Risiken und Nebenwirkungen einer Farbrevolution in Birma

Aus Sicht der internationalen Medien trug die Revolution Safran. Im August hatte die Militärregierung in Birma die Benzinpreise stark erhöht, was Demonstrationen in Yangon und anderen Städten führ

Aus Sicht der internationalen Medien trug die Revolution Safran. Mitte August hatte die Militärregierung in Birma die Benzinpreise stark erhöht, was zunächst zu kleineren Demonstrationen in Yangon und anderen Städten führte. Die Proteste weiteten sich jedoch im Lauf des September aus und erhielten eine besondere Dynamik durch das Engagement buddhistischer Mönche, die ihre täglichen Almosengänge in politische Demonstrationen gegen die Militärregierung umwandelten. Die Safran-Demonstrationen bescherten Birma für einige Tage eine ernorme Medienaufmerksamkeit, die ebenso abrupt einsetzte, wie sie abbrach, nachdem die friedlichen Proteste vom Militär brutal niedergeschlagen worden waren. Mit der Bezeichnung "Safran-Revolution" wurden die jungen Mönche in die Nähe der jungen Demokratieaktivisten gerückt, die im Jahre 2000 Slobodan Milosevic stürzten. Bei dieser Kampagne wurde das Strickmuster der Farbrevolutionen etabliert, das später unter dem Namen "Rosen-Revolution" in Georgien oder "Orange Revolution" in der Ukraine zum Sturz autoritärer Regime in post-sozialistischen Ländern führte. Dieser neue Typus von Revolutionen zeichnet sich aus durch Gewaltlosigkeit, durch eine starke symbolische Integration der Bewegung über griffige Slogans und Logos, durch die systematische Pflege und den strategischen Einsatz der internationalen Medien sowie durch die Konzentration der Forderungen auf formal-demokratische Rechte wie faire Wahlen und Bürgerrechte. Die professionelle PR-Arbeit als Teil der politischen Strategie und die Tatsache, dass in den jeweiligen Ländern keine tiefgreifende Änderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse erfolgte, haben Kritiker veranlasst, die neue Welle an Revolutionen als "Corporate Revolutions" oder als "'Revolution Light' im post-ideologischen Zeitalter, jenseits von sozialen Visionen und Utopien" zu charakterisieren (SWR2-Sendung, 25. Mai 2007). Ein weiteres Merkmal der Farbrevolutionen ist das starke Engagement bestimmter internationaler Akteure: Bei allen Erhebungen waren es US-amerikanische Organisationen wie die Soros-Stiftung, die National Endowment for Democracy, das Albert Einstein Institute, aber auch deutsche politische Stiftungen wie die Friedrich-Naumann-Stiftung, die mit finanzieller Unterstützung halfen, die Organisationen der Demokratieaktivisten aufzubauen. Über Workshops, Weiterbildungen und Strategie-Handbücher verbreiteten diese Institutionen das strategische Wissen zur gewaltfreien Massenmobilisierung und die Expertise zur professionellen PR-Arbeit. Äußerlich betrachtet fallen die jüngsten Demonstrationen in Birma in dieses Schema: Eine professionell organisierte Berichterstattung, die sogar die strikte Zensur im Land umgehen konnte, wurde von den exil-birmanischen Internetportalen Democratic Voice of Burma und The Irrawaddy bewerkstelligt - beide werden von der Soros-Stiftung und der National Endowment for Democracy finanziell unterstützt. Beim Albert Einstein Institute liegt der Leitfaden für Farbrevolutionen, Gene Sharps Handbuch From Dictatorship to Democracy, nicht nur in birmanischer Übersetzung vor, sondern auch in vier der in Birma gesprochenen Minderheitensprachen (http://www.aeinstein.org/organizations98ce.html, letzter Zugriff: 25. 10. 2007), und zahlreiche Akteure, die bei früheren Farbrevolutionen eine prominente Rolle spielten, arbeiten seit langem zu und in Birma. Die Verbindungen sind so deutlich, dass darüber bereits eine Debatte entbrannt ist: Die birmanische Regierung benennt in ihrem Verlautbarungsorgan, The New Light of Myanmar, Gene Sharp als Ideengeber der Rädelsführer in Birma und behauptet, die Anführer der Demonstrationen seien vom Ausland gekaufte Agenten. (29. Oktober 2007: 8f). Das Motiv eines von der CIA gesteuerten Umsturzversuchs wird auch von Neuber und Engdahl aufgegriffen[1]. Beide führen das Engagement der USA auf ein geostrategisches Interesse zurück: In Birma soll in unmittelbarer Nachbarschaft zu China eine US-freundliche Regierung installiert werden, um so den Zugriff auf Gas- und Ölreserven zu erlangen. Engagierte Blogger aus dem Kreis der Birma-Solidaritätsgruppen bezichtigten umgehend die Autoren, Verschwörungstheorien zu verbreiten. So arbeiteten sie letztlich den Militärs in die Hände, die es doch um jeden Preis von der Macht zu vertreiben gelte. Tatsächlich verzerrt und vernebelt die Rede von einer Farbrevolution die Analyse der politischen und sozio-ökonomischen Problemlagen in vielfacher Hinsicht und gefährdet das Ziel, einen politischen Wandel in Birma herbeizuführen.

Polarisierung und Personalisierung des Konflikts

Ein zentrales Moment der Mobilisierungsstrategie einer Farbrevolution ist die Polarisierung und Personalisierung des Konflikts. In der Darstellung des Konflikts in Birma sind beide Tendenzen extrem ausgeprägt, und die meisten Kommentare orientieren sich an der folgenden Darstellung: Seit der Machtergreifung des Militärs im Jahre 1962 werde das Land von einem brutalen Regime in Geiselhaft gehalten. Die ethnischen Minderheiten in den Grenzgebieten stünden daher im Dauerkonflikt mit der Militärregierung. Im Jahre 1988 habe das Volk im Kernland aufbegehrt und es geschafft, den Militärs Wahlen abzutrotzen. Unter der Führung von Aung San Suu Kyi sei mit der National League for Democracy (NLD) eine Volkspartei mit Massenbasis entstanden. Sie habe bei den Wahlen einen erdrutschartigen Sieg erlangen können. Die Militärs hätten diesen Wahlsieg jedoch nicht anerkannt, vielmehr setzten sie Aung San Suu Kyi unter Hausarrest und regierten seither durch Dekrete. Ihre Herrschaft sei dabei von Inkompetenz gekennzeichnet, die zu einem wirtschaftlichen Niedergang und großer Frustration in der Bevölkerung geführt habe, und diese Frustration sei nur durch Brutalität in Zaum zu halten - ein Pulverfass, das durch einen kleinen Funken explodieren könne. Aung Zaw, Redakteur des Irrawaddy, warnte bereits Mitte August angesichts der ersten Demonstrationen: "Die Straßendemonstrationen dieser Woche erinnern deutlich an den Aufstand von 1988. Auch 20 Jahre danach bleibt Birma eine politische Zeitbombe."[2] Diese Darstellung impliziert eine bestimmte Vorstellung der Akteure und Kräfte im momentanen Konflikt: Es wird suggeriert, der Konflikt sei der gleiche wie vor knapp 20 Jahren mit Aung San Suu Kyi, der NLD (und heute den Mönchen) auf der einen und General Than Shwe und dem Militär auf der anderen Seite. Die Personalisierung und Polarisierung des Konflikts verstellt jedoch den Blick auf die sozialen und ökonomischen Veränderungen, durch die es dem Militär gelang, seine Macht zu sichern. Entgegen dem vermittelten Eindruck vom Pulverfass hat sich Birma in dieser Zeit nämlich als erstaunlich stabil erwiesen. Das Militär dabei als bloße Gewalttäter zu porträtieren, fällt hinter die Erkenntnis von Antonio Gramsci zurück, der die Stabilität von Regimen zum Ausgangspunkt für seine Hegemonietheorie nahm. Zu den wichtigen sozialen Veränderungen seit der Niederschlagung der Unruhen im Jahre 1988 zählt die Gründung der Union Solidarity and Development Association (USDA), eine Massenorganisation, die für soziale Aufgaben ins Leben gerufen wurde. Die USDA organisiert Hilfseinsätze, Bauprojekte im Zusammenhang mit Infrastrukturmaßnahmen sowie Bildungs- und Erziehungsprogramme mit plakativ humanitärem oder sozialem Charakter. Bei der Rekrutierung von Mitgliedern setzt sie auf eine Mischung aus Anreizen wie z.B. bessere Bildungschancen und bevorzugter Zugang zu staatlichen Dienstleistungen und aus Zwang und Drohungen für den Fall der Verweigerung. Laut dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation wurde die USDA Stück um Stück von einer sozialen Organisation zu einer politischen Massenorganisation quasi als ziviler Arm des Militärs ausgebaut und soll heute 22,8 Mio Mitglieder umfassen - die Hälfte der birmanischen Bevölkerung (NDD 2006). Bei der Zurückdrängung der Proteste im August spielte die USDA eine wichtige Rolle. Lange bevor das Militär mit Spezialeinheiten aufmarschierte, waren es USDA-Gruppen, die gegen die Demonstranten vorgingen. Über die interne Organisation und Befehlsstruktur dieser Gruppen ist wenig bekannt, von der ausländischen Presse werden sie als vom Militär angeheuerte Kriminelle bezeichnet[3]. Dieses Engagement von Teilen der USDA könnte jedoch auch bedeuten, dass es der Militärregierung gelungen ist, substanzielle Teile der Zivilbevölkerung in einen "mit Zwang gepanzerten politischen Konsens" zu organisieren - ein deutlicher Unterschied zur Situation im Jahre 1988. Ein weiteres Element der Krise in Birma ist das Problem der ethnischen Minderheiten, von denen sich einige bereits seit der Unabhängigkeit Birmas im bewaffneten Kampf gegen die Zentralregierung befinden. Eine wichtige Entwicklung stellen in diesem Zusammenhang die Waffenstillstandsabkommen dar, die der ehemalige Geheimdienstchef Khin Nyunt im Namen der Regierung seit 1989 aushandelte. Den Armeen, die sich darauf einließen, wurde die militärische Hoheit über die von ihnen kontrollierten Gebiete zugestanden. Die Abkommen sind jedoch keine Friedensabkommen, in denen politische Konzessionen festgehalten oder Konfliktlösungen anvisiert wurden. Laut Callahan (2007) und Smith (2007) handelt es sich um ökonomisch motivierte Deals, in denen Vereinbarungen zum Handel mit Drogen, Holzeinschlagsrechte und Minenrechte eine wichtige Rolle spielen. Nichtsdestotrotz haben diese Abkommen zu einem stabilen Geflecht von para-staatlichen Strukturen in den ehemaligen Aufstandsgebieten geführt. Die Militärs haben es so geschafft, die meisten der aufständischen Minderheitenarmeen in ein lukratives ökonomisches Projekt einzubeziehen. Dass diese Verbindung hält, zeigte sich im Laufe der Proteste: Obwohl die Waffenstillstandsabkommen demnächst auslaufen und bereits neue Spannungen aufgetreten sein sollen, hat keine der ethnischen Minderheitenarmeen die Unruhen in Yangon als Gelegenheit genutzt, die Waffen gegen die Militärs zu erheben.[4] Die Stabilität dieser Konstruktionen von Militärherrschaft ernst zu nehmen, heißt nicht, der jetzigen Regierung Legitimität zuzugestehen. Die Analyse des "Blocks an der Macht" (Antonio Gramsci) und die ungefärbte Einschätzung der momentanen Kräfteverhältnisse sind jedoch die Voraussetzung für einen politischen Wandel.

Spontane Erhebung vs. Akteure und Agenten eines Wandels

Genauso, wie die Stabilität der vergangenen 20 Jahre erklärungsbedürftig ist, gilt es auch zu erklären, warum zum jetzigen Zeitpunkt die Proteste entstanden. Die Rede von der Safran-Revolution rückt die Mönche als Akteure in den Vordergrund. Oft betonen die Kommentatoren die Tatsache, dass es sich um junge Mönche handelt, die ihre Demonstrationen gegen die Weisung der älteren Mönche vorangetrieben hätten. Bei dieser Darstellung wird vor allem die Spontaneität der Proteste unterstrichen, und diese Spontaneität spielt eine besondere Rolle bei der Wertschätzung der Proteste: Die Forderungen seien rein und unverfälscht, ohne ideologische Überformung von Kadern oder Parteiprogrammen. In der gleichen Art wurden seinerzeit die Studenten charakterisiert, die 1988 gegen das Militär auf die Straße gingen: junge, idealistische Studenten, von den unhaltbaren Zuständen politisiert. Boudreau (2004) zeigt aus der Perspektive der Ressourcen-Mobilisierungstheorie[5], dass bei der Organisierung und Formulierung der Forderungen der 1988er-Demonstrationen - entgegen der verbreiteten Wahrnehmung als spontane Erhebung - Kader und Anführer früherer Aufstände eine zentrale Rolle gespielt haben. Eine erste oberflächliche Betrachtung der jüngsten Demonstrationen auf der Grundlage von Zeitungsberichten ergibt ein ähnliches Bild: Die Unruhen waren keine spontane Reaktion auf die Benzinpreiserhöhungen, sondern hatten einen organisatorischen Vorlauf. Im Laufe der letzten Jahre kamen viele der Studentenaktivisten von 1988 frei, die Anfang der 1990er Jahre zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, unter ihnen auch die prominentesten der damaligen Führungsriege: Min Ko Naing, Ko Htin Kyaw, Ko Ko Gyi. Zeitungsberichten zufolge begannen sie und andere Aktivisten sich zunächst entlang persönlicher Bekanntschaften informell zu treffen. Für eine weitere politische Organisation sahen sie sich allerdings mit einer veränderten politischen und sozialen Situation konfrontiert: Die NLD war mittlerweile marginalisiert, überaltert und ihrer Basis weitgehend beraubt, die Bevölkerung, die zwei Jahrzehnte lang der Staatspropaganda und dem sozialen Management (USDA) ausgesetzt war, war weitgehend apatisch und politisch uninteressiert.[6] Auf diese Situation reagierten die 88er-Aktivisten[7] mit politischen Kampagnen wie der "White Shirt"- und der "Öffne dein Herz"-Kampagne. Die "Öffne dein Herz"-Kampagne wurde am 4. Januar 2007, dem Tag der birmanischen Unabhängigkeit, gestartet. Die Aktivisten riefen dazu auf, jeder möge seine Sorgen und Nöte in einem Brief an die Machthaber formulieren. Die Kampagne war so erfolgreich, dass sie um einige Wochen verlängert werden musste und die Initiatoren nach eigenen Angaben insgesamt 4.000 Briefe erhielten, die sie zu bündeln und an die Regierung weiter zu reichen versprachen. Über diese Kampagne schafften es die 88er-Aktivisten bis Mitte des Jahres 2007, eine Brücke zur jüngeren Generation und zu weiten Teilen der Bevölkerung zu schlagen. "[Die Aktivisten] erzeugten einen öffentlichen Raum, in dem politischer Dissens geäußert werden konnte, [...] ohne zum Ziel der Militärs zu werden. Sie haben ein Mittel erfunden, Politik im öffentlichen Bewusstsein zum Thema zu machen."[8] Durch diese und andere Aktionen hatten die 88er-Aktivisten die politische Bühne im Jahr 2006 erneut betreten, sich einen Namen als Anwälte für die alltäglichen Nöte gemacht und einen vielversprechenden politischen Dialog initiiert. Das ist der Hintergrund, vor dem sich die politischen Aktionen entfalteten, nachdem die Regierung Mitte August bekannt gab, die Subventionen für Benzin drastisch zu kürzen. Die Vertreter der 88er-Generation waren die ersten, die das Thema aufgriffen und eine Demonstration von 100 und 400 Menschen durch die Straßen von Yangon anführten.[9] Die zentrale Forderung dieser frühen Demonstrationen war die Rücknahme der Preiserhöhung. Die Mönche kamen erst über einen Umweg zu ihrer prominenten Rolle bei den Massendemonstrationen, die einen Monat später einsetzten. Am 5. September demonstrierte in Pakokku, einer Stadt nördlich von Yangon, eine kleinere Gruppe Mönche, die ebenso wie die gesamte Bevölkerung von den Benzinpreiserhöhungen betroffen waren: Da sie auf die Almosen der Bevölkerung angewiesen sind, spüren sie die Effekte der Preiserhöhung unmittelbar. Bei der Demonstration kam es zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei. Als am folgenden Tag die lokalen Regierungsvertreter zu einem Gespräch ins Kloster kamen, eskalierte der Streit vollends: Die Beamten wurden festgehalten, ihre Autos angezündet. Die Mönche verlangten eine Entschuldigung der Regierung und setzten ein Ultimatum. Eine neu gegründete Gruppe namens All Burma Monks Alliance trat wenige Tage später mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Sie forderten u.a. eine Entschuldigung der Militärregierung bei den Mönchen und die Reduzierung der Preise für Benzin, Reis und Speiseöl.[10] Beide Gruppierungen, die 88er-Aktivisten und die Mönche, einigten sich am 25. September auf eine gemeinsame Erklärung und definierten drei zentrale Forderungen der Bewegung: Wirtschaftliches Wohlergehen, Freilassung politischer Gefangener, Nationale Versöhnung.[11] Dies war der organisatorische Vorlauf der Massendemonstrationen vom 24. bis zum 27. September, die schließlich vom Militär niedergeschlagen wurden. Wie genau die Koordinierung und Abstimmung der Forderungen ablief, werden spätere Untersuchungen zeigen. Ein 88er-Aktivist deutete an, "unsere Kader haben wochenlang dem buddhistischen Klerus gut zugeredet, bei unseren Protesten mitzumachen."[12] Hier geht es jedoch nicht darum, vom Standpunkt eines distanzierten Beobachters die Bewegung als Untersuchungsobjekt zu sehen und die Stufen ihrer Entstehung und den Prozess der Definition ihrer Forderungen nachzuzeichnen. Auf diese Weise würde man letztlich doch der Regierung das Wort reden, die behauptet, die Proteste seien durch die 88er-Aktivisten und von aus dem Ausland gesteuerten Untergrundzellen initiiert worden. Vielmehr möchte ich die Perspektive der Ressourcen-Mobilisierungstheorie nutzen, um das 'framing' der Proteste als umkämpften Prozess nachzuvollziehen und die Interpretation der Proteste als Farbrevolution als Teil dieses umkämpften Vorgangs zu kritisieren. Zunächst: Für das Gelingen einer Bewegung ist die Zuspitzung und Verallgemeinerung von Forderungen zentral, da hierüber weitere Kreise der Bevölkerung in die Bewegung integriert werden und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft mobilisiert wird. In dieser Hinsicht war die Konzeptualisierung der Bewegung als Farbrevolution ein großer Erfolg: Nachdem Birma über Jahre für die internationalen Medien nicht existierte, rangierte es mehr als eine Woche lang auf Platz eins der Schlagzeilen. Auf diese Weise wurde die humanitäre Katastrophe, die sich dort entwickelt, weltweit bekannt. Was jedoch im Zuge der Zuspitzung als Farbrevolution verloren ging, waren die früheren partizipativen Ansätze eines politischen Dialogs.

Forderungen der Demonstranten und umkämpfte Rahmung

Eine Zuspitzung als Farbrevolution favorisiert darüber hinaus ein bestimmtes politisches Programm. Ausgangspunkt der "Öffne dein Herz"-Kampagne war die Erkenntnis der 88er-Aktivisten, dass sie ein Generationsproblem zu bewältigen haben und mit Forderungen, die sich auf die Ereignisse 1988 und die Wahlergebnisse von 1990 beziehen, nicht anschlussfähig sind. Ein Vertreter der jungen Generation brachte es so auf den Punkt: "Unsere Generation, wenn ich das so verallgemeinern darf, mag das Militär nicht, jedoch vor allem aus ökonomischen und sozialen Gründen. Unser Hass auf die Junta ist eher eine Antwort auf deren Rückständigkeit als ein Ausdruck unserer Leidenschaft für Demokratie und politische Ideale. Vergangene Kampagnen haben sich zu sehr auf gerade dies konzentriert - auf die Vergangenheit."[13] Die Erhebung der 88er-Generation im Rahmen der "Öffne dein Herz"-Kampagne kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Den Menschen gehe es an erster Stelle um konkrete wirtschaftliche Engpässe. "Wir haben gesehen, dass es in den meisten Briefen um die ökonomischen Probleme geht, mit denen die Leute in ihrem täglichen Leben konfrontiert sind", so Min Ko Naing.[14] Daraus schlossen die Aktivisten Anfang des Jahres, dass zukünftige Kampagnen genau diese Themen aufgreifen müssen. Es ist daher kein Zufall, dass sie die Benzinpreiserhöhung zum Anlass einer Demonstration nahmen. Im Zuge der Zuspitzung als Farbrevolution wurde diese Prioritätensetzung jedoch verschoben: Der Kommentator in Irrawaddy beharrte bereits Ende August darauf, die Demonstrationen hätten nichts mit der Benzinpreiserhöhung zu tun. Es handele sich vielmehr um einen Freiheitskampf: "Einige Demonstranten trugen sogar Bilder der arrestierten Pro-Demokratie-Führerin Aung San Suu Kyi. [...] Bei den Demonstrationen geht es erkennbar nicht um die Benzinpreiserhöhungen - Suu Kyi und ihr Vater haben nichts gemein mit dem Benzinpreis. Die Demonstrationen sind Manifestationen eines Kampfes um Freiheit."[15] Diese Diskrepanz in den Interpretationen, worum es den Menschen geht, offenbart den umkämpften Charakter des Deutungsprozesses. Hier wird durchaus das politische Umfeld relevant, in dem sich die Demokratisierungsaktivisten im Exil bewegen: Die Rede von einer Farbrevolution transportiert die Vorstellung, Birma sei, ähnlich wie die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, ein verspätetes sozialistisches Transformationsland und leide unter den aus dieser Zeit ererbten planwirtschaftlichen Strukturen - eine Analyse, die auch in der Birma-Literatur des akademischen Mainstreams vorherrscht. "Sozialismus aus dem Staatsnamen zu entfernen und sich zuerst zu einem 'offenen', dann zu einem 'markt'-ökonomischen System zu bekennen, ist etwas ganz Anderes, als dem privaten Sektor zuzugestehen, effektiv zu arbeiten" (Steinberg 2001: 135; vgl. Turnell 2007). Die großen internationalen Finanzinstitutionen haben, der gleichen Analyse folgend, wiederholt angemahnt, die Regierung möge weiter privatisieren und den Einfluss der Staatsfirmen zurückschrauben. So forderte die Weltbank in einem Bericht im Jahre 1999 unter dem Stichwort "Private Sector Development" eine "neue Generation von Reformen": "[...] Die Rolle der Staatsunternehmen wird zurückgedrängt werden müssen. Die ineffizienten Staatsunternehmen verfälschen die relativen Preise für den privaten Sektor [...]" (Babson 1999). Oberflächlich betrachtet waren die Subventionskürzungen im August ein Schritt, mit dem die Militärregierung versuchte, genau diese Art Vorgaben umzusetzen. Alfred Oehlers vermutet, dass durch den Schritt die Privatisierung des staatlichen Kraftstoffverteilungsnetzes vorbereitet werden solle, um Benzin in Zukunft über den freien Markt zu handeln.[16] Bei ihrer Rechtfertigung für die Preiserhöhungen machte sich die Regierung sogar - ganz im Stil der internationalen Finanzinstitutionen - das Argument zu eigen, solche wirtschaftlichen Maßnahmen hätten mit Politik nichts zu tun, sondern gehorchten apolitischen Sachzwängen.[17] Freilich ist geplant, dass die private Firma, die den Zuschlag für das Benzinverteilungsnetz bekommt, unter der Kontrolle des Militärs bleibt und dass über die Monopolostellung der Firma die Gewinne aus dem Treibstoffsektor vom Militär abgeschöpft werden können. Für ihre Privatisierungspläne kann die Regierung vermutlich auch auf die Unterstützung anderer Akteure des Businesssektors bauen.[18] Auf diese Art haben es die Militärs bereits in anderen Sektoren geschafft, marktwirtschaftliche Umstrukturierungen zu ihren Gunsten nutzbar zu machen und über ein System von privaten Firmen ihren Einfluss zu verankern. Aus dieser Perspektive ähneln die Privatisierungsprogramme der Militärs im birmanischen Kernland den Waffenstillstandsabkommen an der Peripherie: In beiden Fällen werden politische und ökonomische Macht in neuen informellen Strukturen miteinander verquickt. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob die Forderungen nach demokratischen Spielregeln und good governance ausreichen, das Geflecht aus politischer und ökonomischer Macht zu zerschlagen. Das Beispiel Kolumbiens zeigt, dass para-souveräne Herrschaftsstrukturen auch in einem Land mit formal-demokratischem Regierungssystem fortbestehen können (Zelik 2006). Auch die Beispiele früherer Farbrevolutionen in Georgien und in der Ukraine geben wenig Grund zur Hoffnung auf einen grundlegenden politischen und strukturellen Wandel.

Anmerkungen

[1] Neuber, Harald: "Blasse Farbrevolution in Myanmar". In: Telepolis, 29. 9. 2007 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26287/1.html (letzter Zugriff: 25. 10. 2007), Engdahl, William T.: "The Geopolitical Stakes of 'Saffron Revolution'". In: Asia Times Online, 17. 10. 2007. [2] Zaw, Aung: "Politics, not rising prices, are behind the protests". In: The Irrawaddy, 24. 8. 2007. [3] Cropley, Ed: "Civilian thugs doing Myanmar Junta's dirty work". In: Reuters, 28. 8. 2007 [4] Paung, Shah: "Lack of Unity Kept Ethnic Groups Out of the Showdown", The Irrawaddy, 11. 10. 2007. [5] Die in der US-amerikanischen Bewegungsforschung tonangebende Ressoucen-Mobilisierungstheorie ist die pointierteste Gegenposition, die man zur Idee einer spontanen Bewegung einnehmen kann (in meiner Darstellung beziehe ich mich auf Stickler 2005: 99ff.). "Missstände gibt es überall, Bewegungen nicht" (Japp 1984, zitiert in Stickler, eigene Übers.) bildet den Ausgangspunkt, um mit Ansätzen der Rational-Choice-Theorie zu zeigen, dass die Entstehung von Bewegungen einem Kosten-Nutzen-Kalkül der Beteiligten folgt. Auch wenn ich diese Grundannahme nicht teile, eröffnen Arbeiten aus diesem Theorieumfeld eine Perspektive auf das Phänomen, dass Bewegungen mit einem bestimmten Grad an Organisierung einhergehen und dass mit der Organisierung der Prozess der Deutung ('framing', von Stickler als 'Rahmung' übersetzt) zusammenhängt, im Zuge dessen Missstände benannt und Forderungen formuliert werden. [6] "Engaging Burma's Generation X - Ye Thu". In: Democratic Voice of Burma, 31. 5. 2007. [7] In Birma spielt Zahlenmystik eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund wurde der Generalstreik vor 19 Jahren wegen der Wiederholung der Ziffern für den 8. 8. 88 angesetzt. Die Militärregierung ihrerseits lässt seitdem nichts unversucht, durch andere mystische Ziffernspiele der Achter-Reihe etwas entgegenzusetzen. Daher bringt bereits der Name "88er-Generation" ein politisches Programm zum Ausdruck und hat sich als Eigenname in der westlichen Presse durchgesetzt. [8] "Open Heart Campaign". In: Burma Underground Blog, 5. 1. 2007. [9] "Burma's activists march against fuel price hike". In: Associated Press, 20 8. 2007. [10] Announcement of All Burma Monks Alliance, Sunday, Letter Nr. 1/2007, 9. 9. 2007. [11] All Burma Monks Alliance and 88 Generation Students: Joint Statement of ABMA and 88 Students, 25. 9. 2007. [12] "Dissident reveals his Hand in Burma Protests". In: The Telegraph, 23. 9. 2007. [13] "Engaging Burma's Generation X - Ye Thu". In: Democratic Voice of Burma, 31. 5. 2007. [14] "Thousands write protest letters to Myanmar junta leader". In: Agence France Presse, 29. 1. 2007. [15] Zaw, Aung: "Politics, not rising prices, are behind the protests". In: The Irrawaddy, 24. 8. 2007. [16] Oehlers, Alfred: "Behind Burma's fuel price rise". In: The Irrawaddy, 22. 8. 2007. [17] Gomez, Jim: "Burmese official defends fuel price hikes". In: Associated Press, 26 8. 2007. [18] "Memo on fuel subsidies raises questions in Rangoon". In: The Irrawaddy, 31. 8. 2007.

Literatur

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Aus: PERIPHERIE Nr. 108: "Millenniumsziele. Entwicklung von Armut", 27. Jg. 2007, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 469-477

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