Daddy’s little girl

in (29.08.2007)

In Amerika zeichnet sich ein immer stärker werdender Trend in der "Keuschheits-Bewegung" ab: Auf "Reinheitsbällen" geloben junge Mädchen ihren Vätern feierlich, als Jungfrauen in die Ehe zu gehen

"Ich, (Name der Tochter)s Vater, schwöre vor Gott, die Reinheit meiner Tochter zu schützen. Ich werde in meinem eigenen Leben als Mann, Ehemann und Vater rein sein. Ich werde in der Funktion als Hohepriester meiner Familie, in der ich sie führen, lenken und für sie beten werde, ein verantwortlicher und rechtschaffender Mann sein." Dieses Gelöbnis, das die Väter auf einem Reinheitsball leisten müssen, ist einer der Höhepunkte dieser Bälle. "Die Töchter geben ein stilles Versprechen vor Gott ab, bis zur Hochzeit rein zu bleiben", ist auf der Homepage von Lisa und Randy Wilson der Part der Mädchen beschrieben, "indem sie schweigend eine weiße Rose vor einem Kreuz niederlegen". Die Wilsons haben 1998 den ersten Reinheitsball veranstaltetet. Um das Versprechen auch dauerhaft sichtbar zu machen, bekommen die Töchter im Laufe der Zeremonie von ihren Vätern einen so genannten "Reinheitsring" oder ein "Reinheitsarmband" geschenkt.
Dutzende dieser "Vater-Tochter-Reinheitsbälle" finden jedes Jahr, vor allem im Süden und Mittelwesten der USA, von Tuscon über Peoria bis New Orleans, statt. Die Bälle sind Teil der evangelikalen christlichen Bewegung und spiegeln eine ihrer Schlüsseldoktrinen wider: Die Abstinenz bis zur Ehe. Tausende von Mädchen haben in den letzten Jahren das Gelübde abgelegt, bis zur Ehe keusch zu bleiben. Die Idee der Reinheitsbälle findet augenscheinlich immer mehr Anklang: wurden im Jahr 2006 1.400 solcher Feste veranstaltet, werden für 2007 bereits doppelt so viele Bälle erwartet.

Abstinenz. Der Erfolg dieser Veranstaltungen lässt sich unter anderem auch auf den Einsatz der Bush-Regierung für Abstinenz-Bewegungen zurückführen. Die amerikanische Regierung hat die finanzielle Unterstützung für solche Initiativen in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Im Jahr 1996 stellte der Kongress nach einem Lobbying der christlichen Rechten fast eine halbe Million Dollar für Abstinenz-Programme zur Verfügung. Die Bälle sind also nur der letzte Trend der nationalen Abstinenzbewegung, die sich bereits in den 1980ern formierte. Christliche Gemeinden gründeten die Initiativen vorgeblich als Reaktion auf die rasche Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Verhütungsmittel wie etwa Kondome, die vor solchen Krankheiten schützen können, werden in den Kampagnen jedoch meist nicht einmal erwähnt.
Doch warum sind es eigentlich nur Mädchen, die diese Gelöbnisse vor ihren Vätern ablegen? Ist das nicht Ausdruck patriarchaler Strukturen, in denen nur die Mädchen beziehungsweise jungen Frauen bis zur Ehe "rein" bleiben müssen, während junge Männer ihre Sexualität ungehindert ausleben dürfen?
Gegen diesen Vorwurf der Doppelmoral, der von KritikerInnen solcher Bälle oft erhoben wird, wehrt sich Ashley Ellingson, Projektkoordinatorin beim "Arizona Baptist ChildrenÂ’s Service", entschieden. Ellingson, deren Organisation dieses Jahr bereits den fünften Reinheitsball veranstaltet, erklärt: "Es gibt deswegen keine solchen Veranstaltungen für Burschen, da dreizehnjährige Jungs (das ist unser Durchschnittsalter bei den Mädchen) sich kaum dafür interessieren, auf einen Ball zu gehen und sich hübsch anzuziehen. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Idee der Reinheit und sexuellen Abstinenz für Mädchen und Buben genau die gleiche sein sollte und ich würde eine Feier, die junge Männer dazu ermutigt, auch solch ein Gelübde abzulegen, absolut unterstützen. Diese Bälle sind für Mädchen aber eben etwas ganz Besonderes, weil sie sich gerne herausputzen, Diademe tragen und es genießen, sich wie eine Prinzessin zu fühlen."

Aufgabenteilung. Eine Aussage, die viel über die angestrebte, geschlechtliche Aufgabenverteilung der Ballbegeisterten verrät: Mädchen haben hübsch zu sein. Junge Männer hingegen widmen sich anderen Dingen, um später "Hohepriester" ihrer Familie zu werden. Lisa Wilson, Mutter von sieben Kindern, präzisiert dieses Weiblichkeitsideal. Sie sieht die Bälle als Möglichkeit für "die Mädchen, in all das hineinzuwachsen, was ihre Weiblichkeit ausmacht: ihre Schönheit, ihr Kleidung und ihr Make-up". Auch die Werbung für einen Reinheitsball bestätigt diese konservative Rollenverteilung: "Lasst uns die Schönheit unsere Töchter und die Ehre ihrer Väter feiern."
Dem Vorwurf, dass den jungen Mädchen die Selbstbestimmung über ihre Sexualität verwehrt und den Männern, in diesem Fall dem Vater (bis zum Erscheinen des Ehemannes), überantwortet wird, begegnet Ellingson mit dem Verweis auf die freie Entscheidung für das Gelübde: "Bei der Entscheidung bis zur Ehe Jungfrau zu bleiben, geht es nicht um eine Unterdrückung der weiblichen Sexualität durch Männer beziehungsweise Väter. Es geht darum, dass die Mädchen erkennen, dass sie wertvoll sind und sich nicht an jeden dahergelaufenen Jim oder Jo hingeben müssen, um Liebe zu empfangen. Es geht bei diesen Bällen vielmehr darum, dass die Teilnehmerinnen ihre eigene Sexualität kontrollieren, sie beschützen und aufheben. Die Väter wollen ihre Töchter nicht kontrollieren, sondern sie dazu ermutigen, bis zur Hochzeit in Reinheit zu leben. Die Mädchen, die an den Bällen teilnehmen und ihre Reinheit geloben, tun das, weil sie es wollen und nicht, weil sie dazu gezwungen werden."

Ahnungslos. Eine Einschätzung, die nicht alleine durch das zarte Alter der Teilnehmerinnen, sondern überdies auch durch einen Bericht des amerikanischen Frauenmagazins "Glamour" eindeutig widerlegt wird. Ihm zufolge haben zumindest einige der Mädchen nicht die geringste Ahnung, was mit dem Begriff "Reinheit" eigentlich gemeint ist. "Ich weiß es nicht" zitiert die Autorin, die an einem dieser Bälle teilnahm, die Antwort der fünfzehnjährigen Hannah auf die Frage nach seiner Bedeutung.
Angesichts dieser Unwissenheit ist es nicht verwunderlich, dass 88 Prozent aller Teenager, die das Reinheitsversprechen geben, schließlich doch Sex vor der Ehe haben. Außerdem haben sie öfter Oral- und Analsex als Jugendliche, die kein Keuschheitsgelübde ablegten. Die Zahlen stammen aus einer Studie der Columbia- und der Yale Universität, die mit 12.000 Teenagern durchgeführt wurde. Ein weiteres, erschreckendes Ergebnis: Jugendliche, die ein solches Gelöbnis geleistet haben, verwenden seltener Kondome als die übrigen. Der Grund dafür ist, dass der Besitz eines Kondoms bereits als Vorsatz interpretiert wird, Sex zu haben. Wenn die Jugendlichen dagegen im "Rausch der Gefühle" miteinander schlafen, wird dies weniger streng beurteilt.
"88 Prozent - dann sollten wir wohl aufgeben?" ist die viel versprechende Reaktion Ellingsons auf die Konfrontation der an.schläge mit den Ergebnissen der Studie. "Aber auf diesen Bällen geht es schließlich nicht um Statistiken."
Sondern zum Beispiel um Geld. Neben einer beängstigenden ideologischen Größe sind die Bälle inzwischen zunehmend auch zu einer wirtschaftlichen geworden. Unternehmen wie Wal-Mart oder McDonalds sponsern die Veranstaltungen. Außerdem blüht das Geschäft mit Reinheitsringen und Armbändern. Gibt man in die Suchmaschine "Google" den Begriff "Purity Ring" ein, erscheinen zahlreiche Angebote solcher Schmuckstücke. Umgerechnet knapp 300 Euro kostet ein Exemplar eines Reinheitsrings beispielsweise. Geziert wird der Ring übrigens von drei Diamanten, die außer dem Glauben und der für den zukünftigen Ehemann reservierten Liebe auch den Respekt sich selbst gegenüber symbolisieren sollen.
Fragt sich nur, warum der Respekt, den die Mädchen sich selbst gegenüber empfinden sollen, auf der Existenz eines Jungfernhäutchens beruhen muss?
Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at