Hans Schmitz (14.5.1914 - 22.3.2007)

Ein Nachruf

Mit Hans Schmitz starb einer der letzten Anarchosyndikalisten, die die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus erlebt und erlitten hatten.

Ulrich Klan und ich lernten Hans 1983 im Hause seiner Genossen Gustav und Hedwig Krüschedt aus der Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) kennen. Aus diesem ersten Kontakt entwickelte sich eine bis zu seinem Tod andauernde freundschaftliche Beziehung.
1983 hatten wir und Hans nicht gedacht, dass wir seinen 90. Geburtstag samt Bürgermeister in der Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal feiern würden.
"Umsonst is dat nie". Mit dieser lakonischen Bemerkung fasste Hans seine Verfolgung im "Dritten Reich" zusammen. Er hatte schon als Kind erfahren, dass der Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung nicht "umsonst" zu haben ist und diese Erkenntnis prägte sein Leben.
Sein Vater, Hans Schmitz sen., war einer der führenden Aktivisten der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) in Elberfeld. Zeitgenossen schilderten ihn als einen begnadeten Redner, der einen großen Einfluss auf den radikalen Teil des Wuppertaler Proletariats hatte. Nachdem er während der Inflation zur "Beschlagnahmung aller Lebensmittel für das Volk durch das Volk" aufgerufen hatte und es im Anschluss zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war, floh er 1923 und kehrte erst nach einer Amnestie 1925 zurück.
Hans Schmitz sen. war nicht nur ein militanter Syndikalist, sondern ebenso aktiv in den proletarischen Kulturorganisationen: in der Freidenkerbewegung, in der Freien Schulgesellschaft, in der FKK- und der Sexualreformbewegung. Seine Mutter, Sophie Schmitz, war keine Anarchistin, sondern gehörte einer religiösen Sekte an, was sie aber nicht davon abhielt, als "Engelmacherin" zu arbeiten, wie Hans es später ausdrückte.
In dieser proletarischen Gegenkultur wuchs Hans auf. Schon als Kind gehörte er anarchistischen Kindergruppen an, 1928/29 wurde er Mitglied der SAJD. Trotz der prekären ökonomischen Situation - der Vater stand auf der Schwarzen Liste und erhielt nur Gelegenheitsjobs als Bauarbeiter - machte Hans eine Ausbildung als Dreher. Nach seiner Gesellenprüfung 1931 wurde er arbeitslos, wie fast alle seiner Genossen und wenigen Genossinnen in der SAJD.
Der Glaube an das anarchistische Ideal, der gemeinsame Kampf gegen die in Wuppertal besonders brutale Nazibewegung sowie die gemeinsamen politischen und kulturellen Aktivitäten - 1931 führten sie das Theaterstück "Staatsraison" von Erich Mühsam auf - schweißten die jungen AnarchistInnen in den Jahren 1931/32 fest zusammen.
Die Wuppertaler AnarchosyndikalistInnen hatten 1933 vergeblich auf einen Generalstreik gegen die Nazi-Regierung gehofft. Der alte Hermann Steinacker, der seine ersten politischen Erfahrungen während des Sozialistengesetzes machte und der Mentor der jungen AnarchistInnen war, versuchte vergeblich in persönlichen Gesprächen, andere Arbeiterorganisationen für Aktionen zu gewinnen.
Nach dem Reichstagsbrand wurden die ersten Genossen verhaftet: Im März 1933 die drei Brüder Benner und Helmut Kirschey, der nach seiner KZ-Haft in die Niederlande emigrierte und dann in Spanien kämpfte.
Neben der Unterstützung der Familienangehörigen der Inhaftierten produzierte die Gruppe antifaschistisches Propagandamaterial und war in das illegale Netzwerk der FAUD eingebunden. Zusammen mit Herman Steinacker und zwei weiteren Genossen wurde Hans im Oktober 1934 verhaftet. Steinacker und der Jugendgenosse Hans Saure wurden zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, Hans hatte "Glück" und wurde nach drei Tagen entlassen. Unmittelbar nach ihrer Haftentlassung begannen Steinacker und Saure wieder mit der illegalen Arbeit. Sie sammelten Gelder für die GenossInnen in Spanien. Hans war als Kurier zu den Düsseldorfer GenossInnen in diese Arbeit miteinbezogen.
Im Dezember zerschlug die Gestapo das illegale Netzwerk der rheinischen AnarchosyndikalistInnen und verhaftete Hans am 1. April1937 auf seiner Arbeitsstelle.
Die Gestapo in Düsseldorf leitete die Ermittlungen.
Hans wurde von den Schergen schwer misshandelt.
Es folgte eine Verurteilung zu zwei Jahren Zuchthaus, die er in Herford verbüßte.
Nach seiner Entlassung lernte er 1939 auf seiner Arbeitsstelle "Geier" kennen, einen der führenden Wuppertaler Edelweißpiraten. Fortan verbrachten er und drei weitere Genossen der SAJD ihre Wochenenden mit den Edelweißpiraten am Rhein und den Talsperren des Bergischen Landes. Für einen ehemaligen "Zuchthäusler" wie Hans war dies nicht ganz ungefährlich, denn es kam regelmäßig zu Auseinandersetzungen mit dem HJ-Streifendienst. Bei einer solchen Auseinandersetzung hatte er 1935 seine spätere Frau kennen gelernt, die einer katholischen Jugendgruppe, den "Düssel-Piraten", angehörte, die den Wuppertaler SAJD-lern zur Hilfe geeilt waren. 1941 traf er Gertrud zufällig wieder am Rhein in Niederlahnstein.
Unmittelbar nach seiner Hochzeit wurde er im Mai 1942 zur Wehrmacht gepresst. Durch Selbstverstümmelung entging er dem Einsatz an der Ostfront. Als ehemaliger "Zuchthäusler" war er allen möglichen Schikanen ausgesetzt. Dies änderte sich erst als ihn ein Wachtmeister, der den Kasseler Anarchosyndikalisten Willi Paul kannte, unter seine Fittiche nahm. Hans überlebte den Krieg an der Westfront und kehrte nach kurzer Gefangenschaft nach Wuppertal zurück.
Dass er nicht die Gelegenheit zur Desertion ergriff, hatte zwei Gründe: Zum einen kursierten die Gerüchte, deutsche Soldaten würden von belgischen Partisanen erschossen. Zum anderen hatten gerade die Politischen die nicht unberechtigte Angst, dass ihre Angehörigen darunter zu leiden hätten.
Nach dem Kriege traten einige Mitglieder der Wuppertaler SAJD und FAUD für kurze Zeit in die KPD ein, trennten sich aber schon 1947/48 von der Partei, nicht zuletzt unter dem Einfluss des nach Schweden emigrierten Genossen Fritz Benner. Bis Anfang der 50er Jahre waren die meisten ehemaligern SAJD-ler, so auch Hans, Mitglied der Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS). Deren Aktivitäten waren hauptsächlich auf die Herausgabe der Zeitschrift "Freie Gesellschaft" konzentriert. "Die Genossen werden es leid", schrieb dazu Fritz Benner 1953 an Rudolf Rocker, "alles nur für die Zeitschrift zu opfern, keine Versammlungen, nichts. Eine Bewegung kann man nur schaffen, wenn man sich an die materiellen Interessen wendet.(Â…) Die Genossen im Industriegebiet wollen (Â…) werben. Sie halten die Zeitschrift dafür nicht geeignet. Sie haben ja früher eine andere Sprache gesprochen und können den Kontakt mit größeren Massen nicht mehr herstellen. Nach meiner Ansicht fehlen aber auch alle Voraussetzungen, um eine syn.[dikalistische] Bewegung neuzugründen".
Dass diese Analyse zutraf, hatte Hans schon unmittelbar nach Kriegsende erfahren müssen. Als Betriebsrat eines Wuppertaler Metallbetriebes hatte er einen "wilden" Streik organisiert und wurde deshalb aus der IG Metall ausgeschlossen.
Er trat nicht mehr der IG-Metall bei, erzählte aber stolz, dass er später in einer Düsseldorfer Firma zum "Berater" eines jungen und kämpferischen Betriebsrats wurde.
Mit der politischen Bewegung bekam Hans erst wieder Mitte der 1980er nähere Fühlung durch die Kontakte zu Uli Klan und mir. Anfang der 90er Jahre schrieb er seine Erfahrungen über den Widerstand im "Dritten Reich" auf, 1993 war er einer der "Hauptdarsteller" eines Dokumentarfilms über den Widerstand der Wuppertaler Arbeiterjugend gegen den Nationalsozialismus. Seitdem hat er in unzähligen Veranstaltungen über seine Erlebnisse erzählt. Besonders wichtig war ihm der Kontakt zur anarchosyndikalistischen FAU (Freie ArbeiterInnen Union), deren Mitglieder er 2001 auf einer Veranstaltung in Düsseldorf kennengelernt hatte. Diese späte Anerkennung erfüllte Hans mit Stolz.
Wenn ich an Hans zurückdenke, fällt mir spontan ein Zitat Walter Benjamins ein. "Der Klassenkampf", schreibt Benjamin, "ist ein Kampf um die rohen und materiellen Dinge, ohne die es keine feinen und spirituellen gibt. Trotzdem sind diese letztern im Klassenkampf anders zugegen denn als die Vorstellung einer Beute, die an den Sieger fällt. Sie sind als Zuversicht, als Mut, als Humor, als List, als Unentwegtheit in diesem Kampf lebendig und sie wirken in die Ferne der Zeit zurück. Sie werden immer von neuem jeden Sieg, der den Herrschenden jemals zugefallen ist, in Frage stellen."

Dieter Nelles

Hans Schmitz: "Umsonst is dat nie". Widerstand - Ein persönlicher Bericht, Grafenau 2004
Volker Hoffmann/Jörg Lange/Dieter Nelles: Umsonst is dat nie: Arbeiterjugend und Nationalsozialismus in Wuppertal. Wuppertal 1993
Zu bestellen über http://www.weltfilme.de/doko/frame.html

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 320, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 36. Jahrgang, Sommer 2007, www.graswurzel.net