Kopfnoten: "Fertig abgepackt für die Wirtschaft"

in (10.07.2008)
Kopfnoten sind wie Pickel!" heißt es in der Resolution der LandesschülerInnenvertretung NRW zur Kampagne „Kopfnoten abschaffen!", die gerade in die zweite Runde geht. Wie viele andere Bundesländer hat NRW ab diesem Schuljahr die „Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens" wieder eingeführt, die in ganz Deutschland seit den siebziger Jahren abgeschafft war. utopia sprach mit Marcel Bonsen aus dem Landesvorstand der LandesschülerInnenvertretung NRW.

utopia : Marcel, die Schulministerin Barbara Sommer sagt, Kopfnoten würden das „soziale Klima" in der Schule fördern. Hört sich doch gar nicht schlecht an, oder?

Wir denken nicht, dass Kopfnoten in irgendeiner Weise hilfreich für das Klima in der Schule sind. Es ist einfach unmöglich die Persönlichkeit eines Schülers oder einer Schülerin in sechs Noten á 4 Ziffern auszudrücken. Wir halten eine ehrliche Feedbackkultur, die auf konstruktiver Kritik aufbaut, für viel sinnvoller. Rückmeldungen können viel besser in Gesprächen oder Fließtexten gegeben werden.

utopia : Und mit diesen Feedbacks meint ihr gegen unsoziales Verhalten vorgehen zu können?

Zumindest besser als mit Kopfnoten. Kopfnoten versuchen einfach nur die Symptome zu unterdrücken. Es wird gar nicht nach den Ursachen von bestimmten Verhaltensweisen geforscht. Diese liegen bei vielen SchülerInnen im sozialen Umfeld oder auch im Schulsystem. Wir gehen an die Wurzel des Problems und wollen deshalb die Gesellschaft und das Schulsystem grundlegend verändern. Deshalb fordern wir auch eine integrative Ganztagsgesamtschule.

utopia : Im Berufsleben nimmt die Bedeutung der so genannten „soft skills" zu. Deshalb fordert die Wirtschaft schon lange Kopfnoten...

Das stimmt. Allerdings sollte die Schule sich nicht zum Handlanger der Wirtschaft machen lassen. Wir wollen keine Schule, die nur Arbeitskräfte produziert - fertig abgepackt für die Wirtschaft.

utopia : Es wird überlegt, die Kopfnoten von sechs auf zwei Noten zu reduzieren. Was haltet ihr davon?

Das macht die Kopfnoten nicht besser. Zwar mag der überflüssige Zeitaufwand der Lehrerinnen und Lehrer ein bisschen reduziert werden, aber es wird noch schwieriger für den Schüler oder die Schülerin nachzuvollziehen, wie die Note zustande kommt und lässt noch weniger auf das Verhalten schließen, so dass praktisch keine Konstruktivität mehr vorhanden ist. Deshalb können Kopfnoten ja auch gut benutzt werden, um kritische Schülerinnen oder Schüler, die den Lehrerinnen oder Lehrern auch einmal widersprechen, ruhig zu stellen. Das widerspricht schlicht dem Auftrag der Schule, kritisches Denken zu fördern.

utopia : Die meisten der Argumente gegen Kopfnoten lassen sich auch auf reguläre Noten übertragen. Dann können wir ja gleich alle Noten abschaffen!

Ja, deswegen fordern wir auch die Überwindung des Notensystems. Aber es gibt schon ein paar Unterschiede zwischen Kopfnoten und regulären Noten. Und zwar sind die Kopfnoten viel stärker vom persönlichen Empfinden der Lehrerinnen und Lehrer abhängig und werden dadurch noch willkürlicher vergeben. Bei Leistungsnoten gibt es wenigstens noch Aufzeichnungen und ähnliches, mit denen man eine bestimmte Note teilweise begründen kann. Das macht die Noten aber nicht viel besser!

utopia : Ihr glaub ja wohl nicht allen Ernstes, dass Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe freiwillig Vokabeln lernen!

Doch. Wir denken, dass alle Schülerinnen und Schüler die Motivation haben werden, zu lernen. Dafür sollte man ihnen einfach vermitteln, dass sie für das Leben lernen und nicht für irgendwelche Noten!

Interview: David Werdermann

www.kopfnoten-abschaffen.de