Kein echter Fortschritt

in (21.04.2006)

Das Bekenntnis zur Gleichstellung der Geschlechter ist seit Jahrzehnten festgeschrieben. Aber auch EU-Papier ist geduldig.

Der erste Bericht über Frauen und Armut in der Europäischen Union, Ende 2004 erstellt vom Frauenausschuss des Europäischen Parlaments (FEMM), findet zwischen diplomatischen Floskeln versteckt einigermaßen deutliche Worte: Es wird "bedauert, dass sich die Union trotz des politischen Willens ... nicht ausreichend mit der ,Feminisierung der ArmutÂ’ befasst hat". Die Kommission und der Rat werden aufgefordert, mehr zur ersten UN-Dekade zur Beseitigung der Armut (1997-2006) beizusteuern. Und um die Armut der Frauen wirksam zu bekämpfen, müsse die "enorme Armut" der Frauen in den 25 EU-Staaten zuerst einmal erkannt werden. Denn fehlende Daten und mangelnde geschlechtsspezifische Indikatoren für Statistiken sind immer noch eines der Hauptprobleme.

Der Frauenarmuts-Bericht stellt fest, dass die sozialen Systeme in den meisten EU-Staaten die besonderen Bedingungen von in Armut lebenden Frauen nicht ausreichend berücksichtigen. Das Armutsrisiko für Frauen sei wesentlich höher als für Männer. Die Gründe dafür sind wohl bekannt: Die Lohnschere zwischen Männern und Frauen beträgt durchschnittlich bis zu 33 Prozent. Seit der Festschreibung des Grundsatzes "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" vor dreißig Jahren sei "kein echter Fortschritt zu verzeichnen", so die FEMM-Berichterstatterinnen.
Dabei hat der Europäische Rat vor einigen Jahren beschlossen, die Hindernisse für eine Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt zu beseitigen. Ein erklärtes Ziel: Bis 2010 sollen für mindestens neunzig Prozent der Kinder Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. Die FEMM-Berichterstatterinnen verweisen erneut auf diese Verpflichtung und fordern von den nationalen und lokalen Behörden größere - finanzielle - Anstrengungen, wenn aus dem hehren Ziel noch etwas werden soll.

Anfang 2005, wenige Monate nach dem FEMM-Bericht zur Armut, gab die EU-Kommission den zweiten Jahresbericht zur Gleichstellung von Frau und Mann heraus. Darin wird erstaunlicherweise festgestellt, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Armutsgefährdung "offenbar nicht stark ausgeprägt" seien. Dabei wird in vielen anderen Teilaspekten - von der Arbeitslosenquote bis zur Vereinbarkeit - von großen Defiziten berichtet. Dementsprechend unkonkret wird in den Schlussfolgerungen der Europäische Rat "ersucht", die Mitgliedsstaaten dazu aufzufordern, ihre Bemühungen fortzusetzen.
Eine Richtlinie wird erwähnt, die mittlerweile auch umgesetzt wurde: Die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beim Zugang zu und bei der Versor-gung mit Gütern und Dienstleistun-gen. Daraus entstand das konkrete
Verbot, Frauen grundsätzlich Versicherungen zu schlechteren Bedingungen zu verkaufen.
Aus dem Frauenbericht der Kommission geht auch hervor, dass sich etwa die Frauenbildungsquote der EU-25 durch den höheren Bildungsstand der neuen Mitgliedsstaaten verbessert hat. Aber trotz des geringeren Anteils an teilzeitarbeitenden Frauen in den neuen EU-Staaten ist die Schere zwischen Frauen und Männern diesbezüglich seit 1998 weiter auseinander gegangen, wie schon der FEMM-Bericht festgestellt hatte. Auch die Segregation des Arbeitsmarktes nach Berufen und Sektoren ist nach wie vor stark ausgeprägt.
Die Arbeitslosenquote, prinzipiell im Steigen begriffen, liegt bei Frauen bei etwa zehn Prozent (im Vergleich zu 8,3 Prozent bei Männern). Bei Drittstaatenangehörigen ist die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch als bei EU-BürgerInnen. Zuwanderinnen verdienen zehn Prozent weniger als EU-Bürgerinnen! Bei den Männern liegt der Lohnunterschied gerade einmal bei vier Prozent.

Die von Frauen- und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat präsentierten Schwerpunkte ihres Ressorts bei der EU-Präsidentschaft gehen auf die mehrfach berichteten Defizite kaum ein. Die Bekämpfung von Diabetes und ein Frauengesundheitsbericht, aus dem dann Indikatoren zur Messung des Fortschritts im Bereich Frauengesundheit entwickelt werden sollen, sind ihre - prinzipiell nicht unwichtigen - Prioritäten.
Kritik an dieser Schwerpunktsetzung kommt von der Opposition. SP-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek vermisst darin das Thema Einkommensunterschiede, zu dem im Mai auch eine Konferenz in Brüssel stattfinden wird. Außerdem müsse im Rahmen der Neuverhandlung des Strukturfonds bis 2007 dringend auf Gender-Mainstreaming-Kriterien gepocht werden. In die gleiche Kerbe schlägt die Grüne Frauensprecherin Brigid Weinzinger. Sie vermisst die "riesigen Brocken" EU-Budget und Gelder für europaweite Frauenpolitik. Das Arbeitsprogramm der Frauenministerin sei lediglich ein "Pflichtprogramm". Angesichts der dokumentierten Situation von Frauen in punkto Armutsgefährdung und Vereinbarkeit aber wohl nicht einmal das.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at