Beschäftigte und Arbeitslose im medialen und rechtlichen Halbschatten

Vom Ausbeutungsfeld Arbeitsplatz

In Unternehmen und Staat werden die Rechte von Beschäftigten, Noch-Beschäftigten und Arbeitslosen laufend eingeschränkt und verletzt. Selbst die bestehenden Rest-Gesetze werden missachtet, vor allem aber werden sie in Grauzonen umgangen, die mit hohem juristischem Aufwand geschaffen werden. 

Millionen Betroffener befinden oder glauben sich in einer Erpressungssituation. Widerspruch, Widerstand, ja allein die interne oder gar öffentliche Feststellung der nackten Tatsachen unterbleiben aus Furcht vor Entlassung, Nichtzahlung von Transferleistungen oder sonstigen Strafmaßnahmen. Hilferufe aus dieser allgegenwärtigen, aber verdrängten Welt gelangen nur an den Rändern aus dem medialen und rechtlichen Halbschatten in die Öffentlichkeit.

Bundesregierung schützt Konzerne vor Menschenrechten

Im April 2008 veröffentlichte die UNO den Bericht ihres Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie. Der etwas umständliche Titel lautet “Förderung und Schutz aller Menschenrechte, ziviler, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, einschließlich des Rechts auf Entwicklung”.

Unter Menschenrechten wird hier im Unterschied zur US- und „Welt“-Meinung nicht nur „Presse- und Meinungsfreiheit“ verstanden, sondern das ganze Spektrum der Menschenrechte, einschließlich sozialer und Arbeitsrechte – was im übrigen mit der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte der UNO von 1948 übereinstimmt.

Ruggie stellt fest, dass gegenüber multinationalen Unternehmen eine „Regelungslücke“ besteht: Während die Eigentümerrechte bei der „Globalisierung“ gestärkt wurden, wurden die Menschenrechte geschwächt.

Dieser Zustand gilt allerdings auch in der UNO selbst. 2004 scheiterte der Versuch, auf der Grundlage der UNO-Normen ein Regelwerk für multinationale Kon-zerne zu schaffen, deshalb entstand als Rückzugsposition die Stelle des Sonderbeauftragten. Ruggie als Berater des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan war vorher verantwortlich für die Etablierung des „UN Global Compact“, in dem sich die größten Kon-zerne freiwillig zur „Einhaltung von Menschenrechten“ verpflichteten, allerdings ohne Bezug zur UNO-Erklärung. So ist es nicht erstaunlich, dass Ruggie sich als nunmehriger Sonder-beauftragter konzeptionell nicht auf die Normen der UNO, sondern auf die konzernfreundlicheren Leitsätze der OECD bezieht.

Dennoch muss er feststellen, dass die Konzerne auch diesen Leitsätzen kaum folgen: Vor allem durch Ausweichen auf Staaten, die ohnehin solche Regelungen nicht kennen (Finanzoasen, Sonderwirtschaftszonen) und durch Tochter- und Subunternehmen in Staaten wie Polen, Indonesien und China.

Gleichzeitig zeigt häufig die Praxis nationaler Regierungen, dass sie die Leitsätze der OECD unterlaufen. Die 40 OECD-Staaten haben jeweils eine Nationale Kontaktstelle (NKS) einge-richtet, die vor allem Beschwerden bearbeiten soll. Allerdings ist etwa die deutsche NKS nicht unabhängig, sondern ausgerechnet im Wirtschaftsministerium und dort in der Abteilung Auslandsin-vestitionen untergebracht. Der dazu eingerichtete „Arbeitskreis OECD-Leitsätze“ ist öffentlich unbekannt, er hat keine Mitglieder aus Kreisen der Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen, trifft sich nur einmal im Jahr und wird über Beschwerden und Eingaben nicht unterrichtet.

Die deutsche NKS hat auch keine Kompetenz und kein Budget, um in Streitfällen eigene Ermittlungen anzustellen. So musste etwa eine Beschwerde der Kampagne „Saubere Kleidung“ gegen adidas ungeklärt bleiben, weil Aussage gegen Aussage stand.

Entgegen ihrer wiederholten Beteuerung, weltweit für Menschenrechte einzutreten, schützt die deutsche Bundesregierung in der Praxis die Konzerne vor den Menschenrechten.

„Streiks verbieten!“

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) registriert zwar gelassen die ansteigende Armut, aber sehr nervös die Zu-nahme von Streiks. „Deutschland“ steuere auf einen „Streikrekord“ zu. Im ersten Halbjahr 2008 seien bereits 250.000 Arbeitstage wegen Streiks ausgefallen, bei der Lufthansa allein 25.000. Das seien schon fast so viele Streiktage wie im ganzen Vorjahr. Deshalb fordern „Experten“ Einschränkungen der Tarifautonomie und des Streikrechts.

Der von der Bundesregierung berufene „Wirtschaftsweise“ Professor Wolfgang Franz sprach sich für ein gesetzliches Verbot von Warn- und Sympathiestreiks aus. Gestreikt werden dürfe „erst nach Ende der Friedenspflicht und eigentlich nur dann, wenn eine Einigung anders wirklich nicht zu erreichen ist.“ Der „Wirtschaftsexperte“ der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, hält es für „den Wirtschaftsstandort Deutschland dauerhaft nicht hinnehmbar“, wenn sich Streiks wie bei der Lufthansa und der Deutschen Bahn durch die Konkurrenz mehrerer Gewerkschaften hochschaukeln. Wend will das Grundgesetz ändern und die Tarifautonomie einschränken: In einem Tarifgebiet dürfe es nur eine tonangebende Gewerkschaft geben, und an deren Tarifabschluss müssten sich alle anderen halten. Im Klartext bedeutet dies: Nur konzernnahe Gewerkschaften sollen den Ton angeben, dagegen sollen Lokführergewerkschaft GDL, Vereinigungen der Fluglotsen und Piloten unter den Deckel!

Christliche Gewerkschaft: Billiglöhne gegen das Gesetz

Bekanntlich bilden so genannte bzw. sich selbst so nennende Christliche Gewerkschaften nicht die Avantgarde des menschen- und arbeitsrechtlichen Fortschritts. Sie scheinen in einer etwas langweiligen, anachronistischen Ecke, außerhalb aktueller Konflikte vor sich hin zu dösen. Das scheint aber nur so. Wenn es gegen bisherige Arbeitsrechte geht, sind sie blitzschnell zur Stelle, fallen sozusagen vom Himmel. Für die neue Branche der privaten Postdienstleister steht so die Christliche Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation (CGPT) bereit. Sie bezeichnet sich als „christlich soziale Wertegewerkschaft“. Diese Werte materialisieren sich in dem Haustarifvertrag, den die CGPT mit dem Unternehmen TNT Post Regioservice GmbH abschloss:

Die Postzusteller bekommen, nun auch fein christlich abgestuft, je nach Bundesland zwischen 6,50 Euro brutto (in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) und bestenfalls 7,50 pro Stunde (in Berlin und Westdeutschland). Eigentlich haben sie wegen der Aufnahme der Postbranche in das „Entsendegesetz“ seit dem 1.1.2008 Anspruch auf mindestens 8 (im „Osten“) und 9,80 Euro (im „Westen“).

Dies hat die CGPT zusammen mit TNT aber dadurch ausgehebelt, dass die Postzusteller umbenannt wurden in „Mehrwert-Briefdienstleister“. Und so werden auch Zuschläge für Mehrarbeit erst ab der 211. Stunde gezahlt. Dem-nach bleiben bis zu 38 Stunden pro Mo-nat ohne Überstundenzuschlag. Auch vor der Verletzung von Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) schreckt das christlich-kapitale Bündnis nicht zurück: Laut Haustarifvertrag kann einem Beschäftigten während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses innerhalb von 2 (zwei) Tagen gekündigt werden, während § 622 Absatz 3 BGB zwei Wochen vorschreibt. Auch die Regelungen zu Urlaubsvergütung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unterschreiten das im Bundesurlaubsgesetz und Entgeltfortzahlungsgesetz vorgeschriebene Mindestniveau.

Damit kein Missverständnis aufkommt: „natürlich“ (jedenfalls innerhalb der gegenwärtig scheinbar Natur gewordenen Wirtschaftsordnung), natürlich bedienen sich auch und vor allem nicht-religiöse Akteure solcher Praktiken. Die Deut-sche Bahn AG betrieb während des Lokführerstreiks der GDL 2007 die Werbe-kampagne „1.000 Lokführer gesucht“. Versprochen wurden „attraktive Ein-kommensperspektiven“. Nach der Ein-weisung erhielten sie aber lediglich ein Zeitarbeitsangebot bei der DB-Tochterfirma DB Bahnservice GmbH, einer Tochterfirma der DB Zeitarbeit GmbH, und zwar nicht als Lokführer, sondern als „Arbeitnehmer mit eisenbahnspezifischer Ausbildung“. Damit wird der mit der GDL vereinbarte Tarifvertrag umgan-gen, sie erhalten 12,56 Euro pro Ar-beitsstunde statt 17,10 Euro. Die neuen Lokführer, pardon eisenbahnspezifisch Ausgebildeten mussten dieses Angebot aber „freiwillig“ annehmen, denn im Falle der Nichtannahme müssten sie 40.000 Euro Ausbildungskosten zurückzahlen.

Kündigung wegen versuchter Wahl eines Betriebsrats

Das Unternehmen „Tiernahrung Deuerer GmbH“ mit Sitz in Bretten (Baden-Württemberg) ist nach eigenen Angaben der größte Tiernahrungshersteller Euro-pas. Mit 900 Beschäftigten, die rund um die Uhr im 4-Schicht-Betrieb arbeiten, werden Katzen und Hunde in 33 Staaten mit liebevollen sticks und snacks beliefert.

Nach Aussage der NGG, die von Deuerer nicht bestritten werden, sehen die Arbeitsbedingungen u.a. so aus: Der Stundenlohn liegt zwischen 6 und 8 Euro brutto; die Beschäftigten müssen ihre Sicherheitskleidung, die wegen der hohen Temperaturen bei der Futterverarbeitung notwendig ist, selbst bezahlen; bei Beschwerden werden Beschäftigte für einige Tage ohne Bezahlung zwangsbeurlaubt.

Eine Gruppe von Deuerer-Beschäftigten wollte 2008 einen Betriebsrat gründen, setzte sich mit der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten, Genuss (NGG) und dem Arbeitgeber in Verbindung und wollte eine Wahl durchführen lassen. Zuerst stellte Deuerer die Zuständigkeit der NGG infrage, dann berief die Inhaberfamilie eine Belegschaftsversammlung ein und warnte vor der Gründung eines Betriebsrats. Inhaber und Geschäftsführer Helmut Deuerer betont, dass niemand in der Belegschaft einen Betriebsrat wolle; in der Belegschaftsversammlung „ist keiner aufgestanden und hat gesagt: Wir wollen einen Betriebsrat.“

10 Beschäftigten wurde „betriebsbedingt“ gekündigt. Zufälligerweise handelt es sich um diejenigen, die die Betriebsratswahl vorangetrieben haben. Nach massiven Einschüchterungen, so die NGG, haben drei Kollegen die Kün-digungsschutzklagen zurückgenommen, haben die Mitgliedschaft in der NGG beendet und sind wieder arbeiten gegangen. Sieben Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder verfolgen ihre Klage aber weiter. Einer von ihnen, der als „Rädelsführer“ bezeichnet wird, erhält seit Juni kein Gehalt mehr, die sechs anderen erhalten seit August ebenfalls keine Vergütung mehr. Die Auszahlung von Arbeitslosengeld ist noch ungeklärt.

Die NGG ging vor das Arbeitsgericht, um bei Deuerer einen Wahlvorstand zu installieren. Der Richter hoffte beim ersten Termin vergeblich auf eine Einigung mit der Unternehmensleitung. Deuerer meinte, ein Kummerkasten für die Belegschaft und „die immer offene Tür des Chefs“ mache einen Betriebsrat überflüssig. „Der Richter sah sich – so wörtlich – an Feudalstrukturen aus der arbeitsrechtlichen Steinzeit erinnert.“

Beim ersten Arbeitsgerichts-Termin änderte Deuerer seine Kündigungs-Begründung von „betriebsbedingt“ in „ver-haltensbedingt“: Er brachte jetzt vor, diese Beschäftigten hätten kollektive Sabotage betrieben („während der Nachtschicht unerlaubt Handzettel verteilt“).

Die Gewerkschaft hat ein Solidaritätskonto für die Gekündigten eingerichtet. Sie hält die Aussichten beim nächsten Arbeitsgerichts-Termin am 30.9. für gut, dass die Kündigungen abgewiesen werden. Danach soll es mit der Wahl eines Betriebsrates weitergehen.

Folgenschwere Desinformation der Beschäftigten nicht strafbar

Im Jahre 2005 verkaufte die Siemens AG ihre Mobilfunksparte mit Handyproduktion in Bochum an den taiwane-sischen Konzern BenQ. Bereits 2006 ging der Betrieb ohne Vorwarnung in die Insolvenz, rund 3.000 Beschäftigte wurden arbeitslos. Umfangreiche Proteste nützten nichts. Wie sich nachträglich herausstellte, war der Betrieb gar nicht an die BenQ Corporation verkauft worden, wie öffentlich gesagt wurde, sondern an die eigens gegründete Tochtergesellschaft BenQ Mobile; die wur-de aber vom Mutterkonzern nur mit einem Stammkapital von 50.000 Euro ausgestattet, notwendige Kredite ließ BenQ Corporation nicht zu. Der niedrige Kaufpreis und das Verhalten von BenQ, ob in Abstimmung mit Siemens oder nicht, deuten darauf hin, dass das eigentliche Ziel des Verkaufs bzw. Kaufs nicht die Rettung und Fortführung des Betriebs war, sondern die Stilllegung.

Etwa 50 ehemalige BenQ Mobile-Mitarbeiter klagen seitdem gegen Siemens auf Weiterbeschäftigung, weil der Konzern die Beschäftigten über die wirtschaftliche Situation des Betriebs und den Verkaufsvorgang völlig falsch informiert habe. Nachdem die Arbeitsgerichte in erster Instanz die Klagen zunächst abwiesen, gaben die Landesarbeitsgerichte in Düsseldorf und München den Klägern Recht.

Siemens ging dagegen in Berufung, nun muss das Bundesarbeitsgericht entscheiden. Entscheidet es im Sinne der Kläger, dann haben sie - allerdings nur die Kläger - Anspruch auf Weiterbeschäftigung und Nachzahlung der Gehälter. Was aber bisher rechtlich überhaupt fehlt, sind Sanktionsmöglichkeiten wegen Falschinformation und dadurch ver-ursachter wirtschaftlicher Schädigung der Beschäftigten.

Training in „Gewerkschaftsvermeidung“

Global Players sind bekanntlich „flexibel“: so sind die Gewinne der Eigentümer und die Einkommen der Manager sehr dehnbar, und zwar ohne Grenze nach oben, und dehnbar sind auch die Arbeitsrechte und –einkommen der Beschäftigten und Noch-Beschäftigten und Outgesourcten und Leiharbeiter, und zwar nach unten, auch dies scheinbar ohne Grenze. Kulturelle und rechtliche Unterschiede werden dabei flexibel ausgenutzt.

So geht die Telekom z.B. in den USA noch rigider vor als in Deutschland. T-Mobile USA anerkennt die entsprechende Gewerkschaft Communication Workers of America (CAW) nicht als Verhandlungsführer. Deren Vertreter werden mit Polizeigewalt vertrieben, wenn sie vor den Betrieben Flugblätter verteilen. Um das „produktive und gewerkschaftsfreie Umfeld zu erhalten“, sucht T-Mobile USA Mitarbeiter für Training in „Gewerkschaftsvermeidung“.

Was die Telekom in den USA kann, das können ALDI u.a. in Deutschland schon lange. So zahlte ALDI Nord insgesamt 350.000 Euro für einen Juristen, der Betriebsräte der Supermarktkette schulte, und zwar nicht unbedingt im Sinne starker Interessenvertretung. Die Zahlung des Jahresgehalts von 60.0000 Euro für den Juristen wurde heimlich abgewickelt, und zwar über einen unbedenklich scheinenden Mittäter, nämlich eine „renommierte“ Anwaltskanzlei in Essen; diese leitete das Geld aber nicht direkt an den Juristen weiter, sondern an eine Unternehmensberatungsfirma von Wilhelm Schelsky, damals Vorsitzender der von einem anderen Konzern, nämlich der Siemens AG, heimlich aufgebauten „gelben Gewerkschaft“AUB (Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger); erst die Schelsky-Firma zahlte das Gehalt aus. ALDI-Geschäftsführer Kämpgen begründete diesen Zahlungsweg damit, dass der Jurist „nichts davon wissen sollte“, woher sein Gehalt kam. ALDI habe sich in jeder Hinsicht korrekt ver-halten.

Die Gewerkschaft verdi stellt in ihrer Strafanzeige gegen ALDI wegen Verstößen gegen das Betriebsverfassungs-Gesetz fest, dass Betriebsvereinbarungen mit Arbeitszeiten befördert wurden, denen Belegschaftsvertreter aus der Gewerkschaft nicht zustimmten.

Arbeitslose sollen sich Job kaufen

Für die Gründung von Betrieben setzen Unternehmen immer häufiger die Vorbedingung durch, dass der Staat Subventionen und Steuerbefreiungen gewährt. Auch Lohnabhängige sollen für ihren erhofften Arbeitsplatz immer häufiger eine „Eintrittsgebühr“ vorleisten.

Insbesondere trifft dies für die ohnehin am niedrigsten bezahlten Arbeitsplätze zu. Da kommen leicht ein- oder zwei-tausend Euro für eine kurze Ausbildung vor Arbeitsantritt zusammen, etwa beim Billigflieger Ryan Air. Ein Arbeitsloser in Hessen, dessen Name „natürlich“ anonym bleiben muss, erhält kein Arbeitslosengeld, weil seine Frau noch ein kleines Einkommen und etwas Erspartes hat.

Die von der staatlichen Arbeitsagentur beauftragte private Arbeitsvermittlungsfirma Consulting & Service GmbH verlangt aber für die Vermittlung eines Arbeitsplatzes mit Zustimmung der Ar-beitsagentur eine Vermittlungsgebühr von 1500 Euro plus 19 % Mehrwertsteuer, also 1785 Euro. Wenn ein Arbeitsloser Arbeitslosengeld bezieht, übernimmt die Agentur diese Zahlung.

Da aber der hessische Anonyme und seine zahlreichen Leidensgenossen am Standort Deutschland zwar arbeitslos sind, aber kein Arbeitslosengeld erhal-ten, müssen bzw. müssten sie sich den schlecht bezahlten Arbeitsplatz selbst erkaufen.

Unbeachtete Überlastungsanzeigen

Der Stellenabbau in den Krankenhäusern – etwa 50.000 Vollzeitstellen während der letzten 10 Jahre – hat einen Pflegenotstand herbeigeführt. Der Pflege-notstand ist aber auch eine neue Quelle für Krankheiten und er ist zugleich ein Arbeits-Notstand. Dort wo Notrufe Kranker und Verletzter eingehen und bearbeitet werden sollen, herrscht nun selbst der akute Notfall, Beschäftigte senden Notrufe an die Krankenhausleitungen. Wer hört diese Notrufe?

Allein in vier großen deutschen Krankenhäusern haben Beschäftigte im Laufe eines Jahres über 2.000 Überlastungsanzeigen eingereicht, berichtet die Gewerkschaft ver.di. Sie hat solche Anzeigen gesammelt. Sie können aber nur anonym veröffentlicht werden, da die Beschäftigten um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen – die „Störung des Betriebsfriedens“ ist ein zulässiger Kündigungsgrund. Einige Auszüge:

Ein Krankenpfleger in der Abteilung für Bauch- und Gefäßchirurgie: „Es sind fast in jeder Nacht irgendwelche Patienten präfinal gewesen, wo man wusste, die sterben heute Nacht und dürfen es auch. Nur Zeit hat man dafür bestimmt nicht. Man ist schnell wieder raus und kommt zwangsläufig dazu, sich zu denken: Hoffentlich ist es bald vorbei, dann habe ich eine Arbeit weniger. Betreuung, Handhalten – nichts davon ist möglich.“

Eine Fachkrankenschwester in der psychiatrischen Station mit 22 Patienten und drei Pflegekräften: „Gangunsichere und aggressive Patienten mussten in einer solchen Situation öfter und länger fixiert (d.h. gefesselt) werden, da es einfach nicht möglich war, sich so intensiv wie nötig um sie zu kümmern. Dass die Angehörigen von drei der Patienten aufgebracht, zum Teil sehr ungehalten waren, ist nachvollziehbar, bedeutet aber noch zusätzlichen Zeitaufwand.“ Eine Krankenschwester in der Krebsstation:

„Drei Pflegekräfte und ein Schüler müssen die Krebsstation mit 26 Pa-tienten/innen versorgen, drei Stellen sind seit Jahresmitte unbesetzt, zwei Kolleginnen sind krank, eine schwanger. Blutzuckerbestimmungen und Verbands-wechsel können nicht mehr gemacht werden, Grundpflege nur noch im Rahmen von Intimpflege und Zähneputzen, aus-reichende Dokumentation kann nicht mehr gewährleistet werden. Es besteht die dringende Gefahr, dass dem Personal unter diesem Druck Fehler unterlaufen.“

Eine Krankenschwester in der Station innere Medizin berichtet: „Am Morgen des 17.10. mussten sich die Patienten zwei Pflegekräfte teilen. Bei Aufnahmeuntersuchung der neuen Patienten bestand der Arzt auf der Anwesenheit einer Pflegekraft, drei Patienten mussten zur Entlassung vor-bereitet, ärztliche Verordnungen ausgeführt werden, sämtliche anderen Patienten waren komplett unterversorgt – keine Gespräche, keine Informationsweitergabe. Essensausgabe und Vitalzeichenkontrolle nur mit erheblicher Verzögerung. Keine Visite, kaum Dokumentation, notgedrungen gefährliche Pflege während der ganzen Schicht.

Aus dem Halbschatten

Der vielfach beklagte Verfall der Demokratie, der Menschenwürde und der Sicherheit zeigt sich hier in einem besonders brisanten Bereich, über den bisher kaum öffentlich diskutiert wird, und kaum von den unmittelbar Betroffenen selbst. Wichtig scheint mir, das Gemeinsame der Lage von Arbeitslosen und (Noch-)Beschäftigten herauszuarbeiten. Es kann auch nicht nur darum gehen, die Verstöße gegen die (Rest-)Bestände etwa des gegenwärtigen Arbeitsrechts anzuprangern.

Das geltende Recht insbesondere im Umgang des Staates und der Unter-nehmenseigentümer und ihrer „Hiwis“ mit Arbeitslosen, Niedriglöhnern und auch Höherqualifizierten ist vielfach ein Recht, das zu Unrecht geworden ist. Und oft wird sogar das Rest-Recht in der Praxis gebrochen.

Zunächst ist eine Bestandsaufnahme und eine Ursachenanalyse notwendig: Das bedeutet zugleich, dass wir dabei auch neue Medien, neue Foren, neue „Netzwerke“, neue Kompetenzen heraus-bilden. Wie entwickeln wir organisierten und kompetenten Widerstand? Er ist zur elementaren Bedingung von Menschenwürde, Sicherheit und Demokratie geworden.

Werner Rügemer in BIG Business Crime Nr.4/2008