Der Kunststreik als Kunstwerk

in (01.04.2006)

"Die stärkste Waffe der Arbeiter im Kampf gegen das System ist die Verweigerung der Arbeit; genau dieselbe Waffe können auch Künstler einsetzen.

Will man das Kunstsystem zerschlagen, müssen Jahre ohne Kunst ausgerufen werden: In einem Zeitraum von drei Jahren - von 1977 bis 1980 - produzieren und verkaufen Künstler keine Werke, bestücken keine Ausstellungen und verweigern die Zusammenarbeit mit jeglichem Teil der Medienmaschinerie des Kunstbetriebs. Diese vollständige Niederlegung der Arbeit stellt eine Kampfansage extremster Form der Künstler gegen den Staat dar."

Mit diesen Worten fordert der Künstler Gustav Metzger 1974 seine Kollegen de facto zum Streik auf. Der Aufruf ist Teil einer Polemik, die politische Kunst in Frage stellt und zum Boykott des Kunstbetriebs als integrativem Bestandteil des kapitalistischen Staates aufruft. Die Polemik gipfelt im Vorschlag, Künstler, denen die Einstellung ihrer Produktion schwer falle, in Lager zu schicken, wo hergestellte Werke regelmäßig zerstört werden. Publiziert wurde das Pamphlet unter dem Titel Years Without Art 1977-1980 im Katalog zur Ausstellung Art into Society - Society into Art, die 1974 im Londoner Institute of Contemporary Arts (ICA) stattfand. Als intendierten Effekt des Kunststreiks nennt Metzger den Zusammenbruch oder zumindest die Beschädigung des "Galeristen/Museen/Medien-Komplexes": private Galerien müssen schließen, Museen und Kulturinstitutionen verlieren ihre Fördermittel und müssen Personal abbauen, Kunstzeitschriften eingestellt werden... Ziel der Lahmlegung des Kunstbetriebs sei die Entwicklung "gerechterer Formen für Verkauf, Ausstellungen und Veröffentlichungen", um der im 20. Jahrhundert durch den Kapitalismus geschwächten Kunst eine neue Chance zu geben. Bis auf einige großteils empörte Reaktionen blieb der Aufruf zur Einstellung der Kunstproduktion jedoch folgenlos. Metzger führte den dreijährigen Streik im Alleingang durch. Er verlagerte in dieser Zeit - gemäß seiner Empfehlung am Ende der Polemik, nämlich, sich "statt mit der Produktion von Kunst (...) mit den zahlreichen historischen, ästhetischen und gesellschaftlichen Fragen, die sich der Kunst stellen, zu beschäftigen" - seine Aktivitäten auf die Erforschung der Kunst im Nationalsozialismus sowie auf die Auseinandersetzung mit der Frankfurter Schule.
Dem faktischen Scheitern des Streiks (geht man davon aus, dass ein Streik nur als Massenbewegung erfolgreich sein kann) zum Trotz bleibt die Idee des Kunststreiks sowohl als (Gedanken)Experiment als auch als konsequente Weiterentwicklung von Metzgers politischem Kunstansatz interessant. "Künstler, die sich im politischen Kampf engagieren, handeln in zwei zentralen Bereichen: Sie setzen ihre Werke für unmittelbare gesellschaftliche Veränderungen ein, und sie arbeiten auf eine Veränderung der Strukturen des Kunstbetriebs hin.", so definiert Metzger am Beginn von Years Without Art den Wirkungsbereich politischer Kunst. Sein 1959 erstmals formuliertes Konzept der Autodestruktiven Kunst ist dabei gleich für beide Bereiche von Bedeutung. Einerseits bringt er die Autodestruktive Kunst (die Schaffung von Werken, die sich selbst zerstören) in Zusammenhang mit der atomaren Bedrohung, gegen die er sich auch als Aktivist politisch engagiert, andererseits entzieht sie sich der kommerziellen Verwertung, indem sie keine bleibenden Werke schafft, die auf dem Kunstmarkt gehandelt werden können. 1961 schreibt er in seinem dritten Manifest zur Autodestruktiven Kunst: "Autodestruktive Kunst ist ein Angriff auf kapitalistische Werte und den Trieb zur nuklearen Auslöschung.", und ein Jahr später in einem Aufsatz: "Autodestruktive Kunst ist als letzte verzweifelte subversive und politische Waffe gedacht, die von Künstlern verwendet wird. Sie ist ein Angriff auf das kapitalistische System und die Produktion von Kriegsgeräten. (Â…) Sie ist außerdem ein Angriff auf Kunsthändler und Sammler, die moderne Kunst um des Profits willen manipulieren." Metzger bringt seine künstlerische Produktion also von Anfang an mit politischen Zielen in Verbindung. Trotzdem stellt er bei der explizit "politischen" Ausstellung Art into Society - Society into Art dezidiert nicht aus; man kann sagen, er "bestreikt" die Ausstellung. Seine Teilnahme beschränkt sich auf den Beitrag zum Ausstellungskatalog, wo Metzger neben der zitierten Polemik Years Without Art verschiedene Fragen zur politischen Kunst formuliert. Bleibt noch zu bemerken, dass das ICA als staatlich finanzierte Institution zu den Organismen gehört, gegen die der Kunststreik sich wendet, ebenso wie alle Beteiligten an der Ausstellung potentiell der Personengruppe angehören, die durch den Streik geschädigt werden.
Es stellt sich also die Frage, ob Metzgers Aufruf und seine Entscheidung zum Kunststreik eine Distanzierung von politischer Kunst bedeutet, wie sie in der Ausstellung präsentiert wird. Dabei fällt nicht nur seine Weigerung ins Gewicht, sich mit Werken an der Ausstellung zu beteiligen, sondern auch die Kritik an politischer Kunst, die er im Katalog äußert: "Die enge Verschränkung von Kunst und Gesellschaft belastet den Einsatz von Kunst zur gesellschaftlichen Veränderung. (...) Selbst wenn sie sich gegen die Interessen des Staates richtet, kann sich Kunst vom Staat nicht abnabeln. Kunst im Dienst der Revolution ist unbefriedigend und wird wegen der zahlreichen Verbindungen zu Staat und Kapitalismus angezweifelt." Allerdings schließt er unmittelbar an: "Aber trotz dieser Probleme werden Künstler weiterhin Kunst dazu einsetzen, die Gesellschaft zu verändern." Dass Metzger nach Beendigung seines Kunststreiks 1981 fortfährt, Kunst mit politischem Anspruch zu machen zeigt, dass er sich selbst zu letzteren zählt.
Die Frage, ob Metzgers Kunststreikpolemik eine Distanzierung von politischer Kunst bedeutet, muss also mit Nein beantwortet werden. Wenn Metzgers Kunststreik aber keine Abkehr von der Kunst und dem Glauben an ihr gesellschaftlich-politisches Potenzial darstellt, kann er im Gegenteil als Radikalisierung seiner künstlerischen Strategie aufgefasst werden, als ein Weg der Kunst, sich (durch ein Manöver innerhalb der Kunst) ihr politisches Potenzial zu bewahren. So gesehen darf der Kunststreik nicht ausschließlich als politische Aktion begriffen werden, sondern muss wesentlich auch als eine Aktion politischer Kunst verstanden werden. Man muss dabei nicht soweit gehen, dieser Kunstaktion so etwas wie einen Werkcharakter zuzuschreiben, wie das z. B. im Zusammenhang mit der Kunststreikpropaganda der Neoisten geschehen ist. Wichtig scheint mir jedoch folgendes: Wenn der Kunststreik keine Abwendung von der Kunst bedeutet, sondern im Gegenteil eine Form der Radikalisierung innerhalb der politischen Kunst, dann bleibt die Kunst trotz oder vielmehr durch den Kunststreik ein Medium, in dem politische Fragen verhandelt werden können. Gustav Metzgers Kunststreik rührt also an die grundlegendste Frage politischer Kunst überhaupt, nämlich die nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit.

Dieser Artikel erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, "Streik", Frühjahr 2006.