Einbürgerung nur auf Probe?

Bundesverfassungsgericht schwächt die Position von Eingebürgerten

in (23.10.2007)

Vier Jahre lang klagte ein gebürtiger Nigerianer erfolglos gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung. Der Instanzengang nahm Mai 2006 mit der Ablehnung der Verfassungsbeschwerde ein folgenreiches End

Das Verfahren offenbart einmal mehr den untragbaren Zustand der Rechtsunsicherheit von eingebürgerten Personen. Dies erkannte schon das Preußische Oberverwaltungsgericht im Jahre 1886 und entschied, dass durch Täuschung erwirkte Einbürgerungen nicht zurückgenommen werden können. Anders das Bundesverfassungsgericht, das die Rücknahme von Einbürgerungen nicht nur grundsätzlich zulässt, sondern sie auch weitestgehend dem behördlichen Ermessen überlassen will, ohne dass für dessen Ausübung spezielle normative Richtlinien existieren. Ausgangspunkt für eine erneute Diskussion um das deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz war die Verfassungsbeschwerde eines eingebürgerten Nigerianers. Er hatte im Jahre 1999 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt. Unter Vorlage einer fälschlicherweise auf seinen Namen ausgestellten Lohnabrechnung bescheinigte er, für seinen Unterhalt und den seiner Familie aufkommen zu können. Anfang 2000 wurde ihm nach Aufgabe der nigerianischen Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. Wenig später wurde gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 120 Fällen eingeleitet. Hierbei stellte sich die falsche Angabe über das Arbeitsverhältnis heraus, woraufhin die Einbürgerung von der zuständigen baden-württembergischen Behörde rückwirkend zurückgenommen wurde. Im Mai 2006 hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsmäßigkeit der Rücknahme der Einbürgerung positiv befunden.1 Die Entscheidung fiel jedoch denkbar knapp aus. Nur aufgrund von Stimmengleichheit konnte kein Verstoß gegen das Grundgesetz festgestellt werden. Der gebürtige Nigerianer ist kein Einzelfall. Seit 2002 wurde bei immerhin 84 Personen die Einbürgerung wegen arglistiger Täuschungen rückgängig gemacht. Tendenz steigend. Meist machten die Antragsteller falsche Angaben über ihre Identität, über Verwandtschaftsverhältnisse oder sie verschwiegen Strafverfahren. Nie zuvor wurde jedoch das BVerfG angerufen, um über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme zu entscheiden.

Ausdrücklicher Schutz vor Staatenlosigkeit

Im Mittelpunkt des umstrittenen Urteils stand die Frage, ob § 48 des Landes-Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) generell als Ermächtigungsgrundlage den Bestimmungen des Art. 16 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Rechnung trägt. Kritikwürdig ist jedoch schon die unzulängliche Berücksichtigung der Staatenlosigkeit als Folge der konkreten Rücknahme der Einbürgerung. Da Staatenlose bezug- und schutzlos sind, ist jeder Staat völkerrechtlich verpflichtet, in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen Schutz zu gewähren. Ferner sehen die völkerrechtlichen Übereinkommen vor, dass das Staatsbürgerschaftsrecht so auszugestalten ist, dass ein Entzug der Staatsbürgerschaft nicht stattfindet und dass Staatenlosigkeit so weit als möglich vermieden wird. Die von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten völkerrechtlichen Abkommen zur Bekämpfung der Staatenlosigkeit nehmen aber ausdrücklich oder implizit Staatenlosigkeit in Kauf, sofern die Einbürgerung erschlichen wurde.2 Im Anschluss an Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, der eine "Entziehung" der deutschen Staatsangehörigkeit generell untersagt, verbietet allerdings Satz 2 der Vorschrift den Verlust der Staatsangehörigkeit absolut, wenn damit Staatenlosigkeit eintritt. Diesen verbürgten Schutz relativiert das BVerfG im Widerspruch zum Wortlaut jedoch radikal, indem es nur die "wohlerworbene" Staatsangehörigkeit dem Schutz des Art. 16 Abs. 1 GG unterstellt. Es handele sich lediglich um einen "überschießenden Wortlaut", mit dem sich der Verfassungsgeber von der nationalsozialistischen Ausbürgerungspolitik abgrenzen wollte. Der Schutz der rechtswidrigen Einbürgerung sei daher "deutlich außerhalb des Sinnes und Zweckes der Norm". Dabei berücksichtigt das BVerfG die überragende Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Betroffenen nur marginal: Sie begründet besondere Schutz- und Anspruchsrechte gegen den Staat sowie Teilhaberechte am Staatsleben. Deutsche Staatsangehörige haben Anspruch auf konsularischen Schutz im Ausland und bestimmte Sozialleistungen. Sie genießen Reisefreiheit und Freizügigkeit innerhalb der EU, da die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Unionsbürgerschaft ergänzt wird (Art. 17 ff. EG-Vertrag). Angesichts dieses übergreifenden Rechtsstatus' ist der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Rücknahme eine extrem harte Sanktion für Täuschungen im Einbürgerungsverfahren, die durchaus nicht alternativ los ist.

Die Verwaltung gibt sich Recht

Hält man die Rücknahme von Einbürgerungen trotz dieser Argumente für verfassungsrechtlich möglich, fehlt aber die erforderliche gesetzliche Grundlage. Die "Staatsbürgerschaft im Bunde" (!) ist naturgemäß Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz desselben. Die Länder könnten nur dann Befugnis zur Gesetzgebung haben, wenn und soweit ein Bundesgesetz sie hierzu ausdrücklich ermächtigt. Auf den von der Behörde angewendeten § 48 Landes-VwVfG kann also nur dann zurückgegriffen werden, wenn der Bundesgesetzgeber im Bundes-Verwaltungsverfahrensgesetz diesen Weg eröffnet hätte. Das ist jedoch, wie auch die vier die Entscheidung nicht tragenden RichterInnen darlegten, nicht der Fall. Darüber hinaus wurden bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes von 1999 gerade keine Bestimmungen zu weiteren Verlustgründen und zur Anwendung des allgemeinen Verwaltungsrechts bei Rücknahmeentscheidungen in das Staatsangehörigkeitsgesetz aufgenommen, obwohl die Frage der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen seit Jahren umstritten ist. Dies führte zu der weit verbreiteten Annahme, dass die Regelungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes als abschließend zu betrachten sind. So entschied das Berliner Verwaltungsgericht, dass Einbürgerungen wegen fehlender Rechtsgrundlage selbst dann nicht zurückgenommen werden können, wenn sie durch Täuschung arglistig erschlichen wurden.3 Das Gericht wies ferner daraufhin, dass "es rechtspolitisch geboten sein [möge], eine durch Täuschung erlangte Einbürgerung zurücknehmen zu können. Angesichts der Bedeutung der Einbürgerung und ihrer Rücknahme obliege es jedoch dem Gesetzgeber zu bestimmen, in welchen Fällen, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Fristen eine Rücknahme zulässig sein solle".

"Ein völlig unsicherer und prekärer Zustand"

In dieser Urteilsbegründung wurden nur einige wenige ungeklärte Fragen aufgezählt, die mit der Rücknahme einer Einbürgerung gestützt auf § 48 VwVfG in Verbindung stehen. Bedenkt man, dass die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ausgesprochen werden kann, ergeben sich unüberschaubare Folgen, die auch Rechtsbeziehungen zu Dritten betreffen können. Im Hinblick auf die zahlreichen bedeutenden Folgewirkungen hatte bereits das Preußische Oberverwaltungsgericht im Jahre 1886 entschieden, dass einmal vollzogene Einbürgerungen auch dann nicht zurückgenommen werden können, wenn sie durch Täuschung erlangt worden seien. An diesem "völlig unsicheren und prekären Zustand"4 für alle eingebürgerten Personen hat sich nichts Wesentliches geändert. § 48 VwVfG ist eine allgemeine Regelung für die Rücknahme aller Arten von rechtswidrigen Verwaltungsakten, die in keiner Weise in der Lage ist, die offenen Fragen im Zusammenhang mit der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen normativ zu beantworten. Denn einziger Maßstab der Entscheidung ist das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), das dem durch den Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes begründeten Vertrauen des Begünstigten entgegen gehalten wird. Dieses allgemeine Abwägungsprogramm wird der Besonderheit der Materie nicht gerecht. Eine Konkretisierung der Rücknahmemöglichkeit in zeitlicher und sachlicher Hinsicht wird daher unbedingt erforderlich, wenn man sich des in Art. 16 Abs. 1 GG verankerten besonderen Stabilitätsanliegens und des damit verbürgten erhöhten Vertrauensschutzes erinnert. Die Rechtssicherheit gebietet es geradezu, bei Fragen der Staatsangehörigkeit der Verwaltung genaue gesetzliche Vorgaben zu machen und damit die erforderliche grundrechtsspezifische Entscheidung zu treffen.

Auftrag an den parlamentarischen Gesetzgeber

Zumindest für bestimmte Fallkonstellationen hat dies auch das BVerfG dem Gesetzgeber mit auf dem Weg gegeben. Sofern die Staatsangehörigkeit Dritter mit betroffen ist, die sich keines Fehlverhaltens schuldig gemacht haben, bedürfe es einer Antwort des Gesetzgebers. Hier wird die ganze Reichweite einer Rücknahmeentscheidung deutlich: Wie beeinflusst die Rücknahme der Einbürgerung die Staatsangehörigkeit der miteingebürgerten Kinder? Nach jetziger Rechtslage ist allein das eigene Vertrauen auf den Bestand der Staatsangehörigkeit von Bedeutung, welches bei jungen Kindern üblicherweise nicht vorhanden ist. Diese Grenzziehung ist haarsträubend! Das Ausreichen der Ermächtigungsgrundlage soll allein von den Umständen des konkreten Einzelfalles abhängen. Dieser Ansatz steht diametral zum allgemeinen Bedürfnis nach Rechtssicherheit und zum erhöhten Vertrauensschutz des Betroffenen einer Rücknahme der Einbürgerung. Ferner ist nicht zu übersehen, dass ohne gesetzliche Regelung die Rücknahmeentscheidung einen strafenden Charakter anzunehmen droht. Diese Gefahr lässt zumindest eine Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung befürchten. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung überwiege das Schutzinteresse des Betroffenen, nicht weil dieser die Einbürgerung erschlichen habe, sondern weil "massiver Rauschgifthandel anstelle der vorgetäuschten Erwerbstätigkeit" den Hintergrund der Tatumstände bildete. Sofern man die Rücknahme rechtswidrig erwirkter Einbürgerungsentscheidungen überhaupt für rechtspolitisch erforderlich erachtet, müssen dem vom Gesetzgeber enge Grenzen gesetzt werden. Nur so erfährt die Staatsangehörigkeit den Schutz, den ihr das Grundgesetz ausdrücklich beimisst. Anja Hauth studiert Jura und lebt zur Zeit in Grenoble. 1 BVerfG, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2006, 807. 2 Vgl. Art. 8 Übereinkommen zur Vermeidung der Staatenlosigkeit; Art. 7 Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit und Art. 13 UN-Menschenrechtserklärung. 3 VG Berlin, Urteil v. 18.3.2003, Aktenzeichen 2 A 203.01 und 46.02. 4 Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (PrOVGE), Band 13, 408, 418.