie angesichts der sich noch verschärfenden Immobilienkrise im Land brauchen werden. Die Wohnungspreise sinken, viele Baukräne stehen still, dafür wächst die Arbeitslosigkeit massiv und mit ihr die Zahl der säumigen Schuldner. Manche Banken sprechen bereits von knapp 4% zahlungsunfähigen Kunden. Die sinkenden Kreditvergaben dürften, so meinte unlängst die spanische Zentralbank warnend, zu Schwierigkeiten im wohl wichtigsten Geschäftsfeld der Geldinstitute führen. Spaniens sozialistische Regierung hatte nach dem Krisengipfel der Euroländer ein eigenes Rettungspaket geschnürt und gab eine Garantie für Bankanleihen von bis zu 100 Mrd. Euro bis Ende 2008 ab.

Dramatisch sind die Verhältnisse in Irland und Großbritannien. Dort ist die massive Expansion im Immobilienbereich auch noch mit einer Lockerung der Bankregeln verbunden gewesen. Insofern sind in diesen Ländern die Probleme der Finanzindustrie nicht nur importiert, sondern auch hausgemacht.

2. Alle europäischen Großbanken sind wegen der globalen Liberalisierung der Finanzmärkte in das Desaster des zusammenbrechenden Immobilien- und Hypothekenmarktes in den USA einbezogen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit der Zurverfügungstellung von Liquidität und ihrer Zinssenkungspolitik den internationalen Krisenbewältigungsprozess begleitet, wobei an der Zinspolitik nach wie vor zu Recht massive Kritik geübt wird. Auf der anderen Seite gingen die nationalen Akteure zu völlig unkoordiniertem Aktivismus über. Auf den "irischen Sündenfall" (in ihrer ursprünglichen Form wettbewerbsverzerrende öffentliche Garantien für irische Banken) folgte die Ablehnung der unausgegorenen Idee eines EU-Hilfsfonds für Banken. Es setzte zudem ein Wettlauf um nationale Garantien für Spargelder ein und um Stützungsprogramme für die Banken.

Die 15 Staaten des Euroraums haben eine gemeinsame Währung, eine einheitliche Geldpolitik und eine Zentralbank. Die Kompetenzen für die Finanzpolitik, aber auch für die Aufsicht über den Finanzsektor sind hingegen national geblieben. Zugleich hat die Abfolge unkoordinierter nationaler Antworten die Schwächen aufgedeckt: Erstens reichen nationale Aktionen nicht mehr aus, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Zweitens können nationale Maßnahmen kontraproduktiv wirken: Wer z.B. mitten in der Krise unbeschränkte staatliche Garantien für Spareinlagen verspricht, provoziert möglicherweise eine Kapitalflucht aus Staaten mit weniger großzügigen Lösungen. In einer Währungsunion kann ein solches Agieren das Ende dieser Institution einläuten.

Schlussfolgerung: Solange die Finanzpolitik in der Kompetenz der Mitgliedstaaten bleibt, ist die Erwartung unrealistisch, dass sich diese zu Hilfeleistungen in Milliardenhöhe über einen gemeinschaftlichen Fonds verpflichten. Die Situation auf den Immobilien-, Kredit- und Bankensektor ist in den Mitgliedstaaten derart unterschiedlich, dass nur ein abgestimmtes Handeln in nationaler Verantwortung weiterführt.

3. In der aktuellen Krise wurde zu Recht die Frage gestellt, ob die Regeln und Institutionen von EU und Währungsunion mit dieser Entwicklung der Finanzindustrie Schritt gehalten haben. Dies muss eindeutig verneint werden. Es müssen nicht nur national, sondern auf europäischer Ebene wichtige Stellschrauben der Regulation verbessert werden: Eigenkapitalvorschriften für Banken, Vorschriften für Rating-Agenturen, aber auch ein Finanz-TÜV für neue Produkte. Außerdem müssen alle Finanzmarktakteure (Banken, Versicherungen und Fonds etc.) einer Kontrolle und Aufsicht unterworfen werden. Es geht um die Beseitigung des Ungleichgewichts zwischen europäischen Finanzmärkten und rein nationaler Aufsicht, wobei hier die Einrichtung einer zentralen EU-Aufsichtsbehörde angestrebt werden sollte.

Die EZB muss die Zinsen weiter senken. Gleichzeitig sollten die Regierungen daran gehen, die Banken zu prüfen und zu entscheiden, welche sie Bankrott gehen lassen und welche sie retten müssen. Wir brauchen ein System, in dem alle Finanzunternehmen ab einer bestimmten Größe den gleichen Vorschriften für das Vorhalten von Eigenkapital und das zulässige Ausmaß der Verschuldung sowie Berichtspflichten unterliegen. Und diese Regeln müssen verbindlich sein und keine neuen Ausnahmen zulassen. Die Selbstregulierung, auf die die Politik gesetzt hat, hat nur dazu geführt, dass es am Ende gar keine funktionierende Regulierung mehr gab.

Der Ankauf der "toxischen", nicht verkäuflichen Kreditpakete ist nur ein erster Schritt. Dem muss ein Programm folgen, das pauschal das Volumen der Hypothekenschulden der privaten Haushalte verringert. Sehr viele Haushalte können die hohen Raten nicht mehr zahlen, sind also praktisch insolvent. Wenn ein Land oder eine Firma insolvent ist, dann werden die Schulden abgeschrieben, damit sie wieder arbeiten und erneut wachsen können. Genauso ist es jetzt mit dem Sektor der privaten Haushalte einiger entwickelter kapitalistischer Hauptländer. Diese sind überschuldet und müssen entlastet werden. In einem dritten Schritt müssen schließlich die Banken neues Kapital bekommen, sei es privat oder vom Staat, damit sie überhaupt wieder richtig arbeiten können. Alle drei Schritte zusammen könnten eine Lösung der Kreditklemme bringen.

Entscheidend ist, den Hauseigentümern beim Schuldenabbau zu helfen und ihnen für den Rest eine Refinanzierung zu niedrigen Zinsen zu ermöglichen. Ohne Beseitigung des Schuldengebirges über den privaten Haushalten und ohne Neujustierung der gesellschaftlichen Verteilungsverhältnisse wird der Krisenprozess nicht zu Ende kommen. Mit einem ganz ähnlichen Programm hat die US-Regierung die Folgen der großen Depression in den 1930er Jahren erfolgreich bekämpft.

Die staatliche Regulierungskunst besteht augenblicklich darin:

1. den längst überfälligen Prozess der Redimensionierung von Eigentumstiteln sozialverträglich zu begleiten. Es können nicht alle Wertpapiere zu ihren Nominalwerten erhalten werden. Gleichzeitig müssen aber Alters- und Sozialrenten sowie Sparrücklagen geschont werden.

2. In dem Prozess der Schrumpfung des Kapitalüberbaus muss ein Zusammenbruch des Kredit-, Geld- und Währungssystems vermieden werden.

3. Schließlich muss einer schweren Rezession entgegengewirkt werden, ohne zugleich eine Befestigung aller Eigentums- und Verteilungsstrukturen zu befördern. Wir müssen zu einer harten Besteuerung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen zurück.

Die eigentliche Herausforderung liegt also darin, dass die schwere Kreditkrise der Auftakt zu einer schweren Rezession ist. Die Ausgaben der Verbraucher sinken schon seit vier Monaten, und sie machen 70% der gesamten Wirtschaftsleistung in den USA aus. Für das dritte Quartal weisen sogar die offiziellen Daten schon ein Negativwachstum aus. Das Gleiche gilt für alle hoch entwickelten Länder, gleich ob in der Eurozone oder Großbritannien. Milliardenwerte sind vernichtet, und viele Menschen werden auch noch ihre Jobs und Einkommen verlieren.

Eine langjährige Talfahrt könnte gemildert werden. Um das zu erreichen, müsste neben Zinssenkungen der EZB, höheren Eigenkapitalvorschriften und transparenten Berichtspflichten der Banken und einem Moratorium für Hypothekenkredite insbesondere ein umfangreiches Programm für öffentliche Investitionen auf den Weg gebracht werden. All dies muss begleitet werden von einer Neuordnung der Verteilungsverhältnisse.

Bankennotprogramm – Ende der Finanzkrise?

Mit Bürgschaften für Spareinlagen, Garantien für Kredite unter den Banken, staatlichen Eigenkapitalbeteiligungen und neuen Bilanzierungsregeln wollen die entwickelten kapitalistischen Länder die globale Finanzkrise niederringen. Bundeskanzlerin Merkel betont: Man habe einen ersten Baustein für eine neue Finanzmarktverfassung auf den Weg gebracht. Finanzminister Steinbrück ergänzt: Es sei Gefahr im Verzug. Die Krise greife zunehmend auf die reale Wirtschaft über. Ein funktionsfähiger Finanzplatz sei ein öffentliches Gut. Die wichtigste Aufgabe bestehe darin, die Finanzmarktkrise einzudämmen. Ohne reibungslose gesellschaftliche Zirkulation wird der Gesamtreproduktionsprozess krisenhaft bleiben. Entscheidend ist, die Schranken der Konsumtionsverhältnisse aufzuheben – soweit die gesellschaftliche Wertschöpfung erholt ist, müssen die Verteilungsverhältnisse zugunsten der Lohnabhängigen, der sozialen Sicherheit und der öffentlichen Aufgaben verschoben werden.

Mit der Ausgabe von Bundesanleihen will die Regierung Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro in einen Finanzmarktstabilitätsfonds stecken. Der Fonds soll ab Ende 2009 wieder aufgelöst werden. Der Fonds soll zunächst die Kredite im Bankenkreislauf garantieren, der weitgehend ausgefallen war, weil die Banken untereinander kein Vertrauen in eine ordnungsgemäße Tilgung hatten. Für die Garantieleistungen sollen Gebühren verlangt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es trotz staatlicher Bürgerschaft zu Ausfällen kommt, wird wohl zu Recht als gering eingeschätzt, insofern sind nur 20 Mrd. Euro vorgesehen.

Mit weiteren 80 Mrd. Euro soll sich dieser Fonds an der Zufuhr von neuem Eigenkapital für die Banken beteiligen, soweit diese durch Abschreibungen beim Eigenkapital die vorgesehenen Quoten verfehlen. Im Gegenzug zu dieser direkten Beteiligung will das Finanzministerium auf die personale Ausstattung des Managements und ihre Gehälter Einfluss nehmen. Die Eigenkapitalspritzen müssen verzinst werden und sollen letztlich wieder abgelöst werden. Schließlich können dem Fonds auch problematische Wertpapierpakete zum Ankauf angeboten werden. Also könnte eine Bank auf eine staatliche Beteiligung am Eigenkapital verzichten, wenn ihr der Stabilitätsfonds Wertpapiere abkauft, die ansonsten im Markt nicht oder nur mit großen Preisabschlägen realisiert werden könnten. Begleitend zu diesen Maßnahmen hat das Bundeskabinett eine Änderung der Bilanzierungsvorschriften und des Insolvenzrechts beschlossen. Rückwirkend zum 3. Quartal 2008 sollen die Banken dazu übergehen können, Wertpapiere nicht zu den aktuellen Marktpreisen bilanzieren zu müssen.

Sind dies die ersten Schritt zu einer neuen Finanzmarktarchitektur und gehört die Krise bald der Vergangenheit an? Die Vertreter einer kritischen oder alternativen Ökonomie sind zu Recht skeptisch. Zwar ist eine großangelegte Rettungsaktion für die Banken unverzichtbar. Aber jetzt werden mit enormen Summen Symptome bekämpft. Der Grund für die globale Finanzkrise liegt in der politisch beförderten Schuldenökonomie. Vor allem private Haushalte sind zu einer fahrlässigen Privatökonomie veranlasst worden – hinter den notleidenden Kreditpaketen in den Finanzhäusern stehen Hypothekenkredite, Kreditkartenschulden, Automobil- oder anderweitige Konsumentenkredite sowie Studiendarlehen. Schließlich sollte die soziale Sicherheit aus dem Umverteilungssystem auf die Kapitalmärkte verlagert werden. Steuersenkungen und Privatisierung von sozialer Sicherheit waren wesentliche Treibsätze für die Vermögensblase. Wer hier grundlegend aufräumen will, muss die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und die obsoleten Verteilungsverhältnisse verändern. Solange die Krisenherde nicht beseitigt sind, bleibt jede Rettungsaktion für die Finanzinstitute fragil. Außer einigen Konjunkturprogrammen in den USA (rund 170 Mrd. Dollar) und Japan (rund 13 Mrd. Euro) ist bislang wenig zu einer sozial verträglichen Rückführung der Schuldenökonomie der privaten Haushalte unternommen worden. Infolge des sich abzeichnenden Konjunkturabschwungs könnte sich die ökonomische Situation des Großteils der privaten Haushalte weiter verschlechtern. Soll die Finanzmarktkrise und die nachfolgende schwere Rezession dauerhaft bekämpft werden, müssten die Regierungen neben den Stützungsmaßnahmen für Banken auch beträchtliches Geld in die Hand nehmen, um eine langwierige Schrumpfung des Wirtschaftsprozesses zu unterbinden.

Aber wird nicht durch eine solche Politik die öffentliche Verschuldung enorm ausgeweitet und damit doch die Schuldenökonomie fortgeführt? In der Tat ist durch die vielfältigen Maßnahmen in den verschiedenen kapitalistischen Ländern das Instrument der öffentlichen Verschuldung erneut strapaziert worden. Allerdings sind die nationalen Unterschiede prägnant: Während einige Länder mit einer öffentlichen Verschuldung von über 100% des BIP auskommen müssen (Japan, Italien, Belgien etc.), liegt der Durchschnitt der EU-Länder unter 70%. Es gibt somit durchaus Spielräume für nationale offensive Anti-Krisenprogramme.

Die kurzfristige Expansion der Neuverschuldung müsste jedoch in eine Politik der Verbesserung der Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte eingebunden werden. Eine Haupt­ursache für die relative Entkoppelung des Finanzsektors von der Realökonomie liegt eben auch darin, dass die Vermögens­einkommen und die Vermögenswerte völlig unzureichend zur Finanzierung von öffentlichen und sozialen Einkommen herangezogen wurden. Es reicht nicht aus, die Managergehälter zu beschränken. Wir brauchen in allen kapitalistischen Ländern – vor allem auch in der Bundesrepublik Deutschland – eine härtere Besteuerung der Unternehmens- und Vermögens­einkommen. Von all diesen Aspekten einer Neuordnung des Finanzsektors ist im Notprogramm der Bundesregierung wenig zu finden. Nicht zuletzt wäre auch eine neue Weltwirtschafts- und Finanzordnung zu fordern, wie sie gegenwärtig unter dem Stichwort ein "Neues Bretton Woods" am Rande der aktuellen Diskussion benannt wird. Die linken oder sozialistischen Alternativen müssen von den nationalen Besonderheiten ausgehen. Beispielsweise konstatieren selbst Politiker des bürgerlichen Lagers, dass sich die "Berliner Republik" auch von der EU-Kommission in eine gesellschaftspolitische Sackgasse hat hineintreiben lassen. Die europäische Kommission wollte auch das System der Sparkassen und Volksbanken der Kapitalmarktfreiheit unterwerfen. Diese Zerschlagung konnte verhindert werden. Die BürgerInnen schichten bei uns ihre Spareinlagen in dieses System um. Wir könnten dies befördern und – mit einigen begleitenden Maßnahmen – nicht nur für viele BürgerInnen eine wünschbare Sicherung ihrer Spareinlagen organisieren, sondern zugleich die Grundlage für eine Neuausrichtung des Kreditsystems an den Bedürfnissen der kleinen und mittleren Unternehmen sowie regionaler Wirtschafts- und Einkommenskreisläufe schaffen.

Was folgt auf den Neoliberalismus?

Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher fragt: "Wer werden wir geworden sein, wenn das vorbei ist?" Seine Antwort: "Für die akute Bedrohung unserer Gesellschaftsordnung ist 'Gier' die harmloseste aller Erklärungen… Gesellschaften wurden zivilisiert, um genau das zu verhindern, was nun möglich scheint: dass sie durch rücksichtsloses Handeln Einzelner zerstört werden… Das ist die gegenwärtige Lage der Politik. Aber weil Millionen Deutsche während des letzten Jahrzehnts gedrängt wurden, ihr Leben neoliberal umzustellen, den Finanzmärkten zu trauen und dem Staat zu misstrauen, ist auch die Lage jedes Einzelnen. Er muss nachträglich einsehen, dass die Vernünftigkeit seiner wichtigsten Lebensentscheidungen auf einem rein spekulativen System basierte."[3]

Die globale Krise trifft nicht nur die Finanzmärkte und es geht auch nicht allein um die Bewältigung der sich anbahnende Weltrezession. Es ist mehr zusammengebrochen: Die neoliberale Ideologie hat einen Vernunft- und Glückszusammenhang zwischen Individuum und Globalisierung versprochen, der nun mit dem Platzen der Vermögensblase auch ökonomisch am Ende ist. Es kann nicht mehr in Abrede gestellt werden, dass der entfesselte Kapitalismus sich durch seine eigene Logik diskreditiert hat. Die "Tugenden des ehrlichen Kaufmanns" wurden kleingeschrieben, Gier, Überheblichkeit und gesellschaftliche wie nationale Bindungslosigkeit machten das Rennen. Noch ist das offenkundige Scheitern des säkularen Projekts der Entfesselung des Kapitals nicht verarbeitet.

Plötzlich werden die Fans der Marktsteuerung zu Regulierungsanhängern. Es geht aber um weit mehr als Bankenaufsicht und ein paar Schranken für Kreditgeschäfte. Die Dominanz der Finanzmärkte über die Realökonomie muss aufgehoben werden. Die Privatisierung der sozialen Sicherheit muss rückgängig gemacht und alle Einkommensarten zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden.

Es ist unvermeidlich, dass "Uncle Sam" die Wall Street rettet, doch sollte man heute schon über die weitergehenden Fragen nachdenken: Wer wird den Retter retten? Die Staatsgelder, die die USA zur Stabilisierung ihres Bankensystems aufwenden wollen, belaufen sich bereits jetzt auf die astronomische Summe von ca. 1,7 Bio. US-Dollar, die zusätzlich zum sowieso schon vorhandenen Defizit finanziert werden müssen. Die Gefahr ist groß, dass die US-Zentralbank über kurz oder lang die Notenpresse anwerfen muss, was zu einem Inflationsdruck führen wird. In jedem Fall ist kurzfristig mit einem sehr volatilen Dollar zu rechnen. Etliche Finanzexperten gehen davon aus, dass es mittelfristig zur Bildung eines stärker bipolaren internationalen Währungsregimes kommt, bei dem mehr Reserven und Anlagen in Euro getätigt werden. Die meisten Finanzleute stimmen allerdings darin überein, dass es zumindest mittelfristig zum Dollar keine Alternative gibt.

Wir erleben den Anfang vom Ende des amerikanischen Imperiums, das in dem Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die wirtschaftlich, finanziell, politisch und militärisch dominante Macht war. Großmächte, wie das britische Empire, waren immer auch Kreditgeber und Gläubiger der übrigen Welt. Für Britannien begann der Niedergang, als es zum Netto-Schuldner wurde. Das Gleiche geschieht nun mit den Vereinigten Staaten.</p><p>Die USA sind die größte Schuldnernation der Welt und leben mit einem gigantischen Defizit in der Leistungsbilanz: Jährlich werden für über 700 Mrd. US-Dollar mehr Waren und Dienstleistungen importiert, als die USA selbst ins Ausland verkaufen können. Hinzu kommt ein Staatsdefizit von nun bald 1.000 Mrd. Dollar. Die Bedeutung des Dollars als Reserve- und Handelswährung wird mit der Zeit weit geringer werden, weil der Euro und andere Währungen zunehmend an seine Stelle treten werden. Die Sanierung des Banken- und Kreditsystems ist nicht nur mit einer grundlegenden Erneuerung der Strukturen der Realökonomie verbunden, sondern es geht auch um die Etablierung einer neuen wirtschaftlichen und politischen Ordnung für das globale System. Der erste Schritt ist die Einberufung einer globalen Konferenz zur Rekonstruktion von Finanz- und Währungsordnung. Es wird aber noch ein längerer Weg sein, bis sich auf dieser Ebene die Bereitschaft zu einem fairen Handels- und Kreditsystem durchsetzen lässt.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus. Jüngste Buchveröffentlichung: Globale Finanzkrise. Über Vermögensblasen, Realökonomie und die "neue Fesselung" des Kapitals. Hamburg 2008.

[1] Am 9. Oktober 2007 erreichte der Dow-Jones-Index sein Allzeithoch von 14.164 Punkten; am 10. Oktober 2008 wurde ein Niveau von 8.451 festgehalten.

[2] Wenn in den aktuellen Debatte von Spekulation, Abzocken oder Gier die Rede ist, sollte bedacht werden: Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und die Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion. Durch das Kredit- und Schuldensystem soll diese immanente Schranke aufgehoben werden. In der Überproduktion und im Kreditsystem sucht das Kapital die immanenten Schranken zu durchbrechen.

[3] FAZ vom 11.10.2008