Deutscher Herbst

Im September/Oktober geht es wieder um die Verlängerung des »Mandates
« für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan durch den Deutschen
Bundestag. Die Regierung folgt – ebenfalls wieder – den Ansinnen
der US-amerikanischen Kriegsplanung und stockt auf, um voraussichtlich
tausend Mann. Derweil hält die Ablehnung des Kriegseinsatzes der
deutschen Soldaten unter der Bevölkerung Deutschlands an.


O Deutschland, bleiche Mutter! Wie bist du besudelt mit dem Blut deiner
besten Söhne. Lothar Zagrosek, der Chefdirigent des Konzerthausorchesters
Berlin, hat mit einem der ersten Konzerte der Saison 2008/09 Hanns
Eislers Deutsche Sinfonie zur Aufführung gebracht, die jener 1935-37 in den
USA komponiert hatte. Die Chöre singen Texte unter anderem von Brecht.
Die zitierten Zeilen sind die Worte des Präludiums. Wer aber ist Deutschland?
Wer schickt die Söhne hinaus? Sterben sie schöner, wenn das Parlament
beschlossen hat, nicht der Kaiser oder der Führer? »Ihr werdet
nicht mißbraucht werden«, sagt man ihnen. Sind sie es nicht schon?


Die Planungen der Konzerte haben mehrere Jahre Vorlauf, sagte man
mir. Dennoch, da der erste Bundeswehreinsatz 2001 beschlossen wurde,
hat man schon gewußt, daß allherbstlich immer wieder dieses Thema
ansteht. Der Text im Programmheft entschuldigt sich ein wenig für die
kommunistische Agitation, reiht dieses Werk Eislers jedoch in die bedeutendsten
Leistungen der deutschen Exilkunst ein, neben die Gedichte
und Stücke Brechts und die Romane der Manns, Feuchtwangers und
Anna Seghers’.


So stehen die politischen Debatten um den Kriegseinsatz und die
Deutsche Sinfonie in einem eigentümlichen Kontext. In deren viertem
Teil geht es um die Erinnerung. Zu Potsdam unter den Eichen im hellen
Mittag ein Zug. Vorn eine Trommel und hinten eine Fahn’, in der Mitte einen
Sarg man trug. Der wird so beschrieben: Und auf dem Sarg mit Ziegelrot
stand geschrieben ein Reim, die Buchstaben sahen häßlich aus: »Jedem
Krieger sein Heim!« Die Bundeswehr-Beisetzung heute sieht anders
aus. Gekrochen einst mit Herz und Hand dem Vaterland auf den Leim, belohnt mit dem Sarge vom Vaterland: Jedem Krieger sein Heim! Dies wohl
geht der Mutter des toten Soldaten, der da vom Hindukusch im Sarg zurückkommt,
ebenfalls durch den Kopf.


Allerdings, während der Bundeswehrverband sagt: »Wir befinden uns
im Krieg«, heißt es aus dem Ministerium, es sei ein »Krisenszenario, in
dem auch gekämpft wird«. Was nun: Krieg oder Nicht-Krieg? Jedenfalls
wird auch gestorben, nicht nur auf Seiten der afghanischen Zivilbevölkerung.
Der zuständige Minister Jung läßt schon mal an einem zentralen
Denkmal für die gefallenen Bundeswehrsoldaten in Berlin planen. Es soll
am Bendlerblock in Berlin errichtet werden. Nur wenn man mit mehr Toten
rechnet, weil man mehr Soldaten hinschickt und die Lage immer aussichtsloser
wird, kann man auf den Gedanken verfallen, ein solch zentrales
Ehrenmal einzurichten. Das Vaterland braucht mehr Leim!


Die Regierung will nicht, daß es bekannt wird, daß es Leute gibt, die
den Krieg bekämpfen. Wie steht es mit dem Krieg? Gestern haben sie wieder
ein Spital bombardiert. Wer? Die die Kultur dorthin bringen wollen.
Die Generäle sagen, daß sie die Kultur verteidigen wollen! Was für eine Kultur?
Die der Generäle. Heute verbietet man die Demonstrationen gegen
den Krieg nicht, heute werden sie kleingeredet und als nutzlos erklärt.
Die Regierenden wüßten es stets besser, was den »deutschen Interessen«
frommt, und sei es am Hindukusch. Auch werden dort nicht Spitäler
bombardiert, nur Hochzeitsgesellschaften. Aber um die Verteidigung der
Kultur – unserer Generäle, aber nicht nur dieser – geht es immer noch.
Spricht man eigentlich darüber, bevor im Bundestag abgestimmt wird?
Sind die Afghanen unsere Kinder, denen wir zu sagen haben, wie sie sich
benehmen sollen?


Zur Zeit wird, wie zu lesen, das Personaltableau der Bundeswehr enger.
Hochqualifizierte technische Spezialisten und Piloten sind immer
weniger bereit, nach Afghanistan zu gehen. Wird es eine Abstimmung
mit den Füßen geben, die der Stimmungslage unter den Menschen im
Lande entspricht? »Durchhalten!« wird gezischt, »Nur jetzt nicht schlappmachen!
– Sonst siegt noch der Taliban!« Auch dies die bekannte Leier:
Da hört ich die Trommel rühren, und alle sprachen davon: Wir müßten
jetzt Kriege führen um ein Plätzlein an der Sonn’. Und heisere Stimmen
versprachen uns das Blaue vom Himmel herab. Und herausgefressene
Bonzen schrien: Macht jetzt nicht schlapp! Und wir glaubten: Jetzt sind’s
nur mehr Stunden, dann haben wir dies und das. Doch der Regen floß wieder
nach unten, und wir fraßen vier Jahre lang Gras. In Afghanistan geht
es ins achte Jahr. Sie fressen nicht Gras, sondern Staub, doch der Sieg ist
weiter weg denn je, obwohl es mit inzwischen 70 000 Soldaten der größte
Aufmarsch ist. Seht unsere Söhne, taub und blutbefleckt … Gerade haben
sie eine Mutter und ihre Kinder erschossen.-