Die Klimadebatte als Falle

in (05.04.2007)

Den Anfang machte die EU-Kommission mit einem düsteren Szenario. Vorausgesagt wurden reiche Ernten und ein Tourismusboom für die "kühlen Länder" Europas,

Ernteausfälle und Naturkatastrophen für die Mittelmeerländer. In ihrer Studie, die Anfang Januar vorgelegt wurde, fordern die Autoren, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxid (CO2) weltweit um 15 Prozent zu senken, und zwar sofort. Langfristig müßten die Emissionen sogar um 50 Prozent zurückgehen, um die klimatischen Verwerfungen abzumildern.

Wenige Tage später legte Kommissionschef José Manuel Barroso ein Strategiepapier vor ("Eine Energiepolitik für Europa"), in dem die Vorzüge der Atomenergie herausgestrichen wurden. Welch ein Zufall. Bundeskanzlerin Angela Merkel sekundierte in der ARD, man müsse sich "natürlich auch überlegen, was für Folgen hat es, wenn wir Kernkraftwerke abschalten".

Dann ging es Schlag auf Schlag. Der 3000 Seiten starke Report des UN-Klimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erschien am 2. Februar und heizte ein anderes Klima, das der veröffentlichten Meinung, kräftig an. Die Medien befördern seitdem Bilder über schmelzende Polkappen oder Eisbären, die einander verzehren müssen, auf die Titelseiten. Die Kanzlerin müht sich, den Klimaschutz zur Chefsache zu machen, und scheitert als EU-Ratspräsidentin gleich mit der Vorgabe, bis zum Jahr 2020 den Anteil der Erneuerbaren Primärenergie auf 20 Prozent aufzustocken, an den Einsprüchen der europäischen Kohle-Atom-Allianz.

Energieproduzenten, Parteien, Experten, Umweltverbände bieten auf dem Klimabasar ihre Konzepte feil, selbst Ladenhüter erleben ihr Renouveau. Ein Beispiel:

Glühbirnen heizen mehr, als daß sie Licht geben. 90 Prozent der Energie werden nicht in Licht, sondern in Wärme umgewandelt. Keine ganz neue Erkenntnis. Der Chef der Deutschen Umwelthilfe e.V., Jürgen Resch, setzt sich energisch für ein Glühbirnenverbot nach australischem Vorbild ein. Zur Umsetzung würden die bereits heute in der EU geltenden Kennzeichnungsregelungen für Leuchtmittel genügen. Ähnlich wie bei Kühlschränken, deren Energieeffizienz klassifiziert wurde, dürften Birnen, deren Effizienz nicht den Stufen "A", "B" oder "C" entspräche, ab dem Jahr 2010 nicht mehr verkauft werden. Resch will endlich "Nägel mit Köpfen" machen und kündigte eine breit angelegte Informationskampagne an. Das Problem: Die Lampen enthalten giftiges Quecksilber, und deshalb mischt in der Kampagne auch der Geschäftsführer der Lightcycle Retourlogistik, Patrick Dieninghoff, mit. Besorgte Lichtkonsumenten und Leserbriefschreiber möchten wenigstens die Flurlampen mit herkömmlichen Birnen bestücken, damit die Hausbesucher der Umwelthilfe bei Dämmerlicht - die Röhren kommen nur langsam auf Tour - nicht die Treppe hinunterpurzeln.

In der Debatte fehlt es nicht an Skurrilitäten, aber es kommen auch sinnvolle Vorschläge wie das Tempolimit auf Autobahnen. Steht am Anfang die Frage, wie der Kohlendioxidausstoß drastisch verringert werden kann, so werden in der Debatte alle Grenzen zwischen Haushalt, Verkehr, Wärme- und Stromproduktion verwischt, so als würden Öl und Gas hauptsächlich zur Stromerzeugung genutzt. Der Geschäftsführer des Bayrischen Naturschutzbundes, Hubert Weiger, meinte in einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur, neue Atomkraftwerke kämen für die Rettung des Weltklimas 15 Jahre zu spät - und ist schon in die Klimafalle getapst!

Was die 2.500 Experten, 800 Autoren, 450 Redakteure aus 130 Ländern in sechsjähriger Arbeit im IPCC-Report zusammengetragen haben, überrascht weder die Wirtschaft noch die Politiker, denn die Auswahl der Autoren obliegt den Nationalstaaten. An der Schlußredaktion feilten in Paris eine Woche lang 500 Politiker und Wissenschaftler, Juristen überprüften Satz für Satz, Wort für Wort, selbst die Kommata. Der weltweite Kampf um die Ausbeutung der Primärenergiequellen ist voll entbrannt.

Eingeräumt wird - das mag eine Genugtuung für die Umweltbewegung sein - ein menschengemachter Klimawandel. Sogar US-Präsident George Bush spricht neuerdings von einer "ernsthaften Herausforderung" - ein krasser Widerspruch zum US-amerikanischen Boykott des Kyoto-Protokolls.

Forderungen nach Energieeffizienz, Energiesparen und regenerativer Energie werden jetzt zum common sense, aber sofort mischt sich der Ruf nach einer Neuauflage der Atomkraft ein. Mitte Februar wartete die Nucleonics Week mit einer Rekordmeldung auf: Weltweit sei 2006 der Spitzenwert von 2,8 Milliarden Brutto-Megawattstunden Atomstrom registriert worden. Auch Deutschland ist Weltmeister: Die größte Produktionsmenge eines Reaktors fiel im AKW Isar-2 des e-on-Konzerns an.

Das führt zum Kernthema. Gerade sickerte durch, daß das Bundesumweltministerium den Antrag des RWE-Konzerns auf Laufzeitverlängerung des AKW Biblis A ablehnen wird. Die Betreiber wollten "Reststrommengen" des längst stillgelegten Atommeilers Mülheim-Kärlich auf das hessische Kraftwerk übertragen, um die Abschaltung im Jahr 2008 zu unterlaufen und den Weiterbetrieb bis 2011 zu sichern. Das ist nicht gesetzeskonform. Aussichtsreicher scheint ein Antrag des EnBW-Konzerns: Große Strommengen, die unter Rot-Grün im "Atomkonsens" vereinbart wurden, sollen vom neueren Kraftwerk Neckarwestheim II auf das ältere AKW Neckarwestheim I übertragen werden, so daß sich dessen Laufzeit bis 2017 verlängern würde. Für die laufende Legislaturperiode ist außerdem die Stilllegung von Biblis B und Brunsbüttel vereinbart. Die Konzerne setzen auf ein AKW-freundliches Klima und preisen die Meiler als CO2-frei; sie blenden dabei gern aus, wieviel Kohlendioxid bei Uranabbau, Brennelementfertigung und allen nachgeordneten Entsorgungsschritten freigesetzt wird und daß daher auch in der Atomstromwirtschaft die CO2-Bilanz negativ ausfällt.

Ist die Atomkraft im Aufwind? In Großbritannien, Belgien, der Schweiz, Polen, Ungarn, selbst Schweden wird laut nach ihr gerufen - fragt sich, wer ruft. Und wer ernsthaft rechnet. In Olkioluto (Finnland), wo der erste neue Reaktor seit langem in Westeuropa gebaut wird, klettert der Preis von 5,2 auf 6,5 Milliarden Euro. Geplant ist ein weiterer Neubau des gleichen Typs in Flamanville (Frankreich). Doch ob die Atomlobby bis zum Jahr 2020 immer wieder Produktionsrekorde melden kann, steht in Frage, denn die Stilllegung von Alt-Reaktoren schreitet schneller voran als der Neubau. Zur Zeit werden weltweit 435 Atomkraftwerke gezählt, ihr Anteil an der Primärenergieerzeugung verliert sich bei drei Prozent.

Die Slowakei, Bulgarien und Rumänien setzen auf die Zusammenarbeit mit der russischen Föderalen Agentur für Nuklearenergie (Rosatom). Deren Chef Sergej Kirijenko hat zur Zeit Grund zur Freude, nachdem eine Absichtserklärung zum Bau von vier Reaktoren in Indien unterzeichnet wurde. Der AKW-Bauer Atomstrojexport ist in zwei weiteren Ländern engagiert: in China und dem Iran. Mit Japan wird verhandelt.

Im vergangenen Jahr hat der Kreml ein 42-Milliarden-Euro-Programm aufgelegt, um die Kraftwerksbauer mit Aufträgen zu versorgen. Bis zum Jahr 2015 sollen in Rußland zehn neue AKW entstehen, bis zum Jahr 2030 will man den Anteil des Atomstroms am Energieverbrauch von derzeit 16 auf 25 Prozent steigern. Gas und Öl sollen als Devisenbringer in den Westen fließen - 49 Prozent Anteil an Atomstrojexport hält übrigens Gazprom.

Der IPCC-Report ist nützlich für die Debatte um eine Neuorientierung der Energiepolitik. Die Regenerativen werden von ihren grün-alternativen Eierschalen befreit. Der Report muß aber auch gegen den Strich gelesen werden, er ist alle andere als die "Bibel" des Umweltschutzes. Zu ergänzen ist, daß Atomkraft keinen Beitrag zum Klimaschutz leistet und weltweit nur einen geringen zur Sicherung der Energieversorgung.

Nicht zu vergessen: Die zivile Nuklearindustrie ist nur eine Sparte, allerdings, wegen ihres Zwillings, der militärischen, eine übermächtige. Schon melden Israel, Jordanien, Marokko und die Türkei ihren Anspruch an, Atomkraftwerke zu bauen, und Rußland positioniert sich am Markt. Es geht um die Neuaufteilung der Märkte - weltweit.