Krise und Krieg

In der globalen Finanzkrise scheint sich ein erster Hoffnungsstreif am Horizont zu zeigen. Doch vor voreiliger Freude darüber muss gewarnt werden. Denn viel zu selten wird die Krise zu zwei ihrer entscheidenden – und weiter andauernden – Ursachen in Beziehung gesetzt: dem “Krieg gegen den Terror” und den labilen transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.

Eigentlich begann die Krise bereits im Jahr 2001. Damals ging der Spekulation über eine von staatlichen Einflüssen befreite und auf dem Einsatz globaler Computernetzwerke beruhenden “New Economy” endgültig die Luft aus. Die Börsenkurse, die in den 90er Jahren steil aufwärts geklettert waren, stürzten in den Keller, der Konjunkturaufschwung wurde von einer, allerdings sehr milden, Rezession abgelöst. Gleichzeitig wurden Börse, Konjunktur und Computertechnologie, die eben noch Schlagzeilen gemacht hatten, vom Antiterrorkrieg in den Hintergrund gedrängt. Anstatt über wirtschaftliche Probleme, deren Existenz im Überschwang der New-Economy-Spekulation rundweg bestritten wurde,1 zu berichten, wurden der Öffentlichkeit militärische Erfolge angekündigt.

Doch selbstverständlich hört die Wirtschaft nicht auf, weil der Antiterrorkrieg beginnt. Sie entwickelte sich aber nach der Krise 2001 in völlig anderer Form als während des Aufschwungs in den 90er Jahren. Dieser war durch Investitionen in unbekanntem Terrain und neuen Technologien gekennzeichnet. In Asien, Lateinamerika und Osteuropa wurden Märkte und Anlagefelder mit Hilfe von Internationalem Währungsfonds (IWF), Welthandelsorganisation und diplomatischem Druck erweitert oder erstmals dem Zugriff westlichen Kapitals ausgesetzt.

Die Öffnung des Internet – das im Auftrag des US-Militärs seit den 60er Jahren für den internen Informationsaustausch entwickelt und ausgebaut worden war – für kommerzielle Nutzer erleichterte die Kontrolle immer vielgliedriger werdender Wertschöpfungsketten sowie die Entstehung neuer Konsumgütermärkte. Produktion und Absatz werden auch nach der Krise 2001 noch international und unter Verwendung von Computern organisiert, der Aufbau der hierzu erforderlichen Produktionsstätten, Transport- und Informationsnetze war seither aber nicht mehr die treibende Kraft wirtschaftlichen Wachstums.


Rechnungen ohne den Wirt

Während die Kriegspolitik der USA und ihrer NATO-Partner die ganze Welt zu ihrem Einsatzfeld machten, wurde das Kapital im wahrsten Sinne des Wortes häuslich. Der Immobilienmarkt wurde zum Wachstumsmotor, blieb allerdings gegenüber dem vorangegangenen Konjunkturzyklus weit weniger zugkräftig. Auslandsinvestitionen unterblieben zwar nicht vollständig, konzentrierten sich aber hinter den zerklüfteten Frontlinien des Antiterrorkrieges. Die Konsequenz: Ölfirmen und Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes verdrängten die Hersteller von Computerteilen und -programmen aus den Spitzenpositionen der höchstnotierten Börsenwerte.

Doch die Rechnung mit heimischen Immobilien, Kriegswirtschaft und Sicherung von Energiequellen ging nicht auf. Durch die Kriege im Irak und in Afghanistan konnte zwar der Zugriff auf das Öl des Mittleren Ostens gesichert und am Hindukusch ein Brückenkopf gegen den Energiehunger der rapide wachsenden chinesischen Wirtschaft sowie den politischen Einfluss Russlands errichtet werden. Die Unfähigkeit der Invasoren, die ihnen genehmen Vasallenregime gegen militärisch armselige und politisch perspektivlose Aufstandsbewegungen durchzusetzen, führte jedoch zu erheblichen Zweifeln, ob Öl beständig und in der jeweils gewünschten Menge gen Westen fließen würde. Heute, gut fünf Jahre nach Beginn der Besetzung des Irak, liegt die Ölproduktion immer noch darnieder, eine Ausweitung der Kampfzone in den Iran würde zu massiven Förderausfällen führen.

Unsicherheit mit der Ölversorgung ist gut fürs Geschäft, erlaubt sie doch spekulativ in die Höhe getriebene Preise und, solange Förderung und Absatz irgendwie aufrechterhalten werden können, kräftig steigende Profite. Kurz: Je unsicherer die tatsächlichen Ölflüsse, desto kräftiger sprudeln die Ölgewinne. Natürlich floriert auch die Rüstungsindustrie, ohne deren Hardware der Zugriff auf einen erheblichen Teil der Weltölreserven nicht hätte hergestellt werden können.

Doch was gut ist für Exxon Mobile, Chevron, BP, Halliburton und Lockheed Martin, ist noch lange nicht gut für Gesamtwirtschaft und Gesellschaft. Sowohl das Industrialisierungsmodell des westlichen Kapitalismus als auch dessen sozialer Konsens beruhen primär auf der ständigen Verfügbarkeit von billigem Öl. Was den Unternehmen niedrige Produktions- und Transportkosten, das sind den Arbeitnehmern Eigenheim, Auto und billige Konsumgüter, die ohne Niedriglöhne bei den Produzenten und geringe Transportkosten nicht den Weg aus den Sweatshops dieser Welt in die Supermärkte und Konsumpaläste des Westens finden würden. Unternehmen, sofern sie nicht im Öl- oder Rüstungsgeschäft tätig sind, stöhnen nun gemeinsam mit “Proleten aller Gehaltsstufen” über steigende Produktions- bzw. Lebenshaltungskosten. Letztere sind einer der Faktoren, die das neben Rüstung und Öl dritte Standbein des Aufschwungs, den Immobilienboom, haben einknicken lassen.


Häuser auf Sand

Dass zudem viele der seit 2001 errichteten Häuser auf finanziellem Sand gebaut waren, musste während des Aufschwungs verschwiegen werden. Ohne den Traum von steigenden Profiten auf der Seite von Immobilienfirmen und den Traum vom Eigenheim auf der anderen Seite wären viele Grundstücke unbebaut geblieben. Auch kreditfinanzierte Konsumausgaben beruhten auf der Illusion ewig steigender Immobilienvermögen. Steigende Ölpreise, die sowohl Heizung als auch den Betrieb des glücklich erworbenen Neuwagens zu einer kostspieligen Angelegenheit gemacht haben, beschleunigten nur das Zerplatzen dieser Vermögensillusionen. Viele Haushalte standen ohnehin kurz vor der Erkenntnis, dass Kredit nicht nur gegeben, sondern auch zurückgefordert wird – und dabei schnell die Zahlungsfähigkeit am Ende ist.

Anfang 2007 begannen schließlich die Immobilienpreise in den USA zu sinken, weil viele Hausbauer die fälligen Zinsen und Tilgungen nicht mehr aufbringen konnten und daher zum Verkauf gezwungen waren. Da steigende Immobilienwerte von Banken als Kreditsicherheiten akzeptiert wurden, führte das Sinken ersterer nunmehr auch zu einer Einschränkung der Kreditvergabe und hierdurch finanzierter Konsumgüternachfrage. Eine globale Krise wurde hieraus jedoch erst deshalb, weil Banken Kredite, die sich nunmehr als uneinbringbar erwiesen, als Wertpapiere gehandelt und damit die Börsen angetrieben haben. Mit versickerndem Kredit und fallenden Börsenkursen waren die Zutaten für einen veritablen Zusammenbruch beisammen. Nun sitzen die Banken auf faulen Krediten und die Börsen, infolge verringerter Liquiditätszufuhr, beinahe auf dem Trocknen. Die Zahlungsfähigkeit des Finanzsektors, ohne die, da sich nun mal alles ums Geld dreht, der gesamte Wirtschaftskreislauf zum Stillstand gekommen wäre, konnte allerdings durch kräftige Liquiditätsspritzen der Zentralbank aufrechterhalten und damit die Krise – vorerst – eingedämmt werden. Wie sie sich weiterentwickeln wird, ist allerdings nach wie vor unklar.

Klar ist dagegen, dass sich die gegenwärtige Krise in einem Punkt grundlegend von allen Krisen unterscheidet, die sich seit dem Aufstieg der USA zur kapitalistischen Führungsmacht ereignet haben. Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und rentablen Anlagemöglichkeiten haben auch in der Vergangenheit immer wieder zu Krisen geführt. Ein erheblicher Teil der Krisenlasten, Arbeitslosigkeit, Lohnsenkungen und Massenelend, konnte aber von den USA, diesbezüglich mit ihren westlichen Verbündeten meistens an einem Strang ziehend, auf ärmere Länder abgewälzt werden.

Doch damit ist es offenbar vorbei. Diesmal wurde die Krise im Zentrum verursacht und ist dort auch ausgebrochen. Nicht das Abwälzen der Krisenlasten auf andere Länder, sondern deren Hilfe bei der Kriseneindämmung stand – und steht wohl auch in Zukunft – auf dem Programm. Eine ganze Fraktion westlicher Banker, Politiker und Ökonomen spekuliert darauf, dass die neuen Regionalmächte China, Russland und Indien Nachfrageausfälle im Westen ausgleichen und damit die Weltwirtschaft stabilisieren können. Ganz Mutige denken sogar darüber nach, die Devisenreserven und Ersparnisse, die diese Länder in den letzten Jahren aufgehäuft haben, zur Liquiditätssicherung der Banken und Börsen in New York, London, Tokio und Frankfurt anzuzapfen.

Der Hilfe suchende Blick auf die Emporkömmlinge aus der “Dritten Welt” ist allein aus der Not geboren. Dass sich hier neue Freundschaften anbahnen, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Zwar lässt man gern in China und Indien kostengünstig produzieren und sich aus Russland mit Rohstoffen versorgen; dass diese Länder aber Binnenmärkte unter eigener Kontrolle und regionale Machtansprüche haben, ist für gestandene Weltmächte wie die USA nach wie vor schwer zu ertragen. Da ist es dann doch sicherer, sich auf alte Freunde wie die Deutschen zu verlassen.
Deutschland hilf!

Zwar plagt sich auch die Bunderepublik mit einer Bankenkrise herum, die mit der Deutschen Bank sogar ihr eigenes Flaggschiff erreicht hat. Dennoch haben internationale Organisationen wie IWF und OECD in diesem Frühjahr die Parole ausgegeben, Deutschland werde von der US-Krise nicht berührt und könne deshalb mit seiner eigenen Wirtschaftskraft zur Rettung seiner amerikanischen Freunde beitragen. Begründet wird dies damit, dass ein Großteil der deutschen Exporte, gut zwei Drittel, in andere EU-Länder geliefert würde und deshalb nicht von dem seit Krisenbeginn dramatisch sinkenden Dollarkurs betroffen sei. Dass die deutschen Exporte in erster Linie innerhalb Europas abgesetzt werden, war allerdings schon vor Ausbruch der Krise richtig und hat schon bei geringen Dollar-Abwertungen zu drastischem Stellenabbau in Automobil- und Luftfahrtproduktion geführt. Arbeiter bei Daimler, Opel und Airbus dürften diesbezüglich mehr von Außenhandel und Währungsbeziehungen verstehen als die Experten von IWF und OECD.

Zudem übersieht die Hoffnung auf deutsche Exporte in andere EU-Länder, dass einige von diesen, insbesondere Großbritannien und Spanien, ebenfalls von Immobilien- und Wirtschaftskrisen nach amerikanischem Vorbild geplagt sind. Die Wirtschaft in anderen EU-Staaten, beispielsweise Italien, sieht sich schon seit Einführung des Euro mit einer Exportoffensive aus Deutschland konfrontiert, die den Wunsch nach Währungsabwertung und dadurch nachlassendem Importdruck geweckt haben. Was jedoch den USA möglich ist, bleibt den von der Europäischen Gemeinschaftswährung gefangenen Ländern aufgrund der restriktiven Politik der Europäischen Zentralbank verwehrt.2 Insgesamt wird der europäische Appetit auf Importe aus Deutschland angesichts stagnierender Kaufkraft daher ebenso zurückgehen. Der europäische Binnenmarkt dürfte wegen seiner eigenen Instabilität kaum in der Lage sein, die sinkenden Exporte ins nicht-europäische Ausland auszugleichen.


Der Kampf im Innern

Allerdings haben die Wirtschaftsexperten – man weiß eben doch, wozu man sie so teuer bezahlt – auch für den Fall einer Wirtschaftskrise in Deutschland bereits vorgebaut. Tarifabschlüsse, mit denen die Beschäftigten in einigen Branchen nach Jahren der Reallohnverluste wieder etwas aufholen, andere aber gerade mal die Inflation ausgleichen konnten, werden unisono als Profitkiller bezeichnet, welche die infolge der US-Krise ohnehin getrübte Investitionslaune verderben und damit die Rezession auslösen.

Diese Tarifabschlüsse sind jedoch – und insofern hat das Unternehmertum tatsächlich Grund zur Sorge, so undramatisch ihre Auswirkungen in Euro und Cent auch sein mögen – erst durch eine verbreitete Stimmung möglich geworden, die sich mehr um soziale Gerechtigkeit als um Profit, Export und Rezessionsvermeidung dreht. Umfragen ergeben heute deutliche Mehrheiten für gesetzliche Mindestlöhne, gegen Hartz IV, gegen die Rente mit 67 und gegen die Bahnprivatisierung. Hoffen wir, dass diese Stimmung anhält und dass sie zu dem dann notwendigen Widerstand gegen eine neue Runde des Lohn- und Sozialabbaus motiviert. Diese steht nämlich spätestens dann ins Haus, sobald die Krise nicht nur die Deutsche Bank, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft erreicht.


1 Vgl. Eric Janszen, Die Bubble-Ökonomie, in: “Blätter”, 5/2008, S. 49-62.
2 Vgl. Heiner Flassbeck, Europäische Krisenignoranz, in: “Blätter”, 3/2008, S. 5-8.