Italien in Uniform

Waren es einst die bunten Pressefeste der kommunistischen Zeitung Unità, die Italiens Städte im Sommer kulturell und politisch belebten, so wird seit dem 4. August 2008 in Rom, Mailand, Neapel und andernorts das Standbild durch 3000 uniformierte Soldaten verunziert, die nun endlich die Bürger sichern sollen, vor allem durch Patrouillen vor »empfindlichen« Gebäudekomplexen; dazu werden auch die alten und neugeplanten Aufnahme- und Abschiebelager für illegale Einwanderer gehören. Diese und andere Neuerungen sollen vor allem zur Beruhigung der Bevölkerung dienen, wie der zuständige Minister La Russa (Alleanza Nazionale) in den abendlichen Fernsehnachrichten offenherzig versicherte, zum Beispiel auch die Fingerabdrücke, die neuerdings von den Roma und Sinti, großenteils italienischen Staatsbürgern, genommen werden. Viele Bürgermeister, und keineswegs nur solche mit rechten Mehrheiten, haben für die Stadtzentren inzwischen Bettelverbote erlassen, »für ein einladendes Stadtbild« will man die Armen endlich aus dem Blickfeld vertreiben. Auch daß die Schüler künftig Uniformen tragen müssen und wieder wie in alten Zeiten Betragensnoten erhalten werden, wird angeblich die Lage Italiens verbessern ... Heuchelei!

Vor Beginn der seit Jahren mehrmals verkürzten Sommerpause des Parlaments ist es den neuen Abgeordneten in Endlossitzungen gelungen, die angekündigten voluminösen Gesetzespakete durch beide Kammern zu peitschen – mit ausgiebigem Gebrauch der Vertrauensfrage. Die Gesetzesänderungen betreffen die Justiz, die sogenannte Sicherheit (von der Einwanderung bis zum Presserecht), das Arbeitsrecht und den Staatshaushalt 2009. Viele Maßnahmen schneiden so tief ein, daß sie Grundrechte beeinträchtigen. Man darf sich nichts vormachen: Die ersten 100 Tage der erneuten Regierung des Rechtsblocks unter Silvio Berlusconi haben die schlimmsten Erwartungen noch übertroffen. Vor allem ist es ihm und seinen diversen Anwälten, die jetzt mit ihm als Abgeordnete im Parlament sitzen, trotz Widerständen trickreich gelungen, jene Änderungen durchzusetzen, die den Regierungschef vor den gegen ihn laufenden Justizverfahren wegen schwerer Bestechung schützen, zumindest für die Dauer seiner Amtszeit. Der Staatspräsident, ein ehemaliger Kommunist, setzte vor wenigen Tagen seine Unterschrift unter fast alle Parlamentsbeschlüsse, trotz der Bedenken von über hundert Verfassungsrechtlern.

Inzwischen weilt der Regierungschef an seinem Sommerregierungssitz in Porto Cervo auf Sardinien, wo er in der Villa Certosa, seiner fürstlichen Residenz am Meer, seit Jahren seine Getreuen um sich sammelt und spektakuläre Feste ausrichtet. Dort hat er auch schon seine »Freunde« Blair, Putin, Mubarak beherbergt, und 2009 würde er an diesem Ort gern den G 8-Gipfel ausrichten: die Welt zu Gast bei Berlusconi.


Der lohnabhängige Signor Rossi hingegen kann es sich nur noch an wenigen Sommerwochenenden leisten, ans Meer zu fahren, wo er für den Zutritt zum Strand und für den Liegestuhl 15 bis 20 Euro pro Kopf und Tag hinblättern muß. Wird er sich die geplanten Einschränkungen und öffentlichen Sparmaßnahmen, die im Herbst wirksam werden, gefallen lassen? Manche Badeorte kündigten sogleich Ermäßigungen von bis zu 50 Prozent an, weil sonst viele Liegestühle leer bleiben könnten. Die Gewerkschaften werden wohl versuchen müssen, sich gegen die beschlossene weitere Aushöhlung der nationalen Tarifverträge zu wehren sowie gegen die gesetzliche Festschreibung der Prekarität als Dauerzustand für Viele. Ob es ein heißer Herbst werden wird? Auch Walter Veltronis Demokratische Partei will im Oktober protestieren, was aber nach ihrem bisherigen Stillhalten vielleicht nicht jeden überzeugen wird.

Spätestens dann stellt sich auch die Frage nach der künftig außerparlamentarischen politischen Präsenz der versprengten Linken einschließlich der Grünen, die im Juli nach dem Wahldebakel ihre Kongresse abgehalten haben. Entgegen allen Rufen nach Einheit konnten nicht einmal die drei derzeit bestehenden kommunistischen Parteien zueinanderkommen; Differenzen, aber vor allem Unsicherheiten in der Einschätzung der Situation und persönliche Zwistigkeiten, die viele Wähler enttäuscht haben, reichen tief, selbst die stärkste der drei, die Partei der Rifondazione comunista, drohte zu zerbrechen. Deren von Fausto Bertinotti und seit 2005 von Franco Giordano verfolgte Politik der Öffnung zu den sozialen Bewegungen einerseits und zur Koalition mit Parteien der Mitte andererseits ist spätestens mit dem Wahlergebnis im April 2008 gescheitert. Beim VI. Kongreß von Venedig im März 2005 (Ossietzky berichtete darüber) war diese Linie gegen den Widerstand von damals über 40 Prozent der Delegierten durchgesetzt worden. Auf dem jüngsten VII. Parteikongreß in Chianciano siegte nun Ende Juli überraschend ganz knapp die innerparteiliche Opposition. Ein Adhoc-Bündnis der verstreuten Minderheiten wählte Paolo Ferrero zum Vorsitzenden, der als Minister der letzten Prodi-Regierung angehört hatte. Er setzt auf eine Rückkehr der Partei ins Zentrum der Gesellschaft und der Konflikte, auf eine radikale Opposition zur Regierung und auf Rückgewinnung jener Arbeiter und Angestellten, die sich von der Propaganda der »Lega« einfangen ließen. (Die »Lega« hatte einen weitaus größeren Stimmenzuwachs erreicht als Berlusconis eigene Partei.)

Ob es tatsächlich jenen »Linksrutsch« geben wird, den die gemäßigte Linke in ihren verschiedenen Gruppierungen bereits als Anachronismus bespöttelt und verurteilt, ist noch völlig offen, ebenso die Frage, wie weit das sehr differenzierte linke Wahlvolk seinen Forderungen nach einer Politik für die sozial Schwachen überhaupt noch Nachdruck und politische Kraft verleihen kann. Nennenswerte Reform-Spielräume sind nicht mehr vorhanden. Die rezessive italienische Wirtschaft ist größtenteils am Ende der Mahlzeit angelangt – »alla frutta«, wie man in Italien sagt. Und der Staatshaushalt kann nicht gesunden, solange er auf ein Drittel der möglichen Steuereinnahmen verzichtet, das ihm durch die endemische, seit Berlusconi wieder nur als Kavaliersdelikt geltende Steuerhinterziehung entgeht. Da ist kein Ende abzusehen, obwohl jeder ahnt: Es geht immer noch tiefer abwärts.

Der Staatshaushalt für 2009 sieht übrigens auch eine substantielle Kürzung der öffentlichen Zuschüsse vor, die bisher das finanzielle Überleben der Non-profit-Zeitungen einschließlich der Parteipresse ermöglichten und immer noch einen Rest an Pressevielfalt garantierten. Genossenschaftlich organisierte Blätter wie die Tageszeitung il manifesto werden sich ohne diese Gelder kaum halten können, die gesamte linke Presse steht vor dem Aus.

Hat die Linke – angesichts der Dominanz der Rechten und des Opportunismus der politischen Mitte und vieler Ex-Linker – überhaupt noch eine Perspektive? Kann sie auf die sich nun weiter zuspitzenden Widersprüche noch reagieren? Mit welchen Erfolgsaussichten? Antworten dringend gesucht.