Neue Muster von ArbeiterInnenprotest in Südchina (*)

Chris King-Chi Chan

Neue Muster von ArbeiterInnenprotest in Südchina[1]

Die Niederlage der Arbeiterbewegung im Westen und der Aufstieg von „Sweatshops" in den Schwellenländern hat in den Arbeitswissenschaften seit den 1980er Jahren zu einer Theoriewende geführt. Ein starker Strang wissenschaftlicher Arbeiten macht geltend, ArbeiterInnen und ihre Organisationen hätten die historische Rolle, die ihnen Marx im Hinblick auf den sozialen Wandel zugeschrieben hat, verloren; ihren Platz nähmen nun Bewegungen ein, die auf anderen als klassenbasierten Identitäten begründet seien.1 Der Poststrukturalismus mit seinem „linguistic turn" verstärkte den Bedeutungsverlust der Klassenidentität noch. Dieser Schule zufolge war die zentrale Rolle der Klassenanalyse in der alten Generation der Arbeitswissenschaften ein Projekt des „modernen Diskurses".2 Im Laufe der letzten Jahre jedoch haben WissenschaftlerInnen belegt,3 dass die Arbeiterbewegung in Schwellenländern wie Brasilien, Südkorea, Südafrika und Mexiko Anzeichen von Wiederbelebung zeigt. Silver (2003: 5) argumentiert mit Nachdruck in diese Richtung: „Während die Arbeit an den Orten geschwächt wurde, von denen das produktive Kapital ausgewandert ist, sind an den von den Investoren neuerdings bevorzugten Orten neue Arbeiterklassen hervorgebracht und gestärkt worden." Mit meiner Untersuchung möchte ich diese Position unterstützen und Belege für das Aufkommen von Beschäftigtenprotest in Südchina, der neuen „globalen Fabrik" liefern. Ich möchte zeigen, dass die Ausdehnung der globalen Produktion nach China den Klassenkampf am Arbeitsplatz und darüber hinaus intensiviert hat, obwohl der Staat mit seiner Strategie der Regulierung der Arbeitsverhältnisse die Klassenformierung verschoben hat. Ohne Klassenorganisationen ist die Entstehung einer Arbeiterbewegung unwahrscheinlich, aber die instabilen betrieblichen Verhältnisse und der instabile Arbeitsmarkt stellen dennoch eine Herausforderung für den Staat und die Unternehmen dar und führen daher zu einer stetigen Verbesserung der Arbeitsverhältnisse allgemein.

Identität und Klasse bei chinesischen WanderarbeiterInnen

Durch die Reformpolitik seit 1978 hat die Arbeiterschaft in China dramatische Umstrukturierungen erfahren. In jenem Jahr wurde ein haushaltsbasiertes Vertragssystem (Jia Ting Lian Chang Ze Ren Zhi) eingeführt, das eine ungeheure Anzahl Landbewohner von der kollektiven Zwangsarbeit der Volkskommunen befreite. Laut Volkszählung gab es im Jahre 2000 in China 120 Mio. WanderarbeiterInnen, also Menschen, die auf der Suche nach Arbeit von den ländlichen Gebieten in die Städte geströmt waren. WanderarbeiterInnen stellen inzwischen 57,5 Prozent der Beschäftigten in der Produktion und 37 Prozent im Dienstleistungsbereich (vgl. Lee 2007a). Mitte der neunziger Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends wurden zahlreiche im staatlichen Besitz befindliche Unternehmen privatisiert bzw. etliche geschlossen. Millionen beim Staat beschäftigte ArbeiterInnen wurden entlassen (Xia Gang) oder in Frührente geschickt (vgl. Cooke 2005, Lee 2007a). Proteste der Entlassenen zwangen die Regierung, ein Umschulungs‑ und Beschäftigungsprogramm aufzulegen. Einige fanden schließlich Jobs im Dienstleistungssektor. Andere machten sich auf, um mit den WanderarbeiterInnen um Arbeitsmöglichkeiten in den neu entstehenden Ökonomien der Küstenstädte zu konkurrieren, wo die ersten industriellen Zonen mit ausländischen Investoren eingerichtet wurden. So war der Anteil der eigentlichen Stadtbewohner an den ArbeiterInnen schließlich immer weiter gesunken, während die WanderarbeiterInnen eine immer bedeutsamere Rolle in Chinas politischer Ökonomie zu spielen begannen.

Die Arbeitsbedingungen der WanderarbeiterInnen in den Betrieben mit ausländischem Kapital waren schlimm: niedrige Löhne, lange Arbeitstage, despotische Geschäftsleitungen und miserable Sicherheitsstandards.4 Um die Landbewohner an der Migration in die Städte zu hindern, war 1958 das Registrierungssystem Hukou eingeführt worden: Es verwehrte den WanderarbeiterInnen einen bürgerrechtlichen Status in den Städten und erlaubte ihnen lediglich einen temporären Aufenthalt. Die meisten nutzten die in großer Zahl auf den Fabrikgeländen hochgezogenen, kasernenartigen Wohnheime als Unterkunft.

Was die WanderarbeiterInnen angeht, haben sich Studien vor allem mit den „arbeitenden Töchtern" in den Fabriken der ersten chinesischen Special Economic Zone (SEZ) in Shenzhen befasst (vgl. bspw. Lee 1998, Pun 2005), dies vor allem angeregt durch die feministische und kulturtheoretische Orientierung der Arbeitswissenschaften im Westen (vgl. Lee 2007b). Die Untersuchungen zeigen, dass die Integration junger Frauen vom Land in ein modernes Arbeitsregime Zwang involviert, aber auch auf Widerstände trifft. So berichtet die erste Studie von Tam (1992), dass junge Mädchen ihrer Frustration über das Arbeitsleben anhand von Graffiti auf den Innenseiten der Toilettentüren Ausdruck verliehen, was vom Management als eine Herausforderung seiner Autorität wahrgenommen wurde. Lee (1998: 135) hat festgestellt, dass Kontrolle wie auch Widerstand entlang der Linien von geographischer Herkunft und Geschlecht organisiert werden und die Arbeiterinnen eine Identität als „arbeitende Mädchen" entwickelt haben, um der „Klassenherrschaft" der Geschäftsleitung zu widerstehen. Bei Pun Ngai (2005) sind auch Erfahrungen körperlicher Traumata und Überschreitungen in die konkreten Prozesse von Kontrolle und Widerstand am Arbeitsplatz eingebunden. Sie erklärt Da Gong Mei (arbeitende Tochter) gleichermaßen als Klassen‑ und Geschlechtsidentität.

Einen Da Gong Zai (Mann, der Arbeit an die Bosse verkauft) zitiert Pun (2005: 23f) folgendermaßen:

„Wir werden nicht wie Menschen behandelt ... Wir arbeiten wie Hunde, ohne Ende. Auf Befehl deines Vorgesetzten arbeitest Du, egal wann und wo ... Wen interessiert, wer Du bist? Wir sind niemand, wir sind Dinge ... Was ist Da Gong Zai? Da Gong Zai ist nichts wert. Da Gong Zai kann man wegwerfen."

Auf der Basis eines solchen Selbstverständnisses von Arbeitern argumentiert Pun (2005: 24f), dass „eine neue Generation von WanderarbeiterInnen sehr schnell ein ganzes Spektrum von Beispielen für Klassenbewusstsein und ‑verständnis am Arbeitsplatz entwickelt hat."5

Diese Studien haben fruchtbare Einsichten in das Arbeitsleben und die Machtverhältnisse am globalen Arbeitsplatz eröffnet. Seit einigen Jahren beginnt die Literatur, eine zunehmende Form von Arbeiterprotesten bei den WanderarbeiterInnen zu sehen. Lee berichtet, dass WanderarbeiterInnen in den späten 1990er Jahren politisch aktiver sind als zu Beginn des Jahrzehnts: Dies ist „ein neuer Aspekt chinesischer Arbeitspolitik, der in den kommenden Jahren wahrscheinlich eine immer größere Rolle spielen wird, während er in den frühen neunziger Jahren praktisch nicht existierte" (Lee 2002: 63). „Ende der neunziger Jahre hingegen sind Arbeiterunruhen in einem Ausmaß zum Routineereignis geworden, dass Regierung und Parteiführung die Arbeiterproblematik als die ‚größte Bedrohung für die soziale Stabilität‘ identifizieren ... beschleunigte Reformen haben sowohl eine Vervielfachung als auch eine Vertiefung der Aktivitäten von ArbeiterInnen ausgelöst" (Lee 2000: 41). Sargeson (2001) und Smith & Pun (2006) schildern Proteste, die sich von den Wohnheimen aus entwickelt haben. Bei Sargeson geht es um Wanderarbeiterinnen, die in einer Kampagne gleichen Lohn und gleiche Aufstiegsmöglichkeiten wie einheimische Arbeiterinnen forderten. Dabei betont sie, dass die Herkunftsbindung der Migrantinnen auch durchaus als Zwischenschritt verstanden werden kann: „Dennoch legen meine Beob­achtungen nahe, dass selbst eine Organisierung von Beschäftigten, die zunächst auf geographischer Herkunft basierte, eine Politisierung anstrebte und so den Weg für stärker inkludierende Arrangements bereiten könnte" (Sargeson 2001: 51). Die Wohnheim-Studie von Smith & Pun konstatiert ebenfalls, dass Verwandtschaft, Ort der Herkunft und Peer-Netzwerke, die in den Wohnheimen der Fabriken vorherrschen, eine Basis für den Protest von Wanderarbeiterinnen bilden. Im geschilderten Fall schlossen sich Hunderte Frauen in einer Elektronikfabrik zusammen, um mit einer Reihe von Aktivitäten Abfindungen im Entlassungsfall zu fordern, unter anderem mit einer Demonstration vor dem Gebäude der Stadtverwaltung.

Eher gezwungen wirkt hingegen Lees (2007a) Vergleich zwischen den kollektiven Protesten entlassener ArbeiterInnen der Staatsbetriebe im Norden und von WanderarbeiterInnen im Süden. Unter den WanderarbeiterInnen in Südchina beobachtet sie „drei Haupttypen von Arbeitsplatzbeschwerden, die häufig zu Schlichtungsverfahren, Entlassungen und Protesten führten ... 1. unbezahlte Löhne, ungesetzliche Lohnabzüge oder Löhne unter dem Standard; 2. Disziplinierung unter Gewaltanwendung und entwürdigende Gewalt sowie 3. Arbeitsunfälle mit Verletzungsfolgen ohne angemessene Entschädigung" (ebd.: 165). Erst wenn die formalisierten Schlichtungsprozeduren sich als unfähig erweisen, die Rechte der ArbeiterInnen zu schützen, so Lee, sind diese zur „Radikalisierung" gezwungen und gehen auf die Straße: „Ihren Höhepunkt erreicht die Solidarität der ArbeiterInnen an dem Punkt, wo alle kollektiv die Fabrik verlassen, aus Anlass von Fabrikschließungen oder ‑verlagerungen" (ebd.: 175). Auch wenn sie in solchen Protestfällen ein höheres Maß an Solidarität zeigen, zerstreuen sie sich hinterher in unterschiedliche Richtungen, ohne den Kontakt aufrecht zu erhalten. Lee (ebd.: 24) sieht chinesische ArbeiterInnen weitgehend ohnmächtig: Macht hätten sie „weder am Markt noch im Betrieb noch hinsichtlich gemeinsamer Verhandlungen"; außerdem sei die „Klassenidentität bei WanderarbeiterInnen undeutlicher und ambivalenter als bei ArbeiterInnen des Eisengürtels" (also den ehemaligen Beschäftigten der staatlichen Betriebe im Norden Chinas, ebd.: 195).

Diese Sichtweise ist Teil einer wissenschaftlichen Strömung, die die Bedeutung der Klassenanalyse für China wie für den Westen seit den späten 1970er Jahren herunterspielt (vgl. Pun & Chan 2008). Lee (2007a: 195, 204) weist darauf hin, dass WanderarbeiterInnen die Begriffe Gong Ren Jie Ji (Arbeiterklasse) oder Gong Ren (Arbeiter) kaum für ihre Selbstbeschreibung gebrauchen, wie es die ArbeiterInnen der Staatsbetriebe taten. Stattdessen bezeichnen sie sich selbst als Min Gong (nicht beim Staat beschäftigte Arbeiter), Nong Min Gong (Arbeiter vom Land), Wai Lai Gong (Arbeiter von außerhalb) oder Da Gong (jemand, der Arbeit an die Bosse verkauft). Die Arbeiter der staatlichen Betriebe hatten allerdings auch bessere Organisierungsmöglichkeiten, z.B. Gewerkschaften, den Arbeiterkongress oder eine stabile städtische Gemeinde; so konnten sie gemeinsame betriebliche Kampagnen durchführen, was für die WanderarbeiterInnen viel schwieriger ist.

Wie Thompson (1980: 10f) dargelegt hat, ist die Klassenbildung jedoch als „historisches Phänomen" zu sehen, welches von „Traditionen, Wertesys­temen, Ideen und institutionellen Formen" beeinflusst und alltäglich von zahlreichen Kämpfen am Arbeitsplatz, in der Gemeinde und der Gesellschaft verkörpert wird. Thompson hat den Begriff „Klassenkampf ohne Klassen" vorgeschlagen, welcher nach wie vor betriebliche Untersuchungen inspiriert (z.B. Edwards 2000: 142):

„Menschen finden sich in einer Gesellschaft wieder, die in determinierter Weise strukturiert ist (zentral, aber nicht ausschließlich in Produktionsverhältnissen); sie machen Ausbeutungserfahrungen ... ; sie identifizieren an bestimmten Punkten antagonistische Interessen; sie beginnen an diesen Punkten zu kämpfen und erkennen sich in diesem Prozess des Kämpfens selbst als Klassen" (Thompson 1978: 49).

Vor allem zwei Erkenntnisse Thompsons sind für die Erforschung der Politik der Wanderarbeiter von Bedeutung. Erstens muss die Selbstidentifikation der ArbeiterInnen in ihrem politischen und kulturellen Kontext gesehen werden. In politischer Hinsicht gehörten Gong Ren Jie Ji und Gong Ren zu einer erzwungenen politischen Rhetorik der Mao-Ära, während Min Gong, Nong Min Gong und Wai Lai Gong das soziale Stigma zum Ausdruck brachten, das den neuen ArbeiterInnen nach der Reform anhaftete. In kultureller Hinsicht gehört der Begriff Da Gong eher in den kantonesischen Kontext, wo er fast das gleiche bezeichnet wie Gong Ren. Zweitens kann die Klassenformierung nur in einer historischen Perspektive verstanden werden. Anstatt WanderarbeiterInnen mit ihren KollegInnen aus den Staatsbetrieben zu vergleichen, deren historische und materielle Grundlagen völlig anders waren, sollten Möglichkeiten und Grenzen eines umfassenderen Klassenbewusstseins ausgelotet werden, indem man einen historischen Vergleich der WanderarbeiterInnen selbst und ihrer Kämpfe am Arbeitsplatz und in der Gemeinde anstellt.

Auf der Basis dieses Ansatzes vergleiche ich hier zwei Streikfälle von 2004 und 2007.6 Um diese in den historischen Kontext der Arbeitskonflikte in der südchinesischen Exportproduktionszone (EPZ) seit 1978 einzubetten, gebe ich zunächst einen kurzen Überblick über die Arbeitsverhältnisse und den Rahmen gesetzlicher Regulierungen seit Ende der 1970er Jahre.

Chinesische Arbeitsverhältnisse im Übergang

Die Arbeitsverhältnisse in der ältesten Exportproduktionszone Chinas, der She Kou Industrial Zone (SKIZ) in Shenzhen, machen deutlich, dass die Vermittlerrolle der sozialistischen Gewerkschaften in den 1980er Jahren noch überwog.7 Einer der Arbeitskonflikte in der SKIZ fand bei Kadar statt, einer Spielzeugfabrik mit Eigentümern aus Hongkong.8 In der Fabrik waren 1983 1.600 ArbeiterInnen beschäftigt. Diese beschwerten sich bei der Gewerkschaft über die langen Arbeitstage. Mit Unterstützung der Lokalverwaltung empfahl die She Kou Industrial Zone Federation of Trade Unions (SKIZFTU) dem Unternehmen, die Überstunden zu begrenzen. Zwanzig Beschäftigte unterstützen die Gewerkschaft darin, indem sie sich am Abend nach den Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Geschäftsleitung weigerten, Überstunden zu leisten, doch die Geschäftsleitung entließ einen ihrer Anführer. Die Gewerkschaft verlangte seine Wiedereinstellung. Kadar reagierte darauf mit der Drohung, die Investitionen aus dem Betrieb abzuziehen. Mit Unterstützung durch die SKIZ-Verwaltung drohte die SKIZFTU im Namen der Beschäftigten mit gerichtlichen Klagen und zwang das Unternehmen letztlich dazu, ihren Forderungen nachzugeben. In diesem Fall spielten Gewerkschaft und lokale Behörde eine proaktive Rolle beim Schutz der ArbeiterInnen, während diese recht passiv blieben. Leung (1988) porträtiert einen Protest, der damals als „schlimmster Fall" der Stadt bezeichnet wurde. Damals legten 21 Wanderarbeiter in einer japanischen Fabrik in der SKIZ für ganze zehn Stunden die Arbeit nieder. Funktionäre von Gewerkschaft und Partei folgten dem Häuflein Streikender während der gesamten zehn Stunden ununterbrochen überall hin.

Als ab 1992 plötzlich der Zufluss von ausländischem Kapital und der Zustrom von WanderarbeiterInnen aus den Binnenregionen einsetzten, gelang es der Staatsgewerkschaft nicht, ihre Vermittlerfunktion in den Betrieben aufrecht zu erhalten, da bei den meisten Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung (foreign invested enterprises, FIE) keine Gewerkschaften etabliert wurden.

Nach der Demokratiebewegung vom Platz des Himmlischen Friedens 1989 hatten eine Reihe studentischer AktivistInnen versucht, unabhängige Gewerkschaften zu organisieren. Alle diese Ansätze waren jedoch gnadenlos unterdrückt worden (vgl. Leung 1995, Lee 2007). Auf die neuen Herausforderungen reagierte 1992 eine neue Fassung des Gewerkschaftsrechts, womit das Recht von Gewerkschaften auf Kollektivverhandlungen gestärkt, gleichzeitig aber die Kontrolle der Gewerkschaftsverbände über ihre Mitgliedsorganisationen ausgebaut werden sollte. Allein im Jahr 1994 wurden in den FIE 17.293 Gewerkschaften gegründet - annähernd doppelt so viele wie in den vorangegangenen zehn Jahren zusammen. Wissenschaftliche Untersuchungen9 haben jedoch nachgewiesen, dass die meisten von ihnen unter Kontrolle der Geschäftsleitungen standen und nicht einmal in der Lage waren, die sozialistische Rolle des „Transmissionsriemens" zu erfüllen. Vor allem in den FIE existierten Betriebsgewerkschaften meist nur auf dem Papier, um Auflagen von Lokalverwaltungen oder transnationalen Investoren und Abnehmern zu erfüllen; Gewerkschaftskomitees wurden nicht gewählt. Im Normalfall ist der Gewerkschaftsvorsitzende stellvertretender leitender Manager oder Personalchef, und das Gewerkschaftskomitee besteht aus Managern und Aufsichtspersonal, die von der Geschäftsleitung abgeordnet wurden. Einfache WanderarbeiterInnen hingegen wussten häufig nicht einmal, ob in ihrer Fabrik eine Gewerkschaft existierte oder ob sie dort Mitglied waren.10

Da ein funktionierender Mechanismus für Kollektivverhandlungen fehlte, wurden wilde Streiks zur üblichen Form von Arbeiterprotest. Leung (1995: 38) konstatiert „einen bedeutenden Anstieg von Arbeiterprotesten (...) zwischen 1992 und 1994." Jiang (1996: 139) beschreibt eine „beispiellose Streikwelle bei den in Südchina stark verbreiteten FIE". Taylor u.a. (2003:175) sehen in den Ereignissen „die dritte Streikwelle" in der Geschichte der Volksrepublik.11 Bei vielen großen Streiks forderten die Beschäftigten Lohnerhöhungen; damit reagierten sie auf die hohe Inflation und die neue Politik der gesetzlich regulierten Mindestlöhne.

Die Lokalverwaltung auf der einen Seite reagierte zu dieser Zeit auf unabhängige Gewerkschaften sehr strikt. In einem spezifischen Fall in Shenzhen gründeten die Beschäftigten einer taiwanesischen Schuhfabrik während eines Streiks eine „temporäre Gewerkschaft", die nach dem Streik sofort für gesetzwidrig erklärt wurde.12 Während die ArbeiterInnen in der Mehrheit nicht wussten, wer die InitiatorInnen der temporären Gewerkschaft gewesen waren, drückten alle Befragten ihren Wunsch nach einer Gewerkschaft aus, was aber von der Geschäftsleitung unterbunden wurde.

Die Zentralregierung andererseits reagierte auf die Streikwelle mit arbeitsrechtlichen Regelungen. Arbeitsminister Li Bo Yong drückte es so aus:

„In diesem Jahr sind die Arbeitsbedingungen sehr schlecht, die Zahl der Arbeitskonflikte nimmt rasant zu. Im letzten Jahr gab es mindestens 10.000 Fälle von Streik, Arbeitsniederlegung, kollektiver Beschwerde bei der Verwaltung (Shang Fan), Petition, Protestzug oder Demonstration, vor allem in den FIE. ... Das Arbeitsministerium bereitet sich aktiv darauf vor, hierzu Gesetze und Verfahren zu entwickeln. ... Damit können die angesprochenen Probleme hoffentlich weitgehend kontrolliert und reguliert werden" (Zitat nach Tageszeitung Kuai Pao vom 14. März 1994).

Schließlich begann man Mitte der 1990er Jahre einen rechtlichen Rahmen zu etablieren, der die „sozialistische" Regulierung bei den Behörden ersetzen sollte.13 1993 verkündete das Arbeitsministerium die „Regelung der Mindestlöhne in Unternehmen", welche die Lokalverwaltungen ermächtigte, autonom einen Mindestlohn festzulegen. Wichtiger noch war das Arbeitsgesetz von 1994, das gesetzliche und vertragliche Rechte von Beschäftigten begründete, ein System für die Schlichtung von Arbeitskonflikten enthielt und Kollektivverträge und Kollektivverhandlungen zwischen Gewerkschaft und Management vorsah. Dieser neue institutionelle Rahmen für die Regulierung industrieller Beziehungen orientierte sich am Vorbild westlicher, kapitalistischer Länder. Dennoch: Ohne eine handlungsfähige Gewerkschaft, die vor allem in den FIE die Interessen der ArbeiterInnen vertritt, können Tripartizität, Kollektivverträge und Kollektivverhandlungen kaum umgesetzt werden (vgl. Ng & Warner 1998; Clarke u.a. 2004).

Es ist eigentlich die Aufgabe der lokalen Arbeitsbehörden unter dem Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit, vor allem des Arbeitsamtes auf Stadt‑ oder Kreisebene, das Arbeitsrecht durchzusetzen. Vertreter dieser Behörden sollten eigentlich Nachforschungen anstellen, wenn Beschwerden der ArbeiterInnen an sie herangetragen werden. Wenn dabei herauskommt, dass eine Fabrik gegen das Gesetz verstößt, können sie Bußgelder verhängen. Tatsächlich verhielten sich die Behörden jedoch passiv, wenn es darum ging, den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Kungeleien zwischen Behördenfunktionären und Unternehmern führten dazu, dass die Beschäftigten häufig nicht den gültigen Mindestlohn erhielten (vgl. Chan 2001, Cooke 2005). Damit boten behördliche Schlichtungsverfahren den letzten legalen Weg zur Lösung von individuellen und kollektiven Konfliktfällen zwischen WanderarbeiterInnen und ihren Arbeitgebern. Die Anzahl registrierter Arbeitskonflikte stieg zwischen 1994 und 2003 von 19.098 auf 226.391 (vgl. State Statistics Bureau). Das behördliche Verfahren ist jedoch für ArbeiterInnen sehr zeitaufwendig und kompliziert.14 Außerdem riskieren WanderarbeiterInnen die Entlassung, wenn sie ihren Arbeitgeber verklagen. In den meisten Fällen klagen sie erst, nachdem sie die Fabrik bereits verlassen haben. Andererseits sind die Lebenshaltungskosten für einen Aufenthalt in der Stadt während des Schlichtungsverfahrens für ArbeiterInnen ohne einen Job kaum aufzubringen.

Die Tatsache, dass sich der neue Rahmen für die Regelung industrieller Beziehungen als unzulänglich erwies, die Beschwerden der Beschäftigten zu behandeln, brachte ein neues Muster von Arbeitsniederlegungen, Streik und Protest unter Umgehung von Gewerkschaften und behördlichen Prozeduren hervor. Das Streikrecht ist seit seiner Eliminierung aus der Verfassung im Jahre 1982 (vgl. Taylor u.a. 2003) noch nicht wieder rechtlich verankert worden. Gleichzeitig ist jegliches Verhalten, das die soziale Ordnung stört, laut Paragraph 158 des Strafgesetzbuchs illegal. Studien haben gezeigt, dass Streiks in den 1990er Jahren „verstreut, spontan und unorganisiert" waren (Leung 1995: 44). Bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends hinein waren sie gekennzeichnet von „dezentralen, unkoordinierten, sporadischen Aktionen und Orientierung am existierenden gesetzlichen Rahmen" (Lee 2007a: 236). Ich möchte hier die Entwicklung der Streikmuster nach dem Aufkommen einer Arbeitskräfteverknappung im Jahre 2004 untersuchen.

Streiks im Wandel

In diesem Abschnitt werde ich zwei konkrete Streiks von 2004 und 2007 porträtieren.15 Beide fanden in Bao An, einem von zwei nördlich außerhalb der SEZ gelegenen Stadtbezirken von Shenzhen (Provinz Guangdong) statt, und beide waren Teil eines breiteren Phänomens, einer „Streikwelle". Beim Streik von 2004 war ein Unternehmen in taiwanesischem, beim Streik von 2007 eines in deutschem Besitz betroffen. Jedes der beiden Unternehmen hat in Bao An zwei Produktionsstätten für Elektronikprodukte für den internationalen Markt. Die beiden taiwanesischen Fabriken finden sich innerhalb desselben Stadtteils, 5 Minuten Fußweg voneinander entfernt und unter Zuständigkeit derselben Geschäftsleitung. Beschäftigte beider Fabriken leben zusammen in Wohnheimen, die Männer auf dem Gelände der einen Fabrik, die Frauen auf dem der anderen. Die deutschen Fabriken hingegen befinden sich in unterschiedlichen Stadtteilen, eine Stunde Busfahrt vonein­ander entfernt und unter je eigenen Geschäftsleitungen, wobei Aufsichtspersonal im Bedarfsfall gegenseitig ausgeliehen wird. Die Beschäftigten der taiwanesischen Fabriken werde ich im folgenden Text wie Angehörige einer einzigen Fabrik behandeln, die Beschäftigten der zwei deutschen Fabriken hingegen getrennt ansprechen. Die zentrale deutsche Fabrik, wo der Streik 2007 seinen Ausgang nahm, befindet sich in derselben Gegend wie die taiwanesische, nur 20 Minuten Fußweg davon entfernt.

Ich werde zeigen, dass in beiden Fällen ein ähnliches Muster von Protest zu erkennen war, wobei es 2007 im Vergleich mit 2004 signifikante Fortschritte gab. Obwohl es sich jeweils um zwei Streiks handelte, die von unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlichen Fabriken organisiert wurden, lernten die Beschäftigten voneinander und sammelten Erfahrungen mit kollektiven Prozessen. Tatsächlich waren die informellen Netzwerke zwischen den jeweiligen Betrieben gut entwickelt, vor allem zwischen Beschäftigten innerhalb einer Provinz sowie in qualifizierten bzw. höheren Positionen. Die deutschen Fabriken gehörten außerdem zu denjenigen Betrieben, in denen die Arbeiter nach dem Streik in der taiwanesischen Fabrik im Jahr 2004 eine kurze Arbeitsniederlegung organisiert hatten, um auch am eigenen Arbeitsplatz die Verwirklichung des gesetzlichen Mindestlohnes durchzusetzen. 2007 waren die deutschen Fabriken nur zwei von vielen, die schließlich in ihrer Gesamtheit mit überall ähnlichen Streiks die Stadtverwaltung zwangen, den Mindestlohn zu erhöhen.

Den gesetzlichen Mindestlohn verwirklichen: Der Streik von 2004

2004 und 2005 brach eine neue Streikwelle aus. Die Streikenden forderten vor allem die vollständige Anwendung gesetzlicher Vorschriften, hauptsächlich in Bezug auf Löhne und Sozialleistungen.

Einer der Streiks fand in einer taiwanesischen Haushaltsgerätefabrik mit 9.000 Beschäftigten statt. Diese Fabrik hatte die Produktion 1992 mit gut zwanzig ArbeiterInnen aufgenommen. Im Jahre 2004 mussten die Beschäftigten der Fabrik an sieben Wochentagen je 12 Stunden arbeiten. Der gesetzliche Mindestlohn für eine 40 Stunden-Woche lag bei 480 Yuan im Monat; Überstunden sollten unter der Woche mit dem anderthalbfachen und am Wochenende mit dem doppelten Normallohn bezahlt werden. Die tatsächliche Entlohnung blieb in der Fabrik allerdings darunter: Einfache ArbeiterInnen verdienten monatlich 450 Yuan Basislohn (für je 8 Stunden an 6 Tagen, also rund 2,1 Yuan Stundenlohn). Überstunden wurden mit 2,4 Yuan vergütet.

In den späten 1990er Jahren kaufte ein taiwanesisches Unternehmen 51 Prozent der Fabrikanteile. Während der ursprüngliche Alleinbesitzer, der nun noch 49 Prozent hielt, weiter als Fabrikdirektor tätig war, steuerte das Käuferunternehmen sein globales Distributions‑ und Verkaufsnetzwerk bei. Wichtigster Abnehmer ist WalMart. Die Fabrik wurde zu einem gigantischen Unternehmen mit drei Produktionsstätten ausgebaut, zwei davon in ­Shenzhen und eine in der Nachbarstadt Huizhou. 60 Prozent der Beschäftigten in den Fabriken in Shenzhen waren Männer. Männer hatten die meisten der managementnahen, aufseherischen und qualifizierten Positionen inne und wurden für körperlich schwere Arbeiten bevorzugt. Für Frauen blieben monotone, anspruchslose und schmutzige Tätigkeiten. Ungelernte weibliche Beschäftigte wurden durch eine auf Herkunfts‑ und Geschlechterkriterien basierende Kontrollstrategie eher ruhig gehalten, während sich zwischen erfahrenen und gelernten männlichen Arbeitern entlang der Linien geographischer Herkunft häufig physisch ausgetragene Konflikte entwickelten. Dabei waren besonders Männer aus Guizhou und Sichuan für ihre Neigung zur Gewalttätigkeit berüchtigt.

Die Fabrik stellte den Beschäftigten Wohnheime zur Verfügung und zog dafür 50 Yuan vom Monatslohn ab. Da aber die Lebensbedingungen dort schlimm waren (Zimmer mit je vier Stockbetten für acht ArbeiterInnen), mieteten über 30 Prozent der Beschäftigten private Zimmer außerhalb des Fabrikgeländes für Monatsmieten von 150 bis 250 Yuan. Im Quartier gab es viele Nachbarschaftsläden, die meist von (ehemaligen) ArbeiterInnen betrieben wurden. Diese Läden waren Treffpunkte für Laoxiang (Leute aus derselben Heimatregion), die dort im eigenen Dialekt miteinander sprechen konnten. Dort hatten herkunftsbasierte Identitäten einen hohen Stellenwert. ArbeiterInnen, die aus derselben Provinz kamen, bezeichneten Leute aus anderen Provinzen als Wai Sheng Ren (außerhalb der Provinz) und Leute aus Guangdong als Ben Di Ren (Einheimische). Dennoch war das Sozialleben der ArbeiterInnen komplexer strukturiert. Es gab viele provinzübergreifende Peer Groups. Diese konstituierten sich auf der Basis von Alter, Geschlecht, Stellung im Produktionsprozess, ökonomischem Status und Konsummus­ter. So verbrachten männliche Beschäftigte mit höherem Einkommen ihre Freizeit gerne beim Friseur, im Massagesalon, in der Disco, beim Ma Jiang (einem traditionellen chinesischen Spiel mit vier Spielern), in Restaurants und Bars; während jüngere und einfache ArbeiterInnen mit geringerem Einkommen Billard spielten, skateten, Filme ansahen, im Internet surften oder einfach den Straßenkünstlern zusahen. Es gab im Quartier viele werktätige Paare, doch die meisten von ihnen hatten ihre Kinder aufgrund der niedrigen Löhne, der hohen Lebenshaltungskosten und der instabilen Beschäftigungsverhältnisse in der Stadt zu Hause in den Dörfern bei den Großeltern gelassen.

Im April führte die Geschäftsleitung die Neuregelung ein, dass die Beschäftigten vor und nach der halbstündigen Mittagspause ihre Anwesenheitskarten stempeln sollten. Damit sollte verhindert werden, dass Techniker und Helfer, die nicht direkt in die Produktionslinien eingebunden waren, nach der Mittagspause einfach draußen blieben. Diese Neuerung war für etliche Beschäftigte mit Unannehmlichkeiten verbunden, denn wer in den oberen Stockwerken arbeitete, musste nun zehn Minuten oder noch länger warten, bis er seine Karte stechen konnte. Der Streik begann in der Lackiererei im fünften Stock und breitete sich am nächsten Tag auf die ganze Fabrik aus. Die ArbeiterInnen verlangten, die Basis‑ und Überstundenlöhne auf den gesetzlichen Standard anzuheben. Am Morgen hing in jeder Abteilung ein Streikaufruf, es gelang aber nicht, einen fabrikweiten Streik zu organisieren. Über hundert Beschäftigte der Lackiererei verließen schließlich die Fabrik, um eine Schnellstraße zu blockieren. Sie wurden jedoch teils vom Management zum Aufgeben überredet, teils von der Polizei abgedrängt. Eine Gruppe junger Männer aus der Lackiererei schaltete daraufhin in mehreren Abteilungen den Strom ab. Das hatte zur Folge, dass nun die meisten Beschäftigten die Fabrik verließen und draußen auf der Straße standen. Lokale Behördenvertreter und Polizei waren schnell zur Stelle. Das Unternehmen forderte die ArbeiterInnen auf, eine Vertretung zu wählen. Es gab keine formelle Wahl, aber zehn männliche Arbeiter meldeten sich freiwillig. Am Nachmittag wurde verhandelt. Danach allerdings verschwanden die zehn Arbeitervertreter. Ein glaubhaftes Gerücht besagte, sie seien bedroht und schließlich mit hohen Abfindungen weggeschickt worden. Am Abend waren einige Beschäftigte wütend genug, um in das Büro der Geschäftsleitung einzudringen und den taiwanesischen Geschäftsführer und den chinesischen Fabrikdirektor zum Eingang der Fabrik zu treiben, wo sich Tausende Beschäftigte versammelten. Ein Beobachter beschrieb die Szene:

„Im Eingangsbereich der Fabrik befanden sich nun 2.000 bis 3.000 ArbeiterInnen und im Fabrikgebäude noch weitere. Sie forderten den Taiwan Lao (taiwanesischen Typ), also den Geschäftsführer auf, herauszukommen und sich zu erklären. Als dieser sich um 21 Uhr zeigte, drängten die Beschäftigten von draußen nach drinnen, und die anderen von drinnen nach draußen. Alle riefen dabei ein aufpeitschendes ‚Wow-Wow‘. Jemand schrie: ‚Tötet ihn! Tötet ihn!‘ ... Jemand schlug den Taiwan Lao. Daraufhin drängten die Wachleute ihn und den Fabrikdirektor in die Fabrik und schlossen das Tor. ... Einige wütende Arbeiter schafften es, über das Eisentor zu klettern. Andere warfen Zigarettenkippen, Wasserflaschen und Müll auf den Taiwan Lao. Dieser verlor nicht die Fassung; er sagte vielmehr: ‚Werft das nicht, werft nichts, die Löhne können erhöht werden.‘ Einer der Arbeiter fluchte: ‚Ihr taiwanesischen Typen habt uns nicht wie Menschen behandelt‘. ... Um die 100 Beschäftigte blieben über Nacht, um die Fabrik zu blockieren und daran zu hindern, Waren hinauszuschicken."

Am dritten Tag gingen wieder 2.000 bis 3.000 ArbeiterInnen von der Fabrik auf die Schnellstraße. Nachdem sie etwa zehn Minuten dort entlang gegangen waren, wurden sie von Hundertschaften Polizei, Militärpolizei und Wachleuten aufgehalten. Vertreter des Arbeitsamtes überredeten sie, in die Fabrik zurückzukehren: „Wenn ihr zurückgeht, können wir uns an einen Tisch setzen und über alle Bedingungen reden." Die Arbeiter kehrten in die Fabrik zurück. Als sie dort angekommen waren, flüchteten sich die taiwanesischen Manager in eine benachbarte taiwanesische Fabrik. Das Fabriktor wurde verschlossen. Einige militante Arbeiter erreichten durch Gewaltandrohungen, dass die Wachleute sie wieder hinausließen. Die Unzufriedenheit der Beschäftigten war sehr groß. Am Abend kam es zu einer  größeren Mobilisierung.

Am Morgen des vierten Tages wurde eine Botschaft unter den Beschäftigten breit zirkuliert. Ein Arbeiter erinnert sich: „In Fabrik-Wohnheimen und Privatunterkünften, sogar an Straßenecken wurden Leute aufgerufen, ‚zur Stadtverwaltung zu gehen‘." Zwei große Transparente verkündeten: „Bringt unsere zehn Arbeitervertreter zurück" und „Fabrik XX verletzt Arbeitsgesetze und verweigert Lohnerhöhung!" Um 8 Uhr machten sich 4.000 bis 5.000 ArbeiterInnen vom Ort zur Schnellstraße auf. Beschäftigte hatten Megaphone, Fotoapparate und Spendenboxen mit der Aufschrift „Gebt Geld für unsere gemeinsamen Interessen" vorbereitet. Die Boxen füllten sich schnell. Jüngere, ungelernte Arbeiter riefen Slogans in die Megaphone, einige ältere Facharbeiter und Aufseher gingen am Zug entlang und machten „Wow-Wow"-Laute, um die Moral der ArbeiterInnen zu stärken. Mit den Fotoapparaten sollten ggf. Übergriffe der Polizei gegen die Protestierenden dokumentiert werden. Mehr und mehr ArbeiterInnen von anderen Fabriken schlossen sich an. Um 13 Uhr kam der Protestzug, in dem inzwischen 7.000 bis 8.000 Leute mitliefen, an der Station zur Einwanderungskontrolle an.16 Der Protestzug wurde hier von zehn Feuerspritzen und mehr als dreißig Wasserwerfern empfangen. Die Polizei versuchte, die Demonstranten mit den Wasserwerfern abzudrängen, während diese die Polizisten mit Steinen bewarfen. Später schickte die Polizei in Zivilbeamte, die sich unter die Menge mischten. Sie griffen die ArbeiterInnen plötzlich energisch an. Nachdem die vorne Stehenden hingefallen waren, begannen die dahinter Stehenden zu schreien und sich zurückzuziehen.. Einige wurden verhaftet und bald wieder freigelassen. Dreißig ArbeiterInnen wurden ins Krankenhaus gebracht und auf Kosten der Polizei behandelt. Alle verletzten ArbeiterInnen und Polizisten bekamen vom örtlichen Polizeichef im Krankenhaus 100 Yuan überreicht. Am Nachmittag des fünften Tages gab es eine Betriebsversammlung, auf welcher der Geschäftsführer den ArbeiterInnen versicherte, man werde die Mittags‑ und die Abendpause auf je eine Stunde aufstocken und geltende Gesetze vollständig umsetzen. Damit war der Streik beendet.

Der Lohnkonflikt wurde beigelegt, aber Klagen von ArbeiterInnen über das Bestrafungssystem und die Arbeitsintensität hielten an. So wurden täglich Produktionsziele festgelegt. Wer seine Quote nicht erfüllen konnte, bekam Lohnabzüge. Nach dem Streik wurden die Produktionsziele erhöht. Bei unerfahrenen ArbeiterInnen führte das zu Abzügen von bis zu über 200 Yuan im Monat. Da sich das niemand leisten konnte, entstand ein extremer Arbeitsdruck. Einige beschwerten sich darüber beim Arbeitsamt, wurden aber abgewiesen, weil es hierzu im Arbeitsgesetz keine Regelung gab. Am Jahresende kündigten ca. 3.000 Beschäftigte, um die Sozialversicherungsbeiträge für zwei Jahre zu bekommen, was sie nach dem Streik erfolgreich beim Arbeitsamt verlangt hatten. Nach dem Streik wurde eine Gewerkschaft gegründet, allerdings eine typische Managementgewerkschaft ohne demokratisches Wahlverfahren oder genuine Gewerkschaftsaktivitäten.

Nach dem Streik wurde in allen acht großen Fabriken des Stadtviertels (je über 1.000 Beschäftigte) die Anpassung der Löhne an den gesetzlich festgesetzten Lohn gefordert und in Kämpfen durchgesetzt. Sobald es Anzeichen eines Streiks gab, informierte die Geschäftsleitung sofort die Behörden, schloss das Fabriktor und ließ das Grundstück von Polizei umstellen. Ohne jegliche Verhandlung stimmten die Fabrikeigentümer jeweils den Forderungen zu, die Löhne auf das gesetzliche Niveau anzuheben.

Ende 2004 eröffnete das Unternehmen eine riesige Fabrik in der Nachbarstadt Huizhou. Die Streikerfahrungen der Beschäftigten wurden schnell in diese Fabrik übertragen: Hunderte Aufseher und Facharbeiter, die entsandt worden waren, um die neue Fabrik aufzubauen, sorgten dafür. Der erste fabrikumfassende Streik fand gleich im Dezember desselben Jahres statt. Als ich die Fabrik im März 2006 besuchte, stellte ich fest, dass die dortigen Beschäftigten die Geschichte des Streiks in Shenzhen gut kannten. In beiden Fabriken wurden abteilungsbasierte Streiks zu einem üblichen Teil des Lebens. In beiden Fabriken gab es hohe Kündigungsraten.

Der Streik von 2007: Über das Gesetz hinaus?

In Shenzhen gelten unterschiedliche Mindestlöhne innerhalb und außerhalb der SEZ. Der Mindestlohn für die beiden nördlichen Bezirke, die außerhalb der Zone liegen, stieg zwischen 2000 und 2004 lediglich von 419 auf 480 Yuan im Monat. Im Juli 2005 wurde er dann allerdings auf 580 und im Juli 2006 auf 710 Yuan angehoben. Die Beschäftigten hatten nun also in zwei aufeinanderfolgenden Jahren massive Lohnerhöhungen erhalten und erwarteten Entsprechendes für Juli 2007. Bis August geschah aber nichts. Daher gab es im August und September 2007 eine weitere Streikwelle. Einer dieser Streiks von August 2007 war ein gemeinsamer Streik in zwei Elektronikfabriken desselben Unternehmens.

Das Unternehmen befand sich in deutschem Besitz und produzierte Ladegeräte und andere Komponenten für Mobiltelefone für den globalen Markt. Seit seiner Gründung 1993 hatten zwei große Fabriken des Unternehmens in Shenzhen die Arbeit aufgenommen, und eine weitere in Beijing. Die Fabriken in Shenzhen hatten je ca. 8.000 Beschäftigte; die Bedingungen in beiden waren nahezu identisch, ebenso die Strategie der Geschäftsleitungen. Wie in der beschriebenen taiwanesischen Fabrik war auch hier das Lohnniveau vergleichsweise höher als in umliegenden kleineren Fabriken. Beide Fabriken fuhren zwei Schichten (Tagschicht 7:00 bis 19:00 Uhr mit einer Stunde Mittagspause, Nachtschicht 19:00 bis 6:45 Uhr mit einer 45‑minütigen Mitternachtspause). Einfache ArbeiterInnen hatten eine Sechstagewoche und verdienten damit 1.000 bis 1.400 Yuan. Im Unterschied zu der taiwanesischen Fabrik waren 90 Prozent der einfachen Beschäftigten Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, da es sich hier um niederere bzw. weniger qualifizierte Tätigkeiten handelte. Die Mehrheit der ArbeiterInnen in der Produktion kamen aus den Provinzen Henan und Guangxi, die höher qualifizierten eher aus Guangdong.

In beiden Fabriken dieses Unternehmens herrschte eine starke Segregation nach Qualifikation und Geschlecht. So wurden die einfachen ArbeiterInnen Yuan Gong (etwa: Beschäftigte) genannt, während eine andere Gruppe, die Manager, Aufseher, Ingenieure, Techniker und Büroangestellte umfasste, als Zhi Yuan (etwa: Personal) bezeichnet wurde.17 Nach den Lohnerhöhungen der vergangenen zwei Jahre senkte das Unternehmen die Kosten durch zwei Maßnahmen: Erstens wurde die Arbeitsintensität der Yuan Gong verschärft, d.h. die Ausstoß-Quoten für jede Produktionslinie kontinuierlich erhöht. Konnten die ArbeiterInnen ihre Quote nicht erfüllen, mussten sie am nächsten Tag einen Teil ihrer Mittagspause darauf verwenden, Unerledigtes zu Ende zu bringen. Die Beschäftigten beklagten sich allgemein, dass die Arbeit zu anstrengend war. Um das daraus resultierende Problem der hohen Kündigungsraten in den Griff zu bekommen, schränkte das Unternehmen das Kündigungsrecht ein: Wer keine „Erlaubnis" zur Kündigung hatte, dessen letzter Lohn wurde einbehalten. Zweitens wurden die Überstunden der Zhi Yuan ab Juli 2007 auf 72 pro Monat begrenzt. Und wie in der taiwanesischen Fabrik wurde, um die Anwesenheitsdisziplin der Maschinentechniker zu erhöhen, im August eine neue Stechuhr für die Zhi Yuan installiert.

An einem Donnerstag im August bekamen die Beschäftigten ihre Lohnabrechnung. Wegen der ausgebliebenen Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns gab es keine Lohnerhöhung. Der Lohn der Zhi Yuan war durch die Beschränkung der Überstunden sogar gesunken. Der Streik nahm seinen Ausgang in einer Fabrik und griff bereits am selben Tag auf die andere über.

Am Freitagabend wurde ein öffentlicher Aufruf an allen Arbeitsplätzen aufgehängt. Darin wurde gefordert:

1.  Anpassung des gegenwärtigen Lohnniveaus18

-    für Yuan Gong: mindestens 1.500 Yuan

-    für Zhi Yuan der Lohngruppe 2: mindestens 2.000 Yuan

-    für Zhi Yuan der Lohngruppe 3: mindestens 2.500 Yuan

-    für Zhi Yuan der Lohngruppe 4: mindestens 3.000 Yuan

2.  Höhere Miet‑ und Lebensmittelbeihilfen für außerhalb des Fabrikgeländes Wohnende

3.  Bessere Sozialleistungen; angemessene Zulagen für Arbeitsplätze mit hohen Belastungen durch Temperaturen und Schadstoffe, erhöhten Risiken von Berufskrankheiten und für Arbeitsplätze im Freien; regelmäßige Untersuchungen der Beschäftigten auf Gesundheitszustand und Berufskrankheiten

4.  Nacht‑ und Essenszuschläge für die Nachtschicht

5.  Übernahme der Kosten für alle Versicherungen, die das Arbeitsrecht vorsieht, v.a. Arbeitslosen‑, Mutterschafts‑ und Krankenversicherung

6.  Sauberes Trinkwasser am Arbeitsplatz

7.  Bessere Überstundenregelung

8.  Angemessenes Funktionieren der Gewerkschaft unter zentraler Beteiligung von Basisbeschäftigten und Personal

Am Montagmorgen schalteten einige Zhi Yuan den Strom ab. Tausende Beschäftigte gingen hinaus auf die Schnellstraße und blockierten dabei die halbe Hauptstraße. Die städtische Parteiführung, Funktionäre des Arbeitsamtes sowie die Geschäftsleitung wollten die Streikenden überreden, Vertreter für Verhandlungen zu wählen. Die Beschäftigten antworteten, sie alle seien Repräsentanten und hätten daher keine. Schließlich vertrieb die Polizei die ArbeiterInnen mit Gewalt. Einige junge ArbeiterInnen leisteten dennoch weiter Widerstand, und etliche von ihnen wurden verhaftet. Am Nachmittag beschloss die Geschäftsleitung, den Basislohn der Zhi Yuan je nach Eingruppierung um 300 bis 500 Yuan zu erhöhen, den für Yuan Gong allerdings nur um 30 Yuan. Die Zhi Yuan waren mit dem Angebot überwiegend zufrieden und kehrten ab Montagabend an die Arbeitsplätze zurück.

Die Beschäftigten in der Produktion setzten den Streik am Dienstag fort. Das Unternehmen machte die genannte Lohnerhöhung bekannt: plus 50 Yuan Zulage für die außerhalb des Fabrikgeländes Wohnenden und 1 Yuan pro Nacht für die Nachtschicht. Gemeinsam versuchten Geschäftsleitung und Aufsichtspersonal, die einfachen ArbeiterInnen dazu zu bewegen, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Aber diese erkannten nun, dass die Höhergestellten sie „verraten" hatten. Am Abend wurden Flugblätter von den Wohnheimen auf dem Fabrikgelände geworfen. Darin wurde das Verhalten der Zhi Yuan angeprangert, zur Vereinigung der Yuan Gong aufgerufen und spezifische Forderungen der Yuan Gong erhoben wie:

1.  Basislohn 810 Yuan19

2.  Streichung der Wohnheimgebühren; angemessene Zulagen für außerhalb des Fabrikgeländes Wohnende

3.  Monatlich 150 Yuan Essenszulage für die Nachtschicht

4.  Angemessene Zulage für Beschäftigte an schadstoffbelasteten und gesundheitsschädlichen Arbeitsplätzen; Zulage an Arbeitsplätzen im Freien laut Arbeitsgesetz (150 Yuan)

5.  Sauberes Trinkwasser für Yuan Gong

Mit diesen spezifisch auf ihre eigenen Interessen abgestellten Forderungen zeigten die Yuan Gong, dass sie, anstatt sich einfach nur passiv von den Zhi Yuan mobilisieren zu lassen, auch in der Lage waren, selbst für ihre Interessen aktiv zu werden, auch wenn ihnen aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess weit weniger Ressourcen für die Organisierung zur Verfügung standen. Denn während die Zhi Yuan zum Beispiel öffentliche Aufrufe in allen Abteilungen der Fabrik aufhängen konnten, blieb den Yuan Gong nur, Flugblätter in den Wohnheimen zu verteilen.

Durch solche Flugblätter noch zusätzlich motiviert, dauerte der Streik am dritten Tag an. Am vierten Tag tat das Unternehmen Folgendes kund: Wer innerhalb von drei Tagen kündigen will, kann alle Abfindungen und Löhne sofort erhalten. Diejenigen, die in drei Tagen zur Arbeit zurückkehren, erhalten eine Sonderzahlung, während die anderen als „abwesend" und „auf eigenen Wunsch entlassen" behandelt werden. 3.000 ArbeiterInnen kündigten daraufhin. Das Unternehmen stellte nun an den Arbeitsplätzen und in den Wohnheimen sauberes Wasser zur Verfügung und versprach Klimaanlagen für die Arbeitsplätze sowie einen Aufenthaltsraum mit Fernseher für jede Etage der Wohnheime. Die Forderung hingegen, das Gewerkschaftskomitee für die Beteiligung von Basisbeschäftigten zu öffnen, wurde abschlägig beschieden. Stattdessen versprach die Fabrik regelmäßige Treffen mit den Aufsehern und forderte die Yuan Gong auf, mehr Vorschläge zu machen. Die Beschäftigten in der anderen Fabrik des deutschen Unternehmens hatten sich dem Streik bereits am Montag angeschlossen, und der weitere Verlauf war ähnlich, wenn auch spontaner bzw. weniger durchorganisiert. Irgend jemand schaltete den Strom ab und führte die einfachen ArbeiterInnen nach draußen zum Streik. Nach der genannten Ankündigung des Unternehmens am Donnerstag kündigten Tausende.

Am vierten Tag kehrten die verbliebenen ArbeiterInnen an die Arbeitsplätze zurück. Die Fabrik stellte neue Leute ein, auch jenseits der bisherigen Altersgrenze. Während des Streiks war unter den Beschäftigten ein Gerücht aufgekommen, das sich zwei Monate später als wahr herausstellen sollte: die Stadtverwaltung werde bald den Lohn erhöhen. Ab 1. Oktober wurde der Mindestlohn in Shenzhen auf 850 Yuan innerhalb der SEZ und 750 außerhalb angehoben. Er sollte laut Ankündigung bis zum 30. Juni 2008 gelten. Als ich die Informanten am 1. Januar 2008 noch einmal besuchte, erzählten mir Beschäftigte einiger Abteilungen, dass der Neujahrstag ihr erster freier Tag seit dem Streik war, da die Fabrik nicht in der Lage gewesen war, genug Leute neu einzustellen. Wie der Streik von 2004 hatte auch dieser offensichtlich eine ansteckende Wirkung: In vielen benachbarten großen Fabriken initiierten die Beschäftigten kurze Streiks oder demonstrierten zumindest ihre Streikbereitschaft, um der Forderung nach Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen. Die jeweiligen Geschäftsleitungen beeilten sich, diesen Forderungen nachzukommen.

Diskussion und Schlussfolgerung

Von einzelnen Streikfällen in der Region war zwar schon seit den 1980er Jahren berichtet worden, doch große, erfolgreiche Streikwellen sind erst ab 1993 zu beobachten.

Hinsichtlich der beobachteten Streikmuster zwischen 1993 und 2007 kann eine Reihe von Gemeinsamkeiten ausgemacht werden. Erstens: Das Aufkommen von Streikwellen stand stets in direktem Verhältnis zur Ausbreitung des globalen Kapitalismus und zu staatlichen Interventionen in die Produktion und Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Zweitens: Es gab stets Unzufriedenheiten, deren Ursachen so tief in den Arbeitsprozess eingebettet waren, dass sie nur schwer durch existierende formale Verfahren ausgeräumt werden konnten. Drittens: Immer gab es ein konkretes streikauslösendes Ereignis, das sich auf die Interessen der Beschäftigten negativ auswirkte. Viertens: Die Existenz heimlicher Anführer, die im Verdeckten agierten, war eine wichtige Vorbedingung für einen Streik. Fünftens: Gewalt spielte stets eine Rolle dabei, andere zum Streiken zu drängen oder dazu, Unzufriedenheit zu äußern. Sechstens: Ein Streik in einer Fabrik bot einen Initialfunken für potenzielle Streikaktivitäten in anderen Fabriken.

Dennoch erbringt die Detailanalyse auch den Nachweis einer signifikanten Entwicklung.

1.  Die Forderungen der ArbeiterInnen wurden immer radikaler; zunächst blieben sie in den Grenzen arbeitsrechtlicher Regelungen, dann gingen sie darüber hinaus. 1993 und 1994, als die Unternehmen auf die Lohnforderungen der Beschäftigten mit vermehrten Lohnabzügen für Essen, Unterkunft etc. reagierten, verlief der Widerstand der Beschäftigten im Sand, weil dies rechtlich nicht anfechtbar war (vgl. AMRC 1995). 2004 und 2005 verlangten die ArbeiterInnen eine echte Implementation des Mindestlohns ohne jeglichen Abzug. 2007 forderten die Streikenden neben einem angemessenen Lohn auch eine angemessene Arbeits‑ und Lebensumgebung.

2.  Die ArbeiterInnen lernten von früheren Erfahrungen und voneinander; so wurde ihr Kampf mit der Zeit strategisch klüger. 1993 und 1994 beschränkten sich ihre Aktivitäten auf das Fabrikgelände (vgl. AMRC 1995). 2004 und 2007 fingen sie an, auf die Schnellstraße hinauszugehen, um öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und ein staatliches Eingreifen zu provozieren. 2004 übertrugen die Beschäftigten ihre Kampferfahrungen auf die neue Fabrik in einer anderen Stadt. 2007 koordinierten die ArbeiterInnen zweier Fabriken im selben Unternehmen einen gemeinsamen Streik.

3.  Die Arbeitskräfteverknappung hat das Selbstvertrauen der ArbeiterInnen gestärkt. Noch in den frühen 1990er Jahren schien das Angebot an Wanderarbeitern unbegrenzt zu sein (vgl. Lee 1998). Die anhaltende Expansion des globalen Kapitalismus nach China hat jedoch zunächst zwar die Nachfrage nach Arbeitskräften massiv erhöht, nicht aber die Löhne (vgl. Lewis 1954). Eines der zentralen Merkmale der Streiks von 2004 und 2007 waren die Kündigungswellen, die ihnen folgten. Für die ArbeiterInnen war es leicht, gleich nach dem Streik wieder einen neuen Job zu bekommen. Die Untersuchung von Edwards & Scullion (1982) legt nahe, dass Kündigung selbst eine Form der industriellen Konfliktaustragung ist. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass Kündigung als individuelle Form des Kampfes parallel zu Streik als seiner kollektiven Form zugenommen hat. Selbst als die Löhne nach den Streiks meist angehoben wurden, konnte das der Unzufriedenheit der Beschäftigten mit der jeweiligen Geschäftsleitung nicht abhelfen. Besonders das Angebot an Facharbeiter war in Phasen rapiden Wirtschaftswachstums nicht wirklich „unbegrenzt" (vgl. Lewis 1954).

4.  Die hohen Kündigungsraten verschärften die Arbeitskräfteverknappung und ließen die Produktivität sinken. Der Streik stärkte das Selbstvertrauen der Beschäftigten an der Basis noch weiter und verschärfte den Konflikt zwischen ArbeiterInnen und Management. Mit Hirschman (1970) ausgedrückt, wurden Protest („voice"), dann Kündigung („exit") oder wieder Protest ein geläufige Weise, Unzufriedenheit auszudrücken. Diese neue Form von Konflikt am Arbeitsplatz bedeutet eine große Herausforderung für die Geschäftsleitungen, denen es zuvorderst um Produktivität geht, und für die Behörden, die unbedingt die soziale Ordnung aufrecht erhalten und ein förderliches Investitionsumfeld bewahren wollen. Insofern haben die neuen Muster von ArbeiterInnenprotest den Staat gezwungen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und zu schützen (z.B. mit neuen Arbeitsgesetzen und höheren Mindestlöhnen), und die Unternehmen gezwungen, sich neue Strategien zu eigen zu machen (z.B. Verlagerung der Produktion in andere Teile Chinas und Outsourcing). Aber auch die Strategien der ArbeiterInnen in ihren Kämpfen haben sich im Laufe der Zeit aufgrund eines neuen rechtlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Kontextes verändert.

5.  Die Proteste der ArbeiterInnen haben die Regierung gezwungen, den gesetzlichen Arbeitsschutz zu verbessern. Im Fall der Streiks von 1993 und 1994 spricht die weiter oben zitierte Rede des Arbeitsministers Li Bo Yong eine klare Sprache. Im Bezug auf die Streiks von 2004 und 2005 wurde 2007 ein neues Arbeitsvertragsgesetz erlassen, um die individuellen und kollektiven Rechte der Beschäftigten zu stärken, gefolgt von einer gesetzlichen Regelung zur Verhandlung von Arbeitskonflikten und einem Beschäftigungsförderungsgesetz. Auf lokaler Ebene war der Mindestlohn nach der Streikwelle von 2004 und 2005 dramatisch gestiegen.

6.  Offenbar hat der Staat auch die Lücken eines institutionellen Rahmens, der ausschließlich auf individuellen Rechten beruht und die Notwendigkeit „kollektiver" Regelungen am Arbeitsplatz erkannt, um Konflikte zu lösen und Belegschaften zu stabilisieren. Das neue Arbeitsvertragsgesetz, das die Rolle der Gewerkschaft stärkt, wurde 2007 verabschiedet. Mit starker Unterstützung der staatlichen Behörden begannen die All-China Federation of Trade Unions (ACFTU) 2006 mit einer Kampagne von historischer Bedeutung, um in Fabriken ausländischer Investoren gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei zielten sie auf transnationale Konzerne wie WalMart, McDonalds und Kentucky Fried Chicken (vgl. Chan 2006b). Seit diese Reformen angelaufen sind, scheinen die ACFTU-Gewerkschaften der Provinz Guangdong, in der diese Untersuchung durchgeführt wurde, auf provinzieller und lokaler Ebene eine aktivere Rolle bei der Verteidigung der Rechte und Interessen der ArbeiterInnen zu spielen. Beispielsweise räumten Gewerkschaftsfunktionäre der Guangdong Federation of Trade Unions ein, dass Löhne am wirksamsten durch direkte Verhandlungen zwischen ArbeiterInnen und Management zu schützen sind (vgl. China Labour Bulletin 2008). Wie jedoch Clarke & Pringle (2007) betonen, sollte man das chinesische Gewerkschaftssystem vor dem Hintergrund des staatssozialistischen Erbes richtig verstehen. Die Dynamiken der Gewerkschaftsreform wurden in der Tat durch politischen Druck des Parteistaates angestoßen, der damit soziale Unruhe vermeiden wollte. Da fast alle Proteste der Beschäftigten an der Gewerkschaft vorbeigingen, drängte der Staat die ACFTU massiv, sich zu reformieren und ihre Präsenz am Arbeitsplatz zu verstärken. Alle neuen staatlichen und offiziell gewerkschaftlichen Initiativen können als politische Konzessionen an die Beschäftigten gewertet werden und eröffneten ein neues Feld für Aktivitäten von ArbeiterInnen. Die eigentliche Barriere für Kollektivverhandlungen und eine demokratische Gewerkschaftsbewegung besteht allerdings unverändert weiter: Betriebsgewerkschaften haben vor allem in den FIE keine aktive Mitgliedschaft, und ihre Gremien und Posten stehen im allgemeinen eher unter Kontrolle der Geschäftsleitungen anstatt der ArbeiterInnen (vgl. Clarke u.a. 2004, China Labour Bulletin 2008).

Daher hat die Zweideutigkeit bzw. das Dilemma der staatlichen Politik der Klassenorganisation die Formierung einer Arbeiterklasse verschoben und verhindert. Ohne handlungsfähige Klassenorganisation jedoch bleiben Arbeitskämpfe stets auf die Ebene einzelner Betriebe oder Gemeinden begrenzt, und so bleibt die Entstehung einer ernst zu nehmenden Arbeiterbewegung unwahrscheinlich. Weil Staat und ACFTU „illegale" Streiks nicht unterstützen und die Zivilgesellschaft, wo sie überhaupt existiert, zu schwach ist, um zu helfen, bleiben StreikführerInnen isoliert und riskieren die Rache des Managements. Das ist der Grund für den heimlichen Charakter der Führung und für das Fehlen kollektiver Verhandlung im Streik. Wenn es aber keine offene Führung gibt und das Gesetz, wo die Forderungen über gesetzliche Regelungen hinausgehen, keine Grundlage für Solidarität liefern kann, werden die unterschiedlichen Gruppen von Beschäftigten anfällig für Spaltung. Während die heimlichen AnführerInnen, meist gelernte oder erfahrene ArbeiterInnen, sich Gewerkschaft häufig als Klassenorganisation vorstellen, haben die jüngeren, ungelernten Beschäftigten davon nur eine sehr begrenzte Vorstellung.

Aufgrund dieser Überlegungen stimme ich mit Lee (2007a) überein, dass der Staat eine sehr widersprüchliche Rolle spielt: Einerseits erhält er Legitimation und Akkumulation aufrecht, andererseits spielt er durch die „gesetzliche Regulierung der Arbeit und soziale Reproduktion der Macht der Arbeit" eine zentrale Rolle bei der Konstitution von Arbeiterinteressen. Lees Theoretisierung von Klasse und Identität kann ich allerdings nicht zustimmen. Sie tendiert dazu, „Klasse" als einen Diskurs oder eine Sprache zu definieren, von der ArbeiterInnen Gebrauch machen oder eben nicht: „der Diskurs von Klasse, Maoismus, Staatsangehörigkeit und Legalität als ein Standardrepertoire zu Gerechtigkeit und aufrührerischen Identitätsansprüchen" (Lee 2007a: 29). Ich habe hier jedoch gezeigt, dass aus dem Sprachgebrauch hinsichtlich „Klasse" kein verlässliches Urteil über Klassenbewusstsein und Verhalten von ArbeiterInnen abgeleitet werden kann. So nannten die Beschäftigten den Geschäftsführer in dem Fall von 2004 Taiwan Lao (taiwanesischer Typ), was ihre eigene Identität als Festlandschinesen implizierte; 2007 nannten sich die ArbeiterInnen in Abgrenzung zum deutschen Geschäftsführer Tong Bao (Landsleute). In keinem Fall fielen auch nur einmal die Begriffe Gong Ren (Arbeiter) oder Gong Ren Jie Ji (Arbeiterklasse). Dennoch folgten ihnen ArbeiterInnen, die für Fabriken mit Kapitaleignern anderer Nationalitäten arbeiteten, inklusive solcher, die Festlandschinesen gehörten, mit ähnlichen Forderungen in den Streik. Offensichtlich nahmen die ArbeiterInnen den Streik nicht als gegen Taiwanesen oder Deutsche, sondern als gegen den Boss gerichtet wahr. Klasse als Diskurs oder Sprache kann die Ausbreitung des Streiks in der Gemeinde nicht erklären, Klasse als soziales Verhältnis aber wohl. Mit der Untersuchung des Gebrauchs von Diskursen wie „Leute aus Sichuan", „Leute vom Festland", Tong Bao (Landsleute), Yuan Gong (Beschäftigte), Zhi Yuan (Personal) oder Zhi Yuan Gong (Personal und Beschäftigte) im Protest soll erforscht werden, wie in einem spezifischen Kontext von Klassenkampf eine Basis für Solidarität konstruiert oder dekonstruiert wird. Clarke (1978) hat ausgeführt, dass, auch wenn Klassenverhältnisse und ihre politischen und ideologischen Formen in der Klassenanalyse nicht voneinander getrennt werden können, das Konzept von Klasse als sozialem Verhältnis diesen Formen analytisch übergeordnet werden sollte.

Lee (2007a: 236) schlussfolgert, dass „dezentrale, unkoordinierte, sporadische Aktionen und Orientierung am existierenden gesetzlichen Rahmen" nicht nur Arbeiterproteste, sondern auch die kollektive Mobilisierung anderer Gruppen kennzeichnen. Dies wird von der geschilderten neuen Entwicklung nicht bestätigt. Vielmehr kommt hier die historische Dimension von Klassenkampf ins Spiel. Nach Thompson (1980) ist die Klassenformierung ein historischer Prozess, der zahlreiche Kämpfe beinhaltet. Erstens ist die Orientierung am existierenden gesetzlichen Rahmen lediglich ein institutionelles Instrument, von dem ArbeiterInnen Gebrauch machen, um ihre Interessen zu vertreten. Im Streik von 2007 war klar zu beobachten: Als dem Gesetz weitgehend entsprochen war, ohne dass ihren Interessen damit vollkommen Genüge getan war, gingen die Forderungen der ArbeiterInnen wie selbstverständlich über die Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen hinaus. Unzweifelhaft basiert ihr Kampf eher auf Interessen als auf Rechten. Zweitens widersprechen meine Daten Lees Behauptung, die Proteste der Beschäftigten nähmen stets von gerichtlichen Verfahren ihren Ausgang und die ArbeiterInnen gingen nur auf die Straße, wenn die Lokalverwaltungen und Gerichte sie nicht zufrieden stellen könnten. Vielmehr waren Streiks und später Straßenblockaden in der Erfahrung der Beschäftigten eine sehr wirksame Kampfform geworden. Die Fälle von 2004 und 2007 zeigten, dass die Intervention der staatlichen Behörden erst erfolgte, nachdem sehr viele ArbeiterInnen auf der Schnellstraße erschienen waren. Drittens: Obwohl Arbeiterproteste sich immer noch innerhalb der Grenzen einer Fabrik, eines Unternehmens oder einer Gemeinde hielten, zeigten sie eine historische Tendenz zu besserer Planung, Koordination und Vernetzung. Viertens: Während die Forderungen der Wanderarbeiter an die Fabrikeigentümer gerichtet wurden, richteten sich die entlassenen Arbeiter der Staatsbetriebe gegen die staatlichen Bürokratien. Lee schloss von ihren Formen auf ihre Gemeinsamkeit, während ich ihre Unterschiede hinsichtlich der Verhältnisse sehe.

Nicht alle betrieblichen Konflikte waren Klassenkonflikte. Da die betrieblichen Konflikte dennoch eine große Wirkung auf die Politik der Lokalverwaltungen und auf die Gesetzgebung der Zentralregierung hatten, die wiederum dazu beitragen, die Bedingungen für die ArbeiterInnen allgemein zu verbessern, habe ich es vorgezogen, das Muster für den sozialen Kampf im Rahmen von „Klasse" zu analysieren, auch wenn eine handlungsfähige Klassenorganisation nicht vorhanden war. Was das Klassenbewusstsein angeht, so war dieses ungleich verteilt. Ältere Facharbeiter waren sich der Bedeutung von Klassenorganisation eher bewusst, während viele junge Beschäftigte nicht wussten, was die Gewerkschaft ist. Aber auch die Entwicklung der Arbeiterbewegung im Westen hat ihren Ausgang einst von privilegierten Beschäftigten wie Handwerkern und Mechanikern genommen (vgl. Thompson 1980, Katznelson & Zolberg 1986).

Geschichten von den Kämpfen der chinesischen WanderarbeiterInnen widersprechen der Sichtweise, Arbeit, Fabrik und Arbeiterklasse seien an ihr Ende gekommen. Stattdessen werden diese in unterschiedlichen Räumen in unterschiedlichen Formen rekonstruiert. Zwar haben sich die Orte der Produktion und die Formen der Beschäftigung dramatisch verändert, doch die grundlegende Akkumulationslogik des globalen Kapitalismus ist unverändert geblieben.20 Auf der aktuellen sozialwissenschaftlichen Tagesordnung steht nun das Ziel, zu verstehen, wie sich Klassenkampf in unterschiedlichen lokalen Zusammenhängen entfaltet und wie sich das Muster des Kampfes mit der Zeit verändert.

Übersetzung aus dem Englischen: Anne Scheidhauer

Anmerkungen

1    Vgl. bspw. Gorz 1980; Aronowitz & DiFazio 1994; Casey 1995; Rifkin 1996; Castells 1997; Aronowitz & Cutler 1998; Bauman 1998; Beck 2000

2   Vgl. Cannadine 1999; Day 2001; Skeggs 2004

3   Vgl. Wood u.a. 1998, Waddington 1999, Hutchinson & Brown 2001, Silver 2003

4   Vgl. Lee 1998; Chan 2001; Pun 2005

5   Gleichzeitig verweist sie darauf, dass „die ‚neue Arbeiterklasse‘ durch staatliche Mechanismen häufig schon im Moment ihres Entstehens deformiert oder sogar ausgelöscht wird" (Pun 2005: 20).

6   Ich habe meine Untersuchung in der Stadt Shenzhen durchgeführt. Diese Auswahl basiert nicht nur auf der Tatsache, dass Shenzhen als „Powerhouse" der „globalen Fabrik" (vgl. Lee 1998) gilt, sondern auch weil in der Stadt die meisten Arbeitskonflikte vorkommen. Hier werden ein Zehntel aller bei den Behörden registrierten Arbeitskonflikte des ganzen Landes verhandelt (vgl. Tageszeitung Nan Fang Ri Bao vom 28.10.2004). Im Gegensatz zu anderen EthnographInnen, die als einfache Beschäftigte in Fabriken gearbeitet haben (z.B. Lee 1998; Pun 2005), habe ich eine Methode teilnehmender Beobachtung in der Gemeinde angewandt, ergänzt durch Forschung an Dokumenten. Von September 2005 bis August 2006 arbeitete ich im Servicezentrum einer NRO in einem Industriegebiet des Stadtteils Bao An. Im Laufe des ersten halben Jahres führte ich Interviews mit vielen ArbeiterInnen, um mir ein Bild vom generellen Muster von Arbeitskonflikten und Streiks zu machen. Dann wählte ich eine Fabrik mit taiwanesischen Investoren zur detaillierteren Untersuchung aus. Ein Streik in dieser Fabrik hatte im Jahre 2004 eine Streikwelle in der Gemeinde ausgelöst. Im zweiten Halbjahr beobachtete ich das Arbeits- und Sozialleben in dieser Fabrik: Ich lebte mit Arbeitern in einer privat gemieteten Unterkunft zusammen, besuchte ihre Arbeitsplätze und führte Tiefeninterviews mit einigen von ihnen. Im Dezember 2006, August 2007 und Januar 2008 kehrte ich an den Untersuchungsort zurück, um neue Entwicklungen zu beob­achten. Im August 2007 wurde ich Zeuge einer weiteren Streikwelle, bei der eine Fabrik in deutschem Besitz führend war. Um die historische Entwicklung der Arbeitskonflikte in der Region bis vor das Jahr 2004 zurück zu verfolgen, habe ich Dokumente und Veröffentlichungen von nichtstaatlichen ArbeiterInnenorganisationen genutzt. Dokumentarische Daten über Streiks und Arbeitskonflikte sind allgemein rar. Bezüglich der „Authentizität, Glaubwürdigkeit, Repräsentativität und Bedeutung" von Daten aus privaten Quellen (­Bryman 2001: 361ff) habe ich die Herausgeber einiger Dokumente eingeladen, Informationen abzuklären, und Verlässlichkeit und Validität überprüft. Der Autor dankt den Hong Kong Confederation of Trade Unions (HKCTU), dem Asia Monitor Resource Centre (AMRC) und dem Hong Kong Christian Industrial Committee (HKCIC) für die Erlaubnis, auf ihre internen Datenbestände zuzugreifen, sowie Apo, Au, Ah Tat, Bing Kwai und Ying Yu für ergänzende Informationen.

7   Vgl. Leung 1988; Wong 1989; Tam 1992

8   Wong (1989) hat diesen Fall dokumentiert und die Informationen von der SKIZFTU ­erhalten.

9   Vgl. Jiang 1996; Chan 2001; Cooke 2005

10 Zur Entwicklung der Gewerkschaftssystems in China vgl. Chan 2006a

11 Die erste und zweite Welle fanden beide in den 1950er Jahren statt.

12 Der Fall ist in AMRC (1995) dokumentiert; zusätzlich hat der Autor dieses Artikels den Hauptverfasser der Broschüre dazu befragt.

13 Vgl. Ng & Warner 1998; Taylor u.a. 2003; Clarke u.a. 2004

14 Eine ausführliche Beschreibung des Beschwerde- und Schlichtungsverfahrens durch die Arbeitsbehörden findet sich bei Lee (2007a).

15 Diese beiden konkreten Fälle habe ich aus drei Gründen ausgewählt: Erstens zeigten die ArbeiterInnen hier im Streik eine hohe Militanz und hatten eine starke Wirkung in die Gemeinde hinein. Obwohl Streiks zur Erfahrung der Beschäftigten immer selbstverständlicher dazugehörten, ging es bei anderen Streiks teilweise weniger militant und organisiert zu als in diesen beiden Fällen. Bei der Auswahl der Fallbeispiele ging es mir darum, Möglichkeiten und Grenzen von Radikalität am Arbeitsplatz in Chinas globalen Fabriken auszuloten. Zweitens waren in den beiden Fällen zwei der größten Fabriken in der selben Stadt betroffen, und die Kampferfahrungen der Arbeiter wurden jeweils gegenseitig übertragen, was den historischen Vergleich der Streikmuster ermöglicht. Drittens gelang es mir, eine Beziehung zu an den Streiks beteiligten Beschäftigten aufzubauen, so dass verlässliche und detaillierte Daten erhoben werden konnten.

16 An dieser 1979 errichteten Station wird der Zugang zu der im Süden von Shenzhen liegenden, mit Stacheldraht umgrenzten SEZ aus den nördlichen Stadtbezirken kontrolliert.

17 Im Folgenden werden vorzugsweise die chinesischen Begriffe benutzt, weil die gemeinte Unterscheidung in der Übersetzung nicht eindeutig genug wiedergegeben werden kann (Anm. d. Ü.).

18 Damit sollten Basislohn und Überstunden abgedeckt sein, nicht aber sonstige Zulagen und Leistungen (etwa Nachtzuschläge, Mietzuschüsse). Diese sollten zusätzlich gezahlt werden­.

19 Dies war eine Lohnforderung ausschließlich für die einfachen ArbeiterInnen. Der geforderte Basislohn bezog sich auf eine Woche von fünf mal acht Stunden. Überstunden sollten zum gleichen Stundenlohn zusätzlich vergütet werden. Der Basislohn der Yuan Gong war in den meisten Fabriken nicht höher als der aktuelle gesetzliche Mindestlohn von 710 Yuan. Die Streikenden verlangten also eine Lohnerhöhung um 100 Yuan gegenüber dem geltenden Mindestlohn.

20 Vgl. Harvey 1990, Cohen 1991, Wood u.a. 1998.

Literatur

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Anschrift des Autors
Chris King-Chi Chan
k.c.c.chan@warwick.ac.uk

 



[1]*  Dieser Beitrag ist die überarbeitete Version eines Vortrags für das gemeinsame Seminar „Class Conflict in Post-Socialism?" des Centre for Comparative Labour Studies und der Industrial Relations Research Unit an der Universität von Warwick am 29. November 2007 und für die 13. Internationale Konferenz „Alternative Futures and Popular Protest" an der Manchester Metropolitan Universität am 17.-19. März 2008. Mein Dank gilt Prof. Simon Clarke für die Anleitung der Forschung für meine Dissertation, Prof. M. Burawoy für die Diskussion im Seminar in Warwick, den Begutachtern der PERIPHERIE, weiteren anonymen Kommentatoren sowie Anne Scheidhauer für die Übersetzung ins Deutsche. Der Autor übernimmt ggf. die volle Verantwortung für Irrtümer und Fehler in diesem Artikel.