Kein Herz-Jesu-Sozialismus

Während Deutschland geschlossen beim Public-Viewing saß, hat die Regierung reformiert und dabei die neudeutsche Allrounddevise Fördern und Fordern weiter optimiert.

Angela Merkel musste auf keine Torwand schießen. Das wäre wohl das Einzige gewesen,was ihre Freude darüber, Kanzlerin der "Weltmeister der Herzen" zu sein, hätte trüben können. Und so konnte sie tun,was Staatstragende seit jeher mit der WM im eigenen Land machen: Kapital aus ihr schlagen. Wer Goldjungen Klinsmann bei der Medaillenverleihung stellvertretend für die ganze Nation knuddelt, der wird von ihr geliebt - unweigerlich. Aber nicht nur durch Besuche in der Mannschaftskabine lassen sich die eigenen Beliebtheitswerte erfahrungsgemäß vortrefflich optimieren. Die WM schützt diese auch vor Einbrüchen, weil endlich einmal in aller Ruhe und ohne jedes öffentliche Interesse und Geschrei gearbeitet, saniert und reformiert werden kann. Und falls in der Halbzeitpause doch mal wer hinschaut, ist die beste aller möglichen Marketingstrategien zur Hand, mit der sich neben Autos und Zahnputzbechern eben auch Politik verkaufen lässt. Es wird einfach ein Fußball draufgeklebt. "Fairplay" und "Teamgeist" wird genannt, was eine unsoziale Sauerei ist.
Aber genau hingeschaut hat ohnehin niemand. Während sich die Linke stritt, ob ein deutscher Multikulti-Party- Nationalismus besonders oder vielleicht doch gar nicht so schlimm ist, beschäftigten Feministinnen vor allem die Sexarbeiterinnen, die EMMA zu vierzigtausend ins Land geschleppt sah.

Werte oder Wirtschaft. Derweil arbeitete die deutsche Bundesregierung. So emsig, dass selbst CDU-Politiker wie NRWMinisterpräsident Jürgen Rüttgers jetzt angesichts der Ergebnisse eine Nachdenkpause fordern. Über einige "Lebenslügen" soll die CDU nachdenken, so sein Rat, insbesondere über jene Lügen, dass Steuersenkungen Investitionen und damit Arbeitsplätze bedeuten und die Löhne in Deutschland zu hoch seien. Hatte man auch den letzten Rest sozialen Gewissens in christlich-demokratischer Gestalt spätestens nach der Kopfpauschalen-Debatte und dem darauf folgenden Rücktritt Horst Seehofers vollends verloren gegeben bzw. alleine in Heiner Geißlers greise Hände gelegt, lässt Rüttgers nun neu hoffen:"Die CDU ist keine kapitalistische Partei. Sie ist eine Wertegemeinschaft, die nicht nur am Materiellen hängt." Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Wirtschaft toben nach dieser Aussage und FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle kontert mit einem Aufruf zu ähnlich grundsätzlichen Überlegungen:"Die Union muss sich im Bund allmählich entscheiden, ob sie den Weg der sozialen Marktwirtschaft gehen will oder zurückfällt in ihren alten Herz-Jesu-Sozialismus." Obgleich vonseiten der CDU selbstverständlich niemals Sozialistisches - "Herz-Jesu" oder nicht - drohte, fühlt Michael Fuchs (CDU) sich sofort genötigt klarzustellen:"Die CDU war immer eine Partei der Leistungsträger."

Workfare. Für diese macht sie auch unleugbar Politik. Die von der großen Koalition nun präsentierte Gesundheitsreform sieht nun zwar nicht mehr die umstrittene, einkommensunabhängige "Kopf-", dafür aber eine "kleine" Pauschale vor.Wenn die Kassen mit dem Geld, das ihnen ab 2008 vom neu gegründeten "Gesundheitsfonds" zugewiesen wird, trotz geplanter Beitragserhöhung und weiterer Leistungskürzungen nicht auskommen, dürfen sie einen pauschalierten Zusatzbetrag erheben. Ob es denn reicht, wird künftig noch weit stärker als bisher von der Zusammensetzung der Versicherten abhängen. Denn mit einem Fixbetrag pro Versicherter/ m sind Alte und chronisch Kranke natürlich noch weit unrentabler. Die schleichende Verabschiedung vom Solidarprinzip vollzieht sich so also nicht alleine durch die einkommensunabhängige Pauschale, es wird auch durch den vorhersehbaren Wettbewerb der Kassen um junge und gesunde Versicherte ausgehöhlt. Mitverantwortlich für diese Aushöhlung ist die SPD nicht alleine durch ihre Abkehr von der "Bürgerversicherung", die sie im Wahlkampf dem Prämienmodell der CDU entgegengehalten hatte. Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer Anfang 2007 wird als allgemeine Verbrauchersteuer bekanntlich Geringverdienende deutlich härter treffen. Hatte die SPD vor der Wahl die von der CDU angekündigte Anhebung von 16 auf 18 Prozent vehement kritisiert, haben die KoalitionspartnerInnen nun gemeinsam beschlossen, sogar noch einen Prozentpunkt draufzulegen. 19 Prozent werden es ab kommendem Jahr sein. Auch mit dem am 1. August 2006 in Kraft getretenen so genannten "Optimierungsgesetz" für Hartz IV sind es wieder die Einkommensschwächsten, die den maroden Haushalt um 1,5 Milliarden entlasten müssen. Das von Medien und Regierung verbreitete, beliebte und vielfach bewährte Missbrauchsszenario hat eine breite Akzeptanz für diese neuen Einschnitte geschaffen. Bereits zur Einführung des vierten Hartz-Gesetzes und des Arbeitslosengeld II 2005 wurden die "Ein-Euro- Jobs" kreiert, bei deren Ablehnung Kürzungen von dreißig Prozent bis zur vollständigen Streichung (bei unter 25-Jährigen) der ohnehin kümmerlichen Regelleistung von 345,- Euro drohen. Definitionsgemäß müssen diese Jobs "im öffentlichen Interesse liegen" und "zusätzlich" sein, d.h. die Billigstlohnkräfte dürfen keine regulären Arbeitsverhältnisse ersetzen. De facto tun sie das natürlich längst. So macht die arbeitslos gemeldete, ausgebildete Pflegerin nun häufig genau dasselbe, was sie vor ihrer Arbeitslosigkeit auch schon getan hat; jetzt eben für einen Euro Stundenlohn und ohne jede arbeitsrechtliche Absicherung. Die neuen Verschärfungen erlauben Kürzungen der Bezüge nun noch schneller und weit reichender, die Arbeitswilligkeit jeder/s neuen AntragstellerIn wird fortan geprüft, indem vor der Bewilligung erst einmal eine Fortbildungsmaßnahme angeboten wird. Unter 25-Jährige müssen im Haushalt der Eltern bleiben und "Außendienste" sollen in Zukunft prüfen, ob die EmpfängerInnen auch abrufbereit zu Hause sitzen und den Tag nicht etwa in der sozialen Hängematte im Grünen verbummeln. Die Eckpunkte der von Schwarz- Rot geplanten Unternehmenssteuerreform scheinen hingegen ganz und gar nicht einem Haushalt zu entstammen, dessen Defizit den Stabilitätspakt bereits zum fünften Mal bricht. Zwischen fünf bis zwölf Milliarden Euro wird alleine die geplante Steuererleichterung für Unternehmen kosten, die vor allem durch eine Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 12,5 Prozent erreicht werden soll. Auch die beabsichtigte Steuersenkung für Kapitalerträge wird die Einsparungen beim Arbeitslosengeld vermutlich um ein Vielfaches übersteigen.

Work-Life-Balance. Sind Frauen in Arbeitslosigkeit und als Schlechterverdienende von all diesen Maßnahmen besonders betroffen, werden sie auch von der Einführung des neuen "Elterngeldes" wohl nur bedingt profitieren. Anders als das bisherige Erziehungsgeld wird es lohnabhängig sein, ein Anreiz, mit dem Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) die hauptverdienenden und traditionell einkommensstärkeren Männer zum Zuhausebleiben bringen will. Zusätzlich wird das Elterngeld auch nur dann über den vollen Zeitraum von 14 Monaten gezahlt, wenn die Kinderbetreuung mindestens zwei Monate vom anderen Elternteil (also klassischerweise dem Vater) übernommen wird. Geplant waren ursprünglich 10 +2 Monate, die Ergänzung eines vollen Betreuungsjahres durch die beiden "Vätermonate" war ein Zugeständnis an viele Herren aus der eigenen Partei, die sich gegen jedwede "Zwangsmaßnahme" verwehrten.
Lässt diese Neuregelung einerseits tatsächlich hoffen, dass männliche Kinderbetreuungszeiten zunehmen, müssen nicht Berufstätige und GeringverdienerInnen mit der Neuregelung finanzielle Einbußen hinnehmen.Weiters zielt die Kritik vor allem auf die Zeit danach ab."Denn ohne eine gute Infrastruktur für die Betreuung von Kindern ab dem vollendeten ersten Lebensjahr läuft die Förderung ins Leere", so die Grünen. Aber auch wenn ihre Forderung nach einem kostenlosen Kindergartenjahr von Merkel sofort abgeschmettert wurde, die Ärztin und siebenfache Mutter von der Leyen hat für jede Schwierigkeit flexible Work-Life-Balance- Rezepte parat."Ich sitze zum Beispiel gerne mit den Kindern im Kinderzimmer und lese dabei Akten - die Kinder lieben das." Überzeugt selbst das nicht, greift schließlich auch die Wunderfrau zur Fußballballformel und wiederholt mit Dauer-NLP-Lächeln einfach den Slogan ihres Ministeriums:"1:0 für Familie!"
Vielleicht sollte man darauf in Zukunft einfach wie Zidane reagieren.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at