Elitäre Exzellenz

Der Jubel war groß bei den sechs Universitäten, die in der jüngsten Exzellenzrunde reüssieren konnten und nun im Volksmund "Eliteuni" heißen.

Der Jubel war groß bei den sechs Universitäten, die in der jüngsten Exzellenzrunde reüssieren konnten und nun im Volksmund "Eliteuni" heißen. Zusammen mit den schon im Jahr zuvor Platzierten können sie sich nun über einige hundert Millionen Euro zusätzlich zur Finanzierung ihrer Exzellenzinitiativen freuen: vornehmlich Doktorandenprojekte und Graduiertenkollegs.1

Mehr Geld für die Spitzenforschung ist eigentlich eine gute Sache, könnte man meinen. Nun ist die Bundesrepublik aber laut des jüngsten OECD-Bildungsberichts genau an einem Punkt bereits Spitze: bei der Zahl der "Absolventen in weiterführenden Forschungsprogrammen", sprich den Promotionen. Dagegen krankt das deutsche Bildungswesen wie gehabt vor allem an einem: In keinem anderen vergleichbaren Land ist die soziale Herkunft so entscheidend für den erlangten Bildungsgrad und nirgends wird so früh in verschiedene Bildungsgänge aufgeteilt wie hier, was sich nicht zuletzt in der geringen Zahl der Studienanfänger niederschlägt.
Einbruch bei den Studienanfängerzahlen

Während also insgesamt knapp zwei Milliarden Euro für Sonderprogramme den gekürten "Eliten" sowie Einzelprojekten auch an anderen Hochschulen zur Verfügung gestellt werden, bröckelt zugleich die universitäre Basis von morgen. Deutschland bleibt damit weit davon entfernt, bei höheren Bildungsabschlüssen an vergleichbare Länder anzuschließen.

Im Gegenteil: Seit der Aufhebung des Studiengebührenverbots durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2005 brachen die Studienanfängerzahlen im gesamten Bundesgebiet ein. Während zum Wintersemester 2005/2006 mehr als 356 000 Studienanfänger gezählt wurden, waren es ein Jahr später lediglich 295 000, ein Rückgang um 17 Prozent. Obgleich die Anzahl der Hochschulzugangsberechtigten stieg, öffnet sich auch die Schere zwischen Studienberechtigten und Studienanfängern: Zum Wintersemester 2006/2007 nahmen nur 60 Prozent der Schulabgänger mit Studienberechtigung ein Studium auf, zwei Jahre zuvor waren es noch 79,2 Prozent.2 Es ist zu erwarten, dass diese nun auch stärker auf den Ausbildungsmarkt drängen und so Real- und Hauptschüler noch geringere Aussichten auf Ausbildungsplätze haben werden. Hinzu kommt, dass diese auch zunehmend von den Bachelor-Absolventen verdrängt werden dürften.

Nun sind drohende oder bereits erhobene Gebühren nicht der einzige Grund, warum Schulabgänger nicht studieren. Doch sie verstärken die schon in der Schule praktizierte soziale Selektion: Überdurchschnittlich häufig verhindern (drohende) Studiengebühren sowie die Angst vor Bafög-Darlehensschulden die Aufnahme eines Studiums gerade bei Kindern nichtakademischer Eltern. Ein Problem, das sich Kindern aus besser situierten Häusern gar nicht stellt. Nicht nur, dass sie sich die bis zu 500 Euro pro Semester oft problemlos leisten können, auch starten sie nach dem Studium ohne Schulden in das Berufsleben.

Erschwerend kommt hinzu, dass die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge hierzulande arg verschult sind.3 Dies macht es so gut wie unmöglich, neben dem normalen Studium zusätzlich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, obgleich dies mittlerweile sogar für Bafög-Empfänger nötig ist: Denn während nicht einmal 50 Prozent der Geförderten4 den Bafög-Höchstsatz von derzeit 585 Euro erhalten (die durchschnittliche Förderung liegt bei 376 Euro), deckt selbst dieser nicht die anfallenden Lebenshaltungskosten. Nach langem Zögern hat deshalb die Koalition nun immerhin eine Erhöhung um zehn Prozent vereinbart; und zugleich sollen auch die Elternfreibeträge steigen. Dieser Schritt war lange überfällig - und dürfte dennoch nicht dazu führen, dass die Studienanfängerzahlen sogleich wieder steigen.
Frühe Auslese statt intensiver Förderung

Während nämlich die 29 anderen wichtigsten Industrienationen in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt 41 Prozent mehr Studienanfänger zu verzeichnen hatten, legte die Bundesrepublik im gleich Zeitraum nur um fünf Prozent zu. Das liegt jedoch nicht nur an der zunehmenden Angst vor der Aufnahme eines Studiums, sondern auch an der geringen Zahl derer, die überhaupt die Hochschulzugangsberechtigung erlangen. Mit lediglich 38,8 Prozent studienberechtigten Schulabgängern bleibt die Bundesrepublik weit hinter dem OECD-Mittel zurück: Im Schnitt verfügen in den OECD-Ländern zwei Drittel aller Schulabgänger über die Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen.5

Hierzulande jedoch sorgt das dreigliedrige Schulsystem nach wie vor dafür, mit früher Auslese die Klassengesellschaft zu erhalten: Kein vergleichbares Land sortiert Kinder schon so früh in bestimmte Schulen und weist ihnen damit bereits im Alter von zehn Jahren zu, ob sie vermeintlich das Abitur schaffen werden oder nicht. Denn einmal aufgegliedert, ist zwar ein Abstieg jederzeit möglich, der Aufstieg von der Hauptschule zum Gymnasium kommt jedoch kaum vor.

Und dabei ist es regelmäßig nicht die individuelle Leistung, die darüber entscheidet, welche Empfehlung die Schule nach der vierten Klasse ausspricht, sondern diese hängt maßgeblich vom sozialen Status der Eltern ab. Inzwischen haben diverse Studien nachgewiesen, dass bei gleicher intellektueller Leistung die Chance für ein Kind aus bildungsfernem Elternhaus, eine Gymnasialempfehlung zu erhalten, wesentlich geringer ausfällt als für ein Kind aus der bildungsnahen Mittelschicht.6

Bereits im Grundschulalter unterscheiden sich auch die Bildungswünsche der Kinder selbst eklatant: Insgesamt wünschen sich 40 Prozent einen Gymnasialabschluss; dabei benennen Kinder aus der Unterschicht dieses Ziel nur zu 20 Prozent, während Kinder aus der Oberschicht zu 81 Prozent das Abitur wünschen. Das angestrebte Bildungsziel unterscheidet sich im Übrigen von der Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit: Aus der Oberschicht sind es mit 74 Prozent weniger und aus der Unterschicht mit 28 Prozent mehr Kinder, die sich als gute bis sehr gute Schüler einschätzen, im Vergleich zu jenen, die ein Abitur anstreben. 7 Während folglich Kinder aus bildungsfernen Schichten selbst bei intellektuellem Vermögen oft nicht davon ausgehen, einmal das Abitur zu machen, zweifeln Kinder gutsituierter akademischer Eltern selbst bei mangelnder Leistungsfähigkeit nicht daran, dass sie es ihren Eltern einmal gleichtun werden.
Unüberwundene Altlasten

Bereits 1947 hatte der alliierte Kontrollrat über die deutsche Schule geurteilt: "Der Aufbau des deutschen Schulsystems betont den Klassengeist. Schon im Alter von 10 Jahren sieht sich das Kind eingruppiert oder klassifiziert durch Faktoren, auf die es keinen Einfluss hat, wobei die Einstufung fast unvermeidlich seine Stellung für das ganze Leben bestimmt. Diese Haltung hat bei einer kleinen Gruppe eine überlegene Haltung und bei der Mehrzahl der Deutschen ein Minderwertigkeitsgefühl entwickelt, das jene Unterwürfigkeit und jenen Mangel an Selbstbestimmung möglich machte, auf dem das autoritäre Führerprinzip gedieh."8

Nun muss man heute nicht gleich drohenden totalitären Geist beschwören, aber erstaunlich ist das unbeirrbare deutsche Beharren auf der frühen Auslese schon. Denn anstatt weiterhin Kinder viel zu früh in gute und schlechte Schüler zu unterteilen, wäre es angeraten, so viele wie möglich zu einem qualifizierten Schulabschluss zu bringen. Und um dies zu erreichen, müssen Kinder so lange wie möglich zusammen lernen - das zeigen die auf kooperatives Lernen ausgerichteten Gemeinschaftsschulen in Finnland ebenso wie die eher aufs Pauken abzielenden Schulen Südkoreas.

Zwar wird hierzulande neuerdings verstärkt über die Abschaffung der Hauptschule diskutiert, deren Absolventen kaum noch Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, doch an der frühzeitigen Aufteilung der Schüler - die einen aufs Gymnasium, die anderen auf die Schule für den "Rest" - soll sich beispielsweise weder in Hamburg noch in Rheinland-Pfalz oder Schleswig- Holstein etwas ändern. Es sind vor allem die Gymnasien, die sich vehement einer Öffnung widersetzen. So auch in Berlin, wo der rot-rote Senat mit einer Pilotphase in die Schaffung von Gemeinschaftsschulen von der ersten Klasse bis zum Abitur einsteigen will: Unter den Bewerbern finden sich alle Schultypen - bis auf das Gymnasium. So wird der eigene Bildungsvorsprung auf Kosten jener verteidigt, die keinen bildungsbürgerlichen Hintergrund haben.

Der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann hat jüngst eindringlich gezeigt, wie sich die bundesdeutsche Elite weiterhin und - das ist das Erschreckende - seit einigen Jahren wieder verstärkt aus sich selbst reproduziert. Ganz offenbar hat sie kein Interesse daran, die Konkurrenz für die eigenen Kinder durch eine durchlässigere Bildungspolitik in Schulen und Hochschulen zu erhöhen.9

Es ist also nicht sehr erstaunlich, dass der nach jeder Pisa-Studie aufkommenden medialen Empörung über die Ungerechtigkeiten des bundesdeutschen Bildungssystems kaum nachhaltige Politikentscheidungen folgen. So bleibt es bis auf weiteres dabei, dass Kinder aufgrund ihrer sozialen Voraussetzungen mit ungleichen Chancen in ihre Bildungskarriere starten und die Gesellschaft sich kaum mehr um einen Ausgleich kümmert.
Förderung der Leselust

Vielmehr sorgen nicht zuletzt die jüngeren Sozialreformen für eine weitere Verschärfung: So sieht der Hartz-IVRegelsatz beispielsweise 2,72 Euro pro Tag für die Verpflegung von Kindern vor. Das Schulessen kostet, sofern es überhaupt eine Kantine gibt, jedoch oft bereits zwei Euro. Da wundert es nicht, dass heute viele Kinder hungrig dem Unterricht folgen. Und während Kinder aus gutsituiertem Hause sich auch in ihrer Freizeit musikalisch, sportlich oder auf andere Weise bilden, bleibt dies Kindern aus armen Elternhäusern oft versagt. Und wenn pauschal im Jahr lediglich 9,10 Euro für Spielzeug zur Verfügung stehen, dann liegt auf der Hand, dass selbst der Wunsch nach einer Kinderzeitschrift, einem Comic- Heft oder dem neuesten Harry-Potter- Band kaum zu erfüllen ist. Das ist umso dramatischer, als gerade die Möglichkeit zum und die Lust am Lesen großen Einfluss auf den Bildungserfolg hat: "Jedenfalls korreliert nichts so eng mit guten Pisa-Werten wie die Lesefreude und die Menge von Lesestoff im Haushalt." 10

Wenn Bücher in Familien nicht zur Verfügung stehen, sei es aus finanziellen Gründen oder auch aus elterlichem Desinteresse, dann muss die Gesellschaft ein umso größeres Interesse daran haben, diesen Mangel zu kompensieren - schon um den steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Absolventen zu decken. Daher müssen die Schulen in die Lage versetzt werden, dafür zu sorgen, dass alle Kinder bereits ab der ersten Klasse eine Bibliothek kennenund zu nutzen lernen. Und die Kommunen müssen die Möglichkeit behalten, flächendeckend Bibliotheken bzw., in ländlichen Räumen, Bibliotheksbusse zu unterhalten.

So sehr sich der Forschungsstandort Deutschland über die neuen Eliteunis freuen mag, er sollte nicht aus den Augen verlieren, dass die Grundlage für erfolgreiche Forscherinnen und Forscher in der Kinderzeit gelegt wird. Deshalb kann man nicht früh genug damit beginnen, alle Kinder in ihrem Lerneifer zu unterstützen und zu fördern. Dafür jedoch bräuchten auch die Schulen und Kindergärten endlich ein immerwährendes Exzellenz-Programm.
1 Vgl. www.dfg.de/forschungsfoerderung/koordinierte_ programme/exzellenzinitiative.
Vgl. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und freier zusammenschluss von student- Innenschaften (fzs), Die Einführung von Studiengebühren und der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt), Berlin 2007, S. 16 ff.
Vgl. zur aktuellen Situation der Hochschulen auch Heiner Keupp, Unternehmen Universität. Vom Elfenbeinturm zum Eventmarketing, in: "Blätter", 10/2007, S. 1189-1198 sowie Martin Kutscha und Olaf Winkel, Vermarktung des Geistes. Anmerkungen zur Hochschulreform, in: "Blätter", 11/2006, S. 1350-1361.
4 Insgesamt erhalten rund ein Viertel aller Studierenden Bafög.
5 Vgl. OECD, Bildung auf einen Blick, September 2006, S. 7.
6 Vgl. exemplarisch Wilfried Bos, Eva-Maria Lankes, Manfred Prenzel u.a. (Hg.), IGLU. Einige Länder der Bundesrepublik Deutschland im nationalen und internationalen Vergleich, 2004; Grundschulverband (Hg.), Sind Noten nützlich - und nötig? Zifferzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich, Frankfurt 2006.
7 World Vision-Kinderstudie, Kurzfassung S. 4, www.worldvisionkinderstudie.de.
8 Direktive 54 des Alliierten Kontrollrates vom 25. Juni 1947, zit. nach Reinhard Kahl, Ohne Stolz geht es nicht, "Die Zeit",14/2007.
9 Vgl. Michael Hartmann, Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich. Frankfurt a. M. 2007 sowie ders., Der Mythos von den Leistungseliten, Frankfurt a.M. 2002.
10 Reinhard Kahl, Immer diese Finnen, "Die Zeit", 34/2007; vgl. auch den Beitrag von Christoph Butterwegge in dieser Ausgabe.