Haut den Lafo?

Seltsames geschieht dieser Tage in der Partei DIE LINKE: Gerade erst hat sie sich als Zusammenschluß aus Linkspartei.PDS und WASG unter diesem Namen konstituiert, da hebt ein großes Getrommel an geg

den, ohne den das alles so nicht gekommen wäre und der daher auch mit großen Mehrheiten zum Ko-Vorsitzenden sowohl der Partei als auch der Fraktion im Bundestag gewählt worden ist: gegen Oskar Lafontaine. Und lang ist die Reihe derer, die da mit Vehemenz die Trommelstöcke gegen ihren Vorsitzenden schwingen. Der Europaabgeordnete André Brie hat den Rhythmus vorgegeben, die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert, die parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Dagmar Enkelmann und die frauenpolitische Sprecherin Kirsten Tackmann haben ihn aufgenommen, der Berliner Landesvorsitzende, Klaus Lederer, und der Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, sind kräftig eingestiegen.

Und worum geht es? Um Inhalte? Man mag es nicht glauben. Gibt es wirklich deswegen Krach, weil Christa Müller, Lafontaines Ehefrau, eine andere Familienpolitik vertritt, als es Parteilinie ist? Ach Gott, da dürfte es die Partei ja überhaupt nicht geben, denn was, bitte, ist denn das - diese Parteilinie? Der restlose Verkauf kommunalen Wohnungseigentums, wie in Dresden geschehen? Der Ausstieg aus bundesweiten Tarifgemeinschaften, wie in Berlin vollzogen? Das ist noch allemal mit Verweis auf regionale Besonderheiten, Souveränität von Landesverbänden und Beschwörung des Pluralismus in der Partei "bewältigt" worden. Und wo ansonsten ließe sich eine Parteilinie finden? In der Bildungspolitik? Bei der Braunkohle? Beim Setzen eines Tempolimits auf Autobahnen? Bei der Gentechnik? Bei Großflughäfen? Oder Biosprit? Wer genau hinschaut, merkt: fast nirgends. Bewegung, Suche, Debatte und Streit allüberall. Wie denn auch nicht.

Warum also plötzlich die Aufregung wegen einer Saarländerin, die anders denkt? Warum die absurden Entgleisungen von Frauen, die eben noch völlig zu Recht auf die Eigenständigkeit und Gleichberechtigung von jeder und jedem pochten und plötzlich von ihrem Vorsitzenden verlangen, er möge seine Frau zurückpfeifen?

"Werte, die wir im Osten seit 1990 erkämpft haben, werden aufs Spiel gesetzt, um im Westen auf Stimmenfang zu gehen. Das ist nicht zu akzeptieren", empört sich Wulf Gallert mit Blick auf "die Positionierung der Saar-Linken in der Familienpolitik" am 16. August im Tagesspiegel. Nun könnte man etwas Inhaltliches versuchen und fragen: Was meint er wohl? Ist das Ja der PDS zur Berufstätigkeit der Frau und zu den Kinderkrippen tatsächlich ein "Wert", der "seit 1990 erkämpft" worden ist? Oder stammt dieses Ja nicht viel eher aus der Zeit zuvor, ist es nicht das Resultat einer typischen DDR-Erfahrung, die in die programmatischen Überlegungen der Nach-Wende-Zeit einfloß und sich seither unter rasant sich verändernden und - wie jüngst ein kluger Gewerkschafter formulierte - "nanofein" ausdifferenzierenden Lebensbedingungen immer wieder neu bewähren muß? Und weil das so ist - könnte man fortsetzen -, müßte es doch möglich sein, daß im Saarland anders gedacht wird als in Sachsen-Anhalt. Zumal der nie verstummende Appell, wonach die Wessis die Lebensgeschichten und die daraus erwachsenden Weltbilder der Ossis ernstnehmen müssen, doch wohl auch in umgekehrter Richtung zu gelten hat?

Aber das ist es ja eben nicht, worum es eigentlich geht, denn das wäre normale Parteidebatte. Worum es eigentlich geht, ist das Wort "Stimmenfang", mit dem Gallert die Arbeit seines Vorsitzenden "denunziert". Das, so sollte man meinen, ist unüblich unter Parteigenossen. Aber in der LINKEN offensichtlich nicht. Denn Lederer bewegt sich auf gleichem Niveau. "Man muß aufpassen, daß man nicht den eigenen Heilsversprechen glaubt. Das ist ein Grundirrtum - daß man anfängt, sich in den eigenen Zuspitzungen zu verfangen", glaubt er seinem Vorsitzenden in der Berliner Zeitung vom 17. August ins Stammbuch schreiben zu müssen.

Merken die nichts? Wirklich nicht? Daß sie sich nicht nur den Zeitpunkt ihrer Attacken auf Lafontaine von den Meinungsmachern haben vorschreiben lassen, sondern auch die Wortwahl? Daß sie also haargenau in jene Kerbe hauen, an der sich die Meinungsmacher dieses Landes schon seit Monaten in seltener Einhelligkeit nach Kräften abarbeiten? Mit der unverhohlen verkündeten knallharten Strategie, Lafontaine zum Hauptfeind alles Richtigen und Guten schlechthin zu erklären?

Das ist ein verdammt eigenartiger Start in die neue Partei: nach der Haut-den-Lukas-Methode, bei der es übel nach Machtkampf riecht, über den Vorsitzenden herzufallen. Und er stellt den Akteurinnen und Akteuren dieses Spiels ein verdammt schlechtes Zeugnis aus. Warum haben sie sich denn eingelassen auf ihn, damals, im Sommer 2005, wenn er so ist, wie sie jetzt in jede Feder diktieren, daß er ist? Ach, richtig: Damals war die PDS ohne alle Chancen gewesen, wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag zu gelangen. Da war ihnen der "Stimmenfänger" und "heilsversprechende Zuspitzer" gerade recht gekommen - nach all den Stimmenverlusten, die man im Osten erlitten hatte, und den mißlungenen Versuchen, im Westen wenigstens an der Zwei-Prozent-Marke zu schnuppern. Und sogar den Absturz um neun Prozentpunkte bei den Wahlen in Berlin im Herbst 2006 hat er vergessen machen können im Bewußtsein der gesamtdeutschen Wählerschaft - der, der jetzt geprügelt wird zum Beispiel von dem, der als Berliner Landesvorsitzender entscheidende Verantwortung für eben diesen Absturz trug und trotzdem fröhlich im Amt geblieben ist.

Sozialismus ist vor allem anderen eine Kulturfrage. Ein ganzer Zirkel von Führungskräften der PDS.Linkspartei.Die LINKEN ist gerade dabei, den Beweis dafür anzutreten, daß er genau dies nicht begriffen hat.

in:
Des Blättchens 10. Jahrgang (X) Berlin, 3. September 2007, Heft 18

aus dem Inhalt:
Sibylle Sechtem: Haut den Lafo?; Erhard Crome: Angeeignete Voraussetzungen; Günter Krone: Hänselfrage; Heerke Hummel: Was treibt China?; Andrzej Wajda, Warszawa: Katyn - post mortem; Klaus Hart, São Paulo: Indio-Realitäten; Wolfram Adolphi: Wahrheiten vom Flohmarkt; Hermann-Peter Eberlein: Zuflucht Saloniki; Ove Lieh: Eine Rose unter den Broten; Renate Hoffmann. Berlin schwelgt französisch; Kai Agthe: Anarcho-Clown als Theaterleiter; Liesel Markowski: Opernstarkult; Klaus Hammer: Fünf Finger einer Hand