Bush am Ende?

Das konservative US-Nachrichtenmagazin Time kürte George W. Bush in diesem Jahrtausend bereits zweimal zur "Person des Jahres". Das scheint Ewigkeiten her zu sein.

Heute konstatiert ein Kommentator derselben Zeitschrift den "epischen Zusammenbruch" einer der "schlechtesten [Regierungen] der amerikanischen Geschichte". Bush - "ein Anführer, der so auffallend unfähig zum Führen ist" - hat für Time drei hervorstechende Charakterzüge, die auch seine gesamte Regierung auszeichnen: "Arroganz, Inkompetenz, Zynismus". Der so Gerügte reagiert mit einer seiner wenigen erfreulichen Eigenschaften: Selbstironie. Bei einer Dinneransprache vor Journalisten witzelt Bush: "Vor einem Jahr betrug mein Rückhalt in der Bevölkerung 30 Prozent plus X, mein Kandidat für den Obersten Gerichtshof machte gerade einen Rückzieher, und mein Vizepräsident hatte jemanden erschossen. Ja, das waren noch schöne Zeiten." Wer sich als Präsident der mächtigsten Wirtschafts- und Militärmacht über frühere desaströse Umfragewerte, das Scheitern eines politischen Großprojektes und einen Jagdunfall mit Todesfolge freut, hat in der Gegenwart gleich gar nichts mehr zu lachen. Er kostet die Eliten seines Landes Geld, Macht, Sympathien und Vertrauen. Kein Wunder also, daß ein solcher Mann am öffentlichen Pranger endet.

Schon im Herbst 2004 sagten vier von fünf US-Historikern - mehr als 400 von ihnen nahmen an einer Umfrage des akademischen History News Networks teil -, Präsident Bush jr. habe in seiner ersten Amtszeit versagt. Zwölf Prozent waren sogar sicher, er sei der schlechteste US-Präsident aller Zeiten. Diese akademische Einschätzung ist in den vergangenen 30 Monaten Allgemeingut geworden. Bushs Taktik, von ihm selbst in einem Time-Interview als "katastrophaler Erfolg" beschrieben, ist die des gewaltigen Sieges, der von furchtbaren Niederlagen bedroht bleibt: "Wir werden so schnell siegen, daß wir am Ende weiterkämpfen müssen" darf als das Motto seiner gesamten Präsidentschaft gelten. In diesem Sinn ist Bush seit dem 11. September 2001 am Ende und sichert gerade mit dieser Nähe zum Abgrund sein politisches Überleben.

Bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit, wenn er im Januar 2009 aus dem Weißen Haus ausziehen muß, macht er weiter wie bisher. Er wird Entscheidungen treffen oder treffen lassen, die man verbrecherisch nennen muß. Längst gibt es gute Gründe, Bushs Treiben mit einem Amtsenthebungsverfahren Einhalt zu gebieten: seine Rechtfertigung von Angriffskriegen; der Bruch internationaler Rechtsabkommen in Foltergefängnissen wie Abu Graib oder Guantanamo; die jahrelange Verletzung verfassungsmäßiger Rechte durch illegale Ausspähung zahlloser US-Telefonate und E-Mails; Kriegsangriffe auf Zivilisten, Journalisten, Krankenhäuser und Krankenwagen, teils mit illegalen Waffen aus abgereichertem Uran oder weißem Phosphor. Dennoch sagte Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, kurz nach ihrer Wahl im vergangen Herbst, ein solches Verfahren gegen den Präsidenten sei "vom Tisch". Die Demokraten könnten Bush zwar mit einfacher Mehrheit wegen möglicher Amtsvergehen anklagen, aber eine Verurteilung wäre nur mit Zweidrittel-Mehrheit im Senat machbar, wo die Republikaner 49 von hundert Senatoren stellen.

Einem Verfahren gegen ihren konservativen Präsidenten würde eine Mehrheit der republikanischen Senatoren wohl nur zustimmen, wenn Bush das Heiligste der US-Zivilreligion angriffe: die noch von den Gründervätern vorbereitete US-Verfassungsordnung. Genau das aber tut Bush mit Hilfe der Einheitlichen Exekutiv-Theorie ("Unitary Executive Theory"), die sein Amt aller Kontrolle durch andere Verfassungsorgane entziehen soll. So hat er sich durch eine Rekordzahl von bislang fast 750 "signing statements" - Stellungnahmen bei präsidialer Unterzeichnung neuer Gesetze - ein Teilvetorecht gegen ihm nicht genehme Rechtsvorschriften geschaffen. Laut Rechtsanwalt John Yoo, dem wichtigsten Rechtsberater des Präsidenten, darf Bush jederzeit gegen alles und jeden Krieg führen, ohne an irgendwelche Gesetze gebunden zu sein. In einer öffentlichen Diskussion stellte Yoo fest, daß kein Vertrag oder Gesetz den Präsidenten daran hindern könne, Menschen foltern zu lassen - oder sie zu einer Aussage zu zwingen, indem er den Kindern dieser Gefangenen beispielsweise die Hoden zerquetschen läßt. Sogar ein Völkermord wäre nach der Einheitlichen Exekutiv-Theorie verfassungskonform.

Daß Bush mit offenbar erlogenen Begründungen acht unliebsame Bundesanwälte - hohe politische Angestellte des Justizapparates - aus dem Staatsdienst entfernen ließ, sieht er als Bagatelle an. Der Präsident akzeptiert keinen Grund, warum sich seine Mitarbeiter zu den Kündigungen vom Kongreß befragen lassen sollten. Daß Millionen E-Mails seiner Regierung rechtswidrig gelöscht wurden, von denen der Kongreß einige zur Aufklärung der Affäre einsehen wollte, geht laut Bushs Regierungssprecherin bloß auf einen technischen Fehler zurück.

Bis zum Januar 2009 kann Bush noch viele seiner katastrophalen Siege davontragen. Es ist der ganzen Welt zu wünschen, daß er sie nicht erringt.