Not for you

Die Chicks on Speed sind Superstars. Wie konnte das passieren?

"Art Rules" bedeutet "die Regeln der Kunst", aber auch soviel wie "Kunst ist cool". Ein neues Buch über Pierre Bourdieus Kunsttheorie hat diesen Titel. Eine der zentralen Thesen darin ist, dass es die Regeln des Kunstfeldes sind, die den/die KünstlerIn machen und keinesfalls individuelle Kreativität.
Die aktuelle Performance des feministischen Künstlerinnen- und Musikerinnenkollektivs "Chicks on Speed" heißt ebenfalls so. Und die demonstrative Art, mit der sie sich mit ihrer Inszenierung den Gesetzen des Kunstbetriebes unterwerfen, lässt durchaus den Schluss zu, dass sie es gelesen haben.

Famous. In der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, in der die Lecture zur Performance stattfindet, bilden blinkende Glühbirnen passend den Schriftzug "Not for You". Die Chicks geben keine Interviews, fotografieren und filmen darf nur, wer vorher einen Vertrag unterschrieben hat, Fragen aus dem Publikum sind nicht vorgesehen. Was die Erfolgsstory der "Mädchen" aus München - dort haben sich die aus Australien, den USA und Deutschland stammenden Frauen vor zehn Jahren an der Kunstakademie kennen gelernt - betrifft, bleiben an diesem Abend allerdings auch keine offen. Eine detailreiche Power Point Präsentation, die unangenehm an Zeiten erinnert, in denen Urlaubserinnerungen noch anhand abendfüllender Diavorträge mit den Lieben geteilt wurden, führt durch die Stationen der jungen Künstlerinnenleben.
Ausstellungen haben sie gemacht und Mode, viele, viele Konzerte gegeben, "always lots of fun" haben sie dabei gehabt. Während geplaudert wird, werden aus neonfarbenen Stoffbahnen Kleider entworfen. Um die liegen gebliebenen Wollfäden zum Zusammenknoten werden sich die Fans später reißen.

Fashion. "Fashion is for fashion people. ItÂ’s hard to be cool if you donÂ’t follow these rules. Fashion is for fashion people. Get out there now and break the rules."
Gesungen, getan: Der Regelbruch besteht aus einer eigenen Modelinie mit bunten Klamotten, die billig aussehen, ganz so billig aber natürlich nicht sind. Mitverkauft wird die Kritik an den Arbeitsbedingungen in Sweatshops, aber auch Karl Lagerfeld als wohlgesinnter Begutachter der Kreationen auf dem Cover der "Fashion Rules"-CD. Lagerfeld ist bislang nicht unbedingt durch Engagement für faire Produktionsbedingungen aufgefallen.

Fellow. An männlichem Ruhm mitnaschen ist natürlich auch für Feministinnen nicht grundsätzlich verwerflich, mitunter sogar subversiv, oft ganz einfach die einzige Chance, ein bisschen davon abzubekommen. Die Männer sollten für diese Strategie aber zumindest sorgfältig ausgesucht werden.
Für die Art Rules-Performance haben sich die Chicks on Speed den arrivierten Douglas Gordon ausgesucht. Seine Rolle auf der Bühne des ausverkauften Wiener Gartenbaukinos blieb allerdings weitgehend unbestimmt. Nackt und mit Silbertape umwickelt saß der vor allem mit extremen Verlangsamungen von Filmklassikern (einen Western von John Ford hat er auf eine Laufzeit von fünf Jahren gedehnt) bekannt gewordene Künstler die meiste Zeit in Birdy-Pose in einer Art Stahlkäfig. Sein einziger Ausbruch aus dieser traditionell deutlich weiblichen Rolle des gefangenen Vögelchens bestand aus einer umso deutlicher männlich anmutenden, minutenlangen wilden Salve unartikulierter Stakkatoklänge zu Stroboskopblitzen.

Feminism. Wild gaben sich auch die Chicks, was auf der Bühne streckenweise sehr bemüht, in den im Hintergrund laufenden Videos aber manchmal wirklich äußerst witzig war (ganz besonders lustig: ein Musikvideo, in dem sie nackt über den Dächern rocken.) Nackt getanzt und gesungen wird auch live, außerdem mit Leuchtfarbe herum gepatzt und Haare coram publico abgeschnitten. Neben diesen Zitaten weiblicher Körperkunst wird der feministischen Tradition, in der die Künstlerinnen sich sehen, auch direkt gehuldigt. Valie Export zum Beispiel, die im Publikum sitzt.
Tatsächlich beerbten Aktionen und Auftritte der Chicks diese Tradition unleugbar. Sie tourten gemeinsam mit Peaches, verbeugten sich mit "Kaltes klares Wasser" vor der Kultband Malaria und brannten weibliche Musikgeschichte auf den Sampler GirlMonster. Gezeigt wurden im Gartenbaukino nicht nur die aus lesbischer Perspektive erweiterte Arbeit der Guerilla Girls "The Advantages of Being a Woman Artist", sondern z. B. auch eine geköpfte Phallusskulptur in Amsterdam sowie ein Film, der bei ihrer Wien-Aktion in der Yves Klein-Ausstellung kurz zuvor im MUMOK gedreht wurde. Kleins Missbrauch von Frauen als lebende Pinsel erwidern sie mit Haufen- und Skulpturenbildung ihrer nackten Leiber.

Francesca. Bemalt werden die Körper dann erst bei Art Rules. Nicht auf der Bühne, dorthin werden nur die phosphorleuchtenden Bewegungen übertragen, die beim Ganzkörpermalen auf einer riesigen Leinwand entstehen. Höhepunkt des bunten Abends ist das anschließende Hereintragen des meterlangen Gemäldes. Das Publikum soll seinen Wert schätzen, die Kunstmarkt kritische Intention wird durch Zerschneiden der Leinwand am Ende unterstrichen: "Und was zahlen Sie jetzt?", fragt Melissa Logan mit durch den Riss gestecktem Kopf.
Das Thema Geld wurde überhaupt gerne und häufig aufgegriffen. Schon bei der Lesung wurde wieder und wieder auf Einkommenssituation und fehlende Einnahmen durch Musikdownload im Netz hingewiesen. Das begann vor allem deshalb irgendwann zu nerven, weil dabei weder die prekäre Situation von Frauen im Kunstbusiness besonders hervorgehoben, noch sonst in irgendeiner Form auf strukturelle Probleme hingewiesen wurde.
Das ist es auch, was die Chicks bei Bourdieu ganz offensichtlich überlesen haben. Die Regeln der Kunst zu kritisieren bedeutet nicht, in den Chor jener reaktionären Verfechter von Hochkultur einzustimmen, die sich schon immer über die "Kleckser" empören, die großes Geld mit großer Scheiße machen. Es bedeutet vielmehr, zu analysieren, welche Ausschlüsse diese Regeln produzieren und - wie beispielsweise die Guerilla Girls es tun - darauf hinzuweisen, dass rentable Kunst nach wie vor weiß und männlich ist.
Peinliche Konsequenz dieses Lamentos ist die inszenierte Auktion während der Performance. Mäzenin Francesca Habsburg überreicht einen Arm voll Tausenderbündel.
Um die abgeschnittenen und liegen gebliebenen Haare hat sich nach dem Spektakel dann niemand mehr gerissen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at