Betteln verboten

Seit Anfang Juni ist in Wien das Betteln mit Kindern verboten. Wer sich um das Kindeswohl sorgt, sollte aber lieber Armut bekämpfen.

Von einem generellen Bettelverbot, wie die FPÖ es fordert, hält man seitens der sozialdemokratischen Wiener Stadtregierung nichts. Damit könne das Problem der Armut nicht beseitigt werden, heißt es in einer Presseaussendung des SP-Abgeordneten Godwin Schuster. Das Problem müsse differenziert angegangen werden, meint auch der Wiener Bürgermeister. Zusätzlich zum schon länger bestehenden Verbot des aggressiven und organisierten Bettelns ist deshalb seit Anfang Juni in
Wien auch das Betteln mit Kindern verboten. In einer Sondersitzung Ende März wurde dafür das Wiener Landes-Sicherheitsgesetz mit einer zusätzlichen Passage bestückt. Diese besagt, dass "wer an einem öffentlichen Ort [Â…] in aufdringlicher oder aggressiver Weise oder als Beteiligter an einer organisierten Gruppe um Geld oder geldwerte Sachen bettelt, oder eine unmündige minderjährige Person zum Betteln, in welcher Form auch immer, veranlasst oder diese bei Bettelei mitführt" eine Verwaltungsübertretung begeht und "mit Geldstrafe bis zu 700 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen" ist.
Ausschlaggebend, so der Tenor von Presseaussendungen und Diskussionsbeiträgen von VertreterInnen der SPÖ, sei dabei die Sorge um das Kindeswohl.
In den Erläuterungen zum geänderten Landessicherheitsgesetz wird darauf explizit hingewiesen. Mit der zunehmenden Praxis "im Beisein von unmündigen minderjährigen Personen" zu betteln bzw. diese zur Bettelei "anzustiften" sollen, so die Analyse des Gesetzgebers, "durch den ‘erhöhtenÂ’ Mitleidseffekt bessere Erträge aus der Bettelei" erzielt werden. Im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes sei es daher "unbedingt erforderlich [Â…] wirksame Maßnahmen gegen Anstifterinnen und Anstifter einer solchen Ausbeutung [Â…] zu setzen." Durch die neuen Verwaltungsstrafbestände werde eine starke Reduktion dieser Form der Bettelei erwartet. Alternativen zu dieser Vorgangsweise gäbe es keine.
Soziale und kirchliche Organisationen, darunter SOS Mitmensch, social ATTAC und die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien sowie auch die Grünen, haben das neue Bettelverbot scharf kritisiert. Sie werfen den Stadtverantwortlichen vor, dass mit dem Erlass in erster Linie für weniger BettlerInnen auf Wiens Straßen während der EURO gesorgt werden sollte.
Betroffen von der neuen Verordnung sind vor allem jene - oft aus Rumänien, der Slowakei oder dem ehemaligen Jugoslawien kommenden - Frauen, die mit ihren Babys und Kleinkindern bei U-Bahnaufgängen, in Einkaufsstraßen, vor Kirchen und an anderen stark frequentierten Plätzen sitzen oder knien und PassantInnen - meist wortlos - um Unterstützung bitten. Wer sich in Wien bewegt, kennt diese Frauen oder besser gesagt deren Anblick - und wohl auch das Gefühl von Unbehagen, das sich dabei einstellt.
Ein Unbehagen, das die Wiener Linien schon seit einiger Zeit mit ihren Anti-Bettel-Durchsagen explizit artikulieren und das auch im Zusammenhang mit Bettelverboten eine durchaus wichtige Rolle spielen dürfte.

Sichtbare Armut. Armut bleibt im siebtreichsten Land der Welt meist unsichtbar und versteckt. BettlerInnen im Stadtbild machen Armut sichtbar, sie machen die ökonomische und soziale Verfasstheit Österreichs und Europas deutlich und fordern zur unmittelbaren persönlichen Positionierung heraus: Schau ich weg oder schau ich hin. Gebe ich - oder gebe ich nichts.
Dass Betteln keine wünschenswerte Beschäftigung für Kinder und wohl auch für den Großteil der bettelnden erwachsenen Frauen und Männern ist, versteht sich genauso von selbst, wie die Tatsache, dass jeglicher Form der Ausbeutung auch in diesem Zusammenhang wirksam entgegenzutreten ist. Wenn Teile der Bettelei tatsächlich von illegalen Organisationen kontrolliert und die bettelnden Menschen von diesen ausgebeutet werden, wie es oft behauptet aber kaum jemals nachgewiesen werden konnte, müssen Wege gefunden werden, dem nachhaltig entgegenzuwirken. Die Verhaftung jener Frauen, die mit ihren Kindern bettelnd auf der Straße sitzen, ist hier wohl kaum als probates Mittel zu sehen.

Betteln als Beruf. Dass bettelnde Frauen weder kriminelle Bandenmitglieder noch deren hilflose Opfer sind, zeigen auf besonders eindrückliche Weise die Ergebnisse einer Untersuchung, die die Wiener Bildungswissenschaftlerin Marion Thuswald im Rahmen ihrer Diplomarbeit mit bettelnden Frauen in Wien durchgeführt hat.1 Dabei wird der Subjektstatus der betroffenen Frauen ernst und deren vielfältige Kompetenzen in den Blick genommen. Thuswald beschreibt die von ihr interviewten Bettlerinnen als "selbstbewusst Leidende", die sich ihrer schwierigen, oft ausweglosen Situation im Herkunftsland sehr klar bewusst sind, sich aber nicht mit dieser Situation abfinden, sondern vielmehr den seit der EU-Erweiterung auch für sie offenen transnationalen Raum und sein Wohlstandsgefälle zu nutzen suchen, um ihre Überlebenschancen und die ihrer Kinder zu erhöhen.
Aufgrund fehlender anderer Kenntnisse und Erfahrungen - ein Großteil der betroffenen Frauen hat auch in den Herkunftsländern weder Chancen auf noch Erfahrungen mit Erwerbsarbeit gemacht - wird das Betteln als Verdienstmöglichkeit gewählt und die dafür notwendigen Fertigkeiten erworben. Dazu gehört ein Minimum an Sprachkenntnissen genauso wie Orientierungsfähigkeit, geeignete Ortswahl und die Fähigkeit, das eigene Anliegen glaubwürdig und eindringlich zu vermitteln. Das Erhalten von Handlungsfähigkeit trotz Ungewissheit und widriger Umstände und ein Beharren auf der eigenen Integrität und der Legitimität des eigenen Handelns trotz vielfacher Beschimpfungen und Bedrohungen sind zentrale Bestandteile der Überlebenskompetenz der betroffenen Frauen - wie auch die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Darüber hinaus wird das solidarische Miteinander mit Verwandten, befreundeten BettlerInnen, Landsleuten, VermittlerInnen und VermieterInnen gepflegt.
Gegenseitige Unterstützung ist für Frauen, die in einer ihnen zunächst völlig unbekannten Stadt als Bettlerinnen überleben wollen, unerlässlich. Genau dieser Zusammenhalt, das füreinander Einstehen, wird durch den Vorwurf der "Organisiertheit" diskreditiert und kriminalisiert.2

Verdrängungsprozesse. Mitte Juni stand mit den ersten Viertelfinalspielen nicht nur die "heiße" Phase der Europameisterschaft bevor, der massive Einsatz von Sicherheitskräften und Polizei wurde in Wien auch genutzt, um erneut eine "Aktion scharf" gegen BettlerInnen zu machen.
Alexander Schinnerl von der Polizei im 1. Bezirk erläuterte dazu auf ORF-Online die Strategie der Polizei: "Wir halten die Szene in Bewegung, das heißt durch diese Kontrollen findet ein Verdrängungsprozess statt in andere Bereiche. Durch gezielte Aktionen glauben wir, dass wir das Ganze auf ein Minimum reduzieren können."3
An "Einfallsreichtum" hat es der Exekutive bei der Vertreibung von BettlerInnen schon bislang nicht gemangelt. So wird etwa bei Nicht-EU-BürgerInnen das Fremdenrecht herangezogen und Betteln als Erwerbsarbeit interpretiert, die einer Arbeitserlaubnis bedürfe. Oder mit einem Verweis auf die Straßenverkehrsordnung gegen BettlerInnen aufgrund von "Verkehrsbehinderung" vorgegangen.
"Sie haben [Â…] in aufdringlicher und aggressiver Weise (indem Sie am Boden gesessen sind, Ihre Hände immer wieder vor die vorbeigehenden Passanten hielten und diese auch ansprachen, welche deshalb immer wieder ausweichen mussten und so der Verkehrsfluss der Passanten erheblich behindert wurde) [Â…] gebettelt" lautet beispielsweise einer der Standardtexte einer Strafverfügung wegen aggressiver Bettelei. Bloßer Blickkontakt reicht oft aus, um als "organisierte" BettlerIn identifiziert zu werden. Bei einer von Augustin, social Attac und Katholischer Aktion organisierten Informationsveranstaltung im Mai wurden Kopien von Pässen betroffener Frauen gezeigt, die diese von der Polizei mit dem Vermerk "Bettlerin" zurückbekamen. Wer den Vermerk angebracht hat, kann freilich nicht bewiesen werden.
Verdrängungsprozesse im Hinblick auf die Komplexität der Gesamtproblematik lassen sich auch in der Argumentation der Verordnung des Bettelverbots von/mit Kindern mit der Sorge ums Kindeswohl finden. Wie etwa, wenn in der ORF-Diskussionssendung Club 2 die betroffenen Frauen von DiskutantInnen als Rabenmütter dargestellt werden, denen es - offensichtlich ganz im Gegensatz zu den verantwortlichen StadtpolitikerInnen - nicht um das Wohl ihrer Kinder ginge. Hinweise auf Kooperationsprojekte mit den Herkunftsländern gehen zwar in die richtige Richtung, bleiben jedoch zumeist vage und verkennen die Dimension der Gesamtproblematik. Oder sie überschätzen - naiv oder bewusst - die Möglichkeiten und Reichweiten solcher Projekte im Hinblick auf die Bekämpfung und Vermeidung von extremer Armut.
Dafür braucht es Systemlösungen und eine grundsätzliche Änderung der Prioritäten europäischer Wirtschafts- und Sozialpolitik hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit und einem sozialen Europa für alle. Der diesbezügliche Einsatz österreichischer PolitikerInnen - wenn auch vorhanden - blieb hier bislang durchaus bescheiden. Und auch in Österreich selbst fehlt der politische Wille zur Armutsbekämpfung.
Sowohl im Hinblick auf politische Lösungen als auch im Bezug auf den persönlichen Umgang mit BettlerInnen ist ein Perspektivenwechsel jedenfalls unerlässlich. Bettlerinnen, gerade auch jene mit Kindern auf dem Schoß, als Frauen wahrzunehmen, die mit ihrer Tätigkeit eine der ganz wenigen für sie und ihre Kinder in Frage kommenden Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Lebenssituation wahrnehmen und sich die dafür notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten erwerben, ist ein erster Schritt dazu. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Position im Hinblick auf lokale und globale Verteilungsfragen ein weiterer. Sich gegen gesetzliche "Scheinlösungen" wie die vorliegende Verordnung und die damit einhergehenden Verhaftungen einzusetzen und der Verbreitung von Mythen und den sich daraus ergebenden Stigmatisierungsprozessen entgegenzutreten, ist die logische Konsequenz.

Fußnoten:
1 Marion Thuswald: "Betteln als Beruf? Wissensaneignung und Kompetenzerwerb von Bettlerinnen in Wien" Diplomarbeit, Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien 2008. Die Arbeit soll auch als Buch erscheinen. Ein ausführliches Interview mit der Autorin ist auf www.augustin.or.at zu finden.

2 Weitere BettlerInnen-Mythen werden in einem Papier der Katholischen Aktion entkräftet, das gemeinsam mit zahlreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen, unter www.ka-wien.at/betteln zu finden ist.

3 http://wien.orf.at/stories/180667

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at