Dieses Globalisierungsmodell hat ausgedient

Noch ist kein Ende der Finanzkrise in Sicht. Im Gegenteil, sie entfaltet sich erst richtig. Mit Beginn des Jahres 2008 haben auch die Aktienmärkte der Welt zur Kenntnis genommen, dass die Globalwirtschaft ein Problem hat. Die Kurse sackten deutlich ab. Selbst unter den zahlreichen Schönwettervorhersagern unter den Ökonomen hat sich die Mehrheitsmeinung durchgesetzt, dass den USA eine Phase schwächeren Wachstums bevorsteht. Das ist auch die Auffassung der amerikanischen Notenbank. Sie hat die Leitzinsen in bisher nicht gekannter Hektik auf nur noch 3 Prozent, also unter die aktuelle Inflationsrate, zurückgenommen und macht keinen Hehl daraus, dass sie die Zinsen weiter senken wird. Die US-Regierung unter George W. Bush hat in Rekordschnelligkeit zusammen mit dem von den Demokraten dominierten Kongress ein fettes Konjunkturprogramm geschnürt, das ein Gesamtvolumen von fast 170 Mrd. Dollar umfasst. Der größte Teil des Programms besteht aus Steuerrückerstattungen. Es ist unsozial, aber es wird schon dank seines Umfangs dem Nachlassen der Inlandsnachfrage entgegenwirken. Erste harte, greifbare Daten zur Wirtschaftsschwäche kommen gerade erst an die Oberfläche. Problematisch ist zudem, dass die Qualität der erfassten Wirtschaftsdaten in den USA sehr zu wünschen übrig lässt. Das fängt mit der Zahl der Arbeitsplätze an, setzt sich mit der Messung der Inflationsrate fort und hört bei den Schätzungen des Sozialprodukts nicht auf. Man wird wahrscheinlich erst in einem Jahr, wenn überhaupt, statistisch belegen können, ob die USA bereits im 4. Quartal 2007 oder erst im 2. Quartal 2008 in die Rezession geschlittert sein werden. Aber dass es so kommt, das scheint ziemlich sicher. Auch die schnellen und massiven Abwehrmaßnahmen von Notenbank und Regierung werden die Rezession nicht vermeiden können. Sie dienen vielmehr dem Ziel, die Rezession in den USA möglichst kurz und möglichst wenig tief ausfallen zu lassen. Bevor man sich der Frage zuwendet, was eine Rezession in den USA für den Rest der Welt bedeutet, muss kurz über die Ursachen und die Auslöser für die beginnende konjunkturelle Krise nachgedacht werden. Dass es sich zugleich um eine Finanzkrise handelt, wurde eingangs unterstellt. Die beginnende Schwäche des US-amerikanischen Marktes für Wohnhäuser ist der zunächst wenig spektakulär wirkende Ausgangspunkt für beides, die Krise des Finanzsystems und die konjunkturelle Wachstumskrise. Weil in der Presse, auch in linken Publikationen und auch in dieser Zeitschrift (vgl. M. Antesberger, Vorbote für den Abschwung, in MBl 6/07) darüber schon viel geschrieben wurde, hier nur einige Anmerkungen dazu: In den USA hat sich in den letzten etwa zwanzig Jahren ein eigenartiges kapitalistisches Wirtschaftsmodell herausgebildet. Das Problem hoch entwickelter kapitalistischer Volkswirtschaften besteht meist in der ungenügenden Gesamtnachfrage, weil die Masseneinkommen vom Kapital niedrig gehalten werden. Wer wenig Lohn erhält, kann auch nur wenig kaufen. Als Ersatz für die auch in den USA fehlende Kaufkraft der Löhne wurde in den USA die massenhafte Verschuldung der Privathaushalte erfunden und profitlich ausgebaut. Normalerweise hat die große Masse der Privathaushalte mangels Vermögen wenig Möglichkeiten, sich zu verschulden. Außerdem übernehmen in kapitalistischen Volkswirtschaften normalerweise die Privathaushalte die Funktion des Sparens. Über das Bankensystem werden diese Ersparnisse den Unternehmen als Kredite zur Verfügung gestellt, die damit ihr eingesetztes Kapital zur Profitmacherei vervielfachen können. In den USA drehten sich die Finanzierungsverhältnisse dank des Erfindungsreichtums der Banker und dank niedriger Zinsen um. In die Rolle des wichtigsten Kreditnehmers rückten die Privathaushalte. Der Ansatzpunkt für die Verschuldung der Privathaushalte war das Wohneigentum. Es wurde in den USA seit langem traditionell staatlich gefördert. Für die Banken stellt es das einzig nennenswerte Vermögen der Masse der Haushalte dar. Zwar gibt es auch den Konsumentenkredit, aber auch ein Auto kann nur bis zum Wert seines Kaufpreises beliehen werden. Und der ist nun mal bedeutend niedriger als ein Einfamilienhaus.

Steigende Immobilienpreise

Besonders gut funktioniert das Geschäft mit Hypothekenkrediten, wenn die Immobilienpreise steigen. Das war in den USA seit der vorletzten Krise zu Anfang der Neunzigerjahre der Fall. Steigt das Preisniveau für Wohnungen und Wohnhäuser, rechnet es sich für den Bürger, das eigene Häuschen früher zu einem noch mäßigeren Preis zu erwerben. Er kalkuliert den erwarteten Wertzuwachs ein. Die Hypothekenbank tut dies auch und erhöht bereitwillig den Kredit, da das Haus ohnehin mehr wert ist. Ist dazu das allgemeine Zinsniveau niedrig, fällt es auch leichter, die Hypothekenschuld abzutragen. Steigt der Wert des eigenen Häuschens, ist die Bank auch bereit, die Hypothek entsprechend zu erhöhen. Der Hausbesitzer kann diesen zusätzlichen Kredit auch für sonstige Zwecke verwenden. Die im Vergleich zu Deutschland relativ laxen Regeln der Kreditvergabe weiteten das Geschäft zusätzlich aus. Schließlich wurden in den letzten Jahren massenhaft so genannte „subprime mortgages“ (wörtlich: suboptimale oder zweitrangige Hypotheken) eingeführt. Dabei nimmt die Hypothekenbank keine richtige Prüfung des Wertes der beliehenen Immobilie und der Einkommensverhältnisse des Kreditnehmers vor. Die Zinsen sind entsprechend dem höheren Risiko höher. Von diesem speziellen Segment des Marktes nahm die internationale Finanzkrise Mitte 2007 ihren Ausgang und erhielt als „Subprime-Krise“ zunächst ihren Namen. Der extrem leicht erhältliche Kredit befeuerte zunächst weiter die Immobilienpreise. Der volkswirtschaftliche Vorteil der daraus resultierenden hohen Verschuldung der US-Haushalte bestand darin, dass die USA kaum unter einem Mangel der Gesamtnachfrage litten. Die steigende Verschuldung eines Großteils der nicht-vermögenden Klassen erhöhte das aktuell verfügbare Einkommen und stützte damit den Markt. Es war gleichsam so, als würden die Löhne kräftig steigen, was auch in den USA mitnichten der Fall war. Man kann auch noch deutlicher formulieren: Mit Hilfe der Verschuldung breiter Volksmassen hat es die US-Volkswirtschaft geschafft, das Übel der Unterkonsumption und des fehlenden Absatzes zu vermeiden. Weil es sich bei den USA um die größte Volkswirtschaft des Globus handelt, hat diese höchst effektive Stimulation des Absatzes auch ausgereicht, um andere Länder aus der Stagnationskrise zu führen. Die Ökonomen haben daher die US-amerikanischen Verbraucher als die „Konsumenten letzter Instanz“ bezeichnet. Das soll heißen, ohne sie, ihre Bereitschaft, höhere Schulden zu machen und Waren zu kaufen, hätte die globale Hochkonjunktur der letzten Jahre nicht stattgefunden. Weder hätte der Exportboom Chinas und anderer asiatischer Schwellenländer dieses Ausmaß erreicht, weder hätten die Rohstoffexporteure wie die Opec-Staaten oder Russland so günstige Finanz- und Wachstumsbedingungen vorgefunden, noch hätten hochentwickelte Länder, deren Binnenmärkte stagnieren, aus der Stagnation gefunden. Der segensreiche kräftige Konsum der US-amerikanischen Haushalte hatte allerdings auch zu dem allseits beklagten riesigen Außenhandelsdefizit der USA geführt. Die US-Haushalte lebten auf Pump. Und wer ihnen das Geld vorstreckte waren vorwiegend Ausländer. Das Leistungsbilanzdefizit der USA erreichte schließlich fast sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes. Erstaunlich ist es schon, wie bereitwillig die Vermögenden aus aller Welt den USA über viele Jahre hinweg den starken Konsum finanzierten. Normalerweise finanzieren Kapitalbesitzer rentierliche Investitionen. Das kann man von den Anlagen im Dollarraum nicht sagen. Der Dollar ist seit 2002 ziemlich kontinuierlich schwächer geworden. Um die Jahrtausendwende investierten internationale Investoren vorwiegend in US-Aktien und US-Unternehmen. Auch viele deutsche Konzerne kauften in dieser Zeit gierig US-Tochtergesellschaften auf. Die wenigsten florierten. Diese Art Kapitalzustrom hat zuletzt spürbar nachgelassen. Stattdessen finanzierten Länder wie China den schuldenbasierten Konsum der USA. Die sprunghaft steigenden chinesischen Exporte in die USA (und in Länder, die mit Dollar bezahlen) führen zu entsprechenden riesigen Zuflüssen an dieser Währung. Da die Zentralbank den Wechselkurs kontrolliert, kauft sie diese Dollars auf. Bisher hat sie dieses Geld in niedrig verzinsten US-Staatsanleihen angelegt. Das ist bei sinkendem Dollarkurs für die chinesische Regierung zwar ein schlechtes Geschäft, aber hält die rasant expandierende Exportwirtschaft des Landes im Geschäft. Schließlich ist es der Finanzbranche der USA außerdem gelungen, einen Teil der Konsumentenverschuldung besonders cleveren Investoren in aller Welt zu verkaufen. Sie haben dabei nicht mit neuen Tricks, sondern nur mit vielen Variationen alter Tricks gearbeitet. Auch der über hundert Jahre alte deutsche Pfandbrief, für den früher in rororo-Bändchen geworben wurde, ist ein solches Produkt. Während aber beim deutschen Pfandbrief die Kredite an Immobilienbesitzer oder öffentliche Institutionen in der Hypothekenbank verbleiben, die sich dann über den Verkauf von Pfandbriefen nach ziemlich strikten Regeln refinanziert, wurden in den USA die Kredite samt ihren Risiken weitergereicht. Der Clou bestand dann aber darin, nicht nur Kredite verschiedener Qualität zusammenzufassen, sondern sie dann auch wieder durch gesonderte komplizierte Verträge Bürgschafts- und Optionsverträge in verschieden ausgestattete Risikoklassen zu trennen. Subprime-Hypotheken waren gerade deshalb ein beliebter Bestandteil solcher Kreditpakete, weil sie von vornherein hohe Zinsversprechen mit in die Verträge einbrachten.

Überschuss an Kapital

Man fragt sich jetzt, warum Banken wie die deutsche Mittelstandsbank IKB oder die größte Vermögensverwaltung der Welt, die Schweizer Bank UBS, solch komische Produkte massenhaft einkauften. Man fragt sich, warum es den Banken in den USA gelang, diese merkwürdigen Produkte in aller Welt zu verteilen. Die Antwort ist immer dieselbe: Der hohe Anlagedruck. Das wiederum ist ein anderes Wort für den Überschuss an Kapital, Überschuss im Vergleich zu den rentierlichen Anlagemöglichkeiten. Die kapitalistische Weltökonomie und ihre Akteure hatten nicht das Problem, Kapital aufzutreiben. Diese Globalökonomie litt an einem Überschuss an Anlage suchendem Kapital. Die Bereitschaft der einfachen Haushalte in den USA, sich zu verschulden, um das tägliche Leben zu fristen, war für dieses Anlage suchende Kapital ein Segen, besser: ein gefundenes Fressen. Nur stellt sich jetzt heraus, dass diese Beute der Finanzbranche schlecht bekommt. Der Schuldner kann nicht bezahlen. Er ist überfordert. Er wird ärmer. Die Immobilienpreise sinken. Es kann sein, dass ihm die Maßnahmen der US-Regierung ein wenig helfen. Das Modell allerdings, nach dem die kapitalistische Wirtschaft in den letzten Jahren funktionierte, dürfte ausgedient haben. Die Haushalte der USA werden ihre Verschuldung nicht mehr ausweiten, sondern zurückführen. Die Nachfrage nach Konsumgütern aus den USA wird nicht mehr der Hauptantrieb der Weltwirtschaft sein. Offen ist dagegen, wie weit der überaufgeblähte Finanzsektor zusammenschrumpfen wird. Die Verführung US-amerikanischer Bürger zu höherer Verschuldung und der Weiterverkauf dieser Schulden in alle Welt ist schließlich nur eines der zahlreichen und enorm gewachsenen Betätigungsfelder der Banken, Quasibanken, Fonds, Versicherungen usw. Es war das Betätigungsfeld, das die Krise zum Ausbruch brachte. Seitdem klappt auch das übrige nicht mehr so gut wie früher. Die Banken geben weniger gern Kredit. Wenn sie ihn zu schlechteren Konditionen vergeben, haben sie Schwierigkeiten, ihn weiterzureichen. Den Private-Equity-Fonds, auch Heuschrecken genannt, fällt es schwerer, das Kapital aufzubringen, um die nächste Firma zu übernehmen. Wenn es ihnen gelingt, haben sie Probleme, die Verschuldung des erworbenen Unternehmens hochzutreiben, um eine Vorabdividende einzusacken. Von den Hedge-Fonds gedeihen am besten die Geierfonds, die nun aus Notverkäufen Kreditpakete, Aktienpakete oder ganze Unternehmen zu Schleuderpreisen erwerben. So weit ist die Krise noch nicht, dass sie dafür keinen Kredit erhalten. Die Finanzhäuser haben seit dem Sommer 2007 etwa 140 Mrd. Dollar an Werten abgeschrieben. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück setzte nach einem Treffen in Tokio mit seinen G-7-Amtskollegen die Zahl von 450 Mrd. Dollar in die Welt, die noch abzuschreiben wären. In Wirklichkeit weiß er es nicht und wissen auch die klügsten Banker nicht, wie weit diese Krise den Finanzsektor noch belasten wird. Die bisherigen Wertverluste und Abschreibungen reflektieren erst eine Störung im Wohnimmobilienmarkt der USA. Wenn im Laufe einer Rezession der gesamten US-Wirtschaft auch der Markt für gewerbliche Immobilien oder mehr und mehr Unternehmen in Schwierigkeiten kommen und Zahlungsausfälle drohen, werden die Banken noch erheblich mehr Verluste abschreiben müssen. Ganz zu schweigen davon, was geschieht, wenn ausbleibende Konsumgüternachfrage aus den USA das bisher hohe Wachstum in Asien und die freundliche Konjunktur in Europa abbremst. Die vom Finanzkapital dominierte Globalisierung erlebt so eine tiefe Krise. So wie das globale Wirtschaftsmodell in den letzten 20 Jahren funktioniert hat, so wird es künftig nicht mehr funktionieren. Die Verschuldung der US-Verbraucher und der USA insgesamt werden nicht mehr der Motor der Weltwirtschaft sein. Es scheint, dass 2007 eine Umbruchphase eingeläutet worden ist. Wie lange diese Umbruchphase dauert, welche Opfer diese Krise fordert, ist heute unmöglich zu sagen. Ebenso wenig kann man absehen, welche spezifische Form der Weltkapitalismus nach dieser Krise haben wird. Die Krise reißt jetzt schon erhebliche Positionen der Finanzspekulation mit sich. Die Verluste des Kapitals sind bisher fast komplett auf den Finanzsektor beschränkt gewesen. Das wird nicht so bleiben. In den USA ergreifen das Kapital und seine Politiker entschiedene Maßnahmen, um die Wirkungen dieser Krise einzudämmen. Das wird auch in Europa nötig sein. Auch die Europäische Zentralbank wird den Leitzins senken müssen. Die von den Gewerkschaften bereits geforderten Konjunkturprogramme wird es geben. Je früher allerdings, desto besser.

Freiheit des Kapitalverkehrs aufheben

Die Banken werden mit Staatsknete aufgefangen werden. Die britische Bank Northern Rock wurde bereits von der Regierung verstaatlicht. In Deutschland ist die private IKB-Bank durch sehr viel öffentliches Geld gerettet worden. Im Prinzip ist es richtig, wenn in einer Bankenkrise der Staat die Bank mit öffentlichen Geldern auffängt. Die Alternative wäre ein Reißen der Kreditketten, Zahlungsausfälle und massenhafte Pleiten. Die Forderung, die Banken zu verstaatlichen, erübrigt sich dann. Einmal verstaatlichte Institute sollten allerdings nicht wieder privatisiert werden. Die Frage ist nur: Fortführung des Geschäfts oder Abwicklung. Richtig ist es jetzt, die Regulierung der Finanzbranche zu fordern. Damit sollte aber nicht das gemeint sein, was sogar diese Bundesregierung sich von der Branche wünscht, nämlich ein wenig mehr Transparenz und Steuerehrlichkeit. Es gilt den im EU-Vertrag noch einmal bekräftigten Glaubenssatz von der grenzenlosen Freiheit des Kapitalverkehrs zurückzunehmen. Der Finanzsektor muss schärfstens kontrolliert werden. Das Finanzkapital ist das beweglichste von allen Kapitalien. Man muss kein Sozialist oder Kommunist sein, um zu erkennen, dass das Finanzkapital ganze Volkswirtschaften ruiniert, wenn man ihm die Freiheit zur Spekulation gewährt.

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