Krisenfest werden!

Die Finanzmarktkrise und eine drohende Rezession werfen ihre Schatten auf das Superwahljahr 2009. Wie soll DIE LINKE reagieren? Thesen zur Diskussion von Christine Buchholz und Klaus-Dieter Heiser

1. Die Finanzmarktkrise und die sich abzeichnende Rezession ändern die Rahmenbedingungen für DIE LINKE.

Die Krise auf den Finanzmärkten und die sich abzeichnende Rezession der Realwirtschaft stellen eine Herausforderung für DIE LINKE dar: Im Superwahljahr 2009 wird sie ihre Politik als Abwehrkampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf Arbeitende, Erwerbslose, Rentner und junger Menschen entwickeln müssen. Hierfür ist ein Schulterschluss mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen nötig. Auf der Agenda des Kapitals stehen Lohnzurückhaltung, Entlassungen, weiterer Abbau des Sozialstaates und Entwertung der Löhne durch Inflation.

Nicht nur die ökonomische, sondern auch die imperialistische Konkurrenz wird durch die Krise verschärft. Auch im nächsten Jahr werden uns eine aggressive NATO-Strategie und die zunehmende Teilnahme Deutschlands am angeblichen „Krieg gegen Terror" begleiten. Neue Konfliktherde - wie zuletzt am Kaukasus - werden entstehen.

Kapitalismuskritik ist angesichts der mit der Krise verbundenen gesellschaftlichen Verwerfungen wieder angesagt. Doch führt Systemkritik nicht automatisch zu Protest oder antikapitalistischen Antworten. DIE LINKE steht in der Verantwortung, Widerstand voranzubringen und Alternativen zum Kapitalismus aufzeigen.

2. Krisen des Kapitalismus sind bisher immer bewältigt worden, indem die Kosten von den Arbeitnehmern getragen wurden.

Das Mitte Oktober von der Bundesregierung geschnürte 500-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Banken ist ein solches Projekt. DIE LINKE hat deshalb zu Recht dem Merkel-Steinbrück-Steinmeier-Paket nicht zugestimmt. Die Partei darf aber bei ihrer Ablehnung des aktuellen Hilfspakets und der Entwicklung ihrer Politik nicht zu kurz greifen. Die tiefer liegenden Probleme der kapitalistischen Verwertung, eben der Profitmaximierung, werden durch Stabilisierungs- und Regulierungsmaßnahmen nicht gelöst, auch wenn sie „schärfere" Auflagen für Bank- und Konzernmanager beinhalten sollten. Die Exzesse des Neoliberalismus, die Auslöser der aktuellen Krise auf den Finanzmärkten waren, sind nicht die Ursache, sondern waren eine Antwort der Herrschenden, um aus der Langzeitkrise niedriger Profitraten seit Ende der 1960er Jahre auszubrechen. Die Erhöhung der Ausbeutungsrate und die weit reichenden Deregulierungs- und Umstrukturierungsprozesse waren aus kapitalistischer Logik nicht „unvernünftig". Sie fanden allerdings ihre Grenzen, als die exzessiven Spekulationen mit aufgeblasenen Aktienwerten, mit Immobilien und faulen Krediten, durch die Realität der niedrigen Profitraten auf den Boden der Tatsachen zurück geholt wurden und zum Crash führten. Es nutzt nichts, Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu spielen. Der Kapitalismus trägt mit seiner Grundlage von Konkurrenz und Profit auch seine Krise mit sich. Es ist für DIE LINKE an der Zeit, den Kapitalismus von der Wurzel her zu kritisieren und als herrschendes System in Frage zu stellen.

3. Die Abwälzung der Krise auf die Mehrheit der Bevölkerung kann nur durch soziale Abwehrkämpfe verhindert werden.

DIE LINKE hat eine große Verantwortung, Kämpfe für die Interessen der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Rentner und der Jugendlichen voranzubringen. Die einzige Chance die Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse zu verhindern, liegt in sozialen Abwehrkämpfen. Die LINKE kann im Wahljahr 2009 an die bisherigen Erfolge seit dem Parteigründungsprozess ab 2006 anknüpfen, wenn sie Teil der sozialen Kämpfe ist und sich so von allen Parteien unterscheidet.

Die anderen Parteien werden das nicht leisten: Die SPD hat mit der Wahl ihres Spitzenpersonals für den Bundestagswahlkampf 2009 ihre Richtung bestimmt: Steinmeier steht für die Agenda 2010, Müntefering für die Rente mit 67. Zusammen stehen sie für Kriegseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo. Von der SPD ist deshalb kein grundlegender Politikwechsel zu erwarten. Das empfinden auch SPD-Mitglieder als schmerzlich, die sich als Linke verstehen und durch den innerparteilichen Steinmeier-Putsch an den Rand gedrängt wurden. Sie sind von den Folgen der Regierungspolitik und der Krise genauso betroffen wie die Bevölkerungsmehrheit. Das kann die Basis für gemeinsame Aktionen sein, auch in Zeiten von Wahlkämpfen.

Die Grünen haben sich in den Fußstapfen der FDP zu einer beliebigen Mehrheitsbeschafferin im parlamentarischen Farbenspiel entwickelt, egal ob es nun Ampel oder Jamaika heißt. Die CDU wird immer dann munter, wenn es um die Interessen der Banken und Konzerne geht.

Konkret bedeutet das die Unterstützung von Tarifkämpfen, Kämpfen gegen Privatisierung, Aktivitäten der Friedensbewegung gegen die NATO und den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Das bietet Möglichkeiten, DIE LINKE mit betrieblichen Protesten und sozialen Bewegungen zu verzahnen und politisch aktive neue Mitglieder für DIE LINKE zu gewinnen. Wo immer sich sozialer Protest äußert, wo in Betrieben gegen Lohnkürzungen und Arbeitsplatzabbau gekämpft wird, wo Schüler und Studenten für bessere Bildung auf die Straße gehen, da muss auch DIE LINKE vor Ort sein - solidarisch und engagiert.

Der LINKEN kommt dabei die Aufgabe zu, politische Forderungen zu bündeln und Aktionsformen vorzuschlagen - von der einfachen Mobilisierung und der Unterschriftenaktion bis zum politischen Streik. Es bedeutet auch in Gewerkschaften, Verbänden und NGOs für Widerstand zu werben und nicht „die Füße still zu halten", um die SPD oder die Grünen oder auch DIE LINKE zu schonen. Versagt die LINKE hier, drohen die alten und neuen Nazis Morgenluft für ihre Demagogie zu wittern. Ihnen darf kein Quadratzentimeter Raum gegeben werden.

4. DIE LINKE muss von der Wählerpartei zur aktiven Mitgliederpartei werden.

„Links wirkt" ist ein beliebter Slogan der Partei. Aber das bezieht sich oft nur auf die öffentliche Wahrnehmung der LINKEN, nicht auf den Aktivitätsgrad und die Verankerung in sozialen Bewegungen und Initiativen. Will die Partei soziale Kämpfe befördern, darf ihr Erfolg nicht nur an Wahlergebnissen gemessen werden, sondern an der Präsenz und Aktivität der Mitglieder vor Ort. Politische Veränderung entsteht nicht in erster Linie durch parlamentarische Arbeit, sondern vor allem durch gesellschaftliche Mobilisierung und Politisierung. Ohne diese wird die LINKE ein Riese auf tönernen Füßen, der die Verbindung zur Lebensrealität der Mehrheit der Menschen verliert.

Den Charakter der LINKEN bestimmt auch die Art und Weise, wie wir Wahlkampf führen. Die Wahlkämpfe zum Bundestag, zum Europaparlament und die diversen Landtags- und Kommunalwahlen bieten dann eine Chance zum Erfolg, wenn diese in gleicher Richtung mit den zentralen Forderungen der LINKEN geführt werden: für gesetzlichen Mindestlohn, gegen Rente mit 67, für Anhebung der Regelsätze für ALG-II-Bezieher, gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und für ein Zukunftsinvestitionsprogramm in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Ökologie. Auf dieser Grundlage wollen wir für einen Politikwechsel mobilisieren. Diese Forderungen knüpfen an den unmittelbaren Interessen der Arbeitenden, der Erwerbslosen, der Rentner und der Jugend an. Sie bieten eine Handlungsperspektive, wenn es der LINKEN gelingt, in die gesellschaftlichen Debatten einzugreifen und die kapitalismuskritischen Elemente der Politik der LINKEN mit den konkreten Antworten zu verknüpfen. Denn die Arbeitenden sitzen nicht mit dem Kapital „im selben Boot ", nicht die Arbeitenden und die Erwerbslosen haben „den Gürtel enger zu schnallen". Soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass „die Reichen zu zahlen haben", denn ihr Reichtum wurde von den Arbeitenden erarbeitet. Das heißt auch, Lohnverzicht im Zusammenhang mit der nationalen „Standortkonkurrenz" nicht zu akzeptieren. Denn davon profitieren nur die Kapitalbesitzer. Was diese mit ihrem Kapital anstellen, hat sich an den Börsen gezeigt.

Die Aktivierung der Mitglieder ist eine große Aufgabe im Wahlkampf. Jeder und jede kann sich beteiligen. Allen Mitgliedern und Sympathisanten die Möglichkeit zu geben, ihren auch noch so kleinen Beitrag zu einem aktiven Wahlkampf vor Ort zu leisten ist die Aufgabe der Parteistrukturen an der Basis.

5. Regierungsbeteiligung unter den Bedingungen der Krise ist Selbstmord der Partei

DIE LINKE steht nicht unter dem Zwang, zu regieren - egal ob mit 5, 10, 15, 20 oder X Prozent. Wer bei Wahlen kandidiert, ist bereit, Verantwortung im Parlament zu übernehmen und die Interessen seiner Wählerinnen und Wähler dort zu vertreten. Das bedeutet nicht automatisch, in Regierungen mitzuwirken. Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen stehen Regierungsbeteiligungen der LINKEN entgegen. Die Partei steht dafür, dass es keine weiteren sozialen Kürzungen, keine neuen Privatisierungen und keinen weiteren Personalabbau geben wird. Es wird jedoch kein Cent mehr in der Kommunal- oder Landeskasse vorhanden sein, wenn die Wählerstimmen für DIE LINKE zunehmen. Sie darf sich nicht dem „Sachzwang" leerer Kassen ergeben und so selber zum „kleineren Übel" werden. Denn Länder und Kommunen haben nur wenig Einfluss darauf, die Einnahmeseite durch Besteuerung der Millionäre zu verbessern. Auf der kommunalen Ebene gehen selbst sozialdemokratische Kommunalpolitiker schon jetzt davon aus, dass es wieder zu einem Einbruch der städtischen Einnahmen wie vor vier oder fünf Jahren kommen wird. Damit wäre die nächste Krise der Kommunen da.

Im Land Berlin ist zu erleben, dass den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes berechtigte Lohn- und Gehaltserhöhungen mit Hinweis auf die Politik der so genannten Haushaltskonsolidierung verweigert werden. Die Wut der Betroffenen wendet sich nicht nur gegen die SPD Wowereits und Sarrazins, sondern in noch stärkerem Maße gegen die an der Landesregierung beteiligte LINKE. Diese Berliner Erfahrungen sollten bei den Landtagswahlkämpfen 2009 beachtet werden. Das bedeutet: Keine Regierungsbeteiligung unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen, nicht in Thüringen, auch nicht an der Elbe, am Main, an Spree, Havel oder Saar. Wenn sich, wie in Saarbrücken, hunderte Beschäftigte des öffentlichen Bereichs der LINKEN anschließen, um Privatisierungen zu verhindern, wäre die Enttäuschung besonders groß, wenn DIE LINKE in Regierungsverantwortung gegen deren Interessen handeln würde.

Das Durchschlagen der Krise auf die Haushalte macht jede Regierungsbeteiligung zum Selbstmordunternehmen für die Partei. DIE LINKE hat nichts zu verteilen, sondern kann Gegenmacht aufbauen. Das ist sehr viel mehr, als sich ohnmächtig an Regierungen zu beteiligen, die unter „Sachzwängen" an Regulierungen im Interesse des Kapitals mitwirken. Das Desaster mit der Regierungsbeteiligung der Linken in Italien sollte uns eine Warnung sein. Es ist die Aufgabe der LINKEN in Hessen, einen alternativen Weg zu Regierungsbeteiligung und „Magdeburger Tolerierungsmodell" aufzuzeigen. Einer Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti sollte die hessische LINKE deshalb die Zustimmung zu sozialen Kürzungen, zu Privatisierungen und weiterem Personalabbau verweigern. Denn auch in Hessen gilt: Nichts ist schlimmer als ein Verrat der LINKEN an ihren Prinzipien.

6. Kapitalismuskritik ist an der Tagesordnung - Marx neu entdecken

Erklärungen und Rezepte bürgerlicher Ideologen haben sich angesichts der aktuellen Krise einmal mehr als untauglich erwiesen. Diejenigen, die jahrzehntelang die Selbstregulierungskräfte des kapitalistischen Marktes lautstark propagiert haben, rufen jetzt laut nach Staatsinterventionen, um das kapitalistische System zu retten. Wer aber wirklich verstehen will, wie der Kapitalismus funktioniert, wie seine ökonomischen Gesetze wirken und wo die Grenzen des kapitalistischen Systems liegen, greift wieder stärker zu den Analysen von Karl Marx und seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger, um Schlussfolgerungen für den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts zu ziehen. Es ist ermutigend, dass die verkaufte Auflage des 1. Bandes des „Kapital" von Karl Marx im letzten Jahr verdreifacht wurde, dass von Studierenden an Universitäten „Kapital-Lesekreise" organisiert werden und dass in Gewerkschaften wieder über „den Mehrwert, der durch menschliche Arbeit erzielt wird und seine unentgeltliche Aneignung durch den Kapitalbesitzer" diskutiert wird. Das ist politische Bildungsarbeit, nicht als Selbstzweck, sondern Bildung, um sich in der Welt zurechtzufinden und für seine Interessen kämpfen zu können. Von der LINKEN sollte Bildungsarbeit in diesem Sinne entwickelt werden - auch und gerade im Wahlkampfjahr 2009.

Die neue Ausgabe von marx21 erscheint am 1. November.  

  • Schwerpunkt "Finanzkrise. Zeit für Antikapitalismus."  Artikel u.a.: "Die Finanzkrise: Beginn einer neuen Ära?", "Systemfehler: Warum der Markt versagt", "Kann der Staat den Kapitalismus retten?", "Marx‘ Krisentheorie: Aktuell wie nie?", "Sozialismus als Alternative?", "Welche Antworten findet die Linke auf die Krise?".
  • Außerdem im Heft: Arno Klönne beschreibt wie sich historisch das Kapital des Staates bedient hat - dazu bewertet ein anderer Artikel die aktuellen Vorschläge zur Staatsintervention. Der Gewerkschaftslinke Tom Adler redet über Lohnkampf in der Krise. Ein zweiter Schwerpunkt zur Novemberrevolution - spannende Artikel über die Revolution 1918, Rosa Luxemburg und den Spartakusbund und eine Debatte mit Wolfgang Gehrcke und Ulla Plener über „Novemberrevolution - was bleibt?". Dazu eine Analyse über die aktuellen Entwicklung in Bolivien von einem bolivianischen Journalisten und die heiß ersehnte Antwort auf die Frage „Was hat die Mafia mit dem Kapitalismus zu tun?".
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